28.10.08

Willkommen bei den Sch'tis


Frankreich 2008 (Bienvenue chez les Ch'tis) Regie: Dany Boon mit Kad Merad, Dany Boon, Zoé Félix 106 Min. FSK: o.A.

Der Superhit aus Frankreich! Erfolgreichster Film aller Republiken und knalligste Komödie überhaupt! Soll uns das abschrecken oder neugierig machen? Den deutschen Hit "7 Zwerge" würde man ja auch nicht uneingeschränkt empfehlen. Die "Sch'tis" kann man zwar ins Herz schließen, aber weshalb sich die Franzosen dabei derartig ablachen, bleibt ein Geheimnis. Vielleicht ein Geheimnis der deutschen Zwangs-Synchronisierung ...

Auf jeden Fall vermittelt diese Komödie viel von französischen Klischees: Als der Postbeamte Philippe Abrams (Kad Merad) nach einer herrlich dämlichen Aktion statt in einem Zustellbezirk am Mittelmeer in den Norden versetzt wird, fragt er entsetzt: "Der Norden? Doch nicht etwas Paris?" Die Nuancen unbewohnbarer Gegenden sind sehr fein, aber Bergues in der Region Nord-Pas-de-Calais? Das ist undenkbar. Das ist nicht knapp vor Belgien, das ist weit hinter Sibirien! Dementsprechend packt ihn seine Frau in einen Parker und auf der Autobahn verstehen die Polizisten Philippes Schleichtempo. Niemand will nach Bergues!

Nach einer turbulenten ersten Nacht, die der neue Post-Boss bei einem Angstellten verbringt, versteht Philippe erst einmal gar nichts: Der Dialekt der Sch'tis ischt schiemlich unverschtändlisch und voller Schischlaute. Selbst die Untertitel bei Originalversionen müssen dabei irgendwann aufgeben und schreiben: Unübersetzbar! So geht ein Teil des Witzes bei nicht Frankophonen verloren. Doch es ist klar, dass die Nordmenschen gar nicht so barbarisch sondern ziemlich herzlich sind. So vergisst der Chef nach ein paar Wochen sogar fast, am Wochenende nach Hause zu fahren. Dort im Süden hält er die Mär vom furchtbaren Leben unter der Frostgrenze aufrecht. Grandios wird die Albernheit als seine immer liebenswertere Frau Julie dann doch in den Norden kommt und er den Kumpels gestehen muss, was er zuhause erzählt hat. Die sind erst beleidigt und spielen dann gewaltig Theater mit allen platten Klischees, die man so erwartet. Selbst ein paar verlassene Häuser werden zur Elendssiedlung für Julie aufgemöbelt.

Die Erfolgsklamotte spart sich nicht Schenkelklopfer wie eine Posttour, die zur Zechtour wird, weil der ungeübte Boss schon nach dem ersten Kaffee mit Genever nicht mehr geradeaus fahren kann. Doch vor allem mit seinen sympathischen Figuren punktet der Film und löste sogar einen Touristenboom im echten Bergues aus. Allen voran trumpft Ko-Star und Regisseur Dany Boon als unglücklich verliebter Antoine auf. Ihm gehört auch der romantische Höhepunkt, wenn Schti’ve Wonders "I just called to say I love you“ als Glockenspiel erklingt.

James Bond 007 Ein Quantum Trost


Großbritannien 2008 (Quantum of Solace) Regie: Marc Forster mit Daniel Craig, Olga Kurylenko, Mathieu Amalric 120 Min. FSK: ab 12

Auch wenn sich erste Wiederholungen einschleichen, ist der Geheimagent in seinem 22. Kinoauftrag und in dieser Fortsetzung von "Casino Royale" erneut nicht nur eine gehetzte, sondern auch getriebene Figur mit spannenden psychologischen Abgründen. Zwischen Verführer und Frauen-Versteher ein brutaler Rächer, ein berechnender Kämpfer. Und er sieht immer noch ebenso gut aus wie der beeindruckende, extrem schnelle Bildersturm vom Schweizer Regisseur Marc Forster ("Drachenläufer").

Neu bei diesem kantigeren und körperlicherem Bond ist vor allem, dass nun ein "Was bisher geschah" nötig ist: Vor allem die Rache am Mörder seiner Liebe Vesper treibt ihn durch den zweiten Film mit dem so ganz anderen Bond-Darsteller Daniel Craig. Da wird es nebensächlich, dass nicht die Welt sondern nur die Wasserversorgung in Bolivien und wegen des nach Lateinamerika transferierten Domino-Effektes die Stabilität der Region gefährdet ist. Dass die Gefühlslage des knallharten Agenten mit dem weichen Kern durcheinander geriet, ist das einzig Klare in dieser Geschichte. Ansonsten sind die Zusammenhänge in der feindlichen Organisation Quantum unübersichtlich wie die zwar brillant gefilmten, aber verwirrend rasant geschnittenen Action-Szenen. Dominic Greene, genial gefährlich von Mathieu Amalric ("Schmetterling und Taucherglocke") gespielt, gibt sich als Umweltschützer aus, stürzt aber reihenweise Regime und sichert sich die Wasserreserven ganzer Regionen. Dabei machen alle großen Regierungen bereitwillig mit. Einem wieder auf eigene Faust kämpfenden Bond behilflich ist Greenes Geliebte Camille (Olga Kurylenko), die ihren persönlichen Racheplan verfolgt.

Auch wenn 007 noch nicht weiß, wie dieser Drink mit Gin eigentlich heißt, sind rasante Renner- und Schießereien zu Wasser, zu Lande und in der Luft als Spiel ohne Ländergrenzen Standard. Der Bond-Klassiker "Goldfinger" wird mit einer weiteren Frauenleiche zitiert, aber wichtiger ist, dass Bond sein Herz für die findet, die er sonst immer nur vernascht. Passend dazu die mal mütterliche, mal kumpelhafte Beziehung zu seinem Boss M (Julie Dench). Eine weitere Beziehungsgeschichte, bei der sich alles um Vertrauen dreht. Vertrauen und Trost - das bewegt "Ein Quantum Trost", wenn man die teilweise wieder standardisierten Action-Elemente weg denkt, die Forster mit faszinierenden Parallelmontagen veredelt, etwa mit einer Bregenzer Tosca-Aufführung. Dieser Bond bleibt in seinem Rasen, Wüten, Rennen und Schießen körperlicher als es der Smoking-Träger Pierce Brosnan war. Die erste Verfolgungsjagd zu Fuß über die Balkone und Dächer von Siena entspricht der Eröffnung von "Casino Royal". Ein raffinierter Seiltrick, ein Zirkusakt mit tödlichen Folgen, hat vielleicht die Virtuosität asiatischer Kampffilme. Wenn man es denn nur erkennen und genießen könnte. Immer wieder sind die Schnitte sehr rasant. Man verpasst sogar nicht unwichtige Details, etwas ob M jetzt getroffen wurde oder fliehen konnte. Das ist nicht so überwältigend wie bei der "Bourne-Trilogie" und irgendwie schade, denn Forsters Bilder und die Psychologie der Figuren haben eigentlich mehr zu bieten. Vor allem aber ein Schmerz für den es vorerst keinen Trost gibt - da muss erst Bond Nr. 23 kommen.

Mirrors


USA 2008 (Mirrors) Regie: Alexandre Aja mit Kiefer Sutherland, Paula Patton, Cameron Boyce 111 Min. FSK: k.J.

Spieglein, Spieglein an der Wand ... ihr wart im Märchen ein schönes Motiv für Eitelkeit und vergängliche Schönheit. Beim Horror dann gerne die Einfallpforte für das Reich des Bösen. Schon Märchen konnten dabei grausam sein, aber diese "Mirrors", dieser teilweise raffiniert verspiegelte Horror überschreitet Grenzen in den Bereich des nicht mehr Jugendfreien. Unnötig und zum Finale hin lässt die Brutalität um den Helden Kiefer Sutherland sowieso nach. Die Ideen gehen dabei leider auch aus...

Der "Teaser" vor dem Vorspann macht wie ein brillanter Kurz-Horror alles klar: Panisch hetzt ein Wachmann durch die Gänge einer U-Bahn. Wovor er flieht, sieht man auf den ersten Blick nicht. In einer Umkleidekabine verspricht ein Fenster den Ausweg, doch Gitter versperren ihn. Jetzt knarren die Spindtüren und der Gegner zeigt sich. Oder genauer: Der Gegner zeigt dem Wachmann sein Ebenbild in vielen kleinen Spiegeln. Der durchlebt Todesängste, bettelt die Glanzflächen an, entschuldigt sich, poliert sie devot. Doch die Wut des Glases zeigt sich in knisternden Rissen, eine dolchartige Scherbe fällt zu Boden. Als das Spiegelbild des Wachmannes sie ergreift und sich an den Hals setzt, muss das reale Opfer die Taten seines Abbildes erleben. Das Publikum auch, denn jetzt wird der Horror kopflos in seinen Mitteln, übertreibt maßlos bis absurd in drastischer Darstellung.

Wer nach diesem Auftakt mehr möchte, darf nun etwas ruhiger Kiefer Sutherland (Jack aus "24") als den am Boden zerstörten Ex-Cop Ben Carson erleben. Dass er im Dienst jemanden umbrachte, konnte er nicht verarbeiten, nur mit Alkohol runterspülen. Deshalb trennte sich seine Frau von ihm und nahm die Kinder mit. Jetzt tritt Ben in den Ruinen des abgebrannten New Yorker Luxus-Kaufhauses Mayflower einen Job als Nachtwächter an und begegnet schnell riesigen Spiegeln, die unerklärliche Dinge zeigen. Unerschrocken geht der ehemalige Polizist den schrecklichen Widerspiegelungen nach. Mit der Folge, dass jeder glaubt, er sei betrunken oder zu heftig medikamentiert. Ben muss sich nun im Gegenreich und bei seiner bedrohten Familie beweisen.

"Mirrors" ist ein Remake des koreanischen Horrors "Into the Mirror" (2003), man weiß ja mittlerweile, dass asiatischer Schrecken noch wirklich erschrecken kann. Zwar "hübschste" der Franzose Alexandre Aja ("The Hills Have Eyes") diesen Schocker auf, doch irgendwer hat auch mit Begeisterung Lars von Triers "Geister" gesehen. Bis auf einzelne Bildelemente ähnelt die Auflösung um grauenvolle medizinische Experimente in einem nun vergrabenen Krankenhaus der genialen TV-Serie des Dänen. Nur dass der seiner Geschichte so vertraute, dass er das Grauen sogar in komische Soap-Elemente verpacken konnte. Die Produzenten von "Mirrors" wollen ihr Klientel mit brachialem "Saw"-Handwerk bearbeiten. Das macht den ganzen Schrecken, der die Nerven des Publikums zeitweise sehr raffiniert belastet, wiederum harmlos, eine übertriebene Vorstellung der Schmink- und Trickabteilungen. Allerdings lernt man in diesem Film ganz schnell, ab sofort sehr aufmerksam in jeden Spiegel zu blicken.

23.10.08

LUX Filmpreis für "Lornas Schweigen"

Kino als Treibstoff für ein neues Europa

Straßburg. In einer feierlichen Zeremonie überreichte am Mittwoch Parlaments-Präsident Hans-Gert Pöttering im Europäischen Parlament von Straßburg dem Lütticher Film „Lornas Schweigen“ der mit 87.000 Euro dotierte „Lux Filmpreis“ verliehen. Die siegreichen Regisseure, die aus Lüttich stammenden Brüder Dardenne, erhielten erst vor zehn Tagen den Filmpreis Köln.

Wie beim Oscar blieb der Sieger geheim, bis der versiegelte Umschlag geöffnet wurde. Später gab es Standing Ovations der Politiker und die Europa-Hymne. Pöttering überreichte den Preis, der aussieht wie der Turm von Babel, allerdings aus Film gebaut ist und recht stabil wirkt. Wichtiger als die Trophäe ist jedoch die Untertitelung in alle 23 Amtsprachen Europas, die das Parlament finanziert, damit das Werk überall gesehen werden kann. Das schließt zum Beispiel auch Gälisch für einige Regionen in Irland ein, sowie auf Initiative Pötterings auch in einer Version für Hör- und Sehgeschädigte.

Luc Dardenne meinte in seiner kämpferischen Dankesrede, das europäische Kino habe große Probleme gegenüber „dem Giganten“. Und zudem hätten die Europäer Probleme untereinander, man sehe nicht die Filme anderer Länder. Er hofft, „dass alle Verleiher Europas und die Kinobesitzer die Nachricht dieses Preises verstehen werden.“ Seit seiner Premiere in Cannes erlebt der Film über die junge Albanerin Lorna eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte.

Der Hintergrund vom „Lux Filmpreis“ steht in dicken Lettern auf vielen Publikationen: „Das europäische Parlament engagiert sich für Kultur.“ Bertrand Peltier, treibende Kraft hinter dem „Lux Filmpreis“, meint dazu: „Kultur kann den Europäer in uns wecken.“ Vor allem das Parlament (das sich während der Verleihung gerade wieder zu seiner turnusmäßigen Ausflugswoche in Straßburg einfand) werde von der Bevölkerung als fremd und kalt empfunden. Man müsse sich ein Beispiel an Hollywood nehmen, das uns während der letzten 100 Jahre erklärt hat, dass „ein Cowboy jemand Sympathisches ist“. Europa hingegen habe nie eine kulturell so populäre Schiene gefunden. Und das liegt auch am Sprachproblem. So geht es beim „Lux Filmpreis“ nicht nur um die Wahl eines Films, der europäische Werte herausleuchtet.

Mit diesem noch jungen Filmpreis will das Europäische Parlament auch Verschiedenheit fördern. Sehr passend dazu waren alle drei Kandidaten der Endrunde: „Lornas Schweigen“ mit einer Albanerin, die sich in Belgien mörderische Geschäfte um Scheinehen verwickeln lässt. Das ungarische „Delta“, eine betörend schön stilisierte und stille Geschichte um Geschwisterliebe. Und dann  „Obcan Havel“, die Dokumentation, die den tschechischen Präsidenten Havel über seine ganze Amtszeit begleitet.

Teuerste Jury der Welt
Das Wahlverfahren ist einzigartig und hat vielleicht nicht die größte, aber sicher die best bezahlte Jury der Welt: Zuerst wählt ein Panel aus 17 Experten für verschiedene Regionen einen Pool von Kandidaten aus den mehr als 800 Filmen, die jedes Jahr in Europa produziert werden. Unter den Filmkennern war auch der Sieger des letzten Jahres, Klaus Maeck, der Produzent von Fatih Akins „Auf der anderen Seite“. Letztlich bleiben drei Filme übrig, über die dann die 785 Parlamentarier abstimmen konnten. In Europäischen Parlament von Brüssel wurden die drei Nominierten gezeigt, dort gibt es mitten im Parlament einen großen Filmsaal. Insgesamt haben Tausende die Filme gesehen, der Saal war oft zu klein. 131 Abgeordnete aus 23 Ländern haben mitgemacht, ein politisch und geografisch breit gestreutes Panel, in dem die Sozialisten sich am meisten Filme angesehen haben.

Wobei mit „Lornas Schweigen“ der Film unterstützt wird, der dies am wenigsten braucht. Als Cannes-Preisträger wurde er bereits gut in andere europäische Länder verkauft. Deshalb liegen auch schon viele Kopien mit Untertiteln vor. Im ähnlich gelagerten Fall des Vorjahres-Siegers „Auf der anderen Seite“ wurde das eingesparte Preisgeld für eine Förderung des DVD-Einsatzes verwandt.

22.10.08

Die Geschwister Savage DVD


Regie: Tamara Jenkins mit Laura Linney, Philip Seymour Hoffman, Philip Bosco

Damals vor neun Jahre bei "Hauptsache Beverly Hills" konnte man zwischen den Bildzeilen schon spüren, dass Autorin und Regisseurin Tamara Jenkins den Kontakt zum wahren Leben nicht verloren hat. Dass sie nicht den Glanz Hollywoods gegen die vielen Farben des Alltags eintauscht. In ihren zweiten Film „Die Geschwister Savage“ ist die Familie entschieden älter: Vater Lenny, der die Kinder einst im Stich ließ, wird mit Demenz und Parkinson diagnostiziert. Wendy Savage und ihr Bruder Jon versuchen, die Pflege in ihre nicht gerade problem-freien Leben zu packen. Dabei kommen sie einander und sich selber näher.

Mit viel Einfühlung und einem leisen, beiläufigen Humor geht es auch um das Sterben, doch eine Trauermiene legt der Film nie auf. Die Dialoge (auf der Originalspur) sind grandios, Phillip Seymour Hoffman und Laura Linney wieder einmal großartig. Da braucht man eigentlich keine Extras, der Film ist extraklasse genug.

21.10.08

Tage und Wolken


Italien/Schweiz, 2007 (Giorni E Nuvole) Regie: Silvio Soldini mit Margherita Buy, Antonio Albanese 115 Min.

Welch ein Themen-Timing! Für alle, die sorgenvoll an nun „arme“ Banker denken, die Wohnungen und Boote verkaufen müssen. Tatsächlich ist Armut eigentlich etwas anderes, doch wie Silvio Soldini („Brot und Tulpen“) das Schicksal gut situierter Bürger schildert, die plötzlich ihre Haushaltshilfe entlassen müssen, ist wenigstens gut und glaubwürdig gespielt.

Elsa (Margherita Buy) referiert schön und kultiviert ihre Thesen über ein Fresko in Genua, das sie in ihrer reichen Freizeit restauriert. Sie besteht „cum laude“, das Geschenk ihres Mannes Michele (Antonio Albanese) ist ebenso perfekt wie die Party zur bestandenen Prüfung. Mit dem Kater am Morgen danach kommt allerdings auch die Ernüchterung: Michele wurde vor zwei Monaten aus der Firma gemobbt, das Ehepaar ist überschuldet, kann sich seinen gehobenen Lebensstandard nicht mehr leisten. Es ist schon tragisch, wie er alles für sie gibt, wie er sie für ihr Examen schont und doch eigentlich auch die Probleme mit ihr hätte teilen sollen.

Angesichts der „neuen Armut“ gibt es ein paar laute Worte, ein paar Tränen. Und vor allem die Scham, die sie weiter groß Essen bezahlen lässt, obwohl im Portemonnaie längst nichts mehr ist. Elsa nimmt nun einen Job im Call-Center an, beide ziehen in eine Mietwohnung. Michele bemüht sich, doch kommt mit dem neuen Leben weniger gut zurecht. Doch irgendwie ist des Zuschauers Mitleid beschränkt, wenn Elsa und Michele vom eigenen Palästchen in eine laute Mitwohnung umziehen müssen.

Die Handkamera, die den „entsetzten“ Menschen ganz eng auf die Haut rückt, hat dieses Sozial-Drama von den Brüdern Dardenne geerbt. Doch im Arbeiterviertel von Lüttich war es wirklich ein Drama, hier ist es eher eine Unpässlichkeit im Verlauf des Lebens. Der brutale soziale Abstieg hat auch seine leuchtenden Momente, wie auch Soldinis „Brot und Tulpen“ seine Momente hatte, etwa wenn zwei ehemalige Angestellte Micheles aus Dankbarkeit treu und hilfsbereit sind. Und dann ist nett, wenn der „Dottore“ Michele Olivero wegen seiner Renovierungs-Künste im Wohnblock mehr und mehr Aufträge bekommt. Solidarität, denkt man, ein schönes Wort. (Und es bedeutet nicht, Banken, die normalerweise Milliarden verdienen und Tausende entlassen, noch mehr Milliarden hinterher zu schmeißen.)

Doch innen drin, das wohl Wahrhaftigste dieses Films, eine Liebesgeschichte mit zwei Menschen, die einander vertrauen, die offen zueinander stehen. Und so kann man romantisch die ganzen Realitäten nur als Rahmen für diese Prüfung einer Liebe unter kunstvollem Sternenhimmel sehen.

Ananas Express


USA 2008 (Pineapple Express) Regie: David Gordon Green mit Seth Rogen, James Franco, Gary Cole 112 Min. FSK: ab 16

Ein blindes Huhn findet auch mal ein Kraut. Irgendwas ist hier nicht richtig, doch das wird die durchgängig bekifften Helden dieses Films nicht stören. Und ansonsten stimmt fast alles in der zigsten Komödie von Judd Apatow, die bis zum übertriebenen Finale überraschend treffsicher und echt komisch ist.

Dale Denton (Seth Rogen) wäre so ein typischer „Slacker“, ein Herumhänger, wenn er nicht diesen Job als Gerichtsbote hätte. So hängt er kiffend in seiner Rostlaube, erklärt sich selbst seine Weltsicht, die irgendwo zwischen hirnrissig und genial schwebt, und fährt zur nächsten Zustellung. Dort händigt er mit echter Begeisterung Scheidungspapiere, Gerichtsbeschlüsse und sonstige Unannehmlichkeiten aus, die in den USA persönlich und unter Zeugen zugestellt werden müssen. Privat „datet“ Dale eine wesentlich jüngere Studentin und besucht regelmäßig seinen Dealer. Alles spaßig schräg und in bester Ordnung. Bis Dale vor dem Haus eines Kunden Zeuge eines Mordes wird, wobei der Mörder ausgerechnet Lieferant seines Dealers Saul Silver (James Franco) ist. Vor Schreck lässt Dale seinen Joint fallen und da er gerade das äußerst wirkungsvolle und exklusive Gras namens „Ananas Express“ rauchte, sind die Killer bald auf seiner Spur...

Hört sich bescheuert an, ist es auch. Doch während Dale und Saul vor ähnlich aberwitzigen Mördern fliehen, ahnt man im Gras-Nebel einen Hauch von "The Big Lebowski". Und die hochkomplex nichtssagenden Dialoge könnte man auch von Travolta und Samuel L. Jackson in „Pulp Fiction“ gehört haben. Immer wenn die Albernheiten zu freischwebend werden, greift die Handlung wieder ein. Bis zum Finale, das nicht besonders ökonomisch mit Kugeln, Bomben und sonstigen Mordinstrumenten umgeht.

Klamauk trifft Genre. Genre gewinnt! Das ist die Kurzfassung des Versuchs des Apatow-Imperiums sich mit albernen bis absurden Blödeleien über einen Drogen-Thriller herzumachen. Doch die Dynamik der Handlung nimmt die tagträumenden Deppen mit und lustig holpernd kommt dieser „Ananas Express“ gut ans Ziel.

Nordwand


BRD, Österreich, Schweiz 2008 (Nordwand) Regie: Philipp Stölzl mit Benno Fürmann, Johanna Wokalek, Florian Lukas 126 Min. FSK: ab 12

Vor die Wand gefilmt

Dass ausgerechnet Leni Riefenstahl, die umstrittene Lieblingsfilmerin des Führers, sich als kecke Schauspielerin neben Luis Trenker in Bergfilmen von Altmeister Arnold Fanck tummelte, bevor ihr mit der eigenen Regie-, Schreib-, Schnitt-, Produktions- und Schauspielarbeit „Das Blaue Licht“ 1932 der große Sprung gelang, zeigt wie gefährlich nah dieses Genre am Völkischen gesiedelt ist. Die immer noch verbotene NSDAP-Auftragsarbeit „Triumph des Willens“,
die ästhetisch geniale Dokumentation vom Reichsparteitag 1934, folgte nur drei Jahre später. Der Bergfilm gehörte deshalb nicht unbedingt zum populärsten Filmgenre der letzten Jahrzehnte. Doch mit dem Extremismus der Bergsteigerei, mit dem Messnerismus und der Runderneuerung durch Free-Climbing waren schon Vorbeben eines neuen Bergfilms spürbar. Dass die Szene immer noch im Himalaya einen „deutschen Berg“ verortet, zeugt nebenbei ebenso von geographischer Verirrung, wie eine deutsche Grenze, die am Hindukusch verteidigt werden soll. Nicht national, aber bedenklich dämlich kommt er daher, der redlich spannende Historienfilm „Nordwand“ über noch so eine deutsch-nationale Heldentat im Berg.

Vom faschistischem Elite-Denken angefeuert, versuchen sich ein deutsches und ein österreichisches Duo 1936 an der Erstersteigung der Eiger-Nordwand – mit den erfrorenen Fingern, brechenden Knochen und Schneeleichen, die das Genre so mit sich bringt. Die heroische Hauptrolle spielt Benno Fürmann, nicht gerade ein Gigant der Schauspielerei. Während sein Liebchen (Johanna Wokalek) bangend wartet, überdehnt das Zweistunden-Drama den Handlungsfaden. Das Schneetreiben an der Filmstudio-Wand ist nur vordergründig hochspannend. Das kernige „Halt durch“ richtet sich auch ans Publikum, doch mit den Gliedmaßen stirbt das Interesse ab. Der zynische Sensationsreporter (Ulrich Tukur) schließ pathetisch: „Deutschland wird diese Männer nie vergessen!“ – ein Fluch, der sich mit dem Film „Nordwand“ von Philipp Stölzl („Baby“) leider erfüllt. Auch der „film-dienst“ stellt fest, dass dieser Film „Manneskraft und deutschen Heldenmut, Opferbereitschaft und Durchsetzungswillen“ feiert. Wie aufgesetzt wirken die warnenden Bemerkungen eines reichen Sensations-Touristen, den das nationalistische Wettrennen anwidert, aber doch brav seine einfältige Frau begleitet.

Aber nicht nur ideologisch ist dieser Bergunfall sehr bedenklich. Dass die Journalistin, die ihre Freunde nicht ohne eigenes Karrieredenken in den Berg treibt, am Ende nur als Liebchen bangen darf und psychologisch viel spannendere Schuldgefühle überhaupt nicht auftauchen, belegt die flache Struktur dieses vermeintlichen „Dramas“. Johanna Wokalek, die als RAF-Tusse Ensslin noch im „Baader-Meinhof-Komplex“ faszinierte, ist hier völlig unterfordert. Genau wie Anspruch und Verstand des Publikums.

Die Stadt der Blinden


USA 2008 (Blindness) Regie: Fernando Meirelles mit Julianne Moore, Mark Ruffalo, Danny Glover 121 Min. FSK: ab 12

Der geniale britische Regisseur Derek Jarman reagierte auf seine eigene zunehmende Erblindung konsequent mit dem Film „Blue“ - ein Hörspiel zu blauer Leinwand, eigentlich kein Kino und doch ein tief berührender Film! Fernando Meirelles („City of God“, „Der ewige Gärtner“) zeigt in seiner mit vielen großartigen Schauspielern besetzte Parabel von Licht und Dunkelheit die Blindheit in strahlendem Weiß. Was man in der Verfilmung des Romans von Nobel-Preisträger Jose Saramago jedoch sieht, ist umso grausamer...

Ist der Mensch gut oder tarnt er seinen Wolfspelz nur mit dem Lammfell der Zivilisation? Sobald die ersten Fälle einer mysteriösen „Weißen Blindheit“ auftreten, erleben wir Fürsorge und ihr Gegenteil. Das erste Opfer ereilt die Krankheit in seinem Auto. Der Japaner wird von einem nur scheinbar freundlichen Passanten nicht nach Hause gefahren, sondern des Autos beraubt und ausgesetzt. Die Frau eines Augenarztes (großartig: Julianne Moore) hingegen opfert sich und begleitet ihren erkrankten Mann sogar in die Isolation der Quarantäne. Auch wenn sie dafür vorgeben muss, selbst erblindet zu sein. Unter unmenschlichen Zuständen werden die Blinden in einer alten Nervenheilanstalt sich selbst überlassen und entwickeln politische Systeme, um das Chaos zu ordnen. Von Demokratie geht es über eine im Zimmer 3 scherzhaft eingeführte Monarchie schnell zu Diktatur und Terror. Eine Gruppe unter Führung des brutalen „Königs“ (Gael García Bernal) und seines sadistischen, schon seit Kindheit erblindeten Buchhalters (Maury Chaykin) hortet die rationierten Nahrungsmittel und gibt sie nur gegen Geld, Schmuck oder Sex mit den Frauen aus.

„So als hätte jemand alle Lichter angeschaltet!“ ... beginnt die Blindheit in dieser erschütternden und nachdenklich machenden Geschichte. Einiges ist sehr offensichtlich in dieser Parabel, die reich an Bildern und Ideen ist: Bereits in der ersten Szene hören wir die Erklärung: „Wir waren schon immer blind. Menschen, die sehen und doch nicht sehen.“ Dramaturgisch verläuft der Film nach den horrenden Zuständen in der Quarantäne etwas im Wohlgefallen. Und doch hat der Brasilianer Meirelles seine Parabel ums Sehen, das ja eigentlich das Fühlen, das Mitfühlen ist, nuanciert gestaltet. Die extreme Situation erlaubt Bilder von Nacktheit, Körper die befreit von den Blicken aufleben. Einige leiden daran, nicht sehen zu können, andere ertragen es nicht, nicht gesehen zu werden. Und der weise Erzähler erwähnt, dass man nun den Menschen tief drinnen, der – wie die Figuren des Films - keinen Namen trage, sehen könne. Da begegnen wir aber auch dem von Geburt an Blinden, der nun gleichgestellt, zum Wolf an seinen Mitblinden wird. Er raubt und vergewaltigt, er zahlt die Gnadenlosigkeit, die er vielleicht erfahren hat, heim.

Der Film hingegen verläuft gnädig. Die Reise in die Dunkelheit der menschlichen Seele endet mit einem familiären Traum – fast zu schön, um wahr zu sein. Meirelles gelingt die schwierige Umsetzung eines als unverfilmbar geltendes Romanes mit seinen poetischen Bildern, seinen großartigen Schauspielern und moralischen Setzungen, die Diskussionsstoff bieten. Dass diese komplexen Gedanken meist auf der Tonspur zu hören sind, ist noch eine Fußnote zur Kuriosität eines Films über Blindheit.

14.10.08

Neulich in Belgien


Belgien 2008 (Aanrijding in Moscou) Regie: Christophe van Rompaey mit Barbara Sarafian, Jurgen Delnaet, Johan Heldenbergh 106 Min. FSK: ab 6

Neulich in Belgien gab es plötzlich eine Menge mehr Geld für den Film. Und so kriegen wir endlich auch etwas von dem enormen Filmtalent des Nachbarlandes mit. Zum Beispiel diesen umwerfend komischen, anrührend echten und sehr schön bodenständigen Erstling des Flamen Christophe van Rompaey.

„Mein Mann ist in der Midlife-Krise, meine älteste Tochter steckt in der Pubertät, meine andere Tochter, glaubt dass sie in der Pubertät ist und mein Sohn kommt nicht in die Pubertät! Und mein Auto muss in die Werkstatt. Mein Leben ist ein Tränental.“ Ohne zwischendurch zu atmen, macht die 43-jährige, alleinerziehende Matty das Drama ihre Existenz klar und deutlich.

Die Anspannung eines tristen Lebens entlädt sich nach einem kleinen Zusammenstoß vor dem Supermarkt. Der Streit nach dem Blechschaden zwischen Matty und dem LKW-Fahrer Johnny ist viel heftiger als der Unfall. Beide sind frustriert, seine Frau schnappte sich einen reichen Notar. Ihr Mann eine 22-jährige Studentin. Doch seine Fernfahrer-Liebe mit ganz einfachen und doch poetischen Liebeserklärungen gibt nicht auf. Der erste gemeinsame Sex im Lastwagen zeigt, wie gut gefedert diese Kabinen heutzutage sind. Auch ansonsten schüttelt man sich öfters vor Lachen.

„Neulich in Belgien“ ist Leben auch nicht einfach. So hat Johnny eine Vergangenheit als Alkoholiker, schlug seine Frau und war mehrfach im Gefängnis. Und man lebt bodenständig: Hier sitzt man(n) auch nachts nackt am Steuer - am Steuer eines Lastwagens.

Rau und mit viel Herz, so beeindruckt Matty zwischen zwei Männern. Ihren untreuen Mann, der fast sechs Monate eine Affäre hat, schnauzt sie an: „Du willst auch alles haben: Die Rosinen, die Rosinenbrötchen und die Frau vom Bäcker.“ Höhepunkt des Gefühlschaos ist ein Abendsessen mit beiden. Zum Dessert stellt Tochter Vera erstmals ihre lesbische Geliebte vor. „Camioneur“ Johnny bringt Matty zu kleine Schuhe aus Italien und ist ansonsten entfernt verwandt mit seinem deutschen Berufkollegen (Andreas Schmidt) aus Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“. Diese Lebensnähe und Authentizität, die auch viele dänische Filme zeigen, wurde sehr glaubwürdig gespielt - man muss für diesen schönen Film inständig hoffen, dass die Synchronisation dies nicht alles nachträglich in die Tonne haut. Die unglaublich guten Dialoge, die fein beobachteten Menschen direkt ins Herz blicken und immer wieder umwerfend komisch sind. Die trockenen Bemerkungen mit ihrem feinen Humor, von einem Akkordeon mit Melancholie und Schwung im wechselhaften Lauf des Lebens begleitet.

„Neulich in Belgien“ spielt in einer Arbeitersiedlung am Rande von Gent. Sie wird Moskau genannt, daher auch der Originaltitel „Aanrijding in Moscou“, Unfall in Moskau. Zufällig fällt der deutsche Filmstart mit dem Internationalen Filmfestival in Gent zusammen. Weniger zufällig ist ein Boom belgischer Filme. Nicht nur in der Wallonie in Folge der Festival-Erfolge der Brüder Dardenne, die zwei Goldene Palmen in Cannes gewannen. Auch in Flandern sind mehr und erfolgreichere Filme zu verzeichnen. So startet diese Woche auch das mehrfach ausgezeichnete Cyber-Drama „Ben X“ auf DVD. Hintergrund des Booms ist „Tax Shelter“, eine Filmförderung durch Steuerabschreibung. So bekommt man mit, wie das Leben „Neulich in Belgien“ verläuft: Echt, mit viel Herz und Humor.

Hellboy - Die goldene Armee


USA 2008 (Hellboy II: The Golden Army) Regie: Guillermo Del Toro mit Ron Perlman, Selma Blair, Doug Jones 120 Min. FSK: ab 12

Comic-Verfilmung? Flach und oberflächlich? Beim grandiosen „Hellboy“ von Guillermo Del Toro ("Pans Labyrinth") zeigen Superhelden zutiefst Menschliches. Das bildgewaltige Meisterwerk spannt einen faszinierenden Bogen von Mythen bis zur Pop-Kultur, erzählt mit enormem Ideenreichtum, verbindet leicht Romantik, Action, Humor und Fantasy. Ein einzigartiges und eindrucksvolles Kinoerlebnis.

Der wutentbrannte und gleichzeitig ultra-coole „Hellboy“ ist wieder da. Nach dem Erfolg der ersten Comic-Adaption, für die Guillermo Del Toro auch schon das Buch schrieb, arbeitet die humorige Ausgeburt der Action-Hölle weiterhin für das amerikanische „Institut für paranormale Forschung und Verteidigung“. Diesmal muss er sich nicht nur mit dem machtgierigen Elfenprinzen Nuada (Luke Goss) auseinandersetzen, Hellboy kämpft auch - viel weniger gern - mit Beziehungsproblemen. Seine Team-Partnerin und schnell entflammte Freundin Liz (Selma Blair) ist schwanger und wartet auf Liebesbeweise. Derweil droht Nuada eine furchtbare Armee aus tausenden mechanischen Kampfmaschinen wieder ins Leben zu rufen.

Auch wenn er zum Entsetzen seiner Vorgesetzen nicht nur in die Öffentlichkeit tritt, sondern mit einem sehr lauten Knall direkt in ihr landet, spielt der rote Rüpel Hell Boy diesmal nicht die Hauptrolle. Das begabte und doch ausgegrenzte Team aus Superhelden leidet - ähnlich wie die „X-Men“ - darunter, dass es nur helfen will und doch immer Außenseiter bleiben wird. Dieses psychologische Dilemma von Superhelden bringt einer der vielen Fernseher im Zimmer von Hellboy mit dem Klassiker „Frankensteins Braut“ ins Bild und dem Song „Beautiful Freak“ ins Gehör. Aber ansonsten passiert selten das, was man erwartet und von anderen Filmdramaturgien her kennt.

Fantastisch, komisch, gewaltig, genial - „Hellboy“ unterhält mit allen Registern des großen Kinos. Die Action-Fantasy-Beziehungs-Agenten-Komödie steckt voller dramaturgischer Raffinessen wie den Elfenzwillingen Nuada und Prinzessin Nuala (Anna Walton): Böse und Gut untrennbar miteinander vereint. Wer Nuada tötet, bringt auch Nuala um. Ein Dilemma vor allem für den Fischmenschen Abe, der wunderschön rührend zarte Sympathien zur Prinzessin pflegt. Es ist herrlich, wenn mitten im Schlamassel die Ausgeburt der Hölle und das sonst so trockene Fischmännchen völlig betrunken Barry Manilows "Can't Smile Without You" schmettern.

Dabei ist die beste, in Aussehen und Verhalten komischste, klügste und komplexeste Figur des Films jemand ganz anderes. Jemand ohne ein Gesicht, ohne ein Stück Haut oder überhaupt etwas Körperliches: Der neue deutsche Team-Leiter John Alexander (Johann Krauss) ist nur Tieftaucher-Anzug mit einem Hauch Rauch und furchtbarem Akzent (im englischen Original).

„Hellboy“ begeistert auf allen Ebenen: Von der großen und sehr lauten Action mit 70 mal 700 Goldenen Kampfmaschinen bis zu klugen Spielereien um das Wesen von Maschinenwesen und Puppen, die sicher einige intellektuelle Studienarbeiten beseelen werden. Während der Reichtum an fantastischen Kreaturen von horrenden kleinen Zahnfeen bis zu gigantischen grünen Naturgöttern sogar „Men in Black“ übertrifft, stecken in den surrealen Bildern geniale Ideen, die sich sogar bei Hieronymus Bosch-Gemälden bedienen. So ist dieser grandiose Film mit enormem Kultpotential nicht nur romantisch in seinen Liebesgeschichten sondern auch in seiner Verwurzelung in der romantischen Literatur-Epoche. Daraus resultieren grandiose Bilder und Effekte: Selten sah man digitale Kreationen, die so sehr nach Dampfmaschinen rochen. Der Mexikaner Guillermo Del Toro bleibt Garant für üppigen Augenschmaus sowie Fantastisches mit Verstand und Tiefe.

8.10.08

Half Nelson DVD


Kinowelt (Arthaus)

USA 2006 (Half Nelson) Regie: Ryan Fleck mit Ryan Gosling, Shareeka Epps, Anthony Mackie 106 Min. FSK: ab 12

Wer die Nase voll hat (nein, hier geht es noch nicht um Koks) von knallharten Lehrern im Kriegsgebiet Schule wie Michelle Pfeiffer oder Samuel L. Jackson, dem sei Dan Dunne (Ryan Gosling) empfohlen. Seine eher zurückhaltend und doch enorm eindrucksvoll erzählte Geschichte lässt ihn als Lehrer vor die Hunde gehen. Das Porträt eines Lebens, das nur in kurzen Momenten lässig oder cool scheinen kann, erschreckt mit konsequenter Einsamkeit. Der koksende Lehrer Dan freundet sich mit seiner 13-jährigen Schülerin Drey an. Die mal harmlose, dann haarsträubende Beziehung bringt Dan in gefährliche Kreise und an den Rand des Abgrunds.

Auf Festivals vielfach ausgezeichnet und im Kino übersehen, ist „Half Nelson“ ein Muss für die Freunde des „Independent-Kino“. Mutig geschrieben, toll gespielt und einfühlsam inszeniert. Neben dem englischen Originalton finden sich Audiokommentar, entfallene und erweiterte Szenen und ein Musikvideo auf der DVD.

7.10.08

Le silence de Lorna - Lornas Schweigen


Belgien, Frankreich, Italien, BRD 2008 (La silence de Lorna) Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne mit Arta Dobroshi, Jérémie Renier, Fabrizio Rongione 105 Min.

Die junge Albanerin Lorna geht eine Scheinehe mit einem Belgier ein, um einen Pass zu erhalten. Schrecklich. So was mitten in Europa. Das arme Opfer .... ist in diesem Fall erst einmal der belgische Junkie Claudy. Schon mit den ersten Auftritten seiner Hauptfigur Lorna macht dieser Film klar, dass er nicht die übliche Leidensgeschichte erzählt. Lorna ist eine energische Frau, die ganz genau weiß, was sie will. Sie braucht es nicht zu sagen, ihr Gang durch die Straßen von Lüttich reicht.

Dabei wirkt Lorna wie die große Schwester von „Rosetta“: Mit der erschütternden Geschichte eines Mädchens, das mit der alkoholkranken Mutter auf dem Campingplatz leben muss und das sich verzweifelt an einen Job klammert, der sie vor der Verelendung schützt, begann für die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne der internationale Erfolg. Lorna hat im Gegensatz zu Rosetta allerdings Geld, viel Geld. Sie spart für eine eigene Existenz in Form der Imbissbude, die sie mit ihrem Freund aufmachen will. Der nächste Schritt im Plan professioneller Hochzeitsschwindler ist Lornas Hochzeit mit einem reichen Russen. Dafür muss der erste Ehemann weg. Kein Problem - wer fragt bei einem weiteren toten Fixer schon, ob er sich die Überdosis wirklich selber gesetzt hat?

Doch Lornas Härte gegenüber dem erbärmlichen Abhängigen Claudy bekommt Risse. Sie überredet ihn zu einer Entziehungskur, kümmert sich und freut sich wunderschön an seiner Genesung, an seinem Aufblühen. Bis - nach einem atemberaubend mutigen Schnitt - sie seine Klamotten wegschmeißt. Die Auftraggeber wollten kein Risiko eingehen ...

Während das Sozialdrama nicht stattfindet - Lorna findet ein Ladenlokal und hat genug Geld - schlägt das moralische umso heftiger zu: Die Schuld zernagt die scheinbar knallharte Frau, eine seltsame Scheinschwangerschaft lässt sie sich nicht ausreden. Nun ist sie auch für die skrupellosen Heiratvermittler nicht mehr zu gebrauchen, aber wieder läuft die Geschichte den Erwartungen davon: Statt mit einem tragischen Finale endet das neuerliche Meisterwerk der Dardennes märchen- und rätselhaft.

Die Lütticher Brüder Dardenne wurden in Cannes mit dem Drehbuchpreise für „La Silence de Lorna“ ausgezeichnet, nachdem sie bereits für „Rosetta“ und „L’Enfant“ die Goldene Palme erhielten. Ihr Stil ist immer noch, sehr nahe an den Figuren zu bleiben. Statt im Lütticher Vorort Seraing gingen sie nun in die Stadt selbst, um die Vereinzelung Lornas noch deutlicher zu machen. Mit ihrer eigenen Entdeckung, der Hauptdarstellerin Arta Dobroshi gelang ihnen ein großer Griff. Jérémie Renier, der im Vorgänger „L’Enfant“ sein eigenes Kind verkaufte, gibt hier den Junkie Claudy.

Grandios ist „Lorna“ nicht nur, weil er auf ganz eigene Art ergreift und berührt. Nicht wegen des exzellenten Spiels. Eindrucksvoll und nachwirkend ist, wie die Dardennes ihrem Stil treu bleiben und ihre Erzählweise so ungewöhnlich weiter entwickeln, dass das Drama lange nachhallt und trotz seines scheinbar einfachen Aufbaus sehr nachdenklich macht.

Eagle Eye - Außer Kontrolle


USA 2008 (Eagle Eye) Regie: D.J. Caruso mit Shia LaBeouf, Rosario Dawson, Michelle Monaghan 117 Min. FSK: ab 12

Während in vielen Gegenden der Welt ein Menschenleben kaum ein paar Euro wert ist, zahlt man im vernetzten Überfluss genauso viel für die Daten einer Person. Überall werden diese gehandelt, T-Mobile lässt sie sich gleich millionenfach klauen. Wohin diese völlig Entblößung aller persönlicher Daten führt - sei es durch Google, Gangster oder einfach den Staat - zeigen immer wieder US-amerikanische Thriller. „Eagle Eye“ ließe sich übersetzen mit „Adlerauge, sei wachsam“ und führt vor, wie Sicherheit mit Sicherheit in erschreckenden Szenarien endet.

Jerry Shaw (Shia LaBeouf) arbeitet in einem Copy-Shop. Ein ganz normaler Bürger, der sich in seiner Existenz eingerichtet hat. Bis eine kühle weibliche Stimme am Telefon sagt: Verlasse deine Wohnung, sonst fasst dich das FBI. Klar, wenn das Zimmer voller Sprengstoff ist. Dessen Ursprung kennt Jerry ebenso wenig, wie den der Stimme, die ihn fortan begleiten wird.

„Eagle Eye“ beginnt sehr mysteriös und spannend. Wie jemand jeden Schritt von Jerrys Verhaftung vorhersieht und seine Flucht vor der Verfolgung leitet, ist unglaublich und trotzdem eindrucksvoll. Mit Anrufen, Leuchtwerbungen und nachdrücklicher Hilfe von Fremden wird der hektisch Flüchtende geführt. Kameras, Handyortung und viele andere technische Spielereien machen seinen Aufenthaltsort so offensichtlich wie den von Laborratten in ihrem Labyrinth. Die kühle Frauenstimme leitet Jerrys Flucht mit der Metro, führt ihn zu einer ebenso ahnungslosen Frau, mit der es im Auto rasant und mit viel Blechschaden weitergeht. Hier bekommt die Stimme des Navigationsgerätes einen ganz anderen, beängstigenden Klang. Und was funken diese praktischen Kästchen eigentlich von uns zu ihrer Zentrale zurück?

Dramaturgisch folgt das Rennen und Flüchten dem Prinzip der Schnitzeljagd, allerdings lässt sich so eine Fernsteuerung von Spielfiguren in unserer Zeit viel schneller und Adrenalin-reicher inszenieren. Die Plausibilität bleibt in der routinierten Inszenierung von D.J. Caruso ("Disturbia," "Taking Lives," "The Salton Sea") allerdings früh auf der Strecke. Dafür bekommt die politische Aussage der komplizierten Auflösung wieder unsere volle Aufmerksamkeit. Ließ der US-Präsident anfangs ein Dorf nur auf Verdacht bombardieren, so führt ein allwissender und allmächtiger (Überwachungs-) Computer letztendlich dieses Unrechtsprinzip fort. Wie HAL der Bord-Computer aus „2001“, spielt hier jemand beleidigt, weil man ihm seine Mordaufträge abstellte.

Die allgemeine Überwachung über angezapfte Telefone und (Un-) Sicherheitskameras, die schon Will Smith und Gene Hackman als „Staatsfeind Nr.1“ erlebten, und deren filmgeschichtliche Anfänge auch Hackman 1974 in Coppolas „The Conversation“ anlegte, ist ein Ausdruck für die wild gewordene US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik. Wobei der Film sagt, so wahnsinnig kann kein Mensch sein, nur eine Maschine kann derart hirnrissig ihre idiotischen Ziele verfolgen. Oder etwas sanfter ausgedrückt: Der Film zeigt überdeutlich, wie gerade die Mechanismen, die unsere „Sicherheit“ schützen sollen, sie tatsächlich bedrohen. Man könnte Sicherheit auch durch Freiheit ersetzen.

6.10.08

House Bunny


USA 2008 (The House Bunny) Regie: Fred Wolf mit Anna Faris, Colin Hanks, Emma Stone 97 Min. FSK: ab 6

Das cineastische Konjugieren von blöd, blöder und super-blöd geht weiter. Erschreckend dabei nicht nur, dass die Protagonisten in populären Kino-Komödien immer dämlicher werden - die Filme begeben sich auch noch das gleiche Niveau dieser seltsamen Idole ...

Shelley (Anna Faris) lebt in der Playboy-Villa und sieht dieses Konstrukt eines Medienkonzerns ernsthaft als Paradies an. Klar, bis auf die Zoten gibt es dort ja auch keinen Sex. Doch wollen wir das hirnrissige Konstrukt nicht schon anhand der ersten Szene zerreißen. Lassen wir die Waise Shelly erst einmal aus der Villa fliegen, da sie mit ihren 27 Jahren schon 59 in Bunny-Jahren ist!

Völlig verpeilt und verloren landet sie mit ihrem Playboy-Dress erst einmal mit einem Haufen Nutten im Knast und dann auf dem Unicampus. Weil dort viel gefeiert wird, und mit Party kennt sich Shelly aus. Deshalb wird sie „Hausmutter“ bei der furchtbar grauen und lächerlich tristen Studentinnenvereinigung Zeta Alpha Zeta. Klar, dass diese intelligenten jungen Frauen bald erblonden und verblöden werden, ihre Persönlichkeit runderneuern lassen, um bei ebenso grunddämlichen Studenten zu landen und neue Mitglieder zu bekommen. Damit der Film halbwegs über die anderthalb Stunden kommt, darf sich auch Shelley vom Hasen zum liebenden Menschen wandeln.

Völlig satire-frei, ohne Ecken und Kanten läuft die blöde Buntheit ab und man weiß nicht, ob die Macher das ernst meinen oder humortechnisch einfach unbegabt sind. Dabei stammt der schlechte Blondinen-Witz aus den "Natürlich blond!"-Federn von Karen McCullah Lutz und Kirsten Smith, die mit Reese Witherspoon in der Hauptrolle eines herzlichen Blödchens wenigstens gutes Handwerk zeigten.

1.10.08

Young@Heart


Großbritannien 2007 (Young@Heart) Regie: Stephen Walker, Sally George 107 Min. FSK ab 6

Irgendeine dieser Zitatfabriken - Godard oder Cocteau - sagte: Film sei, dem Tod bei der Arbeit zusehen. Selten war dies treffender und bewegender als bei diesem wunderbaren Dokumentar-Projekt, bei dem Leben und Tod die Hauptrollen spielen - ganz gegen alle Regieanweisungen.

Der amerikanische „Young at Heart“-Chor besteht aus mehr oder weniger rüstigen Senioren, die mit enormer Energie auf den ersten Blick unpassende Pop-, Punk- und Rock-Hits singen. Nach Erfolgen in den USA ging „Young at Heart“ weltweit auf Tournee. Oder wie es einer der Senioren-Stars unnachahmlich sagt: „Wir reisten von Kontinent zu Kontinent, da wurde ich inkontinent.“ Das Besondere an den Gesangstalenten ist der Mut mit dem sie immer wieder neuen Herausforderungen ihres Chorleiters begegnen. Denn sie singen Songs von Sonic Youth, Outcast, Clash, Beatles, lieben aber eigentlich Klassische Musik oder wenigstens alte Musicals. So erleben wir die Entwicklung eines neuen Arrangements zu „Schizophrenia“ von Sonic Youth oder zu „I feel good“ von Jackson Brown mit.

Die meisten Lieder bekommen in diesen Fassungen eine andere Bedeutung: „Should I stay or should I go?“ - Soll ich bleiben oder gehen ... diese Senioren wollen bleiben und das mit Nachdruck. Die „Golden Years“ von David Bowie werden eine Hymne an die Lebensfreude und die „Road to nowhere“ der Talking Heads gerät wieder zu einem dieser nett frechen Kommentare auf das eigene Alter. Denn anfangs geht es mit viel Humor, den die Senioren selber einbringen, auf Tour. Einer von ihnen darf Auto fahren, er war ja auch Jet-Pilot - im Zweiten Weltkrieg! In einem Videoclip beschweren sie sich mit viel schwarzem Humor über ihre Situation in Altenheimen: „Ich will ruhig gestellt werden!!!“

Sehr schön leuchtet die Doku immer wieder einzelne faszinierende Charaktere heraus. Da singt ein Radsportler und Multiplayer gleich in drei Chören. Auch wenn er dabei den Text von Jimi Hendrix’ „Purple Haze“ vergisst, man liebt ihn trotzdem. Doch im Verlauf des Films ändert sich die Stimmung: Das Team drehte Gespräche über den Tod, die nicht im Film auftauchen, denn irgendwann übernahmen Leben und Tod die Regie und sorgen für sehr Momente, die niemanden unerschüttert lassen. Innerhalb kurzer Zeit starben Bob Salvini, der mit Fred Knittle Coldplays „Fix you“ singen sollte, und Joe Benoit, der groß auf den Postern zur nächsten Tournee abgebildet war. Wie Fred Knittle dann das (Abschieds-) Lied bringt und wie sich der Chor nicht unterkriegen lässt, vollendet in sehr bewegenden Momenten diesen absoluten Publikumsliebling.

Lemon Tree *****


Israel, BRD, Frankreich 2008 (Lemon Tree) Regie: Eran Riklis mit Hiam Abbass, Rona Lipaz-Michael, Ali Suliman 106 Min. FSK: ab 6

Selten ließ sich ein Konflikt derart treffend symbolisch fassen, wie bei der Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel: Amos Gitai erzählt mit „News from House“, der Geschichte eines einzigen Hauses und seiner Bewohner von guten Zeiten, von Besetzung und Vertreibung. Der Italiener Saverio Costanzo lässt in „Private“ ein ganz normales Wohnhaus einer palästinensischen Familie von israelischen Soldaten besetzen und verordnet den Bewohnern Hausarrest. Als Quintessenz der beharrlichen Unvereinbarkeit bleibt nur die Tragödie einer Liebe dies- und jenseits einer absurden Grenze, die Elia Suleimans "Göttliche Intervention" zeigt. Und nun ein paar Zitronenbäume ...

Der neue Verteidigungsminister verspricht im Fernsehen klare Grenzen - und die Menschen in einem Dorf werden spüren müssen, was solche strammen Reden von nationalistischen Populisten für Folgen haben. Denn ausgerechnet dieser neue Angriff-ist-die-beste-Verteidigungs-Minister zieht das Haus neben der palästinensischen Witwe Salma Zidane. Wie eine Invasion vom Mars sind eines Morgens Soldaten, Bauarbeiter und Kräne im Limonen-Hain, der zum nationalen Sicherheitsrisiko erklärt wird. Am Zaun patrouillieren extrem nervöse Sicherheitsbeamten, die cool sein wollen, aber deren Anzüge kaum die Form waren können. Per Kriegsrecht enteignet man Salma quasi im Vorbeigehen.

Doch die Zitronenbäume sind ihr Lebensunterhalt und das Erbe des Vaters: „So was lässt sich mit keinem Geld der Welt bezahlen.“ Still, energisch und zielstrebig - so besteht Frau Zidane auf ihr Recht. (Der Fußballer gleichen Namens hängt sicherlich nicht zufällig als Poster im Zimmer des Rechtsanwaltes.) Die arabische Männerwelt, die spielend und schwätzend im Café sitzt, ist keine Hilfe. Man befiehlt ihr sogar, die angebotene Entschädigung der Israelis abzulehnen. Salmas Sohn hat die Wurzeln längst schon verloren und will die Mutter in die USA holen. Das erste Gerichtsurteil verbietet ihr das Betreten des Hains, ein weiterer Zaun trennt ihr Haus von den Bäumen, die langsam vertrocknen. Doch Salma kämpft weiter, bis zum obersten Gerichtshof.

Regisseur Eran Riklis findet schöne und ganz eigene Bilder für das Verwachsen sein mit dem Boden. So nimmt der Schatten eines Baumes das ganze Schlafzimmer von Salma ein. Und während die Staatsführung schamlos Einweihung feiert, heulen die Wölfe im Tal. Ein unheimliches Szenario im Westjordanland. „Lemon Tree“ ist ein ruhiger Film, trotzdem erschüttert der brutale und rücksichtslose Terror eines Staates, macht betroffen und wütend.

Nach dem exzellenten und bewegenden "Die syrische Braut" inszenierte Eran Riklis („Cup Final“) erneut mit seiner eindringlichen Hauptdarstellerin Hiam Abbas. Sie trägt den Film, der auch ein Film über die Einsamkeit ist. Die Einsamkeit von zwei Frauen auf zwei Seiten des Sicherheits-Zauns. Zwei Frauen, die seelenverwandt sind. Denn die Frau des Verteidigungsministers steht eigentlich auf der anderen Seite. Das israelische Ehepaar diskutiert mit den Argumenten der Weltpolitik: Dass Israel seit 3000 Jahren eine Heimat suche. Und dass Israel beständig die Realitäten ignoriert. Selbstverständlich ist der Zaun nur ein Muster für die große Mauer, die Israel gnadenlos durch palästinensische Gebiete zieht. Dagegen steht die Symbolik der Bäume: In Berichten von Palästinensern, die aus ihren Häusern vertrieben werden, wird immer wieder beklagt, dass die Soldaten die Olivenbäume, die seit Generationen gepflegt werden, fällen. Bei dieser bitteren Geschichte sind es die Zitronen, die mit der Freiheit und der Heimat geraubt werden. Im grausamen Schlussbild sieht man den siegreichen Verteidigungsminister, der sich erfolgreich ein(sam)gemauert hat.

Das unbedingt sehenswerte Drama wurde von der Kölner Heimatfilm koproduziert und von der Filmstiftung NRW gefördert.

Der Love Guru


USA 2008 (The Love Guru) Regie: Marco Schnabel mit Mike Myers, Jessica Alba, Justin Timberlake, Romany Malco 87 Min. FSK: ab 12

Will jemand den Pop-Superstar Justin Timberlake mit albernem Pelzmantel, mit Lockenfrisur und übergroßem Schnurrbart sehen? Oder Ben Kingsley mit furchtbar schielenden Augen feixen und furzen hören? Eigentlich nicht, trotzdem hat Mike Myers schwacher Nachfolger von „Austin Powers“ das Zeug zu einem Kassenhit. Im Guten wie im Schlechten.

Mike Myers spielt und veralbert gleichzeitig einen indischen Guru, der auch nicht wirklich indisch ist und einem kanadischen Eishockey-Spieler bei dessen Beziehungsproblemen hilft. Dieser Sport-Star ist schwarz und damit in der tatsächlich sehr weißen Eis-Sportart ebenso kurios wie der ganze Film.

Weiterhin veralbert dieser witzige und unkonventionelle Guru Pitka die Religions-Industrie, die christliche wie die buddhistische, indem er am Laufenden Laberband Wortspiele erzeugt und sie gewinnbringend vermarktet. Es sind recht simple (schwer synchronisierbare) Wortspiele, von denen sich dieser Text ausdrücklich distanziert, und Pop-Refrains, die von seinen Jüngern als Weisheiten bejubelt werden. Pitkas Drittes Auge sieht indische Musicals mit Untertiteln. Der spezielle Mike Myers-Kick lässt ihn immer wieder für Sekunden aus seiner Rolle treten und ein Augenzwinkern in die Kamera werfen.

Selbstverständlich ist der ehemalige TV-Komiker auch immer für eine Zote zu haben. Myers kann Epigonen wie Aptow noch vormachen, richtig stilvoll obszön zu sein - und weiß im Gegensatz zu ihnen auch, dass Epigonen keine Schweinerei sind. Aber der Autor und Koproduzent seiner eigenen Verrücktheiten kann sowieso richtig viel, wie man auch in den netten Musikeinlagen, den indischen Covern bekannter Popsongs, sieht.

Den ganzen Film über bleibt es unglaublich, dass Justin Timberlake den extrem gut ausgestatteten Hockey-Torhüter Jacques "Le Coq" Grande spielt. Und auch Jessica Alba ist ziemlich alb... ok, diese Scherze wollten wir ja Mike Myers überlassen. Noch Albaner ist Ben Kingsley, der sich als schielender Ober-Guru nach seinem alkoholkranken Killer weiter von zu ernsten Rollen-Klischees entledigt. Es ist nicht immer zu sagen, ob das witzig ist oder wieso ... Aber der „Love Guru“ hinterlässt am Ende gute Laune. Und wie würde Guru Pitka sagen: Wichtig ist, was hinten rauskommt...