11.10.10

Gainsbourg


Frankreich, USA 2009 (Gainsbourg (Vie Héroïque)) Regie: Joann Sfar mit Eric Elmosnino, Lucy Gordon, Laetitia Casta, Doug Jones, Anna Mouglalis 121 Min.

Ein genialer Maler, der als Musiker und Frauenheld berühmt und skandalös wurde. Ein Comic-Zeichner, der dieses unbändige und vielseitige Leben in einem Film mehr nachempfindet als nacherzählt. Grenzüberschreitungen bilden die wesentlichen Elementen der spannenden Anti-Biografie um die faszinierende Figur Serge Gainsbourg (1928 - 1991).

Vom Strand direkt in den Comic: Immer wieder wird Gainsbourg an den Küstenstreifen zurückkehren, wo er von einem Mädchen stehen gelassen wurde. Deshalb taucht der Film auch von hier aus in seine fantastischen Welten. Zuerst mit dem kleinen jüdischen Jungen Lucien Ginsburg, der schon mit zwölf Jahren raucht, die Malerakademie am Montmartre besucht, dabei das Aktmodell zum Ausziehen und Ausgehen überredet. Die gleichen großen Ohren hat während der deutschen Besatzung von Paris auch das Karikatur-Plakat eines Juden, aus dem sich ein riesiger Pappkopf schält und durch die Straßen rennt. Eine der ersten Alter Ego-Figuren, die Gainsbourg sein Leben lang begleiten werden. Die sprunghaften Episoden um Ginsburg, der erst später Gainsbourg wird, speisen sich oft aus Legenden: Der Junge, der lieber Cowboygeschichten liest als Klavier spielt, holt sich stolz einen Judenstern ab, muss sich aber später im Wald verstecken. Erfolg bei den Frauen hat er auch schon früh, als „ gutaussehender Mann mit sehr viel Angst“. Klavier spielt er in der Piano-Bar nur um die Malerei zu finanzieren, doch schon sein erstes Modell sagte: Küss mich mit der Zunge - oder der Sprache, was im Französischen nicht zu unterscheiden ist. Es wird denn auch sein freches, böses und mutiges Alter Ego „Die Fresse“ sein, die das Maler-Atelier unterm Dach in Flammen aufgehen lässt.

Von nun an ist Serge Gainsbourg als Komponist, Texter und Sänger erfolgreich - vor allem bei den Frauen. Von seiner Ehefrau, mit der er im Bett von Salvador Dalí lag, lässt er sich zum Date mit Juliette Gréco (Anna Mouglalis) fahren. Für die Bardot schrieb er „Je t'aime... moi non plus“, aber erst in seiner nächsten sehr intensiven Beziehung mit Jane Birkin wurde das Stöhnlied zum skandalösen Erfolg. Doch schon beim ersten Hit mit France Gall flüsterte ihm „Die Fresse“ ein, mit dem Chanson die Jugend zu verderben.

Regisseur Joann Sfar ist eigentlich Comic-Zeichner, dessen Bildgeschichten von „Chagall en russie“ bis zu „Der kleine Prinz“ reichen, und arbeitete immer schon mit jüdischen Themen. So begleitet auch sein Filmdebüt „Gainsbourg“ eine eigene Bilder- und Skizzensammlung. Diesem Hintergrund verdankt das Multitalent Gainsbourg eine uneigentliche Biografie mit ebenso vielen Liedern wie Facetten. Sie vermittelt Innenansichten Gainsbourgs und drängt „verbürgt“ Biographisches an den Rand. Der hervorragend aufgenommene Film zeigt meist Innenaufnahmen, bei denen die Totalen der Räume wie gemalte Hintergründe wirken. Das ist mehr die Skizze eines Zeichners als atmosphärische Nettigkeit, mit der zuletzt die Biografien „La vie en Rose“ (Piaf) und „Coco Chanel - Der Beginn einer Leidenschaft“ verwöhnten. Brüchig wie die Bob Dylan-Bio „I'm Not There“ von Todd Haynes gönnt sich der Film auch im konventionelleren letzten Drittel keine Sentimentalitäten und spielt zum Tod des geliebten (und von den Eroberungen des Sohns so herrlich begeisterten) Vaters den harten Chanson „Nazi Rock“ aus dem (vergangenheitsbewältigend sagt man wohl) Album „Rock Around the Bunker“.

„Gainsbourg“ überzeugt durch eine ganz hervorragende Besetzung, angefangen mit dem Film- und Theater-Schauspieler Eric Elmosnino, der dem Künstler frappierend ähnlich sieht. Noch eine Grenzüberschreitung des Films ist, dass er gleich zwei „Geisterbilder“ von mittlerweile Verstorbenen zeigt: Lucy Gordon, die Darstellerin der Jane Birkin, hat sich nach dem Dreh umgebracht. Und vor ein paar Wochen starb Claude Chabrol, der hier in einer sehr typischen Szene den erst entsetzten dann teuflisch begeisterten Produzenten von „Je t’aime“ spielt. Die Erinnerung an einen einzigartigen Künstler lebt mit diesem Film weiter - und auch seine Tochter Charlotte Gainsbourg. Die Schauspielerin singt mittlerweile Lieder vom Vater.