27.1.10

Sneaks in der Region Aachen

Seit vielen Jahren gibt es bereits die Sneaks, „Schnüffel-Premieren“ von Filmen vor dem offiziellen Bundesstart, bei denen man weniger zahlt, aber auch vorher nicht weiß, welcher Film gespielt wird. Jetzt scheinen die Sneaks ihre Blütezeit zu erleben. Auch das Apollo veranstaltet nun jeden ersten Mittwoch im Monat eine, geschickterweise direkt nach der wöchentlichen Sneak vom Cineplex. Das Angebot soll sich allerdings gemäß der Ausrichtung der beiden Kinoketten unterscheiden. Zudem gibt es noch jeden ersten Dienstag im Eden eine Sneak in Originalversion und mit dem gleichen Originalton die Sneaks in Heerlen (Donnerstag). Auch das Comet in Düren veranstaltet wöchentlich eine Sneak (Mittwoch).
(Aachen, Apollo nur Mi. 3.2.2010 um 22.15 Uhr)

Sherlock Holmes


USA 2009 (Sherlock Holmes) Regie: Guy Ritchie mit Robert Downey Jr., Jude Law, Rachel McAdams 128 Min. FSK ab 12

Wen interessieren heute eigentlich noch Watson und Holmes, Dick und Doof oder Pünktchen und Anton? Genau! Die Geschichten des Sir Arthur Conan Doyle (1859 - 1930) mussten aufgepeppt werden und Guy Ritchie ist genau der richtige Kerl dafür. So erledigte der Brite nach Knallern wie „RocknRolla“, „Snatch“ und "Bube, Dame, König, grAs" diesen, seinen ersten Hollywood-Auftrag nicht unbedingt mit Bravour. Aber zumindest anständige Unterhaltung bleibt bei genauerer Untersuchung des Falles übrig.

Nach diesem neuen Holmes wundert man sich, dass der distinguierte englische Urvater aller Detektive auch im Nahkampf ziemlich fit war. Holmes als (Pfeifen-) Kettenraucher, der auch Morphium oder Koks zugeneigt war, überrascht Kenner der Kurzgeschichten und Romane nicht. So richtig klar macht dieser Film allerdings, dass Holmes mit seinen wissenschaftlichen Methoden auch Erfinder moderner TV-Krimis wie CSI ist.

Methoden, die er bei diesem Film-Fall auch notwendig braucht: Im letzten Moment können Sherlock Holmes (Robert Downey Jr.) mit seinem gar nicht so treuen Gehilfen Dr. Watson (Jude Law) die Opferung einer Jungfrau verhindern und den dämonischen Zeremonienmeister Lord Blackwood (Mark Strong) festnehmen. Der taucht jedoch nach seiner Hinrichtung wieder auf und scheint mit übernatürlichen Kräften im Bunde zu sein. Für den so aufgeklärten Aufklärer Holmes, der rein mit Verstand und Wissenschaft arbeitet, bedeutet ein obskures Rätsel eine besondere Herausforderung. Und es ist ein raffinierter Kniff, um die Zeichnung der verstaubten Figuren zu beleben. Vielleicht stellt es aber auch einen Kniefall vor einer Zeit dar, die Übernatürliches im Horrorfilm ebenso wieder akzeptiert wie Religionskriege.

Nach einem in Stil und Action rasanten Auftakt, der mit Zeitlupen und -raffern klar die Handschrift von Guy Ritchie trägt, purzelt die Handlung munter weiter. Holmes, der gar nicht mehr altehrwürdig daher kommt, landet sogar im Gefängnis. Robert Downey Jr. spielt ihn auf reizvolle Weise eher als Clown, der dem verrückten amerikanischen Detective Harry Lockhart aus „Kiss Kiss Bang Bang“ (2005) näher steht, als der historischen Holmes-Figur. Hier sind Holmes und Watson kaputte Gestalten, Helden, die eher verlebte Boheme als steife britische Intelligenz darstellen. Der im Original so klare Denker ist nun selbst dem Wahnsinn so nahe wie sein Gegner Blackwood. Dieser will als überdeutlich erkennbarer faschistischer Führer mit Aberglauben, Populismus und Okkultismus die demokratische Tradition Großbritanniens durch ein Tausendjähriges Reich ersetzen. Im Hintergrund stehen die Freimaurer, denen der Autor Arthur Conan Doyle selbst angehörte.

Ästhetisch dominieren mäßige Computer-Animationen des alten London. Sie ergeben ein dunkles Panorama einer „modernen“ Stadt, die gerade die Tower-Bridge baut. Mit der Musik (unüberhörbar und schwer erträglich: Hans Zimmer), die von so einer Geige kommt, mit der Holmes immer spielt, erlaubt sich der Film einige kunstvolle Seitenbewegungen, ein paar schöne Bild-Koloraturen. Allerdings bleiben solche erfrischenden Sperenzchen zu selten. Später geriet recht gewöhnlich, was da für das Action-Publikum abgeliefert wird. Das Finale verpufft völlig im Altbekannten. Dies ist sicher nicht der beste „Sherlock Holmes“ und nicht der beste Guy Ritchie-Film. Aber ziemlich genau die Version, die in unsere Kino-Zeit passt.

26.1.10

Universalove


Österreich, Luxemburg, Serbien 2009 (Universalove) Regie Thomas Woschitz , Naked Lunch mit Anica Dobra, Dusan Askovic, Damien Smith 80 Min. FSK ab 12

„Universalove“ gewann im letzten Jahr den Max-Ophüls-Preis und kann sein Publikum im Sturm erobern: Die Liebe immer, an allen Orten der Welt lassen Thomas Woschitz  und die Musiker von Naked Lunch in einem Fluss von Bildern, Gefühlen und Tönen zusammenkommen. Die sechs Episoden aus Marseille, Brasilien, Belgrad, Tokio, Luxemburg und New York kreisen um dramatische Emotionen, dies sich jedoch erst langsam erklären und schneller ergreifen als das Verstehen. Knappste Dialoge, dafür mehr Musik, sowie Gefühl in unglaublich packenden Bilder und Szenen. Dabei traut sich der Film eine Ästhetik, die man nicht oft im Kino erleben darf: Er ist sprunghaft in den Szenen und im sonstigen Schnitt. Der japanische Computertechniker spiegelt sich im Bild der jungen Frau, die er auf einem zu reparierenden Rechner entdeckt und in die er sich verliebt. Sein Suchen und Warten erfolgt im Zeitraffer, während in Marseille das Bild gestoppt wird, als ein Gangster die Pistole auf den arabischen Freund einer jungen Frau richtet. In Brasilien muss Maria mitten in der geliebten Telenovela einen Stromausfall erleben, doch das reale Leben des Hauptdarstellers knallt bald per Autounfall in ihres. Die feuchte Liebesgeschichte zweier Schwimmer in Luxemburg lässt die Emotionen treiben. Die atmosphärisch sehr starken Bilder treten mal als körnige Nachtaufnahme auf, mal als überstrahlte Aufnahmen von Set der Telenovela. Die besondere Bedeutung der Musik ist schon daran abzusehen, dass die Band „Naked Lunch“ (die den Film auch live begleitet) in den Regiestand erhoben wurde. So ist dieser einzigartige Musik- und Gefühlsfilm ein Muss für alle, denen Kino zuviel und zu oft nur Geschichten erzählt.

Die Affäre


Frankreich 2009 (Partir) Regie: Catherine Corsini mit Kristin Scott Thomas, Sergi Lopez, Yvan Attal 85 Min.

Großartige Filme können so einfach funktionieren: Eine Liebe, eine Leidenschaft. Ganz einfach. Was die wohlhabende Ehefrau und Mutter Suzanne (Kristin Scott Thomas) für den spanischen Handwerker Ivan (Sergi Lopez) empfindet, sprengt ihre Ehe und den bürgerlichen Rahmen in Südfrankreich. Kurz kämpft die 40-jährige Susanne gegen ihre Gefühle, dann verlässt sie Mann und Heim. Der schlägt mit all seiner materiellen Macht und seinen Beziehungen zurück. Ivan wird arbeitslos, Suzanne bekommt ihr Vermögen gesperrt und die Scheidung zieht sich hin. Das einfache Glück der neuen Liebe ist bedroht und muss sich materiellen Herausforderungen stellen…

Die ganze Affäre, oder der lange Prozess des Verlassens („Partir“ heißt der Film im Original), dauert ohne Vorspann und Endtitel keine 80 Minuten, bei denen jede einzelne Szene packend gelang. Nur selten setzt Musik ein, aber dann wirken die Stücke umso stärker. Das Schauspiel konzentriert sich auf Kristin Scott Thomas („Der englische Patient“), ihre eigentlich zerbrechliche Figur Suzanne wird von Leidenschaft und Sehnsucht in einem Maße getrieben, welches man ihr kaum zutraut oder zumuten will. Sergi Lopez ist wieder einmal Latin Lover, die stoische Variante (siehe bei Coixet in „Map of the Sounds of Tokyo“). Yvan Attal steht das eiskalte Ekelpaket gut, der Schwächling, der sich verzweifelt an den Familienschein klammern muss, auch wenn er dabei seine Frau nur sediert beschlafen kann.

Catherine Corsini  („Les amoureux“, „La nouvelle Eve“) stellt das Gefühlsgeschäft ebenso kalt aus wie Fassbinder bei „Martha“, oder genauer: Es ist da einer im Spiel, der Liebe mit all seiner (Ohn-) Macht erkaufen will. Dem kapitalistischen Tauschhandel steht eine Leidenschaft entgegen, die romantisch in die freie Natur flieht, die sich selber genügt. Aber vom Noch-Ehemann auf eine brutale Probe gestellt wird. Die Handlung entwickelt sich sicher und scheinbar selbstverständlich einen Schritt nach dem anderen. Und am Ende steht ein unfassbares Drama. Oder eigentlich schon am Anfang, aber da verheimlich der Film noch, was der Schuss in der Nacht bedeutet. Wer meint, er mag keine französischen Filme, sollte sich mit diesem auf die Probe stellen.

Holocaust-Gedenken beim New York Jewish Filmfestival


Zwei historische Filmstarts in New York

New York. Das New York Jewish Filmfestival (13. bis 28. Januar) widmet sich traditionsgemäß dem Holocaust-Gedenken - mit Filmen, die Erinnerung wach halten und versuchen, das unbegreifliche Grauen in Ansätzen erfahrbar zu machen.

In diesem Rahmen war es eine ganz besondere Ehre, dass der deutsche Film „Unter Bauern“ das 19. New York Jewish Filmfestival eröffnen durfte. Regisseur Ludi Boeken, die Hauptdarstellerinnen Veronica Ferres, Margarita Broich und Lia Hoensbroech sowie die unermüdlichem mittlerweile 96-jährige Marga Spiegel selbst, deren dramatische Geschichte im Film erzählt wird, erlebten eine weitere Station auf der erfolgreichen Tour des Films. Der in Westfalen gedrehte und von der Filmstiftung NRW geförderte "Unter Bauern" erzählt von der  jüdischen Familie Spiegel, die von westfälischen Bauern versteckt wurde und nur so der Deportation durch die Nazis entging. Nach der Premiere auf der Piazza Grande Locarnos und einer bewegenden Vorstellung in Israel kam die außergewöhnliche Rettung dreier Juden auch in New York an. Die Premiere von „Unter Bauern“ versammelte Zuschauer, die fast alle eigene Holocaust-Erlebnisse mit sich tragen. „Ich werde dieses Kino als anderer Mensch verlassen“, lautete eine der bewegten Stellungnahmen nach der Vorführung. Veronica Ferres nahm dieses und anderes Lob gerührt entgegen. Der Niederländer Ludi Boeken, dessen Eltern auch von (niederländischen) Bauern vor der antisemitischen deutschen Verfolgung gerettet wurden, moderierte mit persönlicher Anteilnahme und professioneller Erfahrung aus zahlreichen eigenen Produktionen die vielen Begegnungen des Abends.

Auch für Joachim von Mengershausen, der sehr erfahrene Produzent der Kölner „FilmForm“, war die Eröffnung mit seinen „Bauern“ ein denkwürdiger, ein historischer Moment. Gleichzeitig lief - nur ein paar Straßen weiter - seine mehrfach ausgezeichnete Dokumentation „Auf der Suche nach dem verlorenen Gedächtnis“ (Regie: Petra Seeger) erfolgreich in der amerikanischen Kultur-Metropole. Der Film über den jüdischen Neurologen und Nobelpreisträger Eric Kandel startete am 8.1.2010 in Amerika: So etwas habe er seit Edgar Reitz nicht mehr erlebt, meinte Mengershausen denn auch begeistert. Nach gezielten Einsätzen in mehr als 30 jüdischen Filmfestivals wird auch „Unter Bauern“ im Herbst einen regulären US-Start erleben.

Heute Abend wird ein weiterer von der Filmstiftung NRW geförderter Film und in Nordrhein-Westfalen gedrehter Film das New York Jewish Filmfestival beenden: „Within the whirlwind“, die Eugenia Ginzburg-Autobiographie der Oscar-Siegerin Marleen Gorris ("Antonias Welt") mit Emily Watson in der Hauptrolle, läuft als Abschlussfilm und als weiteres Beispiel nachhaltiger Erinnerungs-Arbeit im oft lauten und kurzatmigen Filmgeschäft.

25.1.10

Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen


USA 2009 (Cloudy with a Chance of Meatballs) Regie & Drehbuch: Phil Lord, Chris Miller 90 Min. FSK: ab 6

Es gibt Ideen und Figuren, die scheinbar nur auf 3D gewartet haben: Hamburger, die vom Himmel regnen, beispielsweise. Und computer-animierte Figuren mit geometrischen Körperformen und glatten (Haut-) Oberflächen a la „Jimmy Neutron“. Dass die tolle, umwerfend komische und flotte Animation „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ ausgerechnet eine kluge kritische Parabel gegen den Überfluss in der westlichen Industriegesellschaft erzählt, überrascht zusätzlich.

Flint Lockwood hatte schon als Kind Super-Poster von Super-Wissenschaftlern wie Einstein und Tesla an den Wänden. Doch von seinen ersten Erfindungen blieben ein fliegendes Auto am Meeresboden und fliegende Ratten auf den Telefonleitungen zurück. Auch die Aufsprühschuhe und den Affengedankenleser möchte er manchmal lieber loswerden. Jetzt als Jugendlicher will er seine graue Heimat-Insel Swallow Falls mit himmlischer Speisung beglücken. Ist doch die kleine Stadt seit Jahren gezwungen, immer und nur Sardinen zu essen, weil ihnen niemand mehr den üppigen Fischfang abkauft. Nachdem Flint, der verrückte Wissenschaftler in Junior-Version, wieder eine seiner üblichen Katastrophen verursacht hat, regnet es tatsächlich Hamburger vom Himmel. Flint hat einen Regen-Modulator in die Wolken geschossen und kann nun Wunschmenüs hoch senden. Von der Frühstücksfront fallen Eier mit Speck auf die Insel. Am Ende des Regenbogens hagelt es Bonbons. Neben Freude und Tourismus kommt auch wieder Farbe ins beschauliche Nest.

Doch vor allem die Wünsche des monströsen Bürgermeisters nehmen überhand, der Modulator läuft heiß und die Nahrungsmittel fallen immer größer vom Himmel. Eine echte Katastrophe bahnt sich an, doch die Bürger wollen immer mehr und der endlich mal beachtete Nerd Flint kann nicht Nein sagen...

Dieser großartige, knallbunte Spaß ist den Machern in jeder Hinsicht gelungen. Tolle Ideen prasseln nur so in die Geschichte. Es gibt klasse Figuren zuhauf, da hört es bei den üblichen „Sidekicks“ wie dem sprechenden Affen längst noch nicht auf. Auch im großen Finale kann die Ideen-Maschine noch einmal Gas geben, dann stürzen sich Flint und seine ungewöhnlichen Freunde in das Auge des Essens-Orkans wie einst die X-Wing-Flieger auf den dunklen Planeten. Parallel zur Reise zum Mittelpunkt der Nahrungs-Maschine rüsten sich die Inselbewohner zur Flucht auf Toastbooten. Der Sturm irrer und schräger Einfälle (im Stille von Wallace & Gromit) will einfach nicht stoppen.

An „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ kann man sich nicht satt sehen. Sätze wie: „Was wenn wir den Mund zu voll genommen haben?“, könnten allerdings sauer aufstoßen, während man mit Tonnen von Popcorn und Liter-Bechern braunen Zuckerwassers im Kino sitzt. Ist es ein Widerspruch in sich, wenn die Leinwand-Helden wegen zu viel Junk Food ein Fresskoma erleben und wir gerade im 3D-Kino sitzen, das doch Ausdruck von Überfluss und hemmungslosem Wachstumsdenken darstellt? Auf jeden Fall ist es eine besondere Leistung, sich mitten im größten Popcorn-Vergnügen der Kino-Geschichte Gedanken über Wissenschaft und Wirtschaft ohne Moral zu machen!

Auf der anderen Seite des Bettes


Frankreich 2008 (De l'autre coté du lit) Regie: Pascale Pouzadoux mit Sophie Marceau, Dany Boon, Antoine Duléry, Roland Giraud, Anny Duperey 93 Min.

Wer französische Filme grundsätzlich ablehnt, tut dem lebendigsten Filmland Europas unrecht, entscheidet aber in diesem Fall richtig: Unter den mehr als 200 Filmen, die von der großen Filmnation jährlich rausgebracht werden, gibt es alles Mögliche - auch Nieten. „Auf der anderen Seite des Bettes“ nach der Buchvorlage von Alix Girod de l'Ain ist so eine!

Ariane Marciac (Sophie Marceau) ist von ihrem Job als Hausfrau, Mutter, Bauherrin des heimischen Umbaus und Nebenerwerbs-Schmuckverkäuferin überfordert. Deshalb schlägt sie zuerst ihren Mann Hugo (Dany Boon) nieder, um dann einen Rollentausch vorzuschlagen. Ariane will nun den florierenden Baumaschinen-Verleih leiten, während Hugo den Kleinbetrieb Familie bewältigen soll. Umständlich wird die unnötige Nebenfigur des Gerichtsvollziehers Maurice (Antoine Duléry) eingeführt, der einen Vertrag aufstellt. Dann schleppt sich die Handlung zum Clou des Films, während Kamera und Schnitt wild umher springen und witzig tun: Ariane wandelt sich zum (Geschäfts-) Mann, indem sie das übermotorisierte Autos schräg parkt, zu viel ißt, rülpst, nach der Arbeit Dosenbier kippt ... und sonst nicht viel anders macht. Hugo gibt sich weibisch in seinem kleinen rosa Cinquecento, bekommt aber dank besserer Planung und Durchblick auch den Frauenjob gut geregelt. Zwischendurch heult er fast am Telefon, weil er kein eigenes Geld mehr auf der Kreditkarte hat.

Irgendwann fährt Ariane eine ganze Reihe von Polizei-Scootern um. Schon einige Schnitte vorher sah man, dass die nur zum Umfallen rumstehen. So ist der ganze Film: Nichts entwickelt sich aus einem inneren Zusammenhang in einer sinnvollen Umgebung. Alles holpert von einer unmöglichen Szene zur nächsten, weil es Drehbuch-Schreiberlinge (Pascale Pouzadoux , Grégoire Vigneron) krampfhaft herbei zwingen. Dany „Sch’tis“ Boon grimassiert, was das Zeug hält, Sophie Marceau wirkt deplatziert.

Die Idee des Rollentausches ist an den Haaren herbei gezogen, und deshalb überhaupt nicht komisch. Männer imitieren als Erfolgsrezept der Emanzipation? Wie vorgestrig ist das denn? Abgesehen davon, dass Ariane am Ende wieder bei Heim und Herd landet, hätten so einen Film Wertkonservative in den Siebzigern als Antwort auf die Emanzipation produzieren lassen. Kurz: Unfassbar dämlich und sehr schlecht gemacht.

24.1.10

New York, I Love You


Frankreich, USA 2008 (New York, I Love You) Regie: Yvan Attal, Allen Hughes, Shunji Iwai, Jiang Wen, Scarlett Johansson, Joshua Marston, Natalie Portman, Shekhar Kapur u.a. mit Kevin Bacon, Orlando Bloom, James Caan, Hayden Christensen, Julie Christie, Chris Cooper, John Hurt 110 Min.

Nach „Ein Sommer in New York“ folgt mit dem Episodenfilm „New York, I Love You“ gleich die nächste filmische Reise in die Stadt, „die nie schläft“, und in der sicher auch immer irgendwo ein Film gedreht wird. So kann man sich wie beim Vorgänger „Paris, je t’ aime“ aus dem Jahre 2006 nach dem Konzept von Emmanuel Benbihy ein Wiedersehen mit vielen Postkarten-Orten erwarten, bekommt aber diesmal mehr (Liebes-) Geschichten als Stadt-Gesichter präsentiert. Auch ist der Bekanntheitsgrad der Regisseure nicht so hoch wie in Paris, was allerdings im Fluss der unterschiedlichen, aber immer originellen und oft packenden Geschichten nicht auffällt. Überhaupt lassen die Episoden ohne Zwischentitel offen, welcher Regisseur gerade seine New York-Vision umsetzt. Die zwölf Liebesgeschichten sind verzahnt durch kurze Zwischenspiele, deren Sinn sich nicht direkt erschließt, die aber viel zur lässigen Stimmung des Ganzen beitragen. Sehr prominent sind allerdings die Schauspieler, mit denen einige Perlen aus dem Filmreigen besonders glänzen.

10 Jahre danach zeigt sich hier das New York von Regie-Gästen weit weg vom Trauma des 9/11, das logischerweise die Kompilation „11'09''01 - September 11“ bestimmte. Nicht fehlen dürfen aber auch heute New York-Klassiker wie der Taxi-Fahrer, Central Park oder das Gespräch auf eine Zigarettenpause vor dem Restaurant oder der Bar. Das erste Gespräch im Taxi gilt immer dem Problem, auf welcher Route man am wenigsten stockend durchs Verkehrschaos kommen könnte. Ein Paar legt auf der Rückbank direkt mit seinem persönlichen Verkehr los, nachdem der Weg zum Treffpunkt von Spannung vor dem Date, aber auch von Zweifeln über den Fortbestand dieser wilden Beziehung bestimmt war. Andi Garcia zeigt betont cool, wie man als alter Hase einen jungen Taschendieb um Frau und Börse bringt. Ein altes, zänkisches Paar - gespielt von Eli Wallach und Cloris Leachman - schleicht und streitet sich zum Vergnügungspark Cooney Island, um seinen 63. Hochzeitstag zu feiern (Regie Joshua Marston).

Geschichten, die hängenbleiben, gelangen vor allem Bret Ratner, Shekhar Kapur, Fatih Akin, Mira Nair und Rachel Portman. Letztere spielt auch vor der Kamera in Nairs von Religion, Regeln und Ritualen bestimmter Begegnung zwischen einer orthodoxen Jüdin vor der Hochzeit und einem hinduistischen Diamantenhändler. Das für New York typische Miteinander verschiedenster Herkünfte - bei Nair sehnsüchtig verträumt - stellt Portman selbst kritischer dar, indem der dunkelhäutige Vater einer aufgeweckten blonden Tochter im schicken Central Park nur als männliches Kindermädchen durchgehen kann. Bret Ratner („Rush Hour 2“) macht die grüne Seele der Stadt zum Ort einer überraschenden Entjungferung für einen jungen Mann. Akin komprimiert die letzte Leidenschaft eines alten, kranken Malers zu seinem asiatischen Modell in wenigen, kunstvollen Minuten. Shekhar Kapur („Elizabeth“, „Bandit Queen“) bringt die Leinwand-Legenden Julie Christie und John Hurt in einem ehrwürdigen Hotel am Rande des Parks zusammen. Sie will als ehemaliger Opernstar Abschied nehmen und die wunderbar weiche Schönheit der exquisiten Bilder macht Lust auf mehr - obwohl New York gerade in dieser Episode so gut wie nicht zu sehen ist.

19.1.10

Vorstadtkrokodile 2


BRD 2009 Regie: Christian Ditter mit Nick Romeo Reimann, Fabian Halbig, Leonie Tepe, Manuel Steitz, Nora Tschirner, Maria Schrader, Esther Schweins, Dietmar Bär 90 Min.

30 Jahre nach der ersten Verfilmung des Jugendromans von Max von der Grün renovierte Christian Ditter den Stoff zeitgemäß und erzielte einen guten Kassenerfolg. Nun gibt es den zweiten Teil und noch vor dem Vorspann läuft spannendes Indiana Jones für Kids. Das Abenteuer im Bergwerk geht flott über in das soziales Drama einer Firmenschließung, die einen ganzen Stadtteil Dortmunds trifft. Auch die Eltern von Olli und Maria, Mitglieder der Jugendbande Vorstadtkrokodile, müssen innerhalb einer Woche aus ihren Wohnungen. Die erste Liebe von Maria und Hannes ist bedroht. Doch die sieben Krokodile kommen bei ihrer Mission Impossible einer Sabotage auf die Spur und versuchen die Arbeitsplätze zu retten.

Wenn man sich nicht drüber aufregt, das die Buchvorlage des Max von der Grün frech und geschickt zu einer Jugendfilm-Marke verlängert wurde, kann man die „Vorstadtkrokodile“ als erfreuliche Erscheinung im Bereich des Kinos für Kids begrüßen. Aktuelle Themen sind gemischt mit einem aufregenden Besuch in der Disco und dauernd begleitet von den frechen Schnauzen aller Beteiligten. Scherze auf Kosten des „Rollis“ Kai werden genau so knackig retourniert wie die Zickereien von Kais Cousine. Während die Jungs eine Kontaktanzeige für eine einsame Mutter (Nora Tschirner mit extrem spitzer und schneller Zunge) aufgeben, kommt die Frage: „Du schaust meiner Mutter auf den Hintern?“ Darauf Kai: „Ich sitz im Rollstuhl, ich schau allen auf den Hintern!“

Surrogates


USA 2009 (Surrogates) Regie: Jonathan Mostow mit Bruce Willis, Radha Mitchell, Rosamund Pike 88 Min. FSK ab 12

In der Zukunft lassen die Menschen vor lauter Angst zu leben, über Gedanken gesteuerte Maschinen für sich leben. 90 Prozent der Bevölkerung wird dann einen „Surrogate“ haben und selbst als blasser „User“ im verschlossenen Zimmer dahinvegetieren. Doch es gibt auch eine Protestbewegung, die den Surrogates Menschenrechte erstreiten und selbst in von Maschinen befreiten Reservaten leben will. In dieser Situation muss FBI-Agent Tom Greer (Bruce Willis) - beziehungsweise sein Surrogat - Angriffe mit elektromagnetischen Impulsen aufklären, bei denen nicht nur die Maschinenwesen gegrillt, sondern auch die Gehirne der Nutzer zu Matsch werden. Der harte Cop bekommt diesmal dem Genre entsprechend nicht nur Waffe und Dienstmarke abgenommen, sondern auch seinen Ersatzkörper. Obwohl Tom es nicht mehr gewohnt ist, selbst draußen auf der Straße unter all den perfekten Plastikmenschen zu sein, erweist er sich als echter Held und schlägt sich durch. Dabei erlebt er nicht nur Angstattacken, sondern auch seit langem wieder echten Schmerz. So kann er den mächtigen Puppenspieler hinter der groß angelegten Verschwörung verstehen, der mit der Vernichtung der Maschinen die „Wiedergeburt der Menschheit“ einleiten will.

Das komplizierte Verhältnis des Menschen zu seinen Maschinen-Schöpfungen wurde schon oft und meist besser thematisiert. („Blade Runner“ sollte hier eigentlich nicht erwähnt werden.) Diese Verfilmung einer fünfbändigen Comic-Vorlage von Autor Robert Venditti und Zeichner Brett Weldele enthält trotzdem einige nette Ideen. Dass sich die Frau von Tom nach einem traumatischen Ereignis hinter einem Surrogat und dicken Wänden versteckt, ist eine treffende Darstellung für psychologische Vorgänge. Man kann Derartiges entdecken, gedacht ist der Science Fiction mit Action-Einlagen aber eher für die laut knallende Unterhaltung. Auf diesem Gebiet ist es albern oder sogar unmenschlich, wie reihenweise Surrogate über den Haufen gefahren werden. Unmenschlich allerdings auch, wie schlecht die vielen Actionszenen, die übermenschlichen Spring- und Rennereien inszeniert wurden. Bruce Willis, der in einem der besseren Momente wie in „12 Monkeys“ wieder in einer menschenleeren Stadt staunt, Radha Mitchell und James Cromwell wirken mit ihrer Schauspielkunst recht verloren im technischen Overkill.

18.1.10

Same Same But Different


BRD 2009 (Same Same But Different) Regie: Detlev Buck mit David Kross, Apinya Sakuljaroensuk, Stefan Konarske 107 Min. FSK: ab 6

„Wir können auch anders“ - dem Titel einer seiner alten Komödienhits gemäß, beweist Detlev Buck in letzter Zeit öfters sein vielseitiges Können. Dem heftigen Berlin-Drama „Knallhart“ folgte der sehr schöne Kinderfilm „Hände weg von Mississippi“. Nun ein Film, der unschöne Kindheit in kambodschanischer Prostitution spannend aber auch diskutabel auf die Leinwand und in die Köpfe bringt: „Same Same But Different“ ist die Liebesgeschichte zwischen einem jungen Hamburger und einer kambodschanischen Prostituierten. „Same Same But Different“ ist ein starker Film.

Mit „Knallhart“ entdeckte Detlev Buck das enorme Talent von Jungstar David Kross („Der Vorleser“). Jetzt spielt der Star von „Krabat“ in „Same Same But Different“ den orientierungslosen jungen Ben. Und auch dieser Film geht direkt in die Vollen. „See you in next life“ spricht die zierliche Kambodschanerin Sreykeo (gespielt von der Thailänderin Apinya Sakuljaroensuk) beim Chat mit Ben in die Kamera - Bis zum nächsten Leben! Sreykeo, die Urlaubsliebe Bens, ist HIV-positiv getestet worden. Die schon generell schwierige Fernbeziehung zwischen dem Praktikanten und der Prostituierten, die eine vielköpfige Großfamilie ernähren muss, wird auf eine schwere Probe gestellt. Doch Ben steht trotz Sreykeos zweifelhafter Reputation zur anhänglichen Frau. Er fliegt sofort zurück nach Südost-Asien und treibt mit verzweifelter Energie den Medikamenten-Mix auf, der aktuell die besten Überlebenschancen bei AIDS bietet. Bei einer idyllischen Fahrt in Sreykeos Heimatdorf bittet sie ihn jedoch auch noch, der Familie eine Hütte zu finanzieren...

Vor allem die eindringlichen Aufnahmen vom wilden Touri-Leben in Phnom Penh mit einem powervollen Soundtrack von Peter Fox bis Rammstein packten bei „Same Same But Different“ von Anfang an. David Kross erweist sich als ideal für die Rolle des frischgebackenen Abiturienten, der unbedarft mit Dollars um sich wirft und unbedingt mal in den vom Krieg her berüchtigten „Killing Fields“ Koks nehmen will. Von diesem berauschten Start ausgehend, zeigen sowohl der Film als auch die Hauptfigur eine Entwicklung mit viel Tiefe. Die zeitgemäß schwierige Liebesgeschichte betört mit Bildern wie von Wong Karwais „In the mood for love“ - nur auf Vollgas statt auf Walzer. Die Klischees der Prostitution in Südostasien sind ein Problem nicht nur für Ben, sondern auch für den Film. Einige Kritiker beschwerten sich, Bens Verhalten sei naiv und unrealistisch. Doch es gibt ein unschlagbares Gegen-Argument: Das Drehbuch wurde von Ruth Toma (zusammen mit Detlev Buck und Michael Ostrowski) nach dem autobiografischen Roman „Wohin du auch gehst“ von Benjamin Prüfer entwickelt. Unrealistisch wirkt es vielleicht, aber so ist es passiert.

Wenn Liebe so einfach wäre


USA 2009 (It`s complicated) Regie, Drehbuch: Nancy Meyers mit Meryl Streep, Steve Martin, Alec Baldwin 120 Min. FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung

„Was Frauen wollen“ und „Was das Herz begehrt“ - diese Titel aus ihren vielen Kino-Erfolgen sind auch Programm für Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin Nancy Meyers. Ihr gelingen Komödien für das weibliche Publikum, das sich ein wenig jenseits des Teenager-Alters mit anderen Problemen plagen muss. Das mag nicht jedermanns Vergnügen sein, aber in ihrem Fach ist Nancy Meyers eine Königin.

Und wer wäre geeigneter als Meryl Streep in der Rolle der seit Jahren geschiedenen, selbständigen und doch noch so jugendlich verführbaren Meisterbäckerin Jane Adler. Zuerst muss Jane schlucken, weil das befreundete Paar immer noch verheiratet ist, während die neue Mrs. Agnes Adler (Rita Wilson) einen model-mäßigen Auftritt bei der Gartenparty hinlegt. Doch dann stürzen Mr. Jake Adler (Alec Baldwin) und seine geschiedene Adlerin Jane bei den Schulabschluß-Feierlichkeiten des gemeinsamen Sohnes in New York ganz fürchterlich ab. Plötzlich wird die Komödie, der man unwissend Harmlosigkeit unterstellte, deftig: Nach dem Akt greift er ihr zwischen die Beine und stammelt selig „Home, Sweet Home“. Sie kotzt daraufhin in die Nachttisch-Schublade.

Was bleibt, sind Kater und Verwirrung bei Jane: Die Affäre mit dem Ex bringt zwar guten Sex, aber ist es nicht auch Rache an der jüngeren? Auf jeden Fall ist es das Verrückteste, das Jane jemals gemacht hat! Meint sie bis dahin! Denn es kommt noch der erste Joint nach 27 Jahren hinzu, der die Alten auf der Party der nächsten Generation zu „Benny and the Jets“ von Elton John mächtig Drama und Stimmung machen lässt. Die Kinder staunen nur noch und auch das Publikum wundert sich: Wenn der Bikini-Wax von Streep erwähnt wird, ist das ziemlich drastisch für Meyers und macht Spaß.

Bei der bekifften Party fragen die Beach Boys „Wouldn’t it be nice if we were older?“ (Wäre es nicht schön, wenn wir schon älter wären?) Der Film von Meyers gibt die Antwort: Das (Liebes-) Leben ist auch in ein paar Jahrzehnten nicht weniger kompliziert, „It’s complicated“ heißt der Film treffender im Original. Nach weiteren herrlich chaotischen Szenen erinnert die Komödie eher an Liebeswirren von Hal Hartley, den heute leider niemand mehr kennt. Andererseits gibt die Streep (wieder) eine perfekte Köchin und Versorgerin - bei „Mutter ist die beste“ werden Feministinnen nichts zu lachen haben. Oder schmelzen sie vielleicht auch etwas dahin bei einer Liebesnacht mit selbstgemachten Schoko-Croissants? Doch da ist noch - denn es ist ja kompliziert - der andere Mann: Architekt Adam (ein gebremster Steve Martin) redet viel zu viel bevor er küsst. Außerdem fährt er keinen Porsche, jammert seiner Scheidung nach und ist abschreckend harmlos. Jane steht zwischen Tarzan und intellektuellem Weichei - keine berauschende Wahl!

Aber egal wie man zu dem Spaß steht, langweilig ist er nie. Wie lautet einer der nette Sätze des Films: Spaß wird doch nicht überschätzt! Meryl Streep kann so herrlich lebendig und jugendlich wirken. Das Entsetzen angesichts der Nebenwirkungen von Schönheits-Chirurgie glaubt man ihr glatt oder faltig. Baldwin macht mal nicht in Action und gibt den Macho-Clown, dem seine jüngere Frau und die verkrampften Samenspenden für weiteren Nachwuchs eher peinlich sind. Mit deutlich heraus gestelltem Bauch gibt er eine Witzfigur, sein Jake kann seine Jane aber jederzeit wieder verführen.

(Bei deftigen sexuellen Details gab es in den USA ein R-Rating, also nur in Begleitung Erwachsener. Aber Jugendliche unter 40 wollen den Film sowieso nicht sehen. Wie in Deutschland eine Freigabe ohne Altersbeschränkung zustande kam, wäre noch zu klären.)

A serious man


USA 2009 (A serious man) Regie: Ethan Coen, Joel Coen mit Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick 106 Min. FSK ab 12

Nach der gleichnamigen Romantrilogie von Robert Anton Wilson beschert uns „Schrödingers Katze“ nun einen äußert ungewöhnlichen Film der Coen-Brüder Ethan und Joel: „A serious man“ ist bislang der stärkste Ausdruck des Transzendenten, das immer mal wieder in den Coen-Filmen aufblitzte. Denn neben den Spaß- („Ladykillers“, „Ein unmöglicher Härtefall“) und den Krimi-Coens („Fargo“) gab es auch den meist ohne Gottes-Bezug oder -Suche verkannten „The Man Who Wasn't There“ mit Billy Bob Thornton.

„Schrödingers Katze“ war ein Gedankenexperiment des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger aus dem Jahr 1935, das einen Ansatz von Einstein & Co. widerlegen sollte, in dem ein physikalisches Teilchen gleichzeitig existieren und nicht existieren kann. Wenn sich schon Teilchen so prätentiös verhalten, wie schwer ist es dann erst, über die Existenz eines Gottes nachzudenken! Ein Physiker auf Gottessuche ist bei einer Religion, deren Ausprägung Kabbala auch mal mathematisch vorgeht, gar nicht so weit hergeholt. Zwar zweifelt der jüdische Physik-Professor Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg) nicht an seinen Gott, doch er rätselt schon darüber, was sein Leben - vor allem in letzter Zeit - für einen Sinn hat: Der Nachbar in der ordentlichen Vorstadt raubt ihm immer mehr der Rasenfläche. Seine Frau Judith will die Scheidung und zusammen mit dem Liebhaber beschließt sie, es wäre besser, wenn Larry in ein Motel zieht. Der kurz vor der Bar Mitzwa stehende Sohn braucht ihn nur als TV-Mechaniker und dann gibt es auch noch seinen gestörten Bruder Arthur, der dauernd das Bad blockiert und illegale Wettsysteme entwickelt. Alle treten ihm auf die Zehen, doch der stille Larry kommt nicht mal dazu, eine Beschwerde auszusprechen. Er kann nur staunend auf die groben Menschen schauen, steigt dafür sogar aufs Dach, um sich die ganze, seltsame Sache von oben anzuschauen.

Es geht in „A serious man“ nicht an erster Stelle um die Theodizee, um die Zweifel des gläubigen, aber von Gott geschlagenen Hiob. Larry verzweifelt nicht am Widerspruch eines allmächtigen, gütigen Gottes und all des Bösen in der Welt. Larry verkraftet nur nicht all den Mist, den ihm das Schicksal vorsetzt und stürzt in immer heftigere Albträume. Aber es geht schon um mehr: Da gibt es im ostjüdisch angesiedelten Vorspann einen Dibbuk, da landet über ein Santana-Album der ägyptische Gott Abraxas im Film und eine verführerische, moderne Nachbarin könnte mit Joints und einem unwiderstehlichen Blick Nachfahrin der Samson-Verführerin Delilah sein.

„A serious man“ ist nebenbei auch ein ziemlich witziger Film. Wie Larry mit seinem Leben vor die Wand fährt, wird so genüsslich detailliert seziert wie in vielen guten, kritischen Jugendfilmen. Das Staunen über eine Welt, die von lauter extrem seltsamen Wesen bevölkert ist, ähnelt sich. Wir sind in den Sechzigern, als iPods noch kleine Transistorradios mit nur einem Knopf im Ohr waren. Die Umgebung, in der die jüdischen Coen-Brüder selber aufgewachsen sind, wirkt mit viel Zeitkolorit in Klamotte und Kulisse sehr schräg. Schräger noch die Typen, die durchs Bild wackeln. Normal - was im Amerika dieser Zeit so als normal galt - wirken nur die Jugendlichen. Wenn auch die bekiffte Bar Mitzwa des Sohnes wieder eine grandiose Lachnummer ist. Es handelt sich hier nicht um den klischeehaften „jüdischen Humor“, außer vielleicht ganz am Ende der Endtitel: „No Jews were harmed during the making of this picture“ steht da: Keine Juden wurde während des Drehs verletzt.

In dieser trotz klarer Bilder (wie immer von Roger Deakins) konfusen Welt voller Verrückter sucht man Rat beim Rabbi. Denn: „wir sind Juden, wir haben all die alten Geschichten, die uns helfen“! Doch die Rabbi-Räte sind nur die i-Tüpfelchen der an sich schon skurrilen Vorkommnisse. Lösungen liefern sie ebenso wenig wie dieser am Ende offene Coen-Film. Mit einer weiteren schlechten Nachricht zieht ein Tornado heran. In dem bis zu Jefferson Airplane („Somebody to love“) weit spannenden Soundtrack von Carter Burwell gibt das jiddische Lied „Dem Milners Trern“, gesungen von Isidor Belarsky, eine schauerliche, dann doch gewichtig historische Interpretationsmöglichkeit des vordergründigen Spaßes:
„Vom Glück verlassen, bin ich geblieben,
ohne Weib, ohne Kind, oh hier alleine.
Die Räder drehen sich, die Jahre vergehen,
und elend bin ich wie ein Stein.
 
Wo werde ich wohnen? Wer wird mich schonen?
Ich bin schon alt, ich bin schon müde.
Die Räder drehen sich, die Jahre vergehen,
und auch mit ihnen vergeht der Jude.“

13.1.10

Thomas Jahn boxt sich durch


Die wechselhafte Karriere des unkaputtbaren Regisseurs aus Hückelhoven

Was wurde eigentlich aus .... dem Hückelhover Thomas Jahn. Der oft kolportierten Legende nach traf er zufällig auf Til Schweiger und die beiden machten zusammen einen Film. Mit „Knockin' on Heaven's Door“ legte Jahn 1997 einen der größten deutschen Kinoerfolge hin und beendete ein Zeitalter der Beziehungskomödien-Öde. Direkt schoss der filmversessene Regisseur mit „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“ (1998) scharf gegen Schweiger aber keineswegs den Vogel ab: Die Geschichte wurde nun trotz modernster Werbekampagnen zu einem Riesenflop und keiner mehr wollte etwas mit Jahn zu tun haben. Der ließ sich nicht unterkriegen, verkündete begeistert, er würde seinen neuen Film zuhause am Mac-Rechner schneiden. Sehen konnte man den aber nicht im Kino. Die Karriere ging aber weiter, Jahn drehte weiter: Folgen von "Tatort", "Balko", "Sperling" und "Der Dicke".
Nun ist Jahn gleich mit zwei aktuellen DVDs am Start - die Power, die in jedem Gespräch mit dem leidenschaftlichen Regisseur rüberkommt, hat ihn nicht verlassen. Er boxte sich durch und machte endlich einen Boxerfilm, seinen „Rocky“: „The Boxer“ erzählt dem Genre entsprechend von Ben (Joshua Dallas) der gerade aus dem Knast kommt. In einem Boxstudio findet er einen Job, obwohl er doch nichts mehr mit Gewalt zu tun haben will. Aber das alte Boxtrainer Joe (Stacy Keach) erkennt das Talent und Ben bekommt eine neue Chance...
„The Boxer“ wurde als Low Budget-Film in nur zwölf Tagen englischsprachig in Berlin gedreht. Harte Bedingungen, denen sich Jahn stellt. Die Titel hat er wieder mit seinem Mac-Rechner selbst gemacht, wie vieles andere auch. Doch mit dem großen Stacy Keach und Leslie Malton erfüllt sich der Filmemacher auch Herzenswünsche.
Das alles erfährt man im Audio-Kommentar der DVD, der einem das Vergnügen bereitet, sich den anständigen Genre-Film zusammen mit dem unzerstörbaren Kinomann Thomas Jahn ansehen. Und diesem Geschichten-Erzähler kann man immer gut zuhören. Es gibt viele nette Details des Selfmade-Filmemachens und einer großen Leidenschaft für das Kino. Jahn meint immer noch, die Videothek um die Ecke sei die beste Filmhochschule. Er hat im letzten Jahr 900 Filme gesehen und schaut weiterhin zwei am Tag. Und wenn man sich so einen Audio-Kommentar anhört, hat man sich einige Lektionen der Filmhochschule gespart.
„The Boxer“ wurde wie auch „80 Minutes“ und (dem nach eigener Aussage unsäglichen) „The Lost Samaritan“ von der Kölner Zeitsprung gedreht. Es geht um die echte und die Filmzeit, die für Alex North (Gabriel Mann) abläuft: Er bekommt ein Gift injiziert, das ihn in 80 Minuten töten wird. Nur wenn er ein bestimmte Summe Geld ranschafft, erhält er das Gegengift. Diese Mischung aus Badhams „Nick of Time“ (mit Johnny Depp) und Tykwers „Lola rennt“ spielt wieder in Berlin und erneut mit den Regeln des Genres. Und irgendwie glaubt man langsam, wie schwer man es ihm auch macht, Thomas Jahn wird immer einen Ausweg finden.

The Boxer
USA 2009 Regie: Thomas Jahn mit Stacy Keach, Joshua Dallas, Kelly Adams, O'Shea Miles, Leslie Malton 90 Min.

80 Minutes / HMH
BRD 2008 Regie: Thomas Jahn mit Gabriel Mann, Natalia Avelon, Niki Greb, Francis Fulton-Smith 92 Min. FSK: ab 16

10.1.10

Ein Sommer in New York - The Visitor


USA 2007 (The Visitor) Regie & Drehbuch: Thomas McCarthy mit Richard Jenkins, Hiam Abbass, Haaz Sleiman, Danai Jekesai Gurira 108 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung

Zuerst muss die Kritik mal wieder meckern: Der deutsche Titel dieses bemerkens- und sehenswerten Films ist dämlich. Wer eine Romanze vor Postkarten erwartet, ist im falschen Film. „The Visitor“ - Der Besucher lautet die sinnvolle Bezeichnung des zweiten Films vom Schauspieler Thomas McCarthy, der mit „The Station Agent“ 2003 ein sagenhaftes Regiedebüt hingelegt hatte.

Walter Vale (Richard Jenkins) ist einer der Besucher von „The Visitor“: Der über sechzig Jahre alte Wirtschafts-Professor übernachtet nach vielen Jahren wieder mal in seiner New Yorker Zweitwohnung. Er soll eine Kollegin bei einem Vortrag vertreten, dabei hat er sich doch schon längst von der Forschung verabschiedet und wiederholt nur noch die immer gleiche Vorlesung. Walter steht fragend in seinem geregelten Leben, will unbedingt Piano spielen, wie seine verstorbene Frau, obwohl er dazu überhaupt kein Talent hat. Der Mann mit dem schmalen Gesicht stellt keine übermäßig dramatische Erscheinung dar - zum Glück vereinnahmt William Hurt nicht auch diese Figur in seinen Schmerz-Katalog.

Doch im Appartement gibt es ungebetene Besucher: Tarek Khalil (Haaz Sleiman) und seine Freundin Zainab (Danai Jekesai Gurira), zwei illegale Einwanderer, werden von Walter überrascht. Allerdings saßen sie einem Betrüger auf, stehen nun schuldlos auf der Straße, weshalb sie Walter wieder herein bittet. Aus der großherzigen Geste entwickelt sich für einige Tage eine ungewöhnliche WG. Der alte Professor und der junge Trommler aus Syrien freunden sich an. Walter entdeckt zaghaft seine Leidenschaft fürs Trommeln und diese Lust steckt an. Doch dann hält man Tarek fälschlicherweise als Schwarzfahrer in der U-Bahn fest. Es kommt heraus, dass sein Einwanderungsantrag vor Jahren abgelehnt wurde, er landet in Abschiebehaft in einem privat betriebenen Gefängnis am Rande der Stadt.

Walter engagiert direkt einen Anwalt und besucht Tarek täglich im Gefängnis, aber es sieht nicht gut aus. So kommt auch Tareks Mutter Mouna Khalil (Hiam Abbass) in die Stadt, eine völlig integrierte, elegante Amerikanerin syrischer Abstammung - allerdings auch sie ohne Aufenthaltsgenehmigung. Zwischen Walter und Mouna entwickelt sich ein besonders Verständnis…

„The Visitor“ ist ein ruhiger Film, fast ein wenig zerstreut und suchend wie seine Hauptfigur Walter. Doch er findet sich in den Menschen, die zufällig in seiner Wohnung leben. Hier kann man nun eine schöne Utopie herauslesen, dass auch ein Land eine Behausung für verschiedenste Menschen sein kann und dass aus dem Zusammenwürfeln des Schicksals ziemlich gute Gemeinschaften entstehen können. Nur so plakativ erzählt Tom McCarthy nicht, auch wenn er immer wieder nationalistische Symbole und höhnische Integrations-Aufrufe ins Bild bringt. McCarthy lässt seine Figuren leben - miteinander und füreinander. Was trotz der dramatischen Entwicklung Hoffnung schenkt.

Die Darsteller agieren eindrucksvoll. Vor allem Hiam Abbass, eine enorm präsente Frau im aktuellen Weltkino: Von Spielbergs „München“ bis zum palästinensischen Grenzdrama „Lemon Tree“, von der „Syrischen Braut“ bis zu Jarmusch „Limits of Control“. Und auch ihre Rolle der Mourna erobert mit wenigen Worten den Kino-Raum. Man muss es einfach hinnehmen, dass diese Mutter nicht mehr weggehen wird, bevor ihr Sohn aus dem Gefängnis ist. Und wie ist eigentlich die Situation in Deutschland? Diese Frage stellt sich gerade in den Tagen, nachdem neu geklärt werden muss, wieso ein Einwanderer in einer Hamburger Gefängniszelle verbrennen konnte. Obwohl der Film schon 2007 erstmals zu sehen war, bleibt er also erschreckend aktuell.

Old Dogs - Daddy oder Deal


USA 2009 (Old Dogs) Regie: Walt Becker mit John Travolta, Robin Williams, Kelly Preston 88 Min.

Was bringt gute und renommierte Schauspieler wie John Travolta und Robin Williams dazu, in solch einem schmerzlich albernen Film mitzumachen? Wie in vielen anderen Filmen will ein Vater seine Kinder wiedersehen - irgendwann am Ende. Aber im Gegensatz zu Williams’ toller Travestie „Mrs. Doubtfire“ geht der Slapstick - auch mit am Computer erzeugten Effekten - völlig mit dem Film durch. Man muss die groben Scherze nicht mögen, aber kann doch erwarten, dass auch diese Art von Humor vernünftig inszeniert und aufgebaut wird (Buch: David Diamond und David Weissman). Auch diese Erwartung wird enttäuscht, wenn der Spaß vor die (alten) Hunde geht.

Charlie (John Travolta) und Dan (Robin Williams) sind ein erfolgreiches Paar - im Geschäft des Sportmarketings. Seit Jahrzehnten dicke Freunde, fördert das Alter sichtbar den Fettaufbau, was vor allem dem notorischen Verführer Charlie belastet. Aber ausgerechnet der unverbesserliche Single Dan erfährt überraschend von sechsjährigen Zwillingen, die Folgen einer wilden Nacht und seine Kinder sind. Selbstverständlich soll gerade ein großes Geschäft abgeschlossen werden und die vom Drehbuch halbwegs witzig herbeigezwungene Babysitter-Einlage passt Dan gar nicht in den Terminkalender. So weit so unoriginell. Beim Buddy-Movie mit doppelter Vater-Werdung sind die Kinder nur der Aufhänger, sie werden immer zum Spielen geschickt, während die Großen Kindereien machen müssen. Und - wer hätte es erwartet - reifen die Freunde an dieser Aufgabe bis zum Disney-Happy End.

Kindereien erlaubt der Film seinen Hauptfiguren reichlich. Ein Höhepunkt dessen, was die Macher unter Humor verstehen, ist der lustige Tabletten-Mix, den die Kinder veranstalten, und den die beiden Onkels dann mit unstillbarem Hunger, Gesichtslähmung und optischen Störungen in den unmöglichsten Situationen ausbaden müssen. Dieses Übermaß an infantiler Albernheit lenkt kaum davon ab, dass wir die Geschichte schon sehr oft gesehen haben. Selbst Bruce Willis musste in „The Kid“ seine Abneigung gegen Kinder überwinden. Damals mit anständigem psychologischem Unterbau. „Old Dogs“ ist hingegen nur noch albern und es wird sich zeigen, ob Travolta und Williams damit bei den Kids ankommen. Ältere Fans vertreiben sie mit solchen Einlagen jedoch nachhaltig.

6.1.10

Die Schachspielerin


Frankreich, BRD 2009 (Joueuse) Regie: Caroline Bottaro mit Sandrine Bonnaire, Kevin Kline, Francis Renaud, Jennifer Beals 97 Min.

Sandrine Bonnaire ist „Die Schachspielerin“ erst am Ende des Films. Sie beginnt als Hélène, als bescheidene Frau mit einer stillen Anmut, als Putzfrau auf Korsika, die hart arbeitet, um ihrer Tochter eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Beim Bettenmachen im Hotel beobachtet sie ein Paar beim Schachspiel, ein intimer, erotischer und geheimnisvoller Moment. Fasziniert lernt sie nächtens die Figuren und Regeln. Das Schachspiel gewinnt durch die Musik von Nicola Piovani etwas Magisches. Die Rückblenden auf die initiale Situation fügen überraschenderweise sogar Erotik hinzu. Hélène wird mehr und mehr besessen vom Schach, spielt immer und überall, auf den schwarz-weißen Kacheln des Hotels, mit Brotkrumen im Restaurant, was für eine lustige Einlage sorgt, wenn der Ehemann unwissentlich den König verspeist.
Die aus Deutschland stammende Regisseurin Caroline Bottaro beobachtet in der Verfilmung des Romans von Bertina Henrichs sorgfältig die Entwicklung von Hélène. Sie findet größtenteils im Gesicht und in der Haltung der Sandrine Bonnaire statt. Dabei öffnet sich mit zunehmender Emanzipation der Schachspielerin auch die korsische Landschaft, sprich die Welt für die „einfache Frau“ Hélène. Diese Entwicklung kann man sogar einem Star wie Bonnaire abnehmen, ebenso ihr Verletzung durch die arrogante Haltung vieler Männer gegenüber einer „Putzfrau“. Ein großes Vergnügen bereit in diesem gelungenen Debüt von Bottaro auch Kevin Kline als mürrischer Dr. Kröger, der Hélène Schachunterricht gibt. Bei ihm bekommt die Schachuhr als Symbol der zu rasch verfließenden Lebenszeit eine besondere Bedeutung.

Gamer


USA 2009 (Gamer) Regie Mark Neveldine mit Gerard Butler, Amber Valletta, Michael C. Hall mit 94 Min. FSK k.J.

Das Todesspiel ist fest im Science Fiction-Genre etabliert. Es lohnt sich also drüber nachzudenken, weshalb die Vorstellung, dass wir in Zukunft unser Leben für ein Massenmedien-Spektakel einsetzen, immer wieder auftaucht. Nach „Das Millionenspiel“ von Wolfgang Menge aus 1970 und "Running Man" mit Schwarzenegger wird das zynische Spiel nun in virtuellen Welten angesiedelt. Allerdings sind die Spiel-„Figuren“, die im erfolgreichen Baller-Spektakel "Slayer" verheizt werden, echte Menschen, die neuronal mit ihren Spielern vernetzt sind. Slayer klingt nicht zufällig wie Slaves, Sklaven. Unter den Sträflingen, denen die Freiheit versprochen wird, wenn sie 30 Runden überstehen, ist Kable (Gerard Butler) ein Star, der mit Hilfe mysteriöser Hacks plötzlich unabhängig von seinem mentalen Herrn kämpfen kann. Gleichzeitig muss sich seine Frau in einer Art perversem „Sims“ als Prostituierte verdingen. Im Finale trifft Kable auf den zynischer Computer-Guru und Medien-Tycoon Ken Castle.
Die reizvolle Idee verspielt eine Jugendfreigabe und ihr Potential mit grober Gewalt und Verzeichnungen von Figuren. Einige Zukunftsbilder gelangen eindrucksvoll, doch die Kamera wackelt dabei so furchtbar herum, dass man Angst um die Zukunft bekommt.

5.1.10

Mitternachtszirkus


USA 2009 (Cirque du Freak: The Vampire's Assistant) Regie: Paul Weitz mit John C. Reilly, Josh Hutcherson, Chris Massoglia 109 Min. FSK ab 12

„Mitternachtszirkus“ gilt als neuer Vampir-Franchise. Der Begriff „Franchise“ hat etwas mit Lizenzen, Warenzeichen und Geschmacksmustern zu tun. Also eine Menge Rechtsklauberei und Geschäft mit Marken wie Batman, Star Wars oder Herr der Ringe. Wer so eine Goldgrube hat, kann mit Büchern, Filmen, Serien, Figuren, Mode und allem Denkbaren Geld machen. Was dem Film nicht unbedingt gut tut. „Mitternachtszirkus“ nach einer zwölfteiligen Romanserie von Darren Shan bewegt sich auf der Grenze zwischen Geschäft und Unterhaltung: Man merkt, dass hier eine Serie etabliert werden soll. Aber Regisseur Paul Weitz gelang mit guten Darstellern und aufwändigem Styling doch ein anständiger Vampirfilm für die jüngeren Jugendlichen.

Der 16-jährige Darren (Chris Massoglia) sieht zwar etwas bieder aus, aber bei der karikierenden Darstellung seiner braven Eltern wird schnell klar, dass Darren nicht den konservativen Familienweg einschlagen wird. Doch nicht sein rebellischer Freund Steve (Josh Hutcherson) wird ihn zur Gegenwelt verführen. Beim Besuch des „Cirque du Freak“ in Darrens amerikanischer Kleinstadt, ist der Junge so von den ungewöhnlichen Kreaturen, den Riesen und Zwergen, der haarigen Frau und dem Hungerkünstler fasziniert, dass er eine blau-rote Spinne entführt. Das bringt reichlich Aufregung ins bürgerliche Nest, doch schon längst ist der mysteriöse Mr. Tiny (Michael Cerveris) an dem Jungen interessiert. Darren lässt sich zum Vampir-Lehrling verwandeln, um den von der Spinne vergifteten Steve zu retten, und landet damit in einem Krieg zwischen Vampiren und Vampyren (Vampaneze im Original). Während letztere wie gewohnt mörderisch aussaugen, haben erstere eine Art Mehrweg-System eingeführt: Wenn man die Menschen vor dem Aussaugen betäubt, kann man sich mehrmals an ihnen bedienen. Und man würde auch nicht dauernd gejagt und geköpft, meint Larten Crepsley (John C. Reilly), ein friedlicher Vampir und der Mentor von Darren. Doch der Frieden ist bald hin, weil Tiny den noch trockenen Darren unbedingt zum Blutsaugen bewegen und Steve sich beim ehemaligen Freund rächen will. Denn eigentlich wollte er Vampir werden - jetzt ist er ein Vampyr...

Die ersten drei von zwölf Romanen der Darren Shan-Saga fasst der Film zusammen und funktioniert dabei ganz gut. Kalt betrachtend kann man analysieren, dass „Mitternachtszirkus“ mit der Freigabe ab 12 Jahren eine neue Käuferschicht knapp jünger als die für „Twilight“ und wesentlich älter als „Der kleine Vampir“ eröffnet. Doch die mäßig spannende und ganz flotte Handlung wurde sorgfältig inszeniert, vor allem die fantastische Freak-Welt bietet viel zu sehen. Auch Ausstattung und Ausleuchtung gefallen. Vor allem den alten Vampiren John C. Reilly und Willem Dafoe glaubt man alles. Reilly kann wieder einmal sein eindrucksvolles Können zeigen.

Das Kabinett des Dr. Parnassus


Frankreich, Kanada 2009 (The Imaginarium of Doctor Parnassus) Regie: Terry Gilliam mit Heath Ledger, Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell, Christopher Plummer, Tom Waits 122 Min. FSK ab 12

Wenn wir aufhören, Geschichten zu erzählen, dann hört die Welt auf, zu existieren. Eine nicht neue Botschaft, die von 1001 Nacht an eine unendliche Geschichte immer weiter spinnt. Wenn sie allerdings so ein begnadeter Erzähler wie Terry Gilliam verbreitet, dann erreicht das Fabulieren in der Geschichte vom Geschichtenerzählen neue fantastische Höhepunkte. Der Kampf zwischen Gut und Böse ist noch nie so lustvoll ausgespielt worden. Dass ein anderer großer Erzähler - Leben / Tod - dem Film den Hauptdarsteller Heath Ledger raubte, forderte ganz neue Lösungen vom Drehbuch. Und lieferte ihm herrliche Auftritte von Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law.

Sie ist ganz schön runtergekommen, die Kraft der Fantasie: In einer fahrenden Bruchbude versucht das klapperige Kabinett des Dr. Parnassus (Christopher Plummer) in London Menschen einzufangen, die aber mehr an Shopping und dem Saufen interessiert sind. Erst als seine Tochter Valentina (Lily Cole) kurz vor ihrem 16. Geburtstag den geheimnisvollen Tony (Heath Ledger) von einem Seil unter einer Themse-Brücke abknüpft, ändert sich das Geschäft mit der Fantasie. Der charmante Mann führt Parnassus reihenweise Frauen zu, die in der Welt hinter einem Spiegel ihren eigenen Träumen begegnen. Das weckt nicht nur die Eifersucht von Parnassus’ Gehilfen Anton (Andrew Garfield), sondern auch die schaurig und großartig böse Gestalt des Mr. Nick (Tom Waits) auf den Plan. Denn hinter der Jahrtausende alten Geschichte des Dr. Parnassus steckt ein altes Spiel: Der Teufel wettet um die Seelen der Menschen. Und dieser Mephisto von Tom Waits ist teuflisch gut!

Terry Gilliam beklagt mit anderen Kulturmenschen immer wieder das Verschwinden der Fantasie aus unserer Welt und öffnet hinter seinem magischen Film-Spiegel atemberaubende Visionen. Gilliam, der alte (amerikanische) Monty Python, begeisterte die Filmwelt mit „Time Bandits“, "Brazil", "Münchhausen" oder "König der Fischer". Er scheiterte aber auch tragisch mit „The Man Who Killed Don Quichote“ und beklagte nicht nur bei dem Action-Märchen „Brothers Grimm“ den schädlichen Einfluss der Studios. Als nun im Januar 2008, mitten im Dreh von „Parnassus“, der Star Heath Ledger starb, schien dies das Ende des Films zu sein. Aber die fantastische Kraft von Terry Gilliam erwies sich als so stark, dass sie sogar den Tod überwand. Während Ledger den Tony in der realen Welt spielt, übernehmen Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law seinen Part in der Fantasiewelt hinter den Spiegeln.

So entstand ein Spiegelkabinettstückchen, das nach Jahrzehnten würdig ist, neben dem Klassiker von Orson Welles in „The Lady from Shanghai“ zu bestehen. Überhaupt sind die digitalen Tricks wunderbar gelungen, sie verbinden sich organisch mit der altmodisch erzählten Rahmen-Geschichte. Insgesamt ein grandioser Triumphzug des Erzählens und der Fantasie.

Nord


Norwegen 2009 Regie: Rune Denstadt Langlo mit Anders Baasmo Christiansen, Kyrre Hellum, Marte Aunemo 78 Min.

Ein Stillleben mit Liftwärter. Bevor es gen „Nord“ abgeht in diesem Nord-Western zeigen schön klare, eingefrorene Bilder ein Verharren im Schnee. Der Liftwärter Jomar (Anders Baasmo Christiansen) liegt in der Liftstation herum, lässt Kunden für ihn Wasser holen und Kochen. Mit Joints und Tabletten gegen seine Angstzustände verschläft er die Zeit zwischen den Gesprächen in der Psychiatrie. Ansonsten redet der Film wie sein Protagonist nicht viel. Doch auch Jomar, der Angst vor Tunneln und vor Veränderungen hat, wird sich in Bewegung setzen. Vorher brennt noch seine Lift-Hütte ab, der rundliche Norweger rettet nur den Feuerlöscher und ein paar Klamotten.

Wohin fährst du? Nach Norden. So unerschütterlich wie das „Go West“ im amerikanischen Western ist hier das Ziel eingenordet. Der Nachfolger bei seiner ehemaligen Freundin erzählte, dass Jomar dort im Norden einen vierjährigen Sohn habe. Nun überwindet dieser seine Ängste und reitet dann mit seinem Schneemobil und einem Fünf-Liter-Kanister Alkohol raus in die Sonne. Was bald eine Schneeblindheit mit sich bringt. Die kuriert Jomar irgendwo im Nirgendwo in einer dunklen Kammer märchenhaft bei der einsamen jungen Lotte mit ihrer Großmutter aus. Mint-farbene Häuser und Brände pflastern seinen weiteren Weg mit den weiten Western-Bildern aus dem Hohen Norden. Die Begleitung besorgt stilecht eine Steel-Gitarre.

Schon die Begegnung mit dem alten Freund verlief alles andere als gewöhnlich. Die stillen Helden prügelten sich erst und umarmten sich dann. So werden auch alle anderen Treffen auf der Reise durch einsame Schneelandschaften besonders sein. Der „aus der Stadt“ findet ein paar Freunde auf dem Weg und sorgt immer wieder für Überraschungen. Unbedingt sehenswert ist dabei die sehr, sehr skurrile Methode eines ziemlich männerfixierten Schwulenhassers, mit ganz wenig Alkohol betrunken zu werden. Nur so viel sei verraten: Eine Tonsur und ein Tampon spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Tage und Nächte mit einem weisen alten Lappen, der mit einer dicken Eisenkette um seinen Fuß auf einem zugefrorenen See zeltet, gehören hingegen in die Kategorie nachdenklich seltsam.

Es ist Frühjahr, als Jomar ankommt, und diese ebenso ungewöhnliche wie schöne Reise in den Norden lässt einen mit leichten Glücksgefühlen zurück. Die Klarheit der atemberaubenden Schneelandschaften und die zu erwartende Klärung im Leben eines chaotisch tapferen Helden hat man gern als Mitreisender erlebt.

Als Eröffnungsfilm des Panoramas der Berlinale 2009 wurde „Nord“ mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet und gewann auf der Filmkunstmesse Leipzig den Publikumspreis.