30.6.09

Alle Anderen


BRD 2009 (Alle Anderen) Regie: Maren Ade mit Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hans-Jochen Wagner, Nicole Marischka 124 Min. FSK ab 12

Vor der Berlinale im Februar wurde der Start von Maren Ades neuem Film (nach dem schönen Debüt „Der Wald vor lauter Bäume“ von 2003) im Wettbewerb wohlwollend vermerkt. Nach den ersten Vorstellungen und erst recht nach der Preisverleihung, bei der „Alle anderen“ gleich zwei Silberne Bären (Großer Preis der Jury, Beste Darstellerin Birgit Minichmayr) erhielt, war die Sensation komplett. Das ebenso humorvolle wie intensive Beziehungsdrama schlug voll ein und brauchte kein Wohlwollen mehr. „Alle Anderen“ ist sagenhaft gespielt, fein beobachtet und mutig erzählt.

Der Urlaub führt Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) nach Sardinien, ins Ferienhaus seiner Eltern. Die Beziehung zwackt zwar hier und da, aber anfangs überwiegt der Spaß im gemachten Nest unter südlicher Sonne. Gitti ist trendige Vermarkterin bei einem Musik-Konzern, Chris schlägt sich als Architekt durch und erwartet das Ergebnis eines Wettbewerbs. Als die beiden auf ein arriviertes Ehepaar treffen und einige Zeit gemeinsam verbringen, eskalieren die Spannungen. Die Spiele werden gemein und dramatisch...

„Wenn wir uns jetzt auflösen ...“ - so singt mit rau sensibler Stimme Birgit Minichmayr, die auf der Bühne längst ihren Namen hat und jetzt beim Film zum Shooting Star wird, zusammen mit dem Verlegenheitsschauspieler Campino im Song „Auflösen“ der Toten Hosen. „... sind wir mehr als wir jemals waren“ heißt es weiter und ist im gesamten Liebes-Duett die Antipode zum Paar-Versuch Gitti/Chris. Maren Ade sagte dazu: „Ich wollte einen Film machen über das verworrene, einzigartige Gebilde, das zwei Menschen ergeben, wenn sie eine Liebesbeziehung führen. Die Hauptfigur sollte ein Paar sein und keine einzelne Person.“ Dieses Pärchen auf Sardinien albert herrlich miteinander, sie kennen sie in- und auswendig und sie wissen, wo die Fallgruben ihrer Beziehung sind. Wie durch zwei andere Menschen die Beziehung aus dem Gleichgewicht gerät, ist erschreckend. Und doch faszinierend genau gezeichnet und beobachtet.

Das funktioniert zwei Stunden lang mit dem scheinbar beiläufigen, irgendwie improvisiert und doch ungemein echt wirkenden Spiel von Birgit Minichmayr und Lars Eidinger. Aber die im umwerfend komischen wie im tief verletzenden gleich entblößenden Dialoge stammen von Regisseurin und Autorin Maren Ade. Mit intensiven und intimen Einblicken beobachtet die Regisseurin Sehnsüchte, Rollenspiele und innere Kämpfe.

Gitti und Chris sind zwei Suchenden, die viel miteinander teilen, doch dann das unsichere Suchen alleine ausfechten. Beide sind Kinder, beide greifen spielend nach dem nächsten Vorbild. Daraus resultiert sein Verrat an ihr und ihrer an sich selber. Er, der Verlierer, legt sich die Attitüde des kaltherzigen Erfolgsmenschen zu. Sie gibt sich für ihre Beziehung auf und definiert sich neu. Als Kopie der arrivierten Urlaubs-Bekannten testet sie das Verhältnis zu Chris auch sexuell noch einmal aus. Dass im verzweifelten und herzzerreißend anzuschauenden Versuch, sich für den Typen „zurecht zu machen“ auch „Vertigo“ drinsteckt, ist die filmhistorische Komponente, die einen andern Aspekt von Ades Können belegt. Vor allem steckt aber eine ganze Menge Mensch und ein heftiges Maß Tragik in diesem Versuch, der scheitern muss. Das Ende bleibt offen, die gespielte Ohnmacht kann ein verzweifelter Versuch sein, im Alten zu verharren. Oder der Versuch, sich erneut zu verpuppen, um etwas Neues zu beginnen.