16.9.09

Schande


Australien, Südafrika 2008 (Disgrace) Regie: Steve Jacobs mit John Malkovich, Scott Cooper und Eriq Ebouaney, 120 Min.

Dass sich Südafrika nach dem Ende der Apartheid nicht zu einem Traumland entwickelt hat, wissen alle bis auf die Entscheider bei der Fifa, die trotzdem eine Fußball-WM dort organisieren wollen. Im Roman „Schande“ (1999) des Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee, der sogar für politische Diskussionen in seiner südafrikanischen Heimat sorgte, stellt sich das Leben am Kap als extrem gefährlich und als immer noch sehr komplex den Schwarz-Weiß-Rastern verhaftet dar. Dem exzellenten Film „Schande“ von Steve Jacobs gelingt es, die Vielschichtigkeit zu übernehmen und vor allem mit einem sehr intensiven John Malkovich zu packen.

Literaturprofessor David Lurie (John Malkovich) steht wieder vor einer Klasse und wieder interessiert sich niemand. Lurie ist ein zurückhaltender etwas seltsamer älterer Herr weißer Hautfarbe in Kapstadt. Er interessiert sich nicht nur für Literatur, er atmet sie, nimmt sie auf, lebt sie. Und steht auf junge Frauen dunkler Hautfarbe. Als er seiner Prostituierten zu persönlich wird und die sich entfernt, verfällt er der Studentin Melanie. Die Anmache erfolgt mit den Worten eines Poeten, aber dennoch grob. Lurie schläft mit ihr und übersieht ihren Ekel. Als die Ausnutzung seiner Machtposition bekannt wird, fliegt er von der Schule. Nicht ohne sich in einem Moment grandioser Überheblichkeit (ein Malkovich-Highlight) arrogant schuldig zu bekennen - aufrichtiges Gefühl ist dabei nicht zu erkennen.

Anfangs meint dieser Kulturmensch zu Byron: „Sie sterben alle jung, vertrocknen oder werden wahnsinnig.“ Wo man Lurie einordnen muss, bleibt offen und macht die Spannung des Films aus. Er meint über den Dingen zu stehen. Wobei man ihm teilweise auch Recht geben muss, angesichts der Tatsache, dass eine Reporterin aufgrund ihres beschränkten Wortschatzes seine Antwort nicht mal versteht. Literaturzitate am laufenden Meter beeindrucken auf den ersten Blick mit einem geschliffenen Kommentar für jede Lebenssituation. Doch sie können moralische Defizite nicht überdecken.

Dramatische Ereignisse erschüttern im Folgenden diesen gesetzten Mann: Er fährt zu seiner lesbischen Tochter auf der Farm. Schon dass der einstige Arbeiter jetzt Nachbar und als Schwarzer Landbesitzer ist, irritiert Lurie. Trotzdem versucht er sich in den neuen Verhältnissen nützlich zu machen. Ein extrem brutaler Überfall dreier schwarzer Jugendlicher zeigt, auch außerhalb der gefährlichsten Stadt der Welt ist man nicht vor Gewalt geschützt.

„Schande“ wirft einen genauen Blick auf die neuen Verhältnisse in Südafrika, auf sehr schwierige Situationen zwischen Männern und Frauen, schwarz und weiß, Opfern und Tätern. Es muss ein komplexes Bild werden, auch wenn dieser Film nur ein Ausschnitt des Buches, das Buch nur ein Teil des Lebens sein kann. So gehört zu den vielen Themen Luries Umgang mit seiner eigenen verachteten Lust. Oder die Empathie für Menschen, die er im Umgang mit Hunden erlernt. So beginnt er in sehr bewegenden Szenen, Demut vor anderen Wesen zu haben. Andererseits findet er sich nur mühsam und schmerzlich mit den erschreckenden Verhältnissen ab, die seine Tochter mitmacht, nur um ihr Land nicht aufzugeben. Ein bewegender Einblick ohne Antworten aber auch ohne Festlegungen.