26.11.08

Haus Bellomont DVD


Winkler Film

Regie:     Terence Davies

Terence Davies ("Distant Voices, Still Lives") gehört zu den begnadeten Filmkünstlern, die schon fast vergessen waren, bevor die DVDs aufkamen. So ist die Suche nach seinen Filmen oft noch erschütternder als die wundervollen Bild-Ton-Wort-Kompositionen des sensiblen Bildungsmenschen selbst. Passend zu seiner aktuellen Dokumentation „Of Time and the City“ und einer umfassenden Hommage beim Festival von Thessaloniki erscheint nun „Haus Bellomont“, eine prominent besetzte Literaturverfilmung aus dem Jahre 2000.
Nach dem Roman „The House of Mirth“ von Edith Wharton erspürt dieser faszinierend stilisierte Historienfilm den Niedergang der New Yorker Gesellschaftsdame Lily Bart (Gillian "Scully" Anderson). Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebt sie die junge Frau den Adelskreisen, auf deren Wohlwollen sie aber mangels Mittel angewiesen ist. Durchaus eigenwillig auch in der Wahl ihrer männlichen Bekanntschaften, kommt es nicht zu den arrangierten Vernunftsehen. Allein außerhalb der Gesellschaft stehend, schwinden Lebensfreude und Gesundheit. Zu ungeschickt im Gesellschaftskampf, scheitert Lily schließlich daran, dass sie zu gut, zu ehrlich, zu aufrecht und stolz ist.
Ebenso geschliffen wie die Wortgefechte zwischen Lily und ihrer unerfüllten Liebe sind die edlen Bilder von Terence Davies. Erlesene Filmkunst, die zudem tief bewegt. Neben der unabdingbaren Originalversion reizt bei den Extras besonders der Audiokommentar.

Death Race


USA 2008 (Death Race) Regie: Paul W.S. Anderson mit Jason Statham, Joan Allen, Ian McShane 105 Min. FSK: ab 16

Jährlich bringt der Autoverkehr in Deutschland rund 5000 Menschen um. Das macht in Europa zig Tausende und den noch auto-wilderen Rest der Welt gar nicht erst mitgedacht... Das bedeutet, die paar Tote beim dem mörderischen Autorennen „Death Race“ sind eigentlich ein paradiesischer Zustand. Wären da nicht die sehr drastischen Darstellungen der „Unfälle“ in diesem auf jeden Fall lauten Action-Film ...

„Lauf um dein Leben“ hieß es einige Male im Kino. Nun muss Jensen Ames (Jason Statham) bei einem zynischen „Todesspiel“ mitmachen. Wegen angeblichem Mord an seiner Frau landet der dreifache Speedway-Champion im Knast der eisernen Lady Hennessey (Joan Allen). Die verdient sich mit der Live-Aussendung eines heftig motorisierten Knastrennens richtig viel dazu und Jensen soll die Quote hochhalten. Der vermutet schnell, dass Hennessey auch hinter dem Mord an seiner Frau steckt. Doch erst muss der Neuzugang die üblichen Prügeleien im sehr rauen Zellentrakt überstehen. Dann geht es ins Rennen mit Schusswaffen, Granaten, Streusplittern und vielen anderen Gemeinheiten. Mord gehört hier zum Reglement.

Das Remake von "Frankensteins Todesrennen", einem Corman-Film aus dem Jahre 1975, fährt im Original extrem brutale Morde auf, die zudem sehr sadistisch präsentiert werden. Eine Innenstadt-Radweg ist da nichts gegen. Bei der Vollgas-Action bleibt nichts übrig von dem kritischen Charakter eines „Running Man“ oder von Menges „Todesspiel“.

Statham ist wie gewohnt cool und extrem hart, die Qualität der Raserei entspricht den Erwartungen des Zielpublikums. Auf der Positiv-Seite entscheiden sich die Duelle nicht alle durch endloses Kopfeinhauen, hier wird der Kopf auch zum Denken gebraucht. Und mit Solidarität kommt Jensen schließlich besser ans Ziel als mit von oben angestachelter Konkurrenz.

25.11.08

It's a free world


UK, Italien, BRD, Spanien, Polen 2007 (It's a free world) Regie: Ken Loach mit Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek, Joe Sifflet 92 Min.

Zurzeit blättern selbst Wirtschaftsteile der rechten Zeitungen beim guten alten Kapitalismus-Kritiker Marx nach. Da müsste auch Ken Loach zu neuen Ehren kommen, kämpfte er doch seit Jahrzehnten in seinen Filmen für die Rechte des kleinen Arbeiters und gegen die Auswüchse des Kapitals. Nun also der im Moment höhnisch wirkende Titel "It's a free world" - es ist eine freie Welt ... für das Kapital und die nimmersatten Spekulanten. Wie unfrei allerdings Gewinnmaximierung macht, erlebt darin eine mutige Unternehmerin. Leider ist "It's a free world", der neue Film vom Cannes-Sieger, eine eher stumpfe Waffe gegen Ausbeutung und Globalisierung.

Die resolute und schlagfertige Angie weiß, wie hart das Angestelltenleben ist. Gerade warb sie noch im Osten Europas für eine Personalvermittlung billige Arbeitskräfte an, jetzt braucht sie selbst einen neuen Job. Sie wurde gefeuert, weil ihr ein Vorgesetzter an die Wäsche wollte. Doch Angie macht sich mit ihrer Freundin Rose im Hinterzimmer einer Londoner Kneipe selbständig. Mit viel Energie vermitteln sie in ihrer eigenen Agentur osteuropäische Arbeitskräfte für ziemlich miese Jobs. Angie könnte ein Engel sein, auch wenn sie auf ihrem Motorrad mit den wehenden blonden Haaren höllisch gut aussieht. Ihre neuen Kunden himmeln sie meist an - die Bedingungen sind klar, Angie und Rose achten darauf, dass alle korrekte Papiere haben. Auf einem emotionalen Höhepunkt kümmert sich Angie ganz persönlich um eine iranische Familie, holt sie vor der Kälte nach drinnen, besorgt dem Vater einen Job und allen eine Unterkunft. Dankbare Kinderaugen strahlen die Frau aus dem Westen an. Auch die Beziehung zu Karol aus Polen tut dem Herzen gut.

Aber der Druck im Geschäft ist groß. Arbeiter beschweren sich, Firmen verlangen mehr und zahlen weniger. Dazu bewältigt Angie auch ganz alleine die Erziehung ihres Sohnes. Angie wird hart, Rose und Karol wenden sich von ihr ab. Und irgendwann, als zu wenig Wohnwagen für ihr Menschenmaterial da ist, ruft sie die Polizei, um illegale Einwanderer aus ein paar Wohnwagen verhaften zu lassen. Unter ihnen die iranische Familie. Und wieder blicken sie große Kinderaugen an ... Aus Angie ist ein eiskalter Engel geworden. Nur ihr Vater, ein alter Sozialist, ruft eine Erinnerung an schwer erkämpfte Rechte zu - ungehört.

Ken Loach ist auch so ein alter Sozialist. Seine Erinnerungen an Rechte und menschlichen Anstand wie "Riff-Raff", "Land and Freedom“, "Carla’s Song", "My Name is Joe" oder "Sweet Sixteen" kommen oft mit Humor daher, packen und rühren. Für "The Wind that Shakes the Barley" erhielt er die Goldene Palme in Cannes. Paul Laverty schrieb wie damals auch nun das Drehbuch, aber diese moralische Lehrstunde über den menschenverachtenden Handel mit Arbeitskräften aus Osteuropa enttäuscht. Sie wählt ausnahmsweise nicht den Blick der Opfer. Das hätte man schon zu oft gesehen, meinte Loach. Doch das von der Filmstiftung NRW geförderte Thesenspiel bleibt leider zu leblos.

New York für Anfänger


USA 2008 (How to Lose Friends & Alienate People) Regie: Robert B. Weide mit Simon Pegg, Kirsten Dunst, Danny Huston 111 Min. FSK: o.A.

Vergessen Sie den komischen Titel. Wir ersetzen ihn mit dem wesentlich treffenderen Originaltitel "How to Lose Friends & Alienate People"  -Wie man Freunde verliert und Menschen verschreckt. Oder mit: "Simon Peggs umwerfender Humor strandet in Hollywood". Simon Pegg drückte als Regisseur, Autor und Darsteller verschiedensten Filmen seinen Stempel auf und erfrischte Genres. Bei "Shaun of the Dead" wurde die erste Todesursache im Zombiefilm das Todlachen. Pegg als perfekter Polizist sorgte in der englischen Provinz von "Hot Fuzz" für Action und Ablacher. Und auch in den Disziplinen von romantischer Komödie und Marathonstrecken überzeugte der Brite bei "Run Fat Boy Run". Nun wagt er den Sprung über den Teich und entgeht einer Bauchlandung nur so gerade: Er tritt bei "New York für Anfänger" einfach in zu wenige Fettnäpfchen...

Celebrity-Autor Sidney Young (Simon Pegg) ist in London eher berüchtigt als berühmt. Seine Texte im intellektuellen Heftchen halten mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, dementsprechend erfolglos ist er. Doch dann kommt der Anruf aus New York: Ausgerechnet Herausgeber Harding (Jeff Bridges), den Sidney übel veralberte, will ihn für sein Hochglanz-Magazin "Sharps" haben. Der Engländer in New York ist völlig geschmacklos, hat einen exzellenten Radar für Fettnäpfchen, schockiert mit zottigem Humor und merkt es nicht. Herrlich, wie er mit seinem Antanzen den Dancefloor leert und dann zuerst mal einen Transvestiten abschleppt. Am nächsten Morgen kollidiert sein Riesen-Ego mit einem kleinen Job. Die coolen Partys sind eine einzige Schleim-Schlacht, alle heucheln und hökern. Wahres Talent ist nicht gefragt. Doch ausgerechnet in die größte "Poserin" Sophie Maes (Megan Fox) verliebt sich Sidney und übersieht die nette Kollegin Alison Olsen (Kirsten Dunst).

Hier beginnt die klassische Dramaturgie solcher Filme: Sidney verrät sich eine Weile, wird auch so ein oberflächlicher Opportunist, nimmt sich die nur schönen Frauen und nicht die richtigen. Ab hier gibt es keine Überraschung mehr in der Geschichte. Ein gebremster Simon Pegg ergibt sich der üblichen Formel von Filmen wie "Vanity Fair". Nur als Trost ist das letzte Fettnäpfchen ein richtig dickes und das Happy End ein süßes.

Insgesamt gewinnt der Charme der Ingredienzien doch über die Formel: Kirsten Dunst spielt überzeugend wieder das große Herz. Es ist eine der vielen schönen Ideen des Skripts, dass sie immer an der Bar sitzt und der Drink schon auf ihren Poeten-Freund wartet. Ihrer Lieblichkeit tut der raue Humor von Simon Pegg richtig gut. Auch wenn dieser nicht so genial, spritzig, schnell und treffend funktioniert wie in Peggs früheren Filmen. Es gibt noch eine ähnlich schwarz-böse Hundenummer wie in "Verliebt in Mary", wieder eine ultra-coole Rolle für Jeff Bridges ("Big Lebowski") als Herausgeber, und der Klassiker "Dolce Vita" von Fellini wird als Zitat nicht einfach so vor die Säue geworfen. Immerhin spielte Mastroianni ja auch einen jungen Reporter der in die Metropole Rom landen will und dabei baden geht. Allerdings wird jetzt nicht noch das Bad der Egberg mit dem von Megan Fox verglichen.

18.11.08

Palermo Shooting


BRD 2008 (Palermo Shooting) Regie: Wim Wenders mit Campino, Giovanna Mezzogiorno, Dennis Hopper 108 Min. FSK: ab 12

Nach vielen gefeierten und verrissenen, nach mutigen und unverstandenen Filmen aus Amerika kam der verlorene Sohn Wim Wenders zurück nach Düsseldorf um seinen neuen Kinofilm „Palermo Shooting“ zu drehen. Die Hauptrolle spielt Campino, der Düsseldorfer Frontmann der Toten Hosen. Auch die weiteren Rollen sind mit Dennis Hopper, Lou Reed, Patti Smith, Udo Samel, Inga Busch und Jana Pallaske auf den ersten Blick gut besetzt. Allerdings geht es auch sehr bedeutungsschwer um den Blick - wie so oft bei Wenders. Campino spielt einen jungen Fotografen, der in einer Lebenskrise steckt und sich auf eine Reise von Düsseldorf bis Süditalien begibt.

Der Bild-Künstler, der keine Bilder mehr hat ... das war schon in "Alice in den Städten", reizvoll autobiografisch und vielleicht prophetisch. Denn Rüdiger Vogler kam damals aus den USA zurück, um in der Heimat mit Hilfe eines kindlichen Blickes sein Bilder wieder zu finden.

Der Düsseldorfer Fotograf Finn (Campino) ist das Abziehbild des Starfotografen als Überflieger. Zum Abheben reicht aber längst nicht mehr nur der Erfolg, auch immer kräftigere Dosen Drogen müssen her. Nachdem ihn der Tod in einer zu schnellen Kurve fast erwischt hat, will Finn sein Leben fliehen und nimmt einen Auftrag in Palermo an. Nur, um sich dort bald abzusetzen und durch die Stadt zu streunen. Allerdings schlagen immer wieder mysteriöse Pfeile um ihn ein, denen er nur knapp entwischt. Mit Hilfe seiner Kamera schießt Finn zurück und versucht den Heckenschützen auf die Spur zu kommen. Außer den oben aufgereihten Promis, darunter auch bekannte Fotografen und Fotografinnen, trifft Finn eine junge italienische Restauratorin, deren Wandgemälde einen Schlüssel zum Rätsel um Finn enthält.

Wim Wenders bewahrt sich das Beste bis zum Schluss auf - vorher zeigen die Bilder um die Bildersuche nicht viel Begeisterndes. Erst im finalen Zwiegespräch des sinnsuchenden Fotografen mit dem Tod (Dennis Hopper) erträgt man sogar die furchtbaren Plattitüden über Leben und Fotografie - dank Hopper. Zuvor war der uneinheitliche „Palermo Shooting“ mit dem ungeeigneten Rocksänger Campino in der Hauptrolle ziemlich tote Hose: Er spielt den frustrieren Düsseldorfer Fotografen wenig überzeuged. Was als Idee ganz reizvoll klingt, bleibt im Film zwischen Traumbildern und Stadtimpressionen ohne wirkliches Leben.

Der Mann, der niemals lebte


USA 2008 (Body of Lies) Regie: Ridley Scott mit Russell Crowe, Leonardo DiCaprio, Mark Strong 128 Min. FSK: ab 16

Heißt es eigentlich "Anti-Terrorkrieg" oder "Antiterror-Krieg"? Das hängt vom Film ab. "Syriana", "Three Kings" und andere Hollywood-Produktionen überraschten in den letzten Jahren mit einer ausgesprochen kritischen Haltung gegenüber der US-Außenpolitik, vor allem angesichts deren Kriegen gegen im Irak und in Afghanistan.

Nun stürzte sich auch Ridley Scott wieder in die Kampfhandlungen. Scott, der ehemalige Werbefilmer, der mit "Blade Runner" und anderen Kinolegenden immer wieder sehr schwache Filme vergessen lässt. Scott, der schon mit "Black Hawk Down" Abscheu eher für den Kriegsfilm als für den Krieg erzeugte.

Der Film, der niemals packte, erzählt vom CIA-Agenten Roger Ferris, der einen dieser Super-Bösewichte von Al-Qaida oder einem anderen Terroristen-Verein versucht zu finden. Zwischen Folter, Verrat und Verfolgungsjagden folgt Ferris der Spur nach Jordanien, gewinnt dort das Vertrauen des manipulativen und folternden Geheimdienst-Chefs. Bei allen Winkelzügen ist dem Nahost-Agenten allerdings sein fanatischer CIA-Vorgesetzter Ed Hoffman (Russell Crowe) voraus. Zur Entspannung und als erhöhter menschlicher Einsatz für das Finale lernt Ferris eine jordanische Krankenschwester kennen und erlebt eine Romanze unter den erschwerten Bedingungen der Gräben, die US-Politik konstant in die Welt pflügt.

Nach einer Stunde unübersichtlicher und uninteressanter Terroristen-Hatz präsentiert Ferris den raffinierten Plan, zum Schein eine eigene Terroristen-Gruppe aufzubauen, bis diese von den richtigen kontaktiert wird. Das ist unfreiwillig Satire, sind doch viele Terroristen wie Osama Bin Laden von den USA ausgebildet worden. Und auch hier werden die Bomben gerne mal vom CIA selber gezündet.

Ridley Scott inszeniert in "Der Mann, der niemals lebte" vor allem mit Bildern technischer Überlegenheit noch einmal die US-Großmannssucht, die Vision gottgleich die Welt zu kontrollieren. Immer wieder die Blicke von Drohnen oder Beobachtungssatelliten auf das Geschehen. Dabei erzählt der Film unreflektiert das Märchen einer weltweiten Bedrohung, die Bush brauchte, um an der Macht zu bleiben. Scott kann Filme hervorragend konstruieren, drehen, schneiden - und dabei den größten Mist erzählen.

Der ehemalige Werbefilmer macht nun weiter Werbung für die Angst, für eine blinde Gefolgschaft in einem "Krieg gegen den Terrorismus". Nach 90 Minuten fällt ein politischer Satz über die "intriganten Bürokraten, die tausende Kilometer entfernt Entscheidungen treffen und nicht wissen, welche Folgen das im Nahen Osten hat". Doch dann geht die Action auch gleich richtig los. Mit der Entführung von Ferris' Krankenschwester...

"Der Mann, der niemals lebte" hat nicht mal in den USA besonders viele Leute interessiert. Auf dem handwerklichen Sektor ist DiCaprio für die Bewegung zuständig, seine Mit- oder Gegenspieler bieten den jeweiligen Darstellern viel spannendere Aufgaben. Russell Crowe spielt einen Familienvater, der mal so nebenbei zwischen dem Füttern seiner Kinder und dem Pinkeln per Handy weltweit irgendeinen Terrorismus bekämpft. Scott verwirrt mit Bilderflut, die allerdings nicht mehr so rasant ist wie früher. Das Ziel ist weiterhin, dass man irgendwann das Denken aufgibt und dem Film alles oder gar nichts mehr glaubt.

11.11.08

Bloody Sunday (Wiederaufführung)


GB 2002 (Bloody Sunday) Regie: Paul Greengrass mit James Nesbitt, Allan Gildea, Gerard Crossan 107 Min.

Unter dem Namen "Bloody Sunday" ist ein Massaker an friedlichen Demonstranten 1972 in London-Derry in die Geschichte eingegangen. Regisseur Paul Greengrass ("United 93", zwei "Bourne"-Filme) rührt nach dem Kochbuch des kämpferischen Films eine Anklage gegen die Mörder in britischer Uniform an. Ein paar Personen werden stellvertretend für die Parteien, für die Gemäßigten und die Scharfmacher auf beiden Seiten vorgestellt, die IRA darf nicht fehlen.

Wie die notwendigen Stichworte bleiben auch die Figuren papiertrocken. Der protestantische Führer der Bürgerrechtsbewegung Ivan Cooper versucht, zu beruhigen. Ein jugendlicher Unruhestifter will nicht wieder ins Gefängnis. Der Belagerungs- und Kriegszustand wird anhand von Schlachtplänen deutlich. Die aufgeregte Handkamera will ganz nahe dabei sein. Das ist Schulfernsehen mit den notwendigen Schlagworten, ausgewogen und ohne Leben. Aber all diese falsche Bemühtheit kann die Wirkung des Unfassbaren nicht verhindern, wenn die furchtbare Hinrichtung durch die Soldaten unter Schreien und Weinen der Frauen stattfindet. Wie anders wirkte da doch "Im Namen des Vaters", ein alter Berlinale-Sieger von Jim Sheridan, der jetzt als Produzent mitwirkte. Und auch der gleichnamige U2-Song ist viel emotionaler. Trotzdem erhielt "Bloody Sunday" völlig unverdient den Goldenen Bären der Berlinale 2002.

Der Brief für den König


Niederlande, BRD 2008 (De brief voor de koning) Regie: Pieter Verhoeff mit Yannick van de Velde, Quinten Schram, Uwe Ochsenknecht 111 Min. FSK: ab 6

Kaum zu glauben, dass der niederländische Jugendfilm „Briefe an den König“ zu großen Teilen in Nordrhein-Westfalen gedreht wurde. Die aufwändig inszenierte Rittergeschichte sieht vor allem in den Landschaftsbildern fast aus wie das Neuseeland vom "Herrn der Ringe". Die Geschichte vom Knappen Tiuri, der sich ritterlich von einer Handlungsstation zur nächsten schlägt, fiel dagegen zu konventionell aus.

Knapp vorm Ritterschlag setzt Knappe Tiuri seine Karriere aufs Spiel, weil er einem Hilfesuchenden zur Seite steht. Der gibt ihm einen Brief und einen Ring, womit Tiuri mitten in einem großen Abenteuer ist. Denn schon verfolgen ihn die Roten Ritter. Durch Wälder und Flüsse, über Berge und Festungsmauern setzt der Junge alles daran, den Brief zum guten König zu bringen. Dabei trotzt er Räubern, falschen Freunden und überzeugt mit Edelmut.

Die Verfilmung des niederländischen Fantasy-Bestsellers kann mit dem Jungmimen Yannick van de Velde überzeugen, der anfangs zu brav wirkt aber tatsächlich die Wandlung zum aufrechten Ritter miterleben lässt. Originell beim Original ist, Uwe Ochsenknecht niederländisch synchronisiert zu hören. Für die deutschen Produktionsgelder treten auch noch Rüdiger Vogler als weiser König und Lars Rudolph als schleimiger Schurke Slupor auf. Doch wenn die Längen der zu gestreckten Handlung auf die Details blicken lassen, auf ein paar kaum bevölkerte Burgkulissen, fällt auf wie spärlich die Massenszenen ausfielen. Dafür sind die Landschaftsaufnahmen umso eindrucksvoller.

Zufällig verheiratet


GB 2008 (The Accidental Husband) Regie: Griffin Dunne mit Uma Thurman, Colin Firth, Jeffrey Dean Morgan 90 Min. FSK: o.A.

Sie ist jung, schön und weiß nicht was sie will. Oder doch: Einen Mann, der in ihren Plan passt. Und den hat die erfolgreiche Radiomoderatorin Dr. Emma Lloyd (Uma Thurman) in ihrem Verlobten und Verleger Richard (Colin Firth). Selbstsicher berät sie ihre Hörerinnen wie gute Freundinnen: Sie sollen sich ihre Männer gut und lange ansehen. Liebe, Leidenschaft, Romantik und all der Kram sei vergänglich. Einen beständigen, reifen, stabilen Mann, so einen könne man heiraten. Meint sie. Bis ein New Yorker Feuerwehrmann daherkommt, bei dem nicht nur die Küsse stimmen.

Den Rat, auf Beständigkeit zu achten, gibt Dr. Emma auch der Verlobten von Patrick (Jeffrey Dean Morgan), die daraufhin die Hochzeit absagt. Denn der Feuerwehrmann ist impulsiv, unberechenbar, immer für eine Überraschung gut. Also angeblich kein Heiratsmaterial. Patrick ist geknickt und sauer. Deshalb sorgt ein befreundeter Computerspezialist dafür, dass Dr. Emma Lloyd laut ihren frisch gehackten Daten bereits verheiratet ist - und das auch noch mit Patrick. Das Ganze kommt auf dem Höhepunkt der Hochzeitsvorbereitungen raus und sorgt für das nötige Chaos. Emma will die Sache schnell aufklären, lässt sich in Patricks Stammkneipe auf ein Saufduell ein und wacht in Patricks Bett auf. Ohne zu wissen, was geschehen ist.

Man konnte sie als zu selbstsichere Besserwisserin nicht mögen, diese Dr. Emma Lloyd. Und so ist es ab jetzt halbwegs reizvoll, wie sie die Fassung verliert. Uma Thurman ("Kill Bill") traut sich als Produzentin und Hauptdarstellerin eine entscheidende Rolle im Komödienfach zu und ist vor allem damit hoffnungslos überfordert. Die Dialoge wollen spritzig sein, zünden aber nicht immer. Völlig peinlich wird die Synchronisation, wenn mitten in New York aufgesetzt und falsch über Podolski und Bayern München geredet wird. Erstens wird wohl kein Feuerwehrmann in New York irgendwas für "Soccer" übrig haben und ein junger Bankdrücker mit Sprachstörung ist längst kein internationaler Star wie Beckham. Damit ist der Preis für die dämlichste Synchronisation des Jahres vergeben.

Doch "Zufällig verheiratet" ist eine Romantische Komödie und hat auf diesem Terrain noch genügend zu bieten. Jeffrey Dean Morgan, der Darsteller des Patrick, kommt natürlich ungehobelt daher, hat etwas Sexappeal von Javier Bardem im Blick und ist ein Volltreffer der Besetzungsliste. Auch wenn die Handlung extrem vorhersehbar bleibt, die witzlosen Auftritte von Sam Shepard und Isabella Rossellini eine Verschwendung von Talent darstellen, funktioniert der Film wunderbar, wenn der Feuerwehrmann nicht nur den Schlüssel zum Herzen sondern auch für den Aufzug und einen extra langen Kuss hat.

So viele Jahre liebe ich dich


Fr 2007 (Il y a longtemps que je t'aime) Regie: Philippe Claudel mit Kristin Scott Thomas, Elsa Zylberstein Frédéric Pierrot, Serge Hazanavicius 115 Min.

Ihr verschlossener Blick macht gleich bei der Ankunft klar, dass die Strafe jetzt erst beginnt. Juliette (Kristin Scott Thomas, die "englische Patientin") wird von ihrer jüngeren Schwester am Bahnhof von Nancy abgeholt und aufgenommen. Müde, verstört, irritiert begeht und befühlt sie das Haus von Lea (Elsa Zylberstein) und deren Familie. Es ist eine echte "Benetton"-Familie, so nennen die Franzosen Patchwork-Familien: Zusammen mit ihrem Mann Luc hat Lea zwei vietnamesische Mädchen adoptiert. Die stellen prompt und frech die ehrlichen Fragen: "Warum haben wir 'Tata' noch nicht gesehen?" Sie war auf einer Reise, einer langen Reise. "Wie lange wird sie bleiben?" Darauf nur Juliettes stilles, nachdenkliches Gesicht. Sie muss sich einmal pro Woche bei der Polizei melden. Skurrile Momente mit einem sympathisch zerstreuten Offizier. In den 15 Jahren der Haft hatte Lea ihre Schwester nicht besucht, ihr nie Briefe geschrieben. Die Eltern verboten es, sagten Juliette lebe nicht mehr...

Nun arbeitet Lea ihr schlechtes Gewissen ab, obwohl ihr Mann Juliette nicht im Haus haben will. Doch der Gast gibt der Familie viel, kümmert sich um Leas stummen Schwiegervater, die kleinen Mädchen scharen sich um sie. Die ruppigen Umgehensweisen, die kantige Mimik der Entlassenen werden weicher. Ihre farblose Kleidung, das Büßergewand, wird von lebendigeren Stoffen abgelöst. Die Schwestern reden viel miteinander. Nur über den Grund der Haft sprechen sie nie. Sie haben nur noch sich. Der Vater ist mittlerweile an Krebs gestorben, die Mutter lebt dement im Altenheim. Erinnerung ist immer ein Thema und Juliette meint, "Manchmal ist es besser, nicht zu wissen."

Unaufdringlich gelingen dem stillen Meisterwerk Bilder, die tiefe Gefühlswelten widerspiegeln. Die zurückhaltende Musik mit ihren E-Gitarren-Improvisionen lässt lange auf sich warten. Alle Zeit bleibt den Emotionen auf dem Gesicht der Kristin Scott Thomas. Sie spielt zweisprachig mit sehr gutem Französisch eine zweisprachige Frau. Mit sehr ruhiger Intensität öffnet sich ihre Juliette. Scheinbar passiert nicht viel, doch der einfühlsame Film bleibt enorm spannend. Nicht wegen des Wartens auf einen Rückfall, eine Katastrophe. Der Film bleibt seiner Hauptfigur treu auf dem langen Weg in ein Leben außerhalb des Gefängnisses und in der Schuld. In diesem ruhigen Umfeld kann ein einfaches Danke unter Schwestern enorm rührend sein.

Das Finale ist eines ganz anderer Art. Auf dem Weg dahin wird einem noch etwas "Schuld und Sühne" von Dostojewski mitgegeben. Doch nach einer erschütternde Erkenntnis bleibt das Ende offen: "Wie kann man darüber urteilen?"

1968 Tunnel Rats


BRD, Kanada 2008 (1968 Tunnel Rats) Regie: Uwe Boll mit Erik Eidem, Nate Parker, Brandon Fobbs 96 Min., FSK: ab 16

Ein blindwütiges Huhn findet auch mal einen grobkörnigen Genrefilm, den man sich ansehen kann ... nur mit dieser Hoffnung kann man noch in Filme von Dr. Uwe Boll gehen. Uwe Boll, der vielleicht nicht unbedingt der schlechteste Regisseur aller Zeiten ist, aber von den ganz Schlechten ist er der Beständigste! Boll haut momentan im Jahr mehrere Action-Machwerke raus und in jedem davon Hunderte von Schurken um. Immer billig, aber das mal mit fast keinem Geld und mal mit erschreckend vielen Millionen („Schwerter des Königs - Dungeon Siege“). Anfang der Neuziger nahm man den energischen Ausdruck von „Ich will auch Filme machen“ noch mit gewissen Sympathien war: „German Fried Movie“, „Barschel - Mord in Genf?“ und „Das erste Semester“ waren aber nur der Beginn eines filmischen „Amoklauf“s.

Für "1968 Tunnel Rats" verfilmte er ausnahmsweise kein Videospiel, sondern beschäftigt sich - wohl ganz ernsthaft gemeint - mit dem Abschlachten während des Vietnamkrieges: Irgendwo im noch nicht entlaubten Urwald hocken amerikanische Soldaten und warten auf ihren Einsatz. Unter ihnen buddeln sich die vietnamesischen Widerstandskämpfer durch ihr legendäres Tunnelsystem, das einst das ganze Land verband. Lange Zeit ist dann die Musik das Dramatischste im Film während endloses Gerede der Soldaten unpassend wie aus anderen Filmen geklaut wirkt. Lahme Laberitis statt Klaustrophobie. Dazu wird immer mal wieder etwas unheimlich durchs Laub geschwenkt und gezeigt, wie viele tolle Requisiten man besorgt hat.
Spät geht es endlich mit den Figuren in das Tunnelsystem auf mehreren Ebenen. Die US-Soldaten werden schnell dezimiert, ein raffiniertes Versteckspiel beherrscht diese realistische Variante von Horror. Zum Irren im Dunkeln gibt es etwas Metzgerei im Stile von "Saw" und keine Gnade für Figuren oder Publikum.
Ein paar Wochen nach der treffenden und zynischen Vietnamfilm-Parodie "Tropical Thunder" bietet Boll nur ein billiges Kriegsfilmchen mit sehr unbekannten Darstellern. "Tunnel Rats" sagt "Ich kann das auch, was die großen Jungs können." Dazu entzündet man ein kleines Abschiedsfeuerwerk im Stile von "Apocalypse Now". Nachher wird kaum jemand Abscheu vor Kriegsfilmen oder vor dem Krieg haben. Das finale und hoffnungslose gemeinsame Buddeln einer geschundenen Vietnamesin und eines US-Soldaten wirkt als Völkerverständigung nur lächerlich.

10.11.08

Delicatessen (Wiederaufführung)


Frankreich 1990 (Delicatessen) , Regie: Jean-Pierre Jeunet, Marc Caro mit Marie-Laure Dougnac, Karin Viard, Dominique Pinon, Jean-Claude Dreyfus 99 Min., FSK: ab 16

Der Kino-Leckerbissen des Jahres 1900 war eindeutig "Delikatessen". Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro, zwei französische Comiczeichner schufen mit einem heruntergekommenen Mietshaus und deren skurrilen Einwohnern dieses ebenso witzige wie poetische Meisterwerk. In der düster-bizarren Zukunftswelt sind Körner die Währung und Fleisch ist Mangelware. So lädt sich die verschworene Hausgemeinschaft immer mal wieder einen neuen Mieter zum Essen ein. Aber in Notzeiten wird auch die Großmutter verspeist. Das geregelte Leben der Bewohner mit den wunderbaren Spleens ändert sich, als die Tochter des Metzgers ihr Herz an das nächste Opfer, einen Zirkusclown, verliert. Alle Figuren sind herrlich übertrieben, die Kamera tut das ihrige zur Verzeichnung hinzu. Farben und Bauten passen perfekt zur Stimmung und die Montage schafft einen Rhythmus, der von der quietschenden Bettfeder ausgehend, das ganze verrückte Haus mitschwingen lässt.

33 Szenen aus dem Leben


BRD, Polen 2008 (33 Sceny z zycia) Regie: Malgosia Szumowska mit Julia Jentsch, Peter Gantzler, Andrzej Hudziak 96 Min.

Die 33 Gesichter der Julia Jentsch

Die Künstlerin Julia (Julia Jentsch) steht vor einer Collage aus Einzelszenen. Einige Meter breit ist das Wandbild. Eindrucksvoll und neugierig machend. Ein schönes Bild für dieses eindrucksvolle, starke und tief berührende Drama, das aus angeblich 33 Szenen bestehen soll.

Ein abendliches Fest in der großen, polnischen Künstler-Familie steht am Anfang. Man lacht, nimmt sich laut auf den Arm und fühlt sich sichtbar wohl in dieser schönen Gemeinschaft. Doch beim mehrfachen Abschied klingt schon eine Erkrankung bei Julias Mutter an. Julia rennt dem Auto ihres Mannes hinterher, im Blick die Verständnislosigkeit eines Kindes, das die Trauer nicht mit dem Gedanken baldigen Wiedersehens überspielen kann.

Dann beginnt das Schicksal grausam mit Julia zu spielen. Die Mutter erkrankt an Krebs. Zusammen mit Vater und Schwester verausgabt sich die Künstlerin bei der Pflege. Erschöpfender als das nächtelange Wachen am Krankenbett ist die Anstrengung, immer weiter Hoffnung und gute Laune zu an den Tag zu legen. Schon hier zeigt sich, dass Melodramatisches den „33 Szenen“ sehr fern liegt. Unnachahmlich balanciert die Polin Malgosia Szumowska Tragik und Humor. Kleinste Details funktionieren wunderbar im Fluss der Emotionen. Ein perfekter Aufbau, der besten Komödien zugrunde liegt, dient hier einem Mitfühlen und Miterleben, wie man es so unaufdringlich und einfühlsam selten im Kino erlebt. Wenn die sehr eigenwillige Tür des Aufzuges im Krankenhaus anfangs für kleine Lacher sorgt, schafft es diese Beiläufigkeit später, Tränen hervorzurufen.

Im weiteren Verlauf der Handlung erlebt man den Tod von Julias Vaters, das Ende ihrer Künstlerkarriere und die Trennung von ihrem Mann. Und weiterhin keine Spur von „zuviel“, weiterhin stimmt jeder Ton, jede emotionale Note. Es ist grausam und verständlich, dass ein schwacher Ehemann, der selten da ist und oft das Falsche sagt, in Frage gestellt wird. Ebenso dass Julia bei diesen heftigen Attacken des Schicksals Halt und Schutz sucht, somit ein Freund und Künstlerkollege in den Fokus rückt. Zwar sagt dieser ziemlich oft "Ich weiß nicht", aber er ist mit seiner unerschütterlichen Ruhe immer da. So sind die „33 Szenen“ Familien- und Krankengeschichte, ein Beziehungsdrama, die Geschichte des Erwachsenwerdens einer Frau und ein wunderschönes Porträt dieser.

Julia Jentsch gibt sehr beeindruckend und in schönen mimischen Nuancen die Julia. Die „33 Szenen aus dem Leben“ der Malgosia Szumowska („Leben in mir“) haben teilweise autobiographischen Hintergrund für die Regisseurin und Autorin, die in einem Jahr hintereinander beide Eltern verlor. Bei der Geburt ihres Kindes macht sie sich grundlegende Gedanken über das Leben an sich. Das Ergebnis ist dieser außerordentliche Film, der ideell und finanziell von der Filmstiftung NRW gefördert wurde. In Locarno ging sehr verdient der Spezialpreis der Jury für den zweitbesten Film an die favorisierten "33 Szenen aus dem Leben".

4.11.08

Der große Japaner - Dainipponjin (DVD)


Rapid Eye Movies

Regie: Hitoshi Matsumoto

Ein seltsamer Typ mit langen Haaren und Halstuch wird im Bus zu den Vorzügen seines Regenschirms interviewt. Später sitzt Daisato wie ein Sozialfall in seiner unordentlichen Wohnung, dauernd fliegen Steine ins Fenster. Hinter der Fassade des Sonderlings steckt ein ungeliebter Superheld, der mit seinem Roller zum Einsatz fährt. Erst nach 20 Minuten wächst die Kauz dank heftigster Stromstösse zum haushohen Giganten, dann geht es gegen das Schlingenmonster, das Springmonster und andere kuriose Gestalten. Die gigantischen Kämpfe wirken zeitweise so als ob ein alter japanischer Godzilla-Film eine ganze Monty Python-Truppe verschluckt hat. Da wird die Riesen-Unterhose endlich mal vor (!) der Verwandlung aufgespannt. Eine unglaubliche Lachnummer mit persönlichem Touch, denn das Publikum ist von Daisato gar nicht mehr begeistert, die kleine Tochter völlig entfremdet. Zwischen den Gesprächen mit der Managerin über Werbe-Tattoos verschwindet Daisatos Vater aus dem Alterheim und selber zum dementen Superiesen.
Die seltsame Komödie vom japanischen Star Hitoshi Matsumoto wird von einer sehr informativen und kenntnisreichen Kommentarspur begleitet.

Camarón - Als Flamenco Legende wurde DVD


Spanien 2005

Er gilt als einer der größten Flamenco-Musiker aller Zeiten, eine Legende und ein Erneuerer, der bis heute Bands wie "Estopa" begeistert ("Como Camerón"): Camarón de la Isla wurde in eine Familie aus Flamencomusikern hineingeboren, sein Talent beeindruckt alle und in den späten 60ern kommt Camarón mit Paco de Lucia zusammen.
Die schwierige Karriere des eigenwilligen und drogensüchtigen Menschen zeigt der renommierte Regisseur Jaime Chavarri in elegant eingebauten Rückblenden eines todkranken Mannes: Schon der erste Auftritt mit "Soy Gitano" (Ich bin Zigeuner) beim Einzug in die Stadt ist so ein Gänsehaut-Moment, von dem es noch viele geben wird. Die Kindheit in Armut, das lustvolle aber lieblose Leben mit einer reichen Förderin, schließlich Entzug und Lungenkrankheit bis zum zu frühen Tod 1992. Mitreißende und geniale Flamenco-Variationen, gute Darsteller und eine hervorragende Inszenierung machen dieses Porträt sehenswert.

3.11.08

James Bond 007: Ein Quantum Trost


Großbritannien 2008 (Quantum of Solace) Regie: Marc Forster mit Daniel Craig, Olga Kurylenko, Mathieu Amalric 120 Min. FSK: ab 12

Soviel vorweg: Man kann Bond weiterhin wieder ernst nehmen. Auch wenn sich erste Wiederholungen einschleichen, ist der Geheimagent in seinem 22. Kinoauftrag und in dieser Fortsetzung von "Casino Royale" erneut nicht nur eine gehetzte, sondern auch getriebene Figur mit spannenden psychologischen Abgründen. Zwischen Verführer und Frauen-Versteher ein brutaler Rächer, ein berechnender Kämpfer. Und er sieht immer noch ebenso gut aus wie der beeindruckende, extrem schnelle Bildersturm vom Schweizer Regisseur Marc Forster ("Drachenläufer").

Neu bei diesem kantigeren und körperlicherem Bond ist vor allem, dass nun ein "Was bisher geschah" nötig ist: Vor allem die Rache am Mörder seiner Liebe Vesper treibt ihn durch den zweiten Film mit dem so ganz anderen Bond-Darsteller Daniel Craig. Und die Frage, ob Vesper für ihn starb oder ihn verriet. Da wird es nebensächlich, dass nicht die Welt sondern nur die Wasserversorgung in Bolivien und wegen des nach Lateinamerika transferierten Domino-Effektes die Stabilität der Region gefährdet ist. Dass die Gefühlslage des knallharten Agenten mit dem weichen Kern durcheinander geriet, ist das einzig Klare in dieser Geschichte. Ansonsten sind die Zusammenhänge in der feindlichen Organisation Quantum unübersichtlich wie die zwar brillant gefilmten, aber verwirrend rasant geschnittenen Action-Szenen. Dominic Greene, genial gefährlich von Mathieu Amalric ("Schmetterling und Taucherglocke") gespielt, gibt sich als Umweltschützer aus, stürzt aber reihenweise Regime und sichert sich die Wasserreserven ganzer Regionen. Dabei machen alle großen Regierungen bereitwillig mit. Einem wieder auf eigene Faust kämpfenden Bond behilflich ist Greenes Geliebte Camille (Olga Kurylenko), die ihren persönlichen Racheplan verfolgt.

Auch wenn 007 noch nicht weiß, wie dieser Drink mit Gin eigentlich heißt, sind rasante Renner- und Schießereien zu Wasser, zu Lande und in der Luft als Spiel ohne Ländergrenzen Standard. Der Bond-Klassiker "Goldfinger" wird mit einer weiteren Frauenleiche zitiert, aber wichtiger ist, dass Bond sein Herz für die findet, die er sonst immer nur vernascht. Passend dazu die mal mütterliche, mal kumpelhafte Beziehung zu seinem Boss M (Julie Dench). Eine weitere Beziehungsgeschichte, bei der sich alles um Vertrauen dreht. Vertrauen und Trost - das bewegt "Ein Quantum Trost", wenn man die teilweise wieder standardisierten Action-Elemente weg denkt, die Forster mit faszinierenden Parallelmontagen veredelt, etwa mit einer Bregenzer Tosca-Aufführung. Dieser Bond bleibt in seinem Rasen, Wüten, Rennen und Schießen körperlicher als es der Smoking-Träger Pierce Brosnan war. Die erste Verfolgungsjagd zu Fuß über die Balkone und Dächer von Siena entspricht der Eröffnung von "Casino Royal". Ein raffinierter Seiltrick, ein Zirkusakt mit tödlichen Folgen, hat vielleicht die Virtuosität asiatischer Kampffilme. Wenn man es denn nur erkennen und genießen könnte. Immer wieder sind die Schnitte sehr rasant. Man verpasst sogar nicht unwichtige Details, etwas ob M jetzt getroffen wurde oder fliehen konnte. Das ist nicht so überwältigend wie bei der "Bourne-Trilogie" und irgendwie schade, denn Forsters Bilder und die Psychologie der Figuren haben eigentlich mehr zu bieten. Vor allem aber ein Schmerz für den es vorerst keinen Trost gibt - da muss erst Bond Nr. 23 kommen.

Waltz with Bashir


Israel, Frankreich, BRD 2008 (Vals im Bashir) Regie: Ari Folman mit Ron Ben-Yishai, Ronny Dayag, Ari Folman 87 Min.

Ein Zeichentrickfilm als Dokumentation? Das erscheint dem nüchternen Verstand als Unmöglichkeit oder als Scherz im Abspann eines Pixar-Zeichentrickfilms. Doch in „Waltz with Bashir“ zeigt sich in dunklen Zeichnungen ein Grauen aus den Kriegen im Libanon, das  wohlmöglich in dieser Kunstform erträglicher daherkommt. Auf jeden Fall verstecken die Täter und Zeugen des Massakers in den Palästinenser-Lagern Sabrah und Shatila ihre Aussagen hinter den Farbschichten. Eine Methode, die sicherlich nicht zufällig auch bei der israelischen Dokumentation „Z32“ angewandt wird.

Ein ehemaliger israelischer Soldat sucht seine Erinnerung an einen Kriegseinsatz, der zwanzig Jahre zurück liegt. Das war die Situation des Autors, Regisseurs und Produzenten Ari Folman. Und das ist auch die Situation einer Figur in seinem autobiographischen Film „Waltz with Bashir“. Mit den Träumen von jagenden Bluthunden und Soldaten, die im Wasser treiben, wendet sich ein Soldat darin an seinen Freund Ari. Zusammen suchen sie nach dem Ursprung der surrealen Bilder. Grundlage des Traumas sind die verdrängten Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Jahre 1982. Mit Unterstützung der israelischen Armee unter der Führung des späteren Premierministers Sharon wurden am Rande der libanesischen Metropole Beirut 3000 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder von christlichen Falangisten ermordet. Die Aufgabe der Soldaten bestand darin, die Wehrlosen nicht fliehen zu lassen und ansonsten wegzuschauen. In einer gewagten Aussage des Psychologen von Ari, dem Ari im Film, wird ein häufig und heftig bekämpfter Bezug zum Holocaust gelegt: Die israelischen Soldaten würden einen blinden Fleck in ihrer Erinnerung haben, weil sie es nicht ertragen, dass ihr eigenes Verhalten dem der deutschen SS in Auschwitz zu ähnlich sei.

Der irre Drive des Films und der gezeigten Umstände entsteht durch die quer zu den Bildern laufenden, zeitgenössischen Popsongs, die ausgelassene westliche Lebensstimmung der frühen Achtziger und dazu die brutalen Kriegsbilder. Ein aberwitziger Mix, der die Absurdität des Krieges erschreckend deutlich macht.

„Waltz with Bashir“ basiert auf realen Interviews mit realen Kameraden des Regisseurs und kommt doch als Widersprüchlichkeit einer „animierten Dokumentation“ daher. Die Zeichnungen wirken auf den ersten Blick kantig und rau, fast holzschnittartig. Doch trotz des ungewöhnlichen Stiles und der ästhetischen Merkwürdigkeiten erschüttert „Waltz with Bashir“ tief. Am stärksten allerdings, als am Ende die Animation für Realbilder der Opfer und ihrer klagenden Angehörigen Platz macht.