7.10.08

Le silence de Lorna - Lornas Schweigen


Belgien, Frankreich, Italien, BRD 2008 (La silence de Lorna) Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne mit Arta Dobroshi, Jérémie Renier, Fabrizio Rongione 105 Min.

Die junge Albanerin Lorna geht eine Scheinehe mit einem Belgier ein, um einen Pass zu erhalten. Schrecklich. So was mitten in Europa. Das arme Opfer .... ist in diesem Fall erst einmal der belgische Junkie Claudy. Schon mit den ersten Auftritten seiner Hauptfigur Lorna macht dieser Film klar, dass er nicht die übliche Leidensgeschichte erzählt. Lorna ist eine energische Frau, die ganz genau weiß, was sie will. Sie braucht es nicht zu sagen, ihr Gang durch die Straßen von Lüttich reicht.

Dabei wirkt Lorna wie die große Schwester von „Rosetta“: Mit der erschütternden Geschichte eines Mädchens, das mit der alkoholkranken Mutter auf dem Campingplatz leben muss und das sich verzweifelt an einen Job klammert, der sie vor der Verelendung schützt, begann für die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne der internationale Erfolg. Lorna hat im Gegensatz zu Rosetta allerdings Geld, viel Geld. Sie spart für eine eigene Existenz in Form der Imbissbude, die sie mit ihrem Freund aufmachen will. Der nächste Schritt im Plan professioneller Hochzeitsschwindler ist Lornas Hochzeit mit einem reichen Russen. Dafür muss der erste Ehemann weg. Kein Problem - wer fragt bei einem weiteren toten Fixer schon, ob er sich die Überdosis wirklich selber gesetzt hat?

Doch Lornas Härte gegenüber dem erbärmlichen Abhängigen Claudy bekommt Risse. Sie überredet ihn zu einer Entziehungskur, kümmert sich und freut sich wunderschön an seiner Genesung, an seinem Aufblühen. Bis - nach einem atemberaubend mutigen Schnitt - sie seine Klamotten wegschmeißt. Die Auftraggeber wollten kein Risiko eingehen ...

Während das Sozialdrama nicht stattfindet - Lorna findet ein Ladenlokal und hat genug Geld - schlägt das moralische umso heftiger zu: Die Schuld zernagt die scheinbar knallharte Frau, eine seltsame Scheinschwangerschaft lässt sie sich nicht ausreden. Nun ist sie auch für die skrupellosen Heiratvermittler nicht mehr zu gebrauchen, aber wieder läuft die Geschichte den Erwartungen davon: Statt mit einem tragischen Finale endet das neuerliche Meisterwerk der Dardennes märchen- und rätselhaft.

Die Lütticher Brüder Dardenne wurden in Cannes mit dem Drehbuchpreise für „La Silence de Lorna“ ausgezeichnet, nachdem sie bereits für „Rosetta“ und „L’Enfant“ die Goldene Palme erhielten. Ihr Stil ist immer noch, sehr nahe an den Figuren zu bleiben. Statt im Lütticher Vorort Seraing gingen sie nun in die Stadt selbst, um die Vereinzelung Lornas noch deutlicher zu machen. Mit ihrer eigenen Entdeckung, der Hauptdarstellerin Arta Dobroshi gelang ihnen ein großer Griff. Jérémie Renier, der im Vorgänger „L’Enfant“ sein eigenes Kind verkaufte, gibt hier den Junkie Claudy.

Grandios ist „Lorna“ nicht nur, weil er auf ganz eigene Art ergreift und berührt. Nicht wegen des exzellenten Spiels. Eindrucksvoll und nachwirkend ist, wie die Dardennes ihrem Stil treu bleiben und ihre Erzählweise so ungewöhnlich weiter entwickeln, dass das Drama lange nachhallt und trotz seines scheinbar einfachen Aufbaus sehr nachdenklich macht.