5.9.10

Venedig 2010 Das Akkordeon / Jafar Panahi


Friedlicher Kurzfilm aus dem iranischen Gefängnis Jafar Panahis

Venedig. Der bewegendste Moment des bisherigen Festivals von Venedig galt einem Abwesenden. Selten haben ein paar Minuten Film so viel Aufregung erzeugt - auch emotional. „Das Akkordeon“ heißt der Kurzfilm des lange inhaftierten iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der trotz seiner international mit Solidaritätsadressen erkämpften und gefeierten Haftentlassung das Land nicht verlassen darf und aktuell auf sein Gerichtsverfahren wartet. Die Vorgeschichte bewegte die Filmgemeinschaft seit langem, Panahi war einer der vielen Iraner, die nach den letzten Wahlen und den Protesten der Bevölkerung verhaftet wurden. Die Gründe blieben unklar, er war in Einzelhaft, hörte absurde Vorwürfe. Solidarische Aufrufe gab es von Filmfestivals, dem internationalen Kritikerverband FIPRESCI und vielen Prominenten. Noch in Cannes brach Juliette Binoche auf einer Pressekonferenz in Tränen aus, als sie über die Haft Panahis sprach. Der Regisseur erhielt vor zehn Jahren in Venedig den Goldenen Löwen für „Der Kreis“, den schweren Weg mehrerer Frauen, die aus dem Gefängnis entlassen wurden. „Offside“, die Geschichte der weiblichen Fußballfans, die ein Spiel nur in Sicherheitsverwahrung miterleben können, gewann 2006 den Silbernen Bären in Berlin. Panahi zeigte engagiert, aber auch sehr sensibel vor allem die Situation der Frauen im Iran.

„Das Akkordeon“ ist wieder eine dieser nur scheinbar einfachen Geschichten, die leicht als Kinderfilm durchgehen und mit denen Abbas Kiarostami („Wo ist das Haus meines Freundes?“) berühmt wurde. Auch Panahi faszinierte schon mit einer „Kindergeschichte“ namens "Der weiße Ballon". Nun sind es zwei Geschwister, die als Straßenmusiker durch die Stadt gehen. Der größere Bruder spielt hervorragend Akkordeon, das Mädchen schlägt die Trommel und sammelt mit einer Blechdose Geld. Plötzlich erschreckt sie, bindet sich hektisch ein Kopftuch um und rennt zurück zum Bruder: „Eine Moschee!“ Sie haben aus versehen vor einem Gotteshaus gespielt, ein Sakrileg, und schon ist ein Mullah dabei, dem Bruder das Akkordeon wegzunehmen. Die Verzweiflung ist groß und als die Kinder den ebenfalls armen Mann später sehr kläglich das Akkordeon spielen sehen, greift der Junge zu einem Stein. Doch das Mädchen begleitet erst den Mann mit der Trommel, dann übernimmt der Junge das Instrument und der Mann die Bettelbüchse. In neuer Harmonie geht das Trio aus Kunst und Kontrolle weiter.

Die Interpretation ist naheliegend, aber mit einer sehr kultivierten Bescheidenheit, mit einer Friedfertigkeit, die man im Westen Christus andichtet, hält sich Panahi von einer Deutung des in Guerilla-Manier, vorbei an staatlicher Zensur produzierten Kurzfilms zurück. Er wolle niemanden anklagen, nur eine Geschichte erzählen. Ebenso zurückhaltend geht er mit seinem Verfahren und der internationalen Solidarität um. Man kann aber auch eine Vorsicht vermuten, auf keinen Fall die üblichen Fronten zwischen Ost und West, Islam und Heidentum aufzubauen.