13.1.09

Zeiten des Aufruhrs


USA, Großbritannien 2008 (Revolutionary Road) Regie: mit Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Kathy Bates 119 Min. FSK: ab 12

Der Ausbruch aus dem geregelten Leben, die Flucht oder das Aussteigen. Alles mittlerweile trivialisiert, zum Schlager und zur TV-Soap runtergekommen. Der verzweifelte Wahrheitskern, der in diesem Klischee steckt, wird von Sam Mendes, dem Regisseur von „American Beauty“, mit dem atemberaubendem Schauspiel von Leonardo DiCaprio und frisch gebackener Globe-Siegerin Kate Winslet so bewegend bloßgelegt, dass die „Zeiten des Aufruhrs“ nicht nur das Leben von Kinobetreibern zumindest für eine Weile erschüttern wird.

Dieses Drama des falschen Lebens erschlägt direkt mit der Tristesse des Vorstadtlebens, das „American Beauty“ nur langsam entlarvte. Ein furchtbarer Streit des Paares spricht es nach bösen Verletzungen aus: Du bist schuld, dass ich in diesem Leben stecke. Das ruhige, geregelte Leben von Frank und April Wheeler (Leonardo DiCaprio, Kate Winslet) verläuft in milden Farben. Darin schreckt die Einförmigkeit der Anzugträger auf dem Weg zur Arbeit und zum Amt schon über die Bilder ab. Frank ist da, wo er seinen Vater verachtete, bei der gleichen Firma, im gleichen öden Job. April erinnert sich alleine zuhause an bessere Zeiten, als sie noch „fühlen wollten, wirklich fühlen“, als er in Paris war, als der Kauf des neuen Hauses ein Aufbruch war.

Der Familienvater Frank versucht, durch die flüchtige Affäre mit einer Sekretärin seine Leere zu überspielen. Diesem schalen Geschenk an sich selbst zum 30. folgt nach der verspäteten Heimkehr die liebevolle Geburtstagsüberraschung seiner Frau und seiner Kinder. Und Aprils wieder erwachte Lebenslust schlägt vor, das Haus zu verkaufen, nach Paris zu ziehen, wo sie wieder arbeitet und er sich in Ruhe überlegen kann, was er wirklich machen will. Gleich am nächsten Tag verkündet er den Plan im Büro und setzt sich aus der Masse der uniformen Anzugträger ab.

Frank und April rebellieren kurz gegen die Regeln auf der „Revolutionary Road“, aber Normalität fängt sie schnell wieder ein. Er wird von einer Beförderung zum Bleiben verführt. Dann wird April schwanger. Sie will trotzdem ausbrechen, aber er erweist sich als zu träge oder zu feige. Mit dem Aufschrei „Nicht die Träume sind unrealistisch, dieses Leben ist es“ appelliert die Hoffende an die Wahrheit, er zieht sich auf Moral zurück, wird immer enger in seinen Vorstellungen und Lebenswegen, empfiehlt ihr einen Psychiater.

Das Normale und das Richtige. Einer dieser zahllosen Momente, in denen die schonungslose Wahrheit dieses Films einem an die Kehle und ans Herz greift. Und einer dieser vielen treffsicheren Merksätze dreht sich um den Mut, die Hoffnungslosigkeit der leeren Existenz anzuerkennen. Es ist ausgerechnet ein „Verrückter“, der nach 37 Elektroschocks die Idee der Wheelers gut findet. Eine grandiose Figur, die mit untrügerischer Sicherheit die Fassade der Familie auseinander nimmt. In ein paar Sätzen steckt mehr Wahrheit als in ganzem Leben des Paares. Ebenso gnadenlos geht dann jedoch der Film auf das Ende zu. Und meisterhaft, wie auch dies im Bild erzählt wird: Die sanften Pastellfarben der Musterwohnung werden nur von einem Fleck gestört, ein Fleck jedoch, der voller Schmerz und Verzweiflung ist, weil sich die enorme Stärke einer Frau wieder einmal gegen sie selbst wendet.

Sam Mendes findet in seiner zweiten Bloßlegung (nicht nur amerikanischer) Lebensleere Bilder und Momente unendlicher Einsamkeit. Die ungelebten Träume in leeren Blicken, der klägliche Spott der ganz großen Feiglinge, die sich über das Scheitern der verzweifelten Träumer mokieren, all das schickt einen tief erschüttert ins Leben zurück. Auch dank des großartigen, konzentrierten Schauspiels, das ohne viel Drumherum, ohne Action den Film trägt. Grandios wie Leonardo DiCaprio und Kate Winslet durch die Zustände von Öde, Hoffnung, Desillusion und Hass gehen. Ein Drumherum ist allerdings sehr wichtig, die Kulissen und Kostüme, die das Jahr 1955 glaubhaft machen und trotzdem die Figuren atmen und lebendig lassen.