24.2.09

The Wrestler


USA 2008 (The Wrestler) Regie: Darren Aronofsky mit Mickey Rourke, Evan Rachel Wood, Marisa Tomei 109 Min. FSK: ab 12

Ist „The Wrestler“ ein Film von Darren Aronofsky oder DER Film von Mickey Rourke? Als „The Wrestler“ 2008 in Venedig den Goldenen Löwen eroberte, trat der Hauptdarsteller Rourke in den Ring der Preisverleihung und machte den Abend zum Solo-Auftritt. Versuchen wir also den Ausgleich zwischen Kunst und Show: Mickey Rourke spielt reichlich autobiographisch einen grandiosen Abschied als "The Wrestler" in dem Drama von Darren Aronofsky ("Pi", "Requiem for a Dream", "The Fountain").

Mickey Rourke war früher provokanter Star in Filmen wie "9 1/2 Wochen" und "Angel Heart". Dann folgte er seiner wahren Berufung, verabschiedete von der Karriere, um sich seinen Traum vom Profiboxen zu erfüllen. Durchaus ernsthaft und auch erfolgreich. An dem Ergebnis arbeiteten sich allerdings später plastische Chirurgen und Psychoanalytiker ab. Die immer wieder neu erstaunliche Physiognomie Rourkes wurde vor allem als kantiges Ornament bei „Sin City“ und anderen Werken mit Kult-Ambitionen eingesetzt. Nun sieht man ihn wieder in einer Charakterrolle, indem er einen ganz besonderen Charakter spielt, der ihm sehr ähnlich sieht.

Rourke ist Randy "The Ram" Robinson. Ein legendärer Wrestler, der nicht aufhören kann, zu kämpfen. Vordergründig um seinen sehr dürftigen Lebensstandard im Trailer Park zu halten. Doch ein Job beim Metzger - nicht wesentlich blutiger als das Gemetzel im Ring - macht klar: Randy könnte anders, wenn er anders könnte. Randy ist süchtig. Er braucht sein Publikum, die Show, den Erfolg. Dabei gibt es Gründe für das Wrestling-Wrack auszusteigen. Da wäre der Herzinfarkt und die Ärzte, die ihm den nächsten bei übermäßiger körperlicher Anstrengung fest versprechen. Zwar demontiert der Film einige alberne Wrestler in blutigen Details, aber das Wrestling an sich, diese faule Show eines abgesprochenen Gewalt-Balletts, ehrt er als harte und aufreibende Arbeit. Mehr noch: Das Maß, wie sich Randy für die Show mit Rasierklingen und Tucker selbst verstümmelt, ist bewundernswert wahnsinnig.

Aber die wirklichen Gründe für Randy aus dem Ring zu steigen, sind zwei Frauen. Zum einen seine liebste Stripperin Cassidy (Marisa Tomei), mit der er gerne das Leben teilen möchte. Doch sie kann sich nicht entscheiden. Und seine Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood), um die er sich jahrelang nicht gekümmert hat, die ihm aber nun als einzig naher Mensch bleibt. Dass Stephanie nach vielen herben Enttäuschungen nichts von ihrem Vater wissen will, zwingt Randy zu einem Kampf, der schwerer ist, als seine Wrestling-Gemetzel.

Man kann wirklich sagen, Mickey Rourke hat die Geschichte von „The Wrestler“ mit vollem Einsatz seines Körpers gelebt. Und was ist das Wrestling anders als großes Kino? Oder wie es Rourke selber in rauer Sprache sagte, er wisse schon, "wie man ein Publikum bei den Eiern packt". So ist der vergebliche Versuch des Muskel-Wracks, nach einem Herzanfall auszusteigen, als (Männer-) Film erstaunlich gelungen. Ein auch von Marisa Tomei als Stripperin hervorragend gespieltes, bewegendes Drama, bei dem sich Darren Aronofsky stilistisch auffallend zurück hält. Der unabhängige US-Regisseur Aronofsky war bislang für außergewöhnliche und anspruchsvolle Werke ("Pi", "Requiem for a Dream", "The Fountain") bekannt. Er hat sich nach einer Pleite mit "The Fountain" wieder zurückgekämpft und erntet nun bei seinem Comeback den verdienten Erfolg. Rourke „lobte“ Aronofsky als den " schwierigsten Regisseur, mit dem ich seit Michael Cimino gearbeitet habe. Er könnte andere Filme machen und säckeweise Geld verdienen, aber er verriete seine Integrität nicht."

Der Vorleser


USA, BRD 2008 (The Reader) Regie: Stephen Daldry mit Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Jürgen Tarrach 124 Min.

Wie gute Literatur lässt sich dieser Film von mindestens zwei Seiten her lesen: Vom großen Erfolg der Hauptdarstellerin Kate Winslet, die nach dem Golden Globe nun auch einen Oscar für ihre Darstellung der Straßenbahnschaffnerin und KZ-Wächterin Hanna Schmitz erhielt. Oder vom gleichnamigen Bestsellers des deutschen Autors Bernhard Schlink her, der auch unter Einsatz der Bonner Senfkorn Film-Produktion zu einem weltweit beachteten Film wurde. Und wie das Buch erzählt auch der Film aus zwei Perspektiven einer Person, die vor und nach einer tragischen Liebe nicht mehr die gleiche ist.

Michael Berg ist ein reifer, materiell arrivierter Mann. Die regungslose Mimik von Ralph Fiennes zeigt ohne viel zu zeigen die emotionale Leere, die schmerzensreiche Beziehungslosigkeit dieses Menschen. Um es ganz deutlich zu machen, erwähnt die schöne, jüngere Frau, die sein Schlafzimmer verlässt, dass sie nicht erwartet, ihn wiedersehen zu können. Was den Mann Michael Berg so beziehungsunfähig machte, zeigt die Perspektive des 15-jährigen Schülers Michael Berg (David Kross), der sich Ende der 1950er-Jahre im Nachkriegsdeutschland in die doppelt so alte Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) verliebt. Die erste Begegnung ist zufällig, die zweite und dritte sind heimlich gesucht. Eine unerklärliche Anziehung führt zu einer unmöglichen Leidenschaft des ungleichen Paares. Michael wird von Hanna in die Geheimnisse der Liebe eingeführt. Irgendwann wünscht sie sich dafür, dass er ihr Werke der Weltliteratur vorliest. Er wird ihr intimer Vorleser. Humanistische Bildung gegen eine schöne Körperlichkeit, die Kate Winslet sehr natürlich präsentiert. (Filmpartner David Kross meistert, gerade erst volljährig geworden, diese kritischen Szenen mit glaubhafter Unsicherheit.)

Ein knappes Jahrzehnt später begegnet der Jura-Student Michael der Geliebten im Gerichtssaal wieder, wo sie sich für ungeheuerliche Taten als Wärterin des Konzentrationslagers von Auschwitz verantworten muss. Mit anderen Aufseherinnen ist sie des 300-fachen Mordes angeklagt. In Gesprächen mit seinem Jura-Professor (eindrucksvoll: Bruno Ganz) versucht der erschütterte Michael seine Gefühle mit seinem moralischen Empfinden in Einklang zu bringen. Doch das eigentliche Dilemma ergibt sich, als Michael als Einziger erkennt, weswegen sich Hanna als Alleinschuldige bekennt. Er schafft es nicht, seinen inneren Konflikt zu überwinden, weshalb es noch Jahrzehnte dauern wird, bis er sein Unvermögen, mit der Schuld umzugehen, als erneuter Vorleser abbüßt.

Der Umgang der Nachgeborenen mit der Generation des Nationalsozialismus ist das grundlegende Thema von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“. Es sei eine Geschichte über den Umgang mit dem Grauen von Holocaust und Nazi-Herrschaft zwischen den Generationen, erzählt Regisseur Daldry („Billy Elliot“, „The Hours“). Sein Film nach einem Drehbuch von David Hare („The Hours“, „Damage“, „Wetherby“) kann dieses Sujet nicht ähnlich tief durchdringen, wie der Roman. Doch vor allem durch sehr gutes Schauspiel und schlüssige Inszenierung erzählt „Der Vorleser“ seine eigene Geschichte von Schuld, von Recht und Gerechtigkeit, vom juristischen Urteil und dem Verurteilen des Herzens. Kate Winslets mutigem Spiel ist es zu verdanken, dass das Wesen der Hanna zwischen Monster und Opfer rätselhaft bleibt.


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Zwischen Berlin und New York pendelte die Handlung von „Der Vorleser“, zwischen Nordrhein-Westfalen und New York die Produktionsgeschichte: Michael Simon de Normier von der Bonner Senfkorn Film holte die Dreharbeiten mit Hilfe der Filmstiftung NRW an den Rhein. Drei Wochen drehte die Filmcrew in den MMC-Studios sowie auf dem Gelände der HDI Gerling Lebensversicherung in der Kölner Innenstadt. Weitere Drehorte waren Berlin und New York.




23.2.09

Vorbilder


USA 2008 (Role Models) Regie: David Wain mit Paul Rudd, Seann William Scott, Christopher Mintz-Plasse 99 Min. FSK: ab 12

Danny und Wheeler verkaufen den Energy-Drink Minotaur an Schulen als Alternative zu Drogen und spüren schon bald die Wirkung. Dass sie mit ihrem (s)tierischen Werbe- und Geländewagen ein Pferdedenkmal begatten und zuvor ein paar Ordnungshüter verschreckten, liegt aber eher am Stimmungstief von Danny: Gerade 35 Jahre alt, findet er keinen Spaß mehr im Leben und verliert auch noch seine Liebste wegen anhaltender Griesgrämigkeit. Das Ausrasten auf Frust und Taurin könnte Danny und Wheeler in den Knast bringen, wenn sie nicht erzwungen wohltätig schwer erziehbaren Kindern als Paten zu Seite stehen. Danny bekommt eine Art Harry Potter ab, der allerdings nicht zaubern kann und wie ein Depp völlig auf kindische Ritterspielen abfährt. Wheeler kümmert sich um einen schwarzen Mini-Rapper, der zu wenig Vaterfiguren im Leben abbekam, aber wesentlich unproblematischer wirkt als sein großer Begleiter.

Nun will uns die mäßig humorige Komödie weismachen, dass die unreifen Erwachsenen im Umgang mit den Kindern Verantwortung übernehmen. Sehr schematisch baut jeder einmal Mist und in einem Ritterturnier aus lauter Verlierern dürfen sie sich unter den Augen der entscheidenden Frauen bewähren. Die Freunde treten in dem Duell als neues Fantasie-Land an: Kiss-my-Anthia. Oh ja, da waren ja auch noch drei verstreute Erwähnung der Rockband Kiss. Schade, dass dieses Revival so lieblos wie der Rest ausgeführt wurde.

„Vorbilder“ hätte was Nettes werden können, mit großen Fantasten wie Terry Gilliam („Time Bandts“) sogar ein toller Film. Nun schleppt das Filmchen seine dünne Handlung mit erstaunlichem Aufwand an Szenen und Schauspiel bis zur ausgemachte Happy End-Sülze. Ob es funktioniert, hängt dabei von den Darstellern ab. Die Hauptrollen haben ein Komödien-Requisit (Seann William Scott aus „American Pie“) und ein Schauspieler (Paul Rudd), der im romantischen Rollenfach als Ben Affleck-Ersatz auch ernste Momente zustande bringt. Nur hier ist er konstant unterfordert.

Underworld - Aufstand der Lykaner


USA 2009 (Underworld: Rise of the Lycans) Regie: Patrick Tatopoulos mit Rhona Mitra, Bill Nighy, Michael Sheen 92 Min. FSK: ab 16

Wer hat die Werwölfe erschaffen? Zwei Antworten gibt dieses „Prequel“ zu den zwei erfolgreichen „Underworld“-Folgen, das erzählt, was vorher geschah. Zum einen zeigt es, wie Vampir-Führer Viktor (Bill Nighy) fast wie Frankenstein aus Wolfs- und Menschenblut die neue Rasse der Lykaner schafft. Andererseits sehen wir, was Patrick Tatopoulos, der vormalige Designer solcher (Film-) Kreaturen, als Regisseur leistet.

Trutzig steht die Burg, in der sich die Vampire wie Ritter vor Sonnenlicht und wilden Wölfen schützen. Die Menschen liefern regelmäßig Tribut, die Bilanzen des Blutzolls sehen wie bei Deutsche Bank und Co. blendend aus. Doch Fürst Viktor unterschätzt die Gefahr der Wölfe. So muss sogar der Schmied Lucian (Michael Sheen aus „Frost/Nixon“ und „The Queen“) mit einem finalen Rettungsschuss die Fürstentochter Sonja (Rhona Mitra) retten. Dank erhält der Sklave mit der martialischen Halsfessel dafür nicht, als bärenstarke Kreatur Viktors soll er nur niedere Arbeiten ausführen. Nachdem die Liebe von Lucian und Sonja ans Tageslicht kommt, verbrennt dieses die zum Tode verurteilte Vampir-Tochter. Jetzt ist der erniedrigte und gefolterte Lucian richtig sauer und heult zum Sturm auf die Vampir-Festung.

Sonnenlicht ist ihre Sache nicht, deshalb ist die stark gestylte Ästhetik dieser Vampir-Action von tiefblauen und silbernen Farbtönen bestimmt. Das wirkt cool, sieht im Zusammenspiel von dunklen Gewölben, Lack-Leder-Kostümen und neuseeländischen Landschaften richtig gut aus. Die Story überrascht nicht, die Fans wissen sowieso, worauf es im weiteren Verlauf der bissigen Familiensaga hinausläuft. Allerdings ist der An- und Abschluss zum ersten „Underworld“-Film ebenso elegant gelungen wie einige weitere Szenen.

Der dritte „Underworld“ zeigt ganz nebenbei, was Mimik und Maske leisten beziehungsweise kaputt machen können: Bill Nighy bekam zu seinem unnachahmlichen Gesichtsausdruck ein paar gefärbte Kontaktlinsen und schon nimmt man ihm den Jahrhunderte alten Herrscher der Vampire ab. Seine Kunst ist die des Minimalismus, er braucht keine Grimassen oder große Gebärden. Wenn er denn mal richtig böse wird, wirkt das umso eindrucksvoller. Rhona Mitra hingegen spielt vielleicht ganz gut, sieht vielleicht auch sogar aus wie eine Vampir-Prinzessin. Aber ein Merkmal lenkt von all dem ab und stört den ganzen Film: Viel zu dicke Lippen mögen in obskuren Parallelwelten vielleicht als attraktiv gelten - hier sind sie einfach nur lächerlich.

18.2.09

Burn After Reading DVD


Regie: Ethan Coen, Joel Coen

Universum Film

Schwarze Komödie

Es ist ein Spaß, ein grandioser Spaß, wie sich hier ein halbes Dutzend der besten Schauspieler gegen den Strich bürsten lassen. Und damit ist nicht nur wortwörtlich die absurde Frisur von Brad Pitt gemeint. Pitt gibt den Fitness-Studio-Hampelmann Chat, der Bildung, Erziehung und Rollenvorbilder komplett aus irgendwelchen Übungsleiter-Videos gewonnen hat. Seine affige Frisur konkurriert mit den bubihaften Klamotten und die Aerobic-Gestik übertrifft alles. Chats Versuch, mit einer CD voller vertraulicher Daten, den Ex-CIA-Mitarbeiter Cox (John Malkovich) zu erpressen, muss kläglich scheitern. Wie alle Gangster in Coen-Filmen verhält er sich dämlicher als es die Polizei erlaubt. Dass die Daten auf CD ab jetzt die Runde machen, jeder mit jedem ins Bett geht, und nicht nur der unter Verfolgungswahn leidende Harry Pfarrer (Clooney) dauernd einen Beobachter in der Nähe hat, gehört zu den Details einer Handlung, die munter vor sich hin purzelt. Die umwerfende und bissige Komödie der Coen-Brüder kommt ganz trocken ohne Extras daher! Die gibt es sicher später bei weiteren DVD-Auflagen zum vollen Preis. Wie wäre es hier eigentlich mit einem faireren Update-Preismodell?

The Times of Harvey Milk DVD


Edition Salzgeber

Regie: Robert Epstein und Richard Schmiechen

Parallel zum Start von Gus Van Sants „Milk“ gibt es den Dokumentarfilm von Robert Epstein über das Leben des offen schwulen Stadtverordneten von San Francisco wieder zu sehen. Robert Epstein und Richard Schmiechen zeigten ihren vielfach preisgekrönten Film erstmals 1985. Der Film „The Times Of Harvey Milk“, schon selbst ein Stück Filmgeschichte, rekonstruiert Milks Leben, das beispielhaft für Mut und Engagement steht, für die frühe Lesben- und Schwulenbewegung. Grundgerüst des Films war auch ein von Harvey Milk aufgenommenes Tonband, das nach seinem Willen nur dann abgespielt werden sollte, falls er durch einen Anschlag ums Leben käme.

Madeinusa - Das Mädchen aus den Anden DVD


Regie: Claudia Llosa

Trigon

Die gerade gekürte Berlinale-Siegerin Claudia Llosa (mit „La Teta Asustada“) begeisterte schon vor zwei Jahren mit diesem tollen Werk und der intensiven Hauptdarstellerin Magaly Solier aus Peru. In einem Dorf in den Bergen Perus wird die Karwoche mit der Tradition des "Tiempo santo" verbunden, in der alle moralischen Zwänge aufgehoben sind. Die junge Madeinusa muss sich gegen Zudringlichkeiten ihres Vaters zur Wehr setzen und nutzt die Freiheiten ihrerseits, um sich einem Fremden anzunähern, der sie aus den beklemmenden Dorfstrukturen befreien und mit in die Hauptstadt nehmen soll. Der zwischen Melodram und dokumentarischer Inszenierung des dörflichen Mikrokosmos angesiedelte Film lebt von seinem besonderen Humor sowie vom ironischen Spiel mit den Stereotypen der Ethnizität, ohne dabei in sentimentale Dritt-Welt-Romantik zu verfallen. Als Bonus gibt es ein Gespräch mit Claudia Llosa. Im Internet erhältlich bei trigon-film.ch

17.2.09

Nick und Norah - Soundtrack einer Nacht


USA 2008 (Nick and Norah's Infinite Playlist) Regie: Peter Sollett mit Michael Cera, Kat Dennings, Alexis Dziena 89 Min. FSK: ab 6

Das zwanghafte Zusammenstellen von Top 10-Cassetten geriet in Nick Hornbys „High Fidelity“ witzig aber auch zwanghaft. Auch der unglücklich verliebte Nick von „Nick und Norahs unendlicher Playliste“ (so der auch schöne Originaltitel) stellt Liebes- und Leidenslieder zusammen - mittlerweile auf CD. Die ignoriert seine zickige Ex, die blonde Tusse Tris, direkt in den Papierkorb hinein. Geschätzt wird der gute Musikgeschmack hingegen von der dunkelhaarigen, tiefgründigen Norah. Allerdings wissen Nick und Norah zu Beginn einer ganz besonderen Nacht noch nicht voneinander.

„Nick und Norah - Soundtrack einer Nacht“ erzählt wie die Klassiker „American Graffiti“ oder „Before Sunset“ mit einem undramatischen Dahingleiten. Das ganze junge Manhattan scheint auf der Suche nach der total hippen Band „Where is Fluffy“ und dem Ort ihres Auftritts. Mit dabei ist Nick, den seine schwulen Bandkumpel endlich aus der Trauerstarre befreit haben. Der Teenager ist ein ziemlich unauffälliger und nur netter, liebenswerter Kerl. Norah ist eine etwas schüchterne, grandiose junge Frau, die sympathischerweise gar nicht weiß, wie schön sie ist. Für das gemäßigte Chaos sorgt Norahs regelmäßig extrem betrunkene Freundin Caroline, die verloren geht und sich darauf an immer gleichen Lieblingsorten übergibt. Auch auf der Suche ist die Crossover-Besetzung von Nicks drei schwulen Freunden. Während Tris nun doch auf Nick eifersüchtig wird, hat Norah noch mit einem ekelhaft glatten Ex zu kämpfen. Doch die nicht nur musikalisch Seelenverwandten Nick und Norah werfen sich im animierten Gespräche die Stichworte zu, während sie mit einem alten Yugo durch die Nacht irren. Im Electric Lady Studio kommt es zum zarten ersten Sex, der ganz gegen den Trend amerikanischer Jugendfilme mit einem dezenten Kameraschwenk diskret aufgenommen wird.

„Nick und Norah - Soundtrack einer Nacht“ beglückt als schöne, junge und leichte Liebesgeschichte. Erstaunlich, wie nett und vor allem wie entspannt Peter Sollett inszenierte. Heraus kam einer dieser Filme, bei denen sich scheinbar ganz unbegründet ein Lächeln auf die Lippen schleicht und einen für eine Weile nicht mehr verlässt. Selbstverständlich drängeln sich die Indie-Songs auf dem Soundtrack.

Der Ja-Sager


USA 2008 (Yes Man) Regie: Peyton Reed mit Jim Carrey, Zooey Deschanel, Bradley Cooper 104 Min. FSK: ab 6

Nein. Nein. Nein. Diesen Film kann man nicht bejahen. Jim Carrey musste schon mal als Anwalt immer die Wahrheit sagen. Jetzt soll er als Kreditprüfer einer Bank immer Ja sagen. Komisch ist das nur begrenzt. Und hat auch nichts mit Brecht zu tun, falls sie jemand vom Feuilleton hierhin verirrt. "Der Jasager, Der Neinsager" vom großen Dialektiker war ein Lehrstück. Dies ist ein Leer-Film.

Carl Allen ist schlecht drauf, beziehungslos, dauernd genervt und es geht ihm auch nicht wirklich gut. Nicht mal die Ausreden, mit denen er sich davor drückt, seine wenigen verbliebenen Freunde zu treffen. Doch einer von ihnen schleift Carl zu einem obskuren Motivationstrainer. Terrence Bundley (Terence Stamp) überzeugt die Menge und schließlich auch Carl, Ja zum Leben zu sagen. Carl versteht dies nicht direkt und sagt von nun an immer „Ja“. Zum Obdachlosen, der mitgenommen werden, telefonieren und Geld haben will. Zur Nachbarin, die ihn entspannen will. Und zu jedem seiner Kunden in der Bank, die für irgendwas einen Kredit wollen. Tatsächlich bessert sich sein Leben grundsätzlich. Vor allem als er die wunderbar spontane Allison (Zooey Deschanel) trifft, die auch zu allen Gelegenheiten des Lebens Ja sagt. Doch bevor solche vorhersehbaren Komödien happy ausgehen, gibt es eine Krise, in der Carl lernt, dass dosierter Optimismus ganz ok sein kann.

Der frustrierte Carl vergibt keinen Kredit - irgendwie zeitgemäß das Thema. Und wenn er dann zu niemand mehr Nein sagt, führt das zu Mikro-Krediten - auch das ist voll im Trend der Zeit, wenn auch eher in der „Dritten Welt“ und nicht in den USA. Aber.... ist die USA eigentlich noch „Erste Welt“? Doch man sollte auf keinen Fall nachdenken bei dieser simplen Komödie. Ihr größter Vorteil ist, dass Jim Carrey relativ wenig grimassiert.

96 Hours


Frankreich 2008 (Taken) Regie: Pierre Morel mit Liam Neeson, Maggie Grace, Leland Orser 93 Min. FSK: ab 16
 
Dieser Mann sieht nicht gut aus, wirkt verloren, findet keine Erfüllung mehr im Beruf. Ex-Agent Bryan (Liam Neeson) hat für seinen Regierungsjob seine Tochter Kim völlig vernachlässigt. Derweil ist Kim (Maggie Grace) rasend schnell 17 geworden. Er schenkt ihr noch Kindersachen, der neue Stiefvater dagegen ein rassiges Pferd. Als Vater und Beschützer ausrangiert, wirkt er wie ein Auslaufmodell der Gattung Mann. Bis die unreife Kim bei einem Europa-Trip sofort nach der Ankunft in Paris überfallen und von albanischen Frauenhändlern, „vor denen selbst die Russen Angst haben“, entführt wird. Während Bryan in den USA die Entführung live am Telefon mitverfolgt, droht er dem Anführer, dass er ihn finden und töten wird. Dazu hat er 96 Stunden Zeit, weil die Mädchenhändler ihre Opfer in dieser Zeit drogenabhängig machen und prostituieren. Über die Verbindungen zu alten Geheimdienstfreunden ist der rasende Vater den Verbrechern rasch auf der Spur.
 
Kurz und schmerzvoll fällt die Selbstjustiz aus, mit der sich Bryan zur Familienzusammenführung mordet. Die brutale Rache läuft über ziemlich simple Action-Sequenzen ohne viel Raffinesse ab. „96 Hours“ wird von Fernseh-Serien wie „24“ beschleunigt, Bryan zeigt das Einfühlungsvermögen von einem „Medium“. Produziert von Luc Besson hat die Action höchstens den subtilen Humor, dass der französische Film es als gefährlich vorführt, wenn 17-Jährige durch Europa touren. Dass sich die neurotische Angst des Vaters vor einem unsicheren Europa tatsächlich erfüllt, macht auch den Film etwas neurotisch und albern. Der zwischenzeitlich wilde Kamera- und Montage-Stil kann nicht davon ablenken, dass Liam Neeson als Superheld unpassend wirkt. Am Ende ist wieder alles in alter Ordnung mit Männern, die da sind, wenn man sie braucht.
 

Milk


USA 2008 (Milk) Regie: Gus Van Sant mit Sean Penn, Emile Hirsch, Diego Luna, Josh Brolin, James Franco 128 Min.    

Der Name war fast vergessen, doch Harvey Milk ist eine Legende. Er war der erste bekennend homosexuelle Stadtrat in San Francisco, aber er war vor allem Aktivist für Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und kämpfte für allgemeine Bürgerrechte. Cannes-Sieger Gus van Sant („Elefant“, „Good Will Hunting“) macht mit Sean Penn in der Hauptrolle aus politischer Geschichte eine bewegende Geschichte über einen einzigartigen Menschen.

Am Anfang sieht man Harvey Milk (Sean Penn) als fast noch jungen Mann in den Gängen der Metro. Er macht einen wirklich jungen Mann an. Der meint, er ginge nicht mit Männern über 40 nach Hause. Super, ich habe erst morgen Geburtstag. Ein nettes Kennenlernen, aber zu dieser Zeit in San Francisco eigentlich gar nicht spaßig. Die Polizei prügelt gnadenlos jeden Schwulen nieder. Harvey neuer Freund bleibt - auch am nächsten Tag. In Castro-Viertel machen sie einen Fotoladen auf und bekommen erst mal Ärger mit anderen Ladenbesitzern. Doch je mehr Homosexuelle das Viertel beleben, umso höher steigen auch die Umsätze.

Doch die Fröhlichkeit kann jederzeit umschlagen, wie Regisseur Van Sant kunstvoll zeigt: Die Trillerpfeife, mit der sich die Schwulen gegen Übergriffe schützten, spiegelt die Leiche von einem, dem jede Hilfe zu spät kam. Dies ist ein Wendepunkt im Leben von Harvey Milk, der von nun an politisch aktiv wird. Erst hilft er das Castro-Viertel zum Mekka der Homosexuellen zu machen, dann will er ein Amt erobern. Die Gegenwehr erfolgt nicht nur auf der politischen Ebene. Ja größer der Erfolg von Milk, umso häufiger treffen Morddrohungen ein. Und als er endlich im Stadtrat sitzt, endet wieder mal eine seiner Beziehungen sehr tragisch.

Gus van Sant, der mit „Elefant“ schon die Goldene Palme gewann und neben Hits wie „Good Will Hunting“ schon immer schwule Themen in einzigartig fließende Bilder brachte, bringt hier eine politische Liebeserklärung auf die Leinwand. Selbstverständlich ist das Thema eines schwulen Politikers immer noch ein Politikum, das weiß Berlin besonders gut. Aber wie der Mensch Harvey Milk, der tatsächlich einem Attentat zum Opfer fiel, dargestellt ist, bewegt die Emotionen ungemein. Großen Anteil hat dabei der ansonsten so stoisch und unerschütterlich wirkende Sean Penn. Sein Milk ist ganz sanft, unglaublich liebenswert, mit einem milden Blick, der sofort einnimmt.

Und falls sich jemand denken sollte, was geht mich das an: Der Film gibt immer wieder die Antwort. Es geht um allgemeine Menschenrechte. Gegen Gesetze, Gesellschaften und Einzelpersonen, die andere unterdrücken. Und damit ist dieser begeisternde, anrührende Ausflug in frühere bewegte Zeiten von San Francisco sehr aktuell.

Berlinale 2009 Resümee


Berlin. Sensationelle Zahlen, Stars ohne Ende, ein nur zufriedenstellendes Wettbewerbsprogramm. So verlief die 59. Berlinale bis zum Schlussakkord heute Abend. Dann werden im Berlinale Palast die Goldenen und Silbernen Bären verliehen und die Entscheidungen der Internationalen Jury rund um die Schauspielerin Tilda Swinton die Akzente beim ersten großen europäischen Festival des Jahres 2009 setzen.

Das Weltkino, so wie die Berlinale es widerspiegelt, kann in ihren europäischen, US-amerikanischen und asiatischen Zentren nur noch mit Kapriolen und besonders ausgefeilten Werken besondere Akzente setzen. Etwa wenn Sally Potter ihren „Rage“ konsequent von wechselnden Sprechern in immer gleicher Nachrichtensprecher-Perspektive erzählen lässt. Schmids „Sturm“ begeistert mit exzellentem, engagiertem Politkino. Stephen Frears führt in dem Historienspiel „Cherí“ geschliffene Dialoge vor, Chen Kaige in seiner chinesischen Großproduktion „Forever Enthralled“ edlen Asien-Film.

Eher vom Rande der großen Filmzentren kamen andere Bilder. Bei der ungarisch-rumänischen Produktion „Katalin Varga“ von Peter Strickland etwa, die durch raue Landschaften, raue Charaktere und raue Schnitte auffiel. Der erste peruanische Starter im Berlinale-Wettbewerb überhaupt, „La Teta Asustada“, begeisterte mit unverbrauchten Bildern, einer sozial harten Geschichte mit magisch-realistischen Einsprengseln. Wir erleben, wie die verstörte Fausta verzweifelt Geld für das Begräbnis ihrer Mutter auftreiben muss, weil die Leiche vor der Hochzeit der Cousine aus dem Haus sein muss. Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“), entfernt verwandt mit Vargas Llosa, arbeitet poetisch die bedrückende Vergangenheit ihres Landes auf: Im Zeitraum von 1980 bis 2000 wurden fast 70.000 Menschen ermordet, unzählige vergewaltigt und entführt. Hauptdarstellerin Magaly Solier wäre eine Kandidatin für den Darstellerpreis, falls sich die Jury um Tilda Swinton von den Normgesichtern lösen kann.

Mittlerweile wird gar nicht mehr bemerkt, dass Film aus Deutschland sich sehen lassen kann. Dass in allen Sektionen gute deutsche Filme mit dabei sind, ist auch ein Verdienst von Berlinale-Direktor Dieter Kosslick. Dass mit sechs geförderten Filmen im Wettbewerb, drei im Panorama und zwei in den Berlinale Specials rekordmäßig viele Beiträge mit NRW-Beteiligung dabei waren, hat Michael Schmid-Ospach, sein Nachfolger als Geschäftsführer bei der Filmstiftung NRW, mit seinem Team möglich gemacht. Dazu gehört auch „Hilde“, die Biographie der 2002 verstorbenen Schauspielerin, Chanson-Sängerin und Buchautorin Hildegard Knef. Heike ist dabei „Hilde“. Die Makatsch verkörpert den umstrittenen deutschen Star in Gestik, Mimik und sogar ansatzweise mit rauchiger Stimme. Grimme-Preisträger Kai Wessel („Die Flucht“) erzählt das beeindruckende Leben der beeindruckenden Frau mit starken Momenten als Nazi-Liebling und im Überlebenskampf zu Kriegsende. Die weitere Karriere von „Die Mörder sind unter uns“ über die vermeintliche Skandal-Produktion „Die Sünderin“ bis zu ihrer Karriere als Sängerin hat zwar Längen, auch die Musik nervt außer bei den Liedern der Knef fast durchgängig, doch Heike Makatsch gewinnt immer wieder die Aufmerksamkeit zurück.

Als letzter deutscher Starter darf noch mal der Wuppertaler Tom Tykwer ran: Er ist einer von 13 Regisseuren, die in „Deutschland 09“ ihre Kurzfilme zur Lage der Nation drehten. Über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, 40 Jahre nach dem studentischen Aufbruch 1968, 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ 1977, 20 Jahre nach dem Fall der deutsch-deutschen Grenze 1989. Jeder der Regisseure liefert seine eigene filmische Sicht auf das heutige Deutschland, abstrakt oder konkret, als Kurzspielfilm, Dokumentarfilm, essayistisch oder experimentell. Regisseur und Mit-Initiator Tom Tykwer über das Projekt: „Der Film vereint ein gutes Dutzend individuelle filmische Blicke auf das, was wir heute und jetzt als Heimat erleben – und wie wir uns in diesem Land verorten, verirren, verstricken.“ Und so ist „Deutschland 09“ der Mikrokosmos von „Welt 09“ oder Berlinale 2009. Wie wir uns in dieser Welt verorten, verirren, verstricken. Im Großen und im Kleinen.

14.2.09

Berlinale 2009 Preise


Geschichten aus aller Welt

Berlin. „La Teta Asustada“ (Die verdorbene Brust), der Favorit aller Freunde von neuem, ungewöhnlichem Kino erhielt Samstagabend unter großem Beifall den „Goldenen Bären“ für den Besten Film der Berlinale. Der Film von Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“) war der erste Film aus Peru, der überhaupt im Wettbewerb lief.

Aus der Regie-Jugend und vom Rande der großen Filmzentren kamen die Preisträger der 59. Berlinale (4.-14. Februar 2009). Der erste peruanische Starter im Berlinale-Wettbewerb überhaupt, „La Teta Asustada“ (Die verdorbene Brust), begeisterte mit unverbrauchten Bildern, einer sozial harten Geschichte mit magisch-realistischen Einsprengseln: Die verstörte Fausta muss Geld für das Begräbnis ihrer Mutter auftreiben, weil die Leiche vor der Hochzeit der Cousine aus dem Haus sein muss. Bei einer berühmten weißen Pianistin arbeitet die dunkelhäutige Fausta als Hausmädchen, unter Druck verkauft sie ihren Gesang für Perlen, pro Lied eine Perle. Die junge Frau bestimmt allgegenwärtige Angst. Die über die „Milch der Trauer“ vererbten Erzählungen vom Grauen der Mutter führen dazu, dass Fausta nie allein auf die Straße geht und aus Angst vor Vergewaltigung eine Kartoffel in der Vagina trägt.

Der Hintergrund dieser ungewöhnlichen Geschichte ist historisch: Die 1976 in Lima geborene Regisseurin Claudia Llosa („Madeinusa“), entfernt verwandt mit dem Dichter Vargas Llosa, arbeitet poetisch die bedrückende Vergangenheit ihres Landes auf. Im Zeitraum von 1980 bis 2000 wurden im Bürgerkrieg fast 70.000 Menschen ermordet, Unzählige vergewaltigt und entführt. Die überglückliche Llosa widmete den Preis ihrem Land Peru. Hauptdarstellerin Magaly Solier stimmte bei der Dankesrede ein Lied in Quechuan an, einer traditionellen Sprache in Südamerika, und rührte reihenweise Gäste zu Tränen. Auch die FIPRESCI-Jury des Internationalen Kritikerverbandes gab ihren Preis für einen Wettbewerbsfilm an „La Teta Asustada“.

Im gleichen Jahr wie Claudia Llosa in Lima wurde Maren Ade in Karlsruhe geboren. Ihr nach „Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003) zweiter Spielfilm „Alle Anderen“ erhielt einen „Silberner Bären“, den Großen Preis der Jury, ex aequo mit „Gigante“, dem Erstling des 1974 in Buenos Aires geborenen Adrián Biniez. An das impulsiv und authentisch gespielte deutsche Beziehungsdrama auf Sardinien „Alle Anderen“ ging auch der „Silberne Bär“ für die  Beste Darstellerin Birgit Minichmayr, die für die Verleihung extra von ihrem Bühnenengagement in München einflog. „Gigante“, in dem Jara als Sicherheitsmann eines Supermarktes seine Kollegin Julia über die Kontroll-Monitore beobachtet und liebt, erhielt auch den Preis für den Besten Erstlingsfilm sowie den Alfred-Bauer-Preis für die Entwicklung der Filmsprache.

Mehr Zeit auf der Bühne als Adrián Biniez, dem hörbar die Danksagungen ausgingen, verbrachte nur Sotigui Kouyate, die Film- und Theater-Legende aus Mali. In „London River“ von Rachid Bouchareb spielt er einen alten Mann, der nach den U-Bahn-Attentaten nach seinem Sohn sucht. Dem über 70-Jährigen gingen im Berlinale-Palast die weisen Geschichten nicht aus, was zum Running-Gag des Abends wurde.

Der favorisierte deutsche Film „Sturm“ von Hans-Christian Schmid erhielt nur den Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater und den Amnesty International Filmpreis. Der Friedensfilmpreis ging an „The Messenger“, das amerikanische Independent-Drama von Oren Moverman über die „Botschafter“, die den Angehörigen verstorbener US-Soldaten die schreckliche Nachricht überbringen. In Zeiten vermehrter Kriegseinsätze auch für Deutschland ein immer wichtigeres Thema.

Die kaum kritisierten Entscheidungen setzen eine harmonische Jury-Arbeit fort, welche die Jury-Präsidentin, die britische Schauspielerin Tilda Swinton, ausdrücklich lobte. Viele Entscheidungen fielen einstimmig aus - auch wenn der Jury-Notnagel ex aequo zweimal bemüht werden musste. In ihrer Erklärung stellte die Jury fest, dass es „im Wettbewerb dieses Jahr sehr viele Filme gegeben hat, in denen es vor allem darum ging, wie das Verständnis und die Interpretation wichtiger Themen vorangetrieben werden.“ Deshalb habe sich die Jury dazu entschlossen, die Filme und Künstler auszuzeichnen, denen es gelingt, politisches Statement und poetische Form in ein ausgeglichenes Verhältnis zu setzen.

10.2.09

The International


USA, BRD, GB 2008 (The International) Regie: Tom Tykwer mit Clive Owen, Naomi Watts, Armin Mueller-Stahl 118 Min. FSK: ab 16

Das heimliche Treffen war doch nicht so geheim: Der Ermittler schafft gerade ein paar Schritte weg vom Parkplatz der verschwörerischen Begegnung, dann bricht er vergiftet zusammen. Auf der anderen Straßenseite will Interpol-Agent Salinger (Clive Owen) zu Hilfe eilen und wird von einem Auto angefahren. Doch die Geheimdienst-Katastrophe ist noch nicht komplett: Als Salinger wieder zu sich kommt, ist auch schon der Informant tot - angeblich ein Verkehrsunfall. Das ist typisch für diesen zerknautschten, mürrischen Ermittler: Leichen pflastern seinen Weg. Alle Spuren bei seiner Fahndung nach üblen Machenschaften der Luxemburger Bank IBBC, kurz: The International, enden tödlich. Doch er gibt nicht auf.

So weit, so klassisch gemäß den Regeln des Polit-Thrillers. Doch wenn in diesen ersten Szenen der Berliner Hauptbahnhof im Sonnenlicht glänzt, wenn später immer wieder Glas- und Stahl-Fassaden in das Blickfeld drängen, merkt man, dass hier ein Film-Autor, nicht ein Genre-Handwerker gearbeitet hat. Die Architektur spiegelt die Thesen des Films, die das eine oder andere Mal recht plakativ in die Kamera gesprochen werden.

Schlüsselszene dabei ist das Verhör eines alten Stasi-Offiziers (Armin Mueller-Stahl), der nun als Geheimdienstler für die IBBC arbeitet. Ein Idealist verhört einen zynischen Opportunisten und irgendwie sind sie sich eigentlich gar nicht so fremd. Doch bis es soweit kommt, muss Salinger mit seiner New Yorker Staatsanwältin (Naomi Watts) wie Bond um die halbe Welt jetten: Berlin, Istanbul, Mailand, New York lauten die fotogenen Stationen. Dabei erfährt er, dass die böse Bank ganz groß ins Waffengeschäft einsteigen will. Nicht um an den Kriegen zu verdienen, sondern um mit den dabei entstandenen Schulden die Welt zu kontrollieren. Ein italienischer Waffenhändler und Politiker (!) kann das gerade noch erläutern, bevor auch er umgebracht wird. Nun folgt eine kleine Verfolgungsjagd mit nettem Spannungsbogen. Das klappt ganz gut, sogar sensationell in der ausgiebigen Schießerei im New Yorker Guggenheim-Museum, dessen Wendelgang im Berliner Studio nachgebaut wurde.

Im Detail ist „The International“ durchaus hochwertig, Owen spielt gut, Tykwers eigene Musik sorgt für Spannung, die Bilder sehen gut aus. Während alle Welt digital wird und dreht, benutzten Tykwer und sein angestammter Kameramann Frank Griebe - einer der besten - für die erste US-Studioproduktion des aus Wuppertal stammenden Regisseurs noch das längst aufgegebene 70mm-Material! Selbstverständlich wurden vom Perfektionisten Tykwer die Bilder auch am Computer nachbearbeitet. Die spezielle Ästhetik des Films spielt mit der gläsernen Architektur der Banken und Konzerne, die perfiderweise gar keinen Einblick gewährt.

Aufschluss über die wahren Ränkespiele der großen Banken gewährt wohl eher das Protokoll von Vorstandssitzungen. Thrillerfans werden sich leidlich unterhalten fühlen, während der Tykwer-Fan nach den wenigen Hinweisen auf die so ganz eigene Handschrift des Autoren-Filmers sucht.

Berlinale Penn-Club


Berlin. Die Familie Penn hat sich zwar getrennt, aber zu Beginn der zweiten Berlinale-Woche beeindruckten sowohl Sean Penn als auch seine Ex-Frau Robin Wright. Er porträtiert in „Milk“ den ersten schwulen Stadtrat in San Francisco. Sie begeisterte in Rebecca Millers „The Private Lives of Pippa Lee“ noch mehr als ihr Filmpartner Keanu Reeves. Die Berlinale bleibt in Jubelstimmung.

Harvey Milk (Sean Penn) ist überzeugend, sehr überzeugend, wie er mitten in der Siebzigern in der U-Bahn einen jungen Mann anspricht und mit nach Hause nimmt. In Zeiten, da sich die Polizei von Los Angeles ungehemmt an Schwulen austobte, kein geringes Risiko. Aus der Wut darüber wird Harvey Milk zum Schwulen-Aktivist. Er hilft er das Castro-Viertel zum Mekka der Homosexuellen zu machen, dann will er ein Amt erobern. Die Gegenwehr erfolgt nicht nur auf der politischen Ebene. Ja größer der Erfolg von Milk, umso häufiger treffen Morddrohungen ein. Und als er endlich im Stadtrat sitzt, endet wieder mal eine seiner Beziehungen sehr tragisch.

Gus van Sant, der mit „Elefant“ schon die Goldene Palme gewann und neben Hits wie „Good Will Hunting“ immer wieder schwule Themen in einzigartig fließende Bilder brachte, zaubert hier eine politische Liebeserklärung auf die Leinwand. Selbstverständlich ist das Thema eines schwulen Politikers immer noch ein Politikum, das weiß Berlin besonders gut. Aber wie der Mensch Harvey Milk, der tatsächlich einem Attentat zum Opfer fiel, dargestellt ist, bewegt die Emotionen ungemein. Großen Anteil hat dabei der ansonsten so stoisch und unerschütterlich wirkende Sean Penn. Sein Milk ist ganz sanft, unglaublich liebenswert, mit einem milden Blick, der sofort einnimmt. Milk läuft in der Sektion Panorama, die aus Anlass ihres 30-jährigen Bestehens auch den exzellenten Dokumentarfilm „The Times of Harvey Milk“ erneut ins Programm nimmt.

Pippa Lee, die Figur von Robin Wright Penn, irritiert anfänglich eher: Als perfekte Frau eines erfolgreichen Verlegers bleibt sie allen ein Rätsel. Doch die leicht skurrile, witzige und doch sehr warmherzige Emanzipation dieser Vorzeigefrau zum selbständigen Menschen begeisterte den Berlinale-Palast bei der Weltpremiere von „The Private Lives of Pippa Lee“. Regisseurin Rebecca Miller, die Tochter des 2005 verstorbenen Arthur Miller, blendet zurück auf Pippas Mutter, die ihre Fröhlichkeit ärztlich verschriebenem Speed verdankte. Wir erleben, wie Pippa sich exzessiv von zuhause löst und erst in den Armen eines älteren Mannes zur Ruhe kommt. Dass danach ein äußerst cooler Keanu Reeves ihr zum nächsten Schritt in die Freiheit verhilft, rundet den großartigen Cast ab. Der Rote Teppich hob vor Begeisterung fast ab, nach dem Film hatte jedoch Robin Wright die Herzen erobert. Das war konkurrenzlos gut, leider im Wettbewerb außer Konkurrenz. Es sieht so aus, als könnte diese Berlinale ein Fest der Freude werden. Und das ist auch gut so!
 

8.2.09

Berlinale Kamera für Chabrol


Gestern Abend wurde der französische Regisseur Claude Chabrol für seine Verdienste um den Film mit einer Berlinale Kamera geehrt. Claude Chabrol, der mit Vorliebe psychologische Dramen und Kriminalfilme drehte, erhielt bereits vor 50 Jahren für „Les Cousins“ (Schrei, wenn du kannst), dem ersten Film der Nouvelle Vague auf der Berlinale, seinen ersten Goldenen Bären. Seitdem war er unter anderem mit „Die Blume des Bösen“ (2003) und 2006 „Geheime Staatsaffären“ im Wettbewerb. Zum 50. Jubiläum zeigt die Berlinale sein jüngstes Werk „Bellamy“.

Gérard Depardieu spielt darin den Kommissar Bellamy, Chabrols Hommage an Kommissar Maigret. Nur scheinbar leicht und wird ein Mordfall aufgelöst, erst in den letzten Minuten zeigt uns der Alt-Meister mit einer gemeinen Finte, wie sehr er das Spiel mit dem Kino noch beherrscht.

Konflikt-Kino


Internationale Brandherde werden immer wieder schnell Sujet von Kinodramen. Zwei deutsche Regisseure - Hans-Christian Schmid und Oscar-Sieger Florian Gallenberg - nahmen sich eines politischen Themas an. Mit dem Kriegsverbrecher-Prozess „Sturm“ mal hochaktuell und gelungen und mit dem Historien-Stück „John Rabe“ fast vergessen und sehr unglücklich. Damit ist die Berlinale ganz in ihrem Element. Andere Festivals zeigen auch politisches Kino, aber das Ereignis, dass noch vor 20 Jahren an der Demarkationslinie zwischen West und Ost lagt, schreibt es sich  zu Recht besonders groß auf die Fahnen.

Im Wettbewerb entfachte Hans-Christian Schmid einen „Sturm“ der Begeisterung. Er zeigt die Juristin Hannah Maynard (Kerry Fox), die Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gegen den ehemaligen serbischen Befehlshaber Goran Duric. Zuerst wird sie bei einer Beförderung übergangen, dann erweist sich ihr Hauptzeuge für die Deportationen von Duric in einem bosnisch-muslimischen Dorf als Lügner. Nach dem Selbstmord des jungen Bosniers droht der Prozess zu platzen, doch Hannah entdeckt die Schwester des Toten, die selbst durch die Hölle gehen musste, und versucht sie zu einer Aussage zu bewegen.

Nicht nur die Überzeugungsarbeit bei der traumatisierten Zeugin, die schnell brutale Angriffe unbelehrbarer Serben erlebt, spannt Hannah Maynard ein. Von allen Seiten, ja sogar vom Haager Gericht selbst, wird der Weg zur Gerechtigkeit verstellt. Das intensive Spiel in vielen packenden Szenen ist faszinierend, es macht das Grauen des Jugoslawischen Bürgerkrieges in den Gesichtern und Geschichten der Opfer deutlich, ohne dass es gezeigt werden muss. Ebenso faszinierend ist, wie Schmid das Geflecht von Abhängigkeiten und Interessen um eine mutige Frau herum strickt. Von einem Partner, der nicht zu ihr steht, über den Vorgesetzten, der sie hintergeht bis zum globalen Niveau der Europäischen Union, die einen Deal einfädelt, und damit grausamste Verbrechen für ein größeres Europa unter den Teppich kehrt. Er hätte „die Themenkomplexe Völkerrecht und Balkankriege erarbeitet und dann Figuren entwickelt, welche die Leidenschaft und Integrität der Vorbilder spiegeln, die wir beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag gefunden haben," erzählte Schmid auf der Pressekonferenz der Berlinale.

In einer Schlüsselszene zeigt er ein Gemälde Vermeers und lässt davon erzählen, wie Maler im Dienste ihrer politischen Herren arbeiten musste. Schmid selbst zeichnet mit Gesichtern, die einem nahe gehen, das Bild einer supranationalen Institution, die für eine bessere Welt absolut notwendig ist, aber deren Funktionieren noch in den Kinderschuhen steckt.

Während die Fachpresse den Kampf um die internationalen Rechte an NS-Vergangenheitsbewältigung diskutiert und sich fragt, ob die „Ausländer“ das auch richtig machen können, führt Oscar-Gewinner Florian Gallenberger (für seinen Kurzfilm „Quiero ser“) ernüchternd der Gegenbeweis: Die Geschichte, des strammen Nazis „John Rabe“ und Siemens-Werksleiters, der 1937 bei dem Überfall der Japaner auf Nanking mithalf, 200.000 Chinesen vor einer brutalen Armee von Übermenschen zu retten, fiel viel zu lang und sehr bedenklich aus. Kann man so einen tapferen, nationalistischen Helden (gespielt von Ulrich Tukur) zeigen, der rettet, während seine Parteigenossen in Deutschland zur gleichen Zeit mit dem gleichen Eifer, Menschen foltern, morden, verfolgen und in Konzentrationslager stecken? Da helfen auch Alibi-Szenen mit Daniel Brühl als Botschaftsangehörigem mit jüdischer Abstammung nicht: So naiv sollte man es auf keinen Fall machen.

6.2.09

Berlin zeigt sich auf der Berlinale


Berlin. „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt ...“ rief Ernst Reuter im Jahr der Luftbrücke 1948. Doch damit hörte die Rede des Berliner Bürgermeisters nicht auf. Er fuhr fort: und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“ Heute gibt die Stadt nicht nur einen Preis, sie vergibt eine ganze Reihe von Goldenen und Silbernen Bären. Und sie zahlt einen guten Preis für Teams, die im Großraum Berlin drehen. Mit Erfolg, wie man bei dieser Berlinale besonders gut sehen kann, wenn die Bilder im und vor dem Kino seltsam zusammenfallen. Der Eröffnungsfilm „The International“ zeigte dem internationalen Publikum zuerst den neuen Berliner Hauptbahnhof - ohne herunter fallende Stahlträger allerdings. Dann kann „Der Vorleser“ das alte Berlin immer noch so zeigen, wie es in den Fünfzigern aussah. Für Regisseur Stephen Daldry ist Berlin eine faszinierende Bruchkante der Geschichte. Und auch wer von der Passagen-Retorte um das Festivalzentrum Potsdamer Platz weg kommt, wird noch die gleichen breiten Straßen mit den gleichen großen Granitplatten auf den Bürgersteigen sehen. Diese Zeitlosigkeit brachte auch Theo Angelopoulos dazu, sein Epos über die Zeitenwende am Ende des Jahrtausends mit Bruno Ganz und Michel Piccoli exakt in Berlin feiern zu lassen. Bis auf Tom Cruise sagen auch die meisten Drehteams: Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin.

Berlinale Vorlesen, Abfilmen, Abheben


Der Wettbewerb beeindruckt konkurrenzlos

Berlin. Ihre beide frischen Golden Globes hatte sie nicht dabei, doch schon die Erwartung ihres Auftritts machte sie zum heißesten Star und Cover-Girl der Berlinale: Kate Winslet wird nicht mehr verlacht, keiner wagt mehr ihr Image zu retouchieren. Ihre schwierige und keineswegs schöne Rolle in „Der Vorleser“ belohnt den Mut, die ihre Rollenwahl immer gezeigt hat, endlich mit Erfolg. Sie muss zwei Seiten eines Menschen in eine Figur bringen, dazu viele Lebens-Jahre mit den entsprechenden Masken überbrücken. Und es gelingt ihr eindrucksvoll!

Stephen Daldry („Billy Elliot“, „The Hours“) verfilmte Bernhard Schlinks Erfolgsroman „Der Vorleser“ mit amerikanischen und deutschen Geldern, drehte unter anderem in NRW. Es beginnt mit einer ungleichen Affäre im Berlin der 50er Jahre. Dem 15-jährigen Michael hilft eine ältere Frau - zuerst bei einem Schwächeanfall, dann beim Entdecken von Lust und Liebe. Aus zufälligen werden regelmäßige Treffen, irgendwann liest der gebildete Junge der einfachen Schaffnerin Hanna als Vorspiel aus Klassikern der Weltliteratur vor. Humanistische Bildung gegen eine schöne Körperlichkeit, die Kate Winslet auch unverhüllt zeigt. Jahre später trifft der Jura-Student Michael seine erste Liebe Hanna im Gerichtssaal wieder. Ihr wird vorgeworfen, als Wärterin des Konzentrationslagers Auschwitz, 300 Menschen umgebracht zu haben. Erst spät versteht der entsetzte junge Mann, was in dieser Frau wirklich vorgeht. So wird er selbst - wieder einige Jahrzehnte weiter, noch einigen gescheiterten Beziehungen - als verschlossener, verhärmter Mann (Ralph Fiennes), die Erinnerung an Hanna nicht los.

Bernhard Schlinks Bestseller hat seit seinem Erscheinen 1995 nichts von seiner Stärke verloren. Immer noch bleibt das Wesen der Hanna zwischen Monster und Opfer rätselhaft. Es sei eine Geschichte über den Umgang mit den Grauen von Holocaust und Nazi-Herrschaft zwischen den Generationen, erzählt Regisseur Daldry. Er hielt sich im Gegensatz zu seinen Literatur-Geschichten „The Hours“ diesmal mit Film-Poesie zurück. Aber er kann sich bei einer soliden Inszenierung ganz auf sein Team und auf die guten Schauspieler verlassen. David Kross, der den jungen „Vorleser“ spielt, wird in diesem Jahr in Berlin als deutscher Vertreter bei den Shooting Stars, der Galerie europäischer Nachwuchs-Mimen, vorgestellt. Beim Dreh musste man für die Liebesszenen auf ihn warten - er war noch keine 18!

Abgehoben
Selten fiel das Urteil über eine Regisseur kürzer und einfacher aus: François Ozon hat einen Vogel. Nach der nächtlichen Presse-Vorführung seines Wettbewerbsbeitrages „Ricky“ waren die Reaktionen amüsiert bis irritiert. Man könnte auch sagen, er hat einen himmlischen Helden. Die Geschichte ist eine ganz einfache. Katie schlägt sich alleinerziehend mit ihrer Tochter durchs Leben. (Hauptdarstellerin Alexandra Lamy sieht glücklich ein wenig aus wie Sandrine Bonnaire, dann wieder sehr erschöpft und völlig aufgelöst.) Eines Tages trifft sie in der Fabrik den neuen Kollegen Paco (Sergi Lopez), auf der Werkstoilette kommen sie sich sehr schnell sehr viel näher. Nach einem Abendessen zieht er bei ihr ein und ein paar schnell erzählte Szenen weiter ist Katies Sohn Ricky schon geboren. Bis hierhin könnte es ein Sozialdrama werden, vielleicht erfreut uns der Franzose, der das Musical „8 Frauen“ machte, die Fassbinder-Hommage „Tropfen auf heiße Steine“ oder den Frauen-Thriller „Swimming Pool“, mal mit einer Komödie.

Doch es kommt ganz anders, Ricky ist sehr hungrig, schreit die ganze Zeit und ihm wachsen ... Flügel! Jetzt hebt die Geschichte mit Hilfe von Computertricks ziemlich ab, an Rickys Rücken zappeln kleine Chicken Wings und im Publikum schütteln sich die Köpfe. Ein „fantastischer Familienfilm“ der vielleicht die Gefühle der vernachlässigten Erstgeborenen ausdrückt, aber auf jeden Fall als äußerst seltsam zu interessieren oder irritieren weiß.

****

Abgedreht
Ein anderer Franzose macht aus einer ziemlich schrägen Geschichte, aus einem Mordfall mit alten Geistern, ganz stilsicher einen völlig glaubwürdigen Film: Bertrand Tavernier, dem Dokumentar-, Komödien-, Kriegs-, Melodram-Filmer gelingt mit dem atmosphärischen Thriller „In the electric mist“, was Tom Tykwer nicht schaffte: Er geht in einem Genre ganz auf und gibt der bekannten Form doch eine fast unsichtbaren eigenen Touch.

#Detective Dave Robicheaux (Tommy Lee Jones) jagt in Louisiana einen Serienkiller und lernt den dauernd betrunkenen Hollywood-Star Elrod T. Sykes kennen, der gerade in den Sümpfen dreht. Die Handlung wäre mit einem weiteren Satz schon zum Ende geführt. Ist auch nicht so wichtig wie all die prallen Szenen, in denen eigenwillige Figuren ihren Weg gehen. Oder die Erscheinung des alten Bürgerkriegsgenerals, mit der sich Dave immer noch unterhält.

Tavernier hatte schon 1981 einen Krimi von Jim Thompson verfilmt, nun pickt er sich für seine erste US-Produktion den Roman „Im Schatten der Mangroven“ mitten aus einer Serie des amerikanischen Kriminalautors James Lee Burke heraus. Eine gute Geschichte, die so stimmig rüber kommt, dass man sich vom ganzen Gesaufe leicht verkatert fühlt. Sehenswert wie bislang alles und alle im und vor den Kinos der Berlinale.

5.2.09

Berlinale Eröffnung The International

Tom Tykwer macht einen zu engagierten Bond

Berlin. Nein, auch bei dieser Berlinale kosten die Karten noch keine Millionen, Schlange stand man hier schon immer für die Tickets und Schwarzhandel lohnt sich auch nur für ein paar Galavorstellungen mit vielen Promis. Volkswagen fuhr die Gäste auch gestern abend luxurikös zum Roten Teppich und das Logo des Konzerns dekoriert alles bei  diesem Filmfestival.Doch die Sucht, eine große Krise herbei zu schreiben, hat selbst die Vorberichte zur Berlinale fest im Griff. Und Tom Tykwers Berlinale-Eröffnungsfilm „The International" liefert den Kassandra-Fans eine Steilvorlage. Dreht es sich in dem Politthriller doch immerhin um die üblen Machenschaften der Banken. Perfektes Timing und erstaunlich prophetisch? Nein, bei diesem recht verkopften Politthriller ist die Bank zwar auch „bad", sprich böse, aber die Kreditkrise wäre hier eine Folge eines misslungenen Waffenhandels.

Ein Politthriller ist für den aus Wuppertal stammenden Tom Tyker, der mit „Winterschläfer" national durchbrach, mit „Lola rennt" weltweit für Rummel sorgte und mit „Das Parfum" im Mainstream landete, etwas Neues. Und auch wieder nicht, denn der Krieger Benno Fürmann war in „Der Krieger und die Kaiserin" auch sehr politisch aktiv. Und wenn jetzt mit enormem Aufwand - sechs Wochen Drehzeit in extra nachgebauter Kulisse - das New Yorker Guggenheim Museum Schauplatz einer spektakulären Schießerei wird, sollte man sich erinnern, dass „Lola rennt" pures Action-Kino war. Und Tykwer ist sich seines Handwerk so sicher, dass er sogar Michael Bay an den Karren fährt, einen ausgewiesenen Action-Regisseur aus Hollywood, der mit Erfolgen wie „Con Air", „The Rock" oder „Pearl Harbor" eine echte Gelddruckmaschine auf diesem Gebiet ist.

 

Aber diese filmische Bewerbung für den nächsten Bond fällt zwischen die Stühle. Nach einer optisch spektakulären Hetze durch die Städte der Finanzwelt, nachdem ein ramponierte Clive Owen versucht, das Recht in die eigene Hand zu nehmen, wünscht man sich einen richtigen Tykwer-Film und nicht einen Banken-Bond. Owen ist der internationale Fahnder Louis Salinger, der einer internationalen Bank auf den Fersen ist, die jeden, der ihr zu nahe kommt, umbringt. So pflastern Leichen Salingers Weg, bis er mit Oberst Wexler den Geheimdienst-Chef der global kriminellen Bank erwischt. Armin Mueller-Stahl macht in dieser Rolle das Verhör zu einem philosophischen Diskurs über die prinzipielle Möglichkeit der Menschen, sich zwischen zwei Wegen zu entscheiden.

 

Es stecken viele Ideen in diesem Thriller, einige großartige Momente, Clive Owen macht seinen Job gut, die Action-Szene im Guggenheim ist genial. Doch hier ist in den deutschen Videoprojektionen, in einer raffinierten Spirale der Gewalt am deutlichsten Filmkunst zu erleben. So wie Salinger am Ende desillusioniert über den Dächern von Istanbul steht, weil er letztendlich nur eine Kugel im Spiel der Waffenkonzerne war, bleibt auch der Zuschauer zwischen den Kinostühlen von Genre- und Autorenkino unbefriedigt zurück.

 

Konsequent gut und mit eigene Handschrift eröffnete Sebastian Schipper („Absolute Giganten") mit der ersten Sensation des Festivals die innovative Sektion „Forum": Sein „Mitte Ende August" ist eine moderne Variante von Goethes Wahlverwandtschaften, wie beiläufig aus der Hand gefilmt und doch ungeheuer präzise und mitreißend in einen See der Gefühle. Marie Bäumer und Milan Peschel spielen ein Paar, das sich ins Sommerhaus am See zurückzieht, deren Chemie aber durch zwei weitere Gäste durcheinander gerät.

 

Schon heute Abend gibt es direkt nach „The International" eine neue Geschichte vom transatlantischen Filmemachen: Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser" wurde mit Kate Winslet in einer amerikanisch Ko-finanzierten Verfilmung des Briten Stephen Daldry eben diesem zu schnell fertig geschnitten, um gerade noch für die Oscars ins Rennen zu gehen. Heraus kam trotz allem, aber vor allem mit allen Talenten eine auch im Film packende Geschichte von großer und kleiner Scham, die sicher für viel Aufregung in Berlin sorgen wird. Nicht nur wegen Kate auf dem Roten Teppich.

3.2.09

Endlich Witwe


Frankreich 2008 (Enfin Veuve) Regie: Isabelle Mergault mit Michèle Laroque, Jacques Gamblin, Wladimir Yordanoff 93 Min. FSK: ab 12

„Sie sind ein schöner Mann“ hieß es zuletzt von der Regisseurin Isabelle Mergault. Eine urige Geschichte um einen knorrigen Bauern und eine ungewöhnliche Frau aus dem Katalog. Sowohl die Heiratsvermittlung als auch die Eigenheiten des einsamen Landlebens kamen damals glaubwürdig und mal komisch mal rührend rüber. Jetzt toben sich eher grobe Komödien-Figuren an der französischen Küste aus.

Anne-Marie betrügt ihren Gatten, den unleidlichen Schönheitschirurgen, mit einem braungebrannten Bootsbauer. Der will als Gastarbeiter nach China und lernt - haha - lustig Chinesisch. Während eines Schäferstündchens mit dem Schiffer verunglückt der Doktor tödlich, das Liebespaar könnte nun befreit aufleben, wären da nicht die lieben Verwandten, die unbedingt die vermeintlich trauernde Witwe trösten wollen.

Ein Boulevardstoff, der mit richtigem Timing durchaus überzeugen könnte. Doch diese Personage ist vor allem grob. Angefangen beim albernen Liebhaber, der als flügellahmer Seevogel vor ihrem Schlafzimmerfenster kreischt. Bis zur liebeslustigen Witwe, die sich gleich lächerlich macht, indem sie der Haushälterin völlig unglaubwürdige Geschichten weismachen will. In diesem Stil geht es weiter und man wünscht sich schnell die Abreise aller nach China.

Glaubensfrage


USA 2008 (Doubt) Regie: John Patrick Shanley mit Meryl Streep, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams 104 Min. FSK: ab 6

Wenn ein Film in seiner ersten großen Szene, in einer programmatischen Predigt über Verzweiflung, Einsamkeit und Hoffnung derart mit seinem Thema auftrumpft, es so eindringlich und formvollendet einführt, merkt man sofort, dass es sich um ein besonders sorgfältig und gut gemachtes Werk handelt. Es ist nicht nur Philip Seymour Hoffman, der als Pater Flynn mit enormer Präsenz und eindringlichen Worten direkt die Aufmerksamkeit packt. Aus den hinteren Reihen schiebt sich eine in hoch geschlossener Kleidung und Häubchen gewandete Strenge nach vorne, die mit der Milde des Paters aneinander geraten wird. Schwester Aloysius (Meryl Streep), Leiterin der katholischen Schule, wird sich als erbitterte Gegnerin des sanften Kirchenmannes erweisen. Doch auf faszinierende Weise ist diese „Glaubensfrage“ in jeder Faser ambivalent.

Die Rollen scheinen klar: Schwester Aloysius, Drache genannt, führt mit harter Hand und noch härterer Mimik ein strenges Regime. Selbst die Schwestern, die als Lehrerinnen arbeiten, erzittern vor ihr, während ausgelassene Fröhlichkeit bei den Priestern herrscht. Zeichen des guten Herzens kann man selbst durch die dicken Brillengläser der Schwester kaum erkennen. Radio mit Knopf im Ohr - wir zeigen das Jahr 1964 - sind bei ihr ebenso verboten wie Kugelschreiber, weil sie diese die Handfertigkeit versauen. Die junge Schwester James weist Aloysius eindringlich an, besonders gut auf „Verfehlungen“ zu achten. Das naive Wesen meint dann auch eine besondere Zuneigung von Pater Flynt zu einem Schüler zu bemerken. Der ist ausgerechnet der erste und einzige Schwarze an dieser Schule.

Ist es nur ein Verdacht, ist es ein Vorwurf, der wie das Gerücht viel Schaden anrichten wird? Der Film lässt offen, ob dieser ungemein sympathische und kompetente Pädagoge Flynt sich an Schülern vergreift. Es ist eine „Glaubensfrage“ und es ist unglaublich, mit welcher Vehemenz Schwester Aloysius ihren Glauben verteidigt. Grandios spielen Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman den Machtkampf im Büro der Schulleitung aus: Wer sitzt wo, wen blendet das Licht? Hasst sie ihn, weil er drei Stücke Zucker nimmt, säkulare Weihnachtslieder mag und Spaß am Leben hat? Auch diese komprimierte (und auch komische) Szene ist wie der ganze Film komplex und sehr mehrdeutig. Während draußen ein Unwetter aufzieht, bleibt Aloysius auf ihrem Kurs, ganz so, wie es das Gleichnis vom Schiffbrüchigen in der anfänglichen Predigt erzählte.

Als Schiffbrüchigen sah man Tom Hanks in dem völlig unterschätzten Debüt "Joe gegen den Vulkan" von John Patrick Shanley. Erst nach 18 Jahren führte Shanley jetzt wieder Regie, bei der Verfilmung seines eigenen preisgekrönten Theaterstücks. Ob es an der langen Vorbereitungszeit lag? Jedenfalls stimmt bei dieser „Glaubensfrage“ alles, da passt jedes Wort der geschliffenen Dialoge, da sitzt jede Geste, da ist nicht nur alles miteinander verbunden, da ist auch alles rund. Bis zum überraschenden Geständnis am Ende, das nahtlos an den Anfang anschließt.

Frost/Nixon


USA 2008 (Frost/Nixon) Regie: Ron Howard mit Michael Sheen, Frank Langella, Kevin Bacon

Ein mehrstündiges Fernseh-Interview eines gescheiterten Politikers - ein weniger geeignetes Sujet für einen Publikumsfilm kann man sich kaum vorstellen. Doch man sollte den Regisseur nicht unterschätzen: Ron Howard ist ein in der Branche und beim Publikum anerkannter Regisseur (und Schauspieler und Produzent), der sich vom Wunderkind zum Hitgarant entwickelt hat. Seine Filmographie kann man von feuchten Nichtigkeiten wie „Splash“ (1984) über das Filmmärchen „Willow“ (1988), das Husten-Problem „Apollo 13“ (1995), den Oscar-Sieger „A Beautiful Mind“ (2001) bis zum nervigen Erfolg „Da Vinci Code“ (2006) spannen. Die „kleinen“ Filme zwischendurch wären dann etwa „Kopfgeld“ mit Mel Gibson. Mit „Frost/Nixon“ realisierte er nun seinen politischsten Film - und er ist nicht minder spannend als simplere Action-Konzepte.

Es ist (Medien-) Geschichte, das legendäre Interview, das der britische Talkmaster David Frost im Jahre 1977 mit Richard Nixon führte. Das journalistische Leichtgewicht traf auf den zurückgetretenen Präsidenten, auf den größten Verbrecher, den die neuere Zeit bis dahin in diesem Amt erlebte.

Es beginnt mit Bildern der schmählichen Abdankung, des Abschieds vom Weißen Haus. Nixon ist überführt, fühlt sich aber von der Welt verkannt. Diese Gelegenheit ergreift der politisch nicht besonders versierte Moderator, der „Beau“ Frost (Michael Sheen). Mit großem finanziellen Risiko erkauft er sich das TV-Gespräch, vermarktet es selbst, weil keiner an ihn glaubt, und verpflichtet zwei politische Berater, die ihn ebenfalls nicht ernst nehmen. Doch es kommt tatsächlich zum legendären Schlagabtausch.

Ron Howard inszeniert das Duell mit großartigen Darstellern, die sich gar nicht groß um äußerliche Annäherung bemühen. Frank Langella will viel weniger wie Nixon aussehen, als es Anthony Hopkins in Oliver Stones „Nixon“ gelang. Michael Sheen und Langella lassen ihre Figuren von innen heraus entstehen - eindrucksvoll!

Das Finale ist dann dies grandiose Duell, bei dem zuerst Nixon auftrumpft. Wie er mit unpassenden Fragen Sekunden vor Beginn der Aufzeichnung Frost aus der Fassung bringt, überrascht auch das Publikum. Von den tatsächlichen zwölf Aufnahme-Sitzungen konzentriert sich Howard auf vier. Es ist eine raffinierte Finte in der Dramaturgie, dass Nixon sich nur in einem nächtlichen Telefongespräch vor der entscheidenden Schlussaufnahme ohne Maske zeigt. Da liefen keine Kameras oder Tonbänder mit. Neu motiviert erzwingt Frost die entblößende Aussage: „Wenn ein Präsident es macht, ist es nicht illegal.“ Darin ist der Film dreißig Jahre nach seiner Handlungszeit hoch aktuell. Nicht nur ein Präsident, gleich eine ganze Regierung verhielt sich zuletzt, als über sie über dem Gesetz stünde. Im Vergleich der Präsidenten-Demontagen kommt Bush Jr. selbst gegenüber Nixon schlecht weg. Das Duell der Top-Versager im Präsidenten-Amt fällt eindeutig aus. Vor allem dank Ron Howard und seinem packenden Film.

Aber das letzte Wort hat doch das Mitgefühl, da menschelt Howard wieder. Unter vier Augen gesteht der Ex-Präsident, wie sehr er den Journalisten darum beneidet, von Menschen gemocht zu werden. Trotzdem bleibt sein Erbe die Endung „-gate“, die man seitdem an jede politische Sauerei hängt, die nicht vertuscht werden konnte.

Bride Wars - Beste Feindinnen


USA 2008 (Bride Wars) Regie: Gary Winick mit Anne Hathaway, Kate Hudson, Kristen Johnston 90 Min. FSK: o.A.

Beste Freundin für immer - das kann auch eine Drohung sein. Wenn frau neidet und zickt, werden aus Freundinnen gerne mal beste Feindinnen. Bei Liv und Emma ist dies schon angelegt, als sie im weich gezeichneten Kindertraum eine Traumhochzeit miterleben und fortan nur eines vom Leben wollen: Heiraten!

So spürt man leichten Neid, als Emma (Anne Hathaway) sehr süß und unprätentiös den Antrag auf der heimischen Couch beim Fernsehen erhält. Liv (Kate Hudson) hält es nun nicht mehr aus, rennt zum Verlobten ins Büro und verlangt ihrerseits, geheiratet werden zu wollen. Dem doppelten Glück - der Freundinnen; die Männlein oder die jeweiligen Beziehungen sind hier ziemlich nebensächlich - steht nur ein Terminfehler der Hochzeitsplanerin im Wege: Es bleibt nur noch ein Platz im gewünschten Hochzeitspalast. Von nun an versuchen Liv und Emma, sich gegenseitig die Hochzeit zu verhindern. Emma füttert Liv beispielsweise mit Süßkram, bis das Hochzeitskleid platzt. Am Ende werden sie sich sicher wieder vertragen und gelernt haben, dass nur eines zählt: Die Traumhochzeit gemeinsam feiern.

„Bride Wars“ ist Frauenfilm in dem Maße, dass selbst der hormonellste Frauenversteher nix mehr versteht. Also wohl ein richtig guter Frauenfilm. Der Teufel namens Anna Hathaway trägt hier Brautkleid und hat noch immer nichts von Emanzipation gehört.

The Spirit


USA 2008 (The Spirit) Regie: Frank Miller mit Gabriel Macht, Samuel L. Jackson, Eva Mendes, Sarah Paulson, Scarlett Johansson 102 Min.

Wenn Frank Miller eine Comicreihe von Will Eisner verfilmt, dann braucht man den Fans nichts mehr zu sagen. Wenn selbst bei einem offenen Interesse für Comics dieser „Spirit“ unbeseelt kalt wirkt, ist es leider ein Film nur für Fans.

„The Spirit“ ist eine ziemlich coole Comicfigur. Einst im Kampf für die Gerechtigkeit umgekommen, verfolgt er trotzdem recht lebendig wirkend das Böse. Hinter einer einfachen Maske, das Superhelden-Kostüm in schwarz mit rotem Akzent gehalten, spielt Gabriel Macht diese Rolle recht unauffällig. Mehr, viel mehr Eindruck machen die Damen (Eva Mendes, Scarlett Johansson), die alle was von ihm wollen - selbst wenn sie seine schärfsten Gegnerinnen sind. Cool wiederum ist der Oberschurke Octopus, ausgestattet mit Habgier, Bösartigkeit, Sadismus und Rachsucht. Wie wer wen warum verfolgt, interessiert dabei kaum. Wichtig sind die treffenden Oneliner und die handfesten Schläge unter die Gürtellinie. Und davon gibt es viele, weil „The Spirit“ sowieso schon tot ist.

„The Spirit“ ist eine jungenhafte Comic-Verfilmung. Comichaft darin, dass er mal albern ist, dass sein längst toter und trotzdem übertrieben unkaputtbarer Held richtig oft sterben muss. Albern darin, wie viele Frauen auf ihn stehen (und er liebt doch nur seine Stadt). Diese Figur hat nicht wirklich die tragische Tiefe vom neuen Batman, die Einsamkeit des Spiderman.

Nach „Sin City“, den Frank Miller nach einer eigenen Zeichenvorlage selbst mitinszenierte, steht erneut die Ästhetik im Mittelpunkt des Interesses: Dunkel aber nicht düster, daraus springt einen immer Rot an. Wie im frechen Comic auch mal knallrot mit Hakenkreuz für eine Nazi-Travestie des Octuopus. Der und all die anderen Schurkinnen machen eindeutig mehr Spaß als das Spirit-Bürschchen. Will Eisner ist zwar der Altmeister der Comic-Zeichner, aber so altbacken (oder pubertär) und flach braucht man seine Geschichten sicher nicht umzusetzen.