19.7.09

Edge of Love


GB 2008 (The Edge of Love) Regie: John Maybury mit Cillian Murphy, Keira Knightley, Matthew Rhys, Sienna Miller 110 Min.

Mit spannender Besetzung (Cillian Murphy, Keira Knightley, Sienna Miller) verfilmte John Maybury nach dem eindrucksvollen Francis Bacon-Porträt „Love is the Devil“ nun erneut eine englische Künstler-Biographie. Der walisische Dichter Dylan Thomas spielt in „Edge of Love“ allerdings nicht eine ähnlich zentrale Rolle. Die unterschiedlichen Beziehungen von vier Menschen, die nur bürgerlich gesehen zwei Paare bilden, verändern sich in den Vierziger Jahren unter dem Terror des Zweiten Weltkrieges. Die biographisch verbürgte Episode eines eifersüchtigen Ehemannes, der Dylan Thomas mit Maschinengewehr und Handgranate angreift, bildet darin den Aufhänger.

Das Quiz-Wissen, dass der Pop-Barde Bob Dylan eigentlich Robert Zimmermann hieß und er sich nach dem walisischen Dichter Dylan Thomas nannte, wird für viele die größte Annäherung an den genialen Poeten bedeuten. Thomas (1914-1953) hatte selbst ein großes Interesse am Film, das dieser dem Dichter allerdings nicht dankte. Dies ist teils verständlich, weil bei aller Begeisterung für den einzigartigen Stil, seine schwer verständlichen Verse die völlige Aufmerksamkeit des Lesers oder Zuhörers verlangen. Doch Dylan Thomas schrieb auch „Rebecca's Daughters“, ein Drehbuch in Romanform, das 1992 mit Peter O’Toole verfilmt wurde. Und er wird sogar als Regisseur für die zwölfminütige Doku „These Are the Men“ geführt, die 1943 die faschistischen Kriegstreiber vorstellte. Allerdings hatte der Dichter selbst die Antwort auf eitles Erfolgsstreben, das die in Dylans Heimatstadt Swansea spielende Komödie „Twin Town“ spöttisch einblendet: „Ambition is Critical“.


Aber, um am Anfang anzufangen: „The Edge of Love“ trumpft gleich in den ersten Bildern mit einer schillernden Keira Knightley auf. Sie spielt die glamouröse Sängerin Vera Phillips, die im Dienste des Vaterlandes nun in den Londoner Untergrund-Tunneln, die als Luftschutzbunker dienen, die Stimmung hochhält. Eines Abends trifft Vera in einer Bar auf ihre Jugendliebe aus walisischen Zeiten, Dylan Thomas (Matthew Rhys), nun Trinker, Poet, Frauenheld und notorisch pleite. Das Wiedersehen wiederholt sich, eifersüchtig beobachtet von Dylans irischer Ehefrau Caitlin MacNamara (Sienna Miller), die auch Mutter seines Sohnes ist. Doch dann freunden sich die beiden Frauen an, eine offene, intensive Freundschaft auf der Basis einer Warnung: Lass die Finger von meinem Mann. Während die deutschen Bomben im „Blitz“ auf London fallen, ergibt sich Vera der Werbung des Captain William Killick (Cillian Murphy). Kurz vor dessen Abreise an die griechische Front heiraten sie, die Worte „Ich liebe dich“ traut sie sich jedoch nicht, verspricht sie für den Fall seiner Rückkehr.

Zurück in Wales, kümmern sich die beiden Frauen um ihre Kinder, auch ist Vera nun Mutter. Dylan und Caitlin zerfleischen sich durch die Affären, die beiden sich gegenseitig antun. Man friert und versinkt einsam in den eigenen Ängsten, Unsicherheiten, Zweifeln. Während Vera in der Trennung ihre Liebe zu William findet, findet er nach seiner Rückkehr nicht die Frau wieder, die er heiratete, die er liebte. Innerlich zerfressen von den Grauen des Krieges, reagiert er verbittert auf Vera und alle anderen, die nicht an der Front gekämpft haben. Vor allem Dylan, der völlig betrunken ausgemustert wurde, vereinigt in sich diese Verletzung und den Auslöser schmerzlicher Eifersucht. Zudem finanzierte Vera in Williams Abwesenheit den darbenden Poeten und dessen Sauferei mit dem Ersparten ihres Ehemannes. Eines abends kommt es zum dramatischen Ausbruch, bei dem William das dünnwandige Haus von Dylan mit seinem Maschinengewehr durchlöchert....

„The Edge of Love“ ist kein einfaches Drama, keine singuläre Verfehlung, kein simpler Konflikt. Es ist eine Zerfasserung von Gefühlen, Hoffnungen und Freuden, die im Bombenregen noch aufblitzten, aber später in Wales fern wie aus einem anderen Leben erscheinen. Hier sind die Familien nur fadenscheinige Fassaden im kühlen Wind. Lange scheint es, als sei darin Dylan Thomas, der selbstverliebte Lebemann, der wie ein kleiner Junge einer verflossenen Liebe nachhängt, eher eine Randfigur. Doch im Gerichtsverfahren gegen William wird die Jugendliebe von Thomas wieder eine Rolle spielen, man könnte das alles nur als eine Episode in dieser langen Geschichte sehen. Doch die Struktur von Regisseur Maybury lässt bewusst viele Geschichten zwischen den Figuren laufen ohne sich nur auf eine einzige zu fixieren. Weder auf eine Geschichte noch auf eine Liebe.

Ästhetisch enthebt Maybury sowohl Gesichter als auch einzelne Szenen immer wieder der grauen Kriegsrealität. Überstrahlte Farben einer Liebesnacht werden weich gezeichnet und gebrochen im Spiegelkabinett der Schranktüren. Der Titel des Films taucht immer mal wieder als Schriftzug auf Gardinen und anderen Stellen im Film auf. Ebenso erklingen ein paar Original-Sätze von Dylan Thomas, ein paar Zeilen seiner Poesie.

Dass die Liebe von Dylan Thomas zum Film bislang keine populäre Erwiderung fand, könnte sich mit „The Edge of Love“, mit dieser amouröse Episode aus seinem Leben ändern, die einerseits Literaten interessieren sollte, aber auch all jene fesseln kann, die bei Leben, Liebe und Film mehr als Standard-Formeln und klassische Dramaturgie erwarten. Und bald wird eine britische Produktion mit dem Titel „Dylan“ nachsetzen, die teilweise auf Dylans Erinnerungen "Under Milk Wood" (Unter dem Milchwald) basiert, sich allerdings noch in Produktion befindet. Doch all diese Filme haben mit dem stärksten Pfund auch das größte Problem: Sie werden gemessen an der gewaltigen Macht der Worte des Dichters, mit denen auch der Film endet:

Not for the proud man apart
From the raging moon I write
On these spindrift pages
Not for the towering dead
With their nightingales and psalms
But for the lovers, their arms
Round the griefs of the ages.