30.9.08

Burn After Reading


USA 2008 (Burn After Reading) Regie: Ethan Coen, Joel Coen mit George Clooney, Frances McDormand, Brad Pitt, John Malkovich 95 Min. FSK: ab 12

Es ist ein Spaß, ein grandioser Spaß, wie sich hier ein halbes Dutzend der besten Schauspieler gegen den Strich bürsten lassen. Und damit ist nicht nur wortwörtlich die absurde Frisur von Brad Pitt gemeint. Pitt gibt den Fitness-Studio-Hampelmann Chat, der Bildung, Erziehung und Rollenvorbilder komplett aus irgendwelchen Übungsleiter-Videos gewonnen hat. Seine affige Frisur konkurriert mit den bubihaften Klamotten und die Aerobic-Gestik übertrifft alles. Chats Versuch, mit einer CD voller vertraulicher Daten, den Ex-CIA-Mitarbeiter Cox (John Malkovich) zu erpressen, muss kläglich scheitern. Wie alle Gangster in Coen-Filmen verhält er sich dämlicher als es die Polizei erlaubt. Doch auch Alkoholiker Cox ist eine Glanznummer aus dem Schauspielfach Karikatur. John Malkovich zeigt als kahlköpfiger Choleriker wieder eine neue Facette seines Könnens. Frustriert von der Ignoranz seiner Umgebung kündigt Cox beim Geheimdienst, worauf seine herrische Frau (Tilda Swinton) über Scheidung nachdenkt und nicht nur die Finanzdaten vom heimischen Computer kopiert, sondern auch die Anfänge einer Biografie des CIA-Mannes. Dass die Daten auf CD ab jetzt die Runde machen, jeder mit jedem ins Bett geht, und nicht nur der unter Verfolgungswahn leidende Harry Pfarrer (Clooney) dauernd einen Beobachter in der Nähe hat, gehört zu den Details einer Handlung, die munter vor sich hin purzelt. Den besten Kommentar liefert ein CIA-Boss: „Einfach laufen lassen“.

Früher gefielen diesem Autor die mordsmäßigen Komödien besser als die kunstvollen Werke, denen man leicht tiefsinnige Bedeutungen andichten konnte. Früher war, als die Coens mit „Arizona Junior“ (1987) auf der internationalen Leinwand auftauchten. Tiefsinnig und sehr düster waren „Barton Fink“ (1991) und „Miller's Crossing“ (1990). Albern dann wieder „Hudsucker - Der große Sprung“ (1994) mit dem in der letzten Woche verstorbenen Paul Newman noch als zynischer Firmenboss, dem ein einfältiger Narr (Tim Robbins) das Geschäft versaut. So ging munter weiter mit den Coens, mal blutig absurd mit „Fargo“ (1996), mal völlig abgehoben mit Jeff Bridges als „The Big Lebowski“ (1998). 2000 kam schon Clooney als Clown hinzu in der spirituellen und musikalischen Schatzsuche „O Brother, Where Art Thou?“ (2000).  Mit „Burn after reading“ schließen die Coens ihre persönliche Idioten-Trilogie mit Clooney ab und denken drüber nach, ab Brad Pitt auch so ein Triptichon der Albernheiten verdient hätte. Soll man das nun ernst nehmen? Müssen Regisseure eigentlich immer das erfüllen, was sie vorher an Erwartungen aufgebaut haben? Eindeutig bringt hier ein „Nein“ viel mehr Spaß.

Doch ist „Burn“ wirklich Komödie? Selten sah man so viele traurige Figuren tragisch an ihren lächerlichen Lebensentwürfen scheitern. Diese Pläne, seien es Schönheitsoperationen, Wohlstand, Fitness oder sexuelle Erfüllung sollte man vielleicht verbrennen und die Biographie entspannt von Leben selber schreiben lassen. Wieder der oberste CIA-Boss: Was haben wir daraus gelernt? Wir sollten das nicht noch mal machen! Was auch immer es war.

Berlin Calling


BRD 2008 (Berlin Calling) Regie: Hannes Stöhr mit Paul Kalkbrenner, Rita Lengyel, Corinna Harfouch 109 Min. FSK: ab 12

Ickarus stürzt ins Kuckucksnest

„Berlin Calling“, ein genial nachempfundener Höhenflug mit heftigem Absturz des Berliner Techno-DJ Ickarus und ein Meisterstück im Rhythmus von Beat und Electro: Der Electro-DJ und –Komponist Martin (Paul Kalkbrenner), genannt DJ  Ickarus, ist auf dem Höhepunkt seines Erfolges. Mit seiner Managerin und Freundin Mathilde (Rita Lengyel) tourt er durch die Tanzclubs der Welt. Das neue Album steht kurz vor seiner Veröffentlichung. Dann stürzt Martin von einem seiner dauernden Drogentrips zu tief in eine Psychose und wacht in der Klinik von Frau Dr. Petra Paul (Corinna Harfouch) auf. Während er cool bleibt und in seinem Zimmer weiter komponiert, entwickelt sie sich von freundlicher Ärztin zu knallharter Gegnerin. Will sie Martin vor dem nächsten psychotischen Schub schützen, oder will die Spezialistin für Kult und gefährliche Kicks noch einen populären Promi für ihre Anstalt und ihr nächstes Fachbuch sammeln?

Der Kampf gipfelt in einer klassischen Patienten-Party a la „Einer flog über’s Kuckucksnest“ und der Kater nach dem Spaß lässt Ickarus ganz alleine dastehen: Die Freundin und Managerin verlässt ihn, der Plattenvertrag ist weg. Als Martin erneut eingeliefert wird, hat er sich aufgegeben.

Die Räusche, die durchgetanzten Tage und Nächte, die Veränderung der Persönlichkeit durch die chemischen Keulen – all das lässt „Berlin Calling“ glaubhaft und authentisch miterleben. Ein genialer Filmrausch von Hannes Stöhr („Berlin is in Germany“, „One Day in Europe“), mit dem berühmten deutschen DJ Paul Kalkbrenner in der Hauptrolle. Und dieser Musiker hat - im Gegensatz zu Campino im neuen Wenders „Palermo Shooting“ - eine Menge Ausstrahlung und Talent. Corinna Harfouch beeindruckt genauso wie all die anderen starken Frauen um Martin.

23.9.08

Die Kunst des negativen Denkens


Norwegen 2006 (Kunsten å tenke negativt) Regie: Bård Breien mit Fridtjov Såheim, Kjersti Holmen, Henrik Mestad, Marian Saastad Ottesen, Kari Simonsen 79 Min. FSK: ab 12

Der seit einem Unfall querschnittsgelähmten Geirr vergräbt sich immer tiefer in Bitterkeit, hört nur noch bekifft Johnny Cash und zieht sich Kriegsfilme rein. Das wird so unerträglich für seine junge Frau Invild, dass sie die Sozialarbeiterin Tori mit ihrer Gruppe von Behinderten einlädt. Trotz des Widerstands von Geirr kommt also ein Kleintransporter voll unerträglicher Fröhlichkeit vorgefahren, wird prompt beworfen und mit einer Rauchbombe eingenebelt. Geirr hat noch mehr Gemeinheiten auf Lager, Toris diktatorische „Kunst des positiven Denkens“ verliert seine Wirkung, die Truppe schaut sich Aufmüpfigkeit vom Gastgeber ab. Es folgt eine Revolution, die „Normalen“ werden rausgeworfen und am nächsten Morgen ist ein Wunder zu vermelden. Wichtiger jedoch sind die Wahrheiten, die ausgesprochen wurden.

Mit schwarzem Humor passt sich der Film der bitteren Stimmung von Geirr an. Schnell zeigt sich, dass die Liebe von Geirr und Invild das Stärkste und Gesündeste in der Versammlung belasteter Beziehungen ist. Doch erst müssen die anderen abgeklopft werden, muss die gelähmte Marte heraus schreien, was sie von ihrem sorgenden Mann Gard, der für ihren Bergunfall verantwortlich ist, hält.

Dass nicht weinerlich mit Behinderungen und Behinderten umgegangen wird, könnte man dem Film zugute halten. Dass er seine Figuren doch eher oberflächlich und reduziert zeichnet, beschränkt das Vergnügen am schwarzen Humor. Am nächsten Morgen ist dann eigentlich nicht viel passiert. Nur der recht kurze Film ist am Ende.

Trennung


Israel, Frankreich, BRD, Italien 2007 (Disengagement) Regie: Amos Gitai mit Juliette Binoche, Liron Levo, Jeanne Moreau, Barbara Hendricks, Dana Ivoy 115 Min.

Eher Suche als Handlung. Wie schon Natalie Portman in „Free Zone“ in den besetzten Gebieten israelisch-palästinensische Beziehungen in einem suchenden Roadmovie „erfuhr“, reist nun Juliette Binoche als französische Jüdin zurück zu den Ursprüngen - um mitten in den Konflikten illegaler israelischer Siedler in Palästina zu landen.

Das Begräbnis des Vaters ist ein Genuss abendländischer Kunst: Die Klänge von Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ umspielen das Totenbett der üppigen Stadtwohnung in Avignon. Doch Ana (Juliette Binoche) wirkt verloren in dieser Pracht - bis ihr geliebter Bruder Uli (Liron Levo) aus Israel kommt. Die kindliche Ana wirft sich ihm in die Arme und folgt ihm einige Tage und feine Beobachtungen später in den nahen Osten. Dort muss Uli als Offizier eine illegale israelische Siedlung räumen und Ana in just jener Siedlung der ihr unbekannten Tochter Dana vom Tod des Vaters beziehungsweise Großvaters unterrichten.

Die schwere Ruhe Avignons weicht einer aufgeregten Hektik, nervöse Grenzsoldaten wollen Ana nicht passieren lassen, nur der Aufruf des Fahrers (Amos Gitai selbst!) zur Menschlichkeit kann die Schranken öffnen. Bei den uneinsichtigen Siedlern erlebt Ana nach zwanzig Jahren der Trennung eine vorsichtige, stille und doch sehr emotionale Annährung an ihre Tochter Dana. Um sie herum tobt währenddessen die Räumung der Siedlung. Ana und Uli finden sich auf gegenüberliegenden Seiten eines Zaunes wieder - ein Spiegelbild sowohl der israelischen Gesellschaft als auch der Situation im Gaza.

Amos Gitai, der mutige und sehr begabte Kritiker wie Verteidiger Israels zeigt sich mit „Trennung“ wieder auf der Höhe seines Könnens: In bewegenden, weil wunderschön bewegten Bildern macht er geographische und emotionale Positionen im Gaza-Streifen kunstvoll deutlich, erfahr- und spürbar. Dass Haus und Heim(at) Schlüsselthemen für den Regisseur sind, zeigt auch seine bislang dreiteilige Langzeit-Dokumentation zum „House“, das die Geschichte eine ein palästinensischen und jetzt israelisch okkupierten Hauses in Jerusalem erzählt. Zwischen Dokumentarischem und Poetischem changierend ist Gitai in „Trennung“ viel stärker als in seinem neuesten Film „Später wirst du verstehen…“, der Verfilmung einer Biografie von Jèrôme Clèment, dem einstigen Arte-Vorsitzenden. Im August erhielt Amos Gitai in Locarno einen Ehren-Leoparden für sein Lebenswerk.

Die Studioaufnahmen zu „Trennung“ wurden in Köln realisiert.

Wall-E


USA 2008 (Wall-E) Regie: Andrew Stanton 98 Min. FSK: o.A.

Welch ein Abenteuer: Ein Film, der lange ohne Menschen auskommt! Doch Wagnis ist der Treibstoff für die Trickfabrik Pixar, die mit bislang neun Animations-Meisterwerken wie „Toy Story“ oder „Findet Nemo“ amüsierte und glücklich machte.

Die ersten Bilder malen eine graue Zukunft, das Ende: Die Erde ist eine einzige Müllkippe, selbst im All dreht sich ein Saturnring aus Schrott um den einstigen Blauen Planeten. In der lebensfeindlichen Umgebung ist nur noch einer aktiv: Der Müll-Roboter Wall-E räumt seit Jahrhunderten einsam auf. Die Türme der von ihm zusammengepressten Müllwürfel überragen mittlerweile die Skyline New Yorks.

Wie ein kleiner Schuljunge zieht Wall-E jeden Morgen mit seinem Essensköfferchen los. Er muss eigentlich die Erde aufräumen, aber der Schrotthaufen ist auch sein Spielplatz, auf dem er immer neue, aufregende Dinge findet. Dieses Kerlchen schließt man direkt ins Herz: Es ist zum Quietschen rührend, wenn er sich selbst in den Schlaf schaukelt, wenn kleine Scheibenwischer die verwunderten Augen reiben und wie er sich um seine Freundin, eine Kakerlake, kümmert.

„Wall-E“ spielt hier erfolgreich die Rolle des „Omega Man“, des letzten Menschen auf der Erde. Doch die tieftraurige Einsamkeit hat ein Ende, als unter großem Getöse ein hochmoderner Erkundungsroboter abgesetzt wird. Der weiß glänzende ein Eindringling rast schießwütig durch die Gegend. Wall-E versucht den Besucher zu begrüßen und stellt sich dabei herrlich komisch wie ein verliebter Tölpel an. Doch die Mühen haben Erfolg, die nur scheinbar unnahbare Eve stellt sich vor. Das kurze Glück endet allerdings, als Wall-E ihr einen kleinen Schössling schenkt, der erste Versuch einer Pflanze nach vielen hundert Jahren. Eve verschließt das zaghafte Leben in sich und düst zurück zu einem riesigen Raumschiff in fernen Galaxien. Als blinder Passagier fährt Wall-E mit und entdeckt, wo die Menschheit seit Generationen überlebt ...

Die Zukunft der Menschheit zieht ziemlich nach aufgeschwemmten, lebensunfähigen Amis aus: Einförmig dicke, unbewegte Menschen schweben auf Fernsehsesseln durch ein Raumschiff, sehen nichts als den Bildschirm vor ihrer Nase. Als blasse Riesenbabys hängen sie auch alle an der Flasche und nuckeln Flüssig-Pizza. Wall-Es Eintritt in diese Welt sorgt erst einmal für Chaos und bewirkt dann die Befreiung der Menschheit aus der selbstgebuchten Unmündigkeit.

Hier ist „Wall-E“ vor allem ein Super-Spaß angefangen bei kleinen Reinigungs-Robotern, die unermüdlich wie ein Schweizer Ricola-Vertreter Dreck auffegen. Es ist wunderbar wie die an sich unförmigen Figuren menschliche Regungen erhalten, Wall-E tanzt sogar zu seinem Lieblings-Video „Hello Dolly“. Nicht nur die liebevollen und ideenreichen Zeichnungen, vor allem auch die Roboter-Geräusche vom Sound-Designer Ben Burtt, der schon R2D2 akustisch Leben einhauchte, erschaffen die ungemein sympathischen Charaktere.

Hinzu kommen grandiose Weltall-Ausflüge, eine wunderbare Sternenreise und wie immer bei Pixar zahlreiche Zitate: Aus der Weltraumgeschichte („2001“) ebenso wie aus der Firmengeschichte, etwa beim total ergrauten iPod in Wall-Es Garage. Denn Apple-Chef Steve Jobs führt gerade auch Pixar und Disney zum Erfolg.

Der Baader Meinhof Komplex


BRD 2008 (Der Baader Meinhof Komplex) Regie: Uli Edel mit Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Nadja Uhl, Jan Josef Liefers 150 Min.


Der Schuld-Komplex

Deutschland im Herbst. Herbst 2008 wohlgemerkt. Deutsche Soldaten schießen wieder weltweit für den Frieden und es gibt keine politischen Diskussionen in der Bevölkerung. Die Rote-Armee-Fraktion, die RAF, ist ein Märchen. Ein spannendes: Aus dem Sachbuch „Der Baader Meinhof Komplex“ von Stefan Aust, dem „Klassiker“ der RAF-Literatur, einen Spielfilm zu machen, ist schon eine verrückte Idee, die zum ebenso eigenwilligen wie erfolgreichen Produzenten Bernd Eichinger passt. Heraus kam ein starker, wirkungsvoller Film.

Brutale Schläge von Polizei und iranischen Agenten markieren 1967 den heftigen Anfang. Dann erschießt der Polizist den Studenten Benno Ohnesorg, bald darauf führt die Hetze von Bild & Co. zum Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Die Demonstrationen werden lauter, die Studentin Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek), ihr Freund Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) setzen mit anderen als Protest gegen den Vietnamkrieg und die deutsche Unterstützung amerikanischer Kriegseinsätze ein Kaufhaus in Brand. Die bürgerliche Journalistin Ulrike Meinhof hilft, Baader 1970 zu befreien. Zusammen mit Ensslin gründen sie die RAF, lassen sich in Palästinenser-Lagern ausbilden. Zurück in Deutschland rauben sie Banken aus und verüben blutige Anschläge.

Die Chronologie der Anschläge bestimmt die weitere Handlung. Dass die RAF-Attentäter tatsächlich ziemlich wild rumgeballert haben, kommt dem Film entgegen. Man wähnt sich stellenweise eher in Tarantinos Universum als in deutscher Nachkriegsgeschichte. Trotzdem ist „Der Baader Meinhof Komplex“ keine Räuber-Geschichte wie „Baader“, obwohl Baader/Bleibtreu als sexistischer, fluchender, nicht besonders intelligenter Comic-Leser wieder für eine Show gut ist. Aber auch für ernsthaften Einsatz und Glauben an den eigenen Kampf.

Vor allem Ulrike Meinhof kämpft zunehmend mit ihrem Schuld-Komplex. Die bürgerliche Journalistin erliegt sichtlich der Verführung des Aufstandes, dem in einer Szene sogar ekstatisch-religiöse und mystische Erlebnisse zugeschrieben werden. Aber ihre enorme Verbissenheit in den Kampf der RAF wird von Martina Gedeck als übersteigerte Abwehrreaktion gegen die eigenen Vorbehalte gespielt. So geht Ulrike Meinhof folgerichtig auch an ihrem Schuld-Komplex zugrunde. Und an dem gruppeninternen Psycho-Terror der in Stammheim zusammengelegten Gefangenen.

Ein fortwährender Wiedererkennungs-Effekt ergibt sich sowohl bei den Namen aus der RAF- und Zeit-Geschichte, aber auch bei der eindrucksvollen deutschen Darsteller-Riege, bei der Bleibtreu, Wokalek und Gedeck als Baader, Ensslin und Meinhof die meiste Leinwandzeit bekommen. Das Dreigestirn der ersten RAF-Generation legt auch im Sog der immer unsinniger wirkenden Attentate, Anschläge, Verhaftungen und Befreiungsversuche ein internes Spannungsdreieck aus, das dem Film sein emotionales Gerüst stellt.

Bruno Ganz rehabilitiert sich vom Eichinger-„Untergang“ in einer grandiosen Darstellung des BKA-Mannes Horst Herold: Der Erfinder der Rasterfahndung behält als einziger auf der Seite des Staates den Durchblick. Und bemerkt, dass man Terrorismus nicht beenden kann, wenn man sich nicht um die Gründe wie Unrecht im Nahen Osten oder soziale Missstände in der ganzen Welt kümmert. Ganz spricht damit auch die Bezüge zum aktuellen Terror-Wahn aus. Der Dreh im Original-Gefängnis von Stuttgart-Stammheim unterbrach übrigens einen aktuellen Al Qaida-Prozess!

Produzent Eichinger und Regisseur Edel („Letzte Ausfahrt Brooklyn“) waren Zeitgenossen der RAF und Studienkollegen. Am Anfang steht ihr Film ganz klar auf der Seite der Anti-Schah-Demonstranten, die brutalst zusammengeschlagen werden. Eine Identifikation mit den Attentätern wird aber vermieden. Der Richter in Stammheim ist eine totale Witzfigur. Die Zweifel an der Selbstmord-These kommen überhaupt nicht vor.

„Der Baader Meinhof Komplex“ ist kein Film, der verstört, Fragen aufwirft oder provokante Stellungnahmen macht. Aber eine solide Grundlage für weitere Diskussionen. Man kann sich freuen, dass sich ein richtig guter und packender Film eines nah-historischen Themas annimmt.

16.9.08

Tage des Zorns


Dänemark, BRD 2008 (Flammen og Citronen) Regie: Ole Christian Madsen mit Mads Mikkelsen, Thure Lindhardt, Stine Stengade 136 Min. FSK: ab 12

"Für's Vaterland!" - dieser Aufruf aus dem Munde von tapferen Widerstandskämpfern, das können nur gute Kerle oder zumindest Helden sein. „Tage des Zorns“, ein in Dänemark sehr erfolgreicher Spielfilm, sieht genauer hin. Im Kopenhagen des Jahres 1944 ermorden Flame (Thure Lindhardt) und Citron (Bond-Killer Mads Mikkelsen) gnadenlos Kollaborateure. Wohlgemerkt nicht die deutschen Besatzer, das würde zu Vergeltungs-Aktionen führen. Und eine bürokratische Widerstands-Leitung handelt detailliert aus, gegen wen man kämpfen darf. Doch in Gesprächen und im Off-Gedankenstrom von Flame tauchen immer wieder Fragen auf: „Warum tust du das? Warum ermordest du so viele Menschen?“ Der junge, rothaarige Auftragskiller Flame hat verschiedene Erklärungen. Von körperlicher Übelkeit angesichts der deutschen Truppen bis zu einer ganz persönlichen Geschichte von einem jüdischem Mädchen, das seine Freundin war und brutal zusammen geschlagen wurde. „So weit darf es hier nie kommen“, lautet sein Entschluss.

Eine Weile lang exekutieren Flame und Citron - so ihre Decknamen - erfolgreich. Aber ausgerechnet mit deutschen Gegnern ergeben sich tiefsinnige Gespräche über das Wesen des Widerstandskämpfers und des Soldaten. Diese und die Begegnung mit der mysteriösen Geheimagentin Ketty bringen den Widerstand aus der Spur, es gibt Verrat unter ihnen und Grabenkämpfe. Denn „die Kommunisten“ kämpfen zwar auch gegen die Deutschen, aber man muss sie nebenbei auch bekämpfen - politische Ränkespiele waren auch in Dänemark wichtiger als der Freiheitskampf. Der Widerstand zeigt sich immer mehr als schmutziges Geschäft. Dazu wird Citron, der Fahrer, aus Geldnot zum Erpresser, zu einem Verbrecher in der Logik des Widerstandes.

Während Verhoeven in „Zwart Boek“, seinem niederländischen Blick auf einen zwiespältigen Widerstand, das Drama einer jüdischen Spionin hochstilisierte, bleibt der Däne Ole Christian Madsen („Kira“) enger beim moralischen Dilemma seiner beiden Hauptfiguren. Ähnlich wie in Spielbergs „München“ werden die Bedenken immer lauter, immer spürbarer. „Tage des Zorns“ ist dabei spannend, hervorragend im historischen Gefühl und bringt auch eine Liebesgeschichte mit. Thure Lindhardt und Mads Mikkelsen („Nach der Hochzeit“) spielen sehr beeindruckend und so sollte „Tage des Zorns“ auch in Deutschland einige erfolgreiche Wochen der Erschütterung und Nachdenklichkeit über all dies Morden erleben.

Nadja DVD


Senator (Universum Film) Kauf-DVD

USA 1994 Regie: Michael Almereyda mit Suzy Amis, Galaxy Craze, Martin Donovan 89 Min. FSK: ab 16

Eine fast vergessene Perle der Filmgeschichte gibt es auf DVD zu entdecken: Der schwarz-weiße Vampirfilm "Nadja", der Erstling von Michael Almereyda („Hamlet“). Stilvolle und schattenreiche 35-mm Bilder sowie ungewöhnliche Verfremdungen mit der Spielzeugkamera Pixelvision von Fisher Price bestimmen die nüchterne Story. Peter Fonda gibt einen herrlich komödiantischen Van Helsing, es gibt eine lesbische Blutsaugerin und die Hal Hartley-Dartellerin Elina Löwensohn scheint nur auf die Vampir-Rolle gewartet zu haben. Zwar gibt es nur einen Trailer als Extra, selbst der Originalton fehlt, doch die Bilder entschädigen reichlich.

NoBody´s Perfect


„Was hat mich – einen kahl werdenden, dickbäuchigen Deutschen mit Contergan-Behinderung – bloß bewogen, als Aktmodel für Fotoaufnahmen zu posieren? Ich sehe aus wie ein rosafarbener, rundlicher, bebrillter Pinguin, und wegen meiner kurzen Arme kann ich mich am Strand immer kaum überwinden, mein T-Shirt auszuziehen.“ So beschreibt der renommierte Filmemachers Niko von Glasow („Maries Lied“) seine Haltung zum eigenen Film. Und sehr schön auch den unverkrampften Ton darin.

Von Glasow sucht elf durch Contergan geschädigte Menschen, die wie er bereit sind, sich für einen Kalender nackt fotografieren zu lassen. Die Suche ergibt filmisch ein ebenso so anrührendes wie spaßiges Porträt dieser Menschen. Der Regisseur ist selbst Contergan geschädigt und immer wieder im Bild. Dadurch gewinnen die Gespräche und Szenen eine Leichtigkeit und der Einblick in die Lebenssituationen bleibt frei von Mitleids-Pathos. In den unverstellten Gesprächen geht es ebenso um Sexualität wie um den Glauben.

Einer der Interview-Partner meint auf die Frage, ob er seine Contergan-Schädigung mittlerweile akzeptiert hat: „Meinen Körper ja, meine muffige Seele hab ich noch nicht akzeptiert.“ Niko von Glasow zeigt ebenso nachdenkliche Momente wie heitere Szenen mit ruppigem Ton ohne jede politische Korrektheit, die er sich erlauben darf.

Allerdings verfolgt von Glasow mit seinen Contergan-Akten auch eine politische Agenda: Im Stile von Michael Moore versucht er, dem Stolberger Pharmaunternehmen Grünenthal, das Contergan auf den Markt brachte, sein Nackt-Porträt zu schenken. Denn der ästhetisch sehr gelungene Film soll den Forderungen nach mehr Entschädigung für die Contergan-Opfer Nachdruck verleihen. Die Porträts, deren Entstehung der Film begleitet, sind zur Zeit auch großformatig in deutschen Städten zu sehen. Von Glasow meint: „Die Gesellschaft muss sich an unseren Anblick gewöhnen.“

Tropic Thunder


USA 2008 (Tropic Thunder) Regie: Ben Stiller mit Ben Stiller, Jack Black, Robert Downey Jr. 107 Min.

1969 schickte die US-Armee in Vietnam zehn Soldaten auf ein Himmelfahrts-Kommando. Nur vier kamen zurück, drei von ihnen schrieben ein Buch. Zwei Bücher wurden veröffentlicht und nur eines wurde verfilmt - dies ist der Film ...

Diese Reise ins Herz des Hintersinns ist eindeutig Kriegsfilm-Klamauk. Doch angesichts eines extremen Auftakts mit Gedärmen, die nach Bajonettstichen übermäßig aus dem Bauch quellen, und kubikliterweise spritzendem Blut, stellt sich die Frage: Klamotte oder „Catch 22“? Dämliche Albernheiten oder „Aberwitz Now“?

„Halte meine Hände!“ bittet der Held (Ben Stiller) seinen Kriegs-Kumpel und der hält brav die Armstümpfe, bis die Kamera zurück fährt und eine noch größere Farce beginnt, die des Drehs eines Vietnam-Films. Und bei dem muss der Dialog mit den Armstümpfen trotz künstlerischer Text-Differenzen durchgezogen werden, denn die Bomber sind mit tonnenweise Napalm für den großen Effekt im Anflug.

Extrem heftig und zynisch zieht „Tropic Thunder“ das Kriegs-Genre durch den blutigen Kakao - eine verdiente Retourkutsche. Weil einige Karrieren kräftig knicken und Millionen für Effekte in Rauch aufgingen, überredet der Buchautor (ein wahnsinniger Nick Nolte als Mini Vanilli der Patrioten-Autoren) den hilflosen Regisseur, den Set zu verlassen und fünf Schauspieler mitten im Dschungel auszusetzen. Nach einer schmissigen Rede zum besten Kriegsfilm aller Zeiten landet der erst Schritt dort auf einer Tretmine. Die Schauspieler halten alles für inszeniert und gehen so ahnungslos mit den Leichenteilen um, dass sie von nun an per Buschtrommel als furchtlose Helden gelten. Das aufgesetzte Kampf-Geschrei lockt direkt Drogengangster an und der Dschungel-Trip wird zum richtigen Abenteuer - auch wenn die Hollywood-Helden das nicht raffen.

„Tropic Thunder“ ist keiner der Kinderscherze aus der Aptow-Fabrik, das ist die Ben Stiller-Fabrik, deren Niveau einige Etagen höher liegt. Hier legen richtig gute Schauspieler Mäzchen, Parodie, Wahnsinnstrips und Schauspiel-Salti Mortale hin. Vor allem Robert Downey Jr. verblüfft, wenn er den australischer Schauspieler Kirk Lazarus spielt, der seine Haut für die Rolle eines Schwarzen operieren lässt und fortan grandios albern auf Afroamerikaner macht. Was seinen schwarzen Kollegen Alpa Chino tierisch nervt. Jack Black gibt im Dschungelcamp einen Drogenjunkie auf Entzug bis er ein Heroin-Lager entdeckt - grotesk!

Eigentlich ist jede Wende haarsträubend und jede Rolle ein parodistischer Volltreffer. Zum Beispiel Tom Cruise als gnadenloser Produzent, der per Telefonkonferenz Prügel verteilt und sich im Abspann-Tänzchen völlig zum Affen macht. Die Hollywood-Riege ist hier so abgehoben, dass sie die Forderungen der Geiselnehmer gar nicht verstehen und meinen, es geht um Vertragsverhandlungen. Der Klamauk teilt im Schnellfeuertempo schallende Ohrfeigen an die eigene Gilde aus. Tugg Speedmans (Ben Stiller) Filmographie ist ein herrliches Parodie-Almanach mit einer Quintessenz: „Die Kunst des Method-Acting wenn man einen Idioten spielt, ist, niemals ein Vollidiot werden!“

Doch die Konsequenz, den Regisseur einfach in die Luft zu jagen und den Wahnsinn seinen Weg gehen zu lassen, hätte man sich bis zum Ende durchgezogen gewünscht. Die Handlung landet im letzten Drittel wieder in konventionellen Bahnen und freut sich, den parodistischen Auftakt nun harmlos als Finale zu konter-parodieren. So hat der Wahnsinn kein System und dem Spaß geht der Mut aus.

Redbelt


USA 2007 (Redbelt) Regie: David Mamet mit Chiwetel Ejiofor, Tim Allen, Rodrigo Santoro 99 Min. FSK: ab 12
 
In Zeiten des wild durchdrehenden Klamauks tut es gut, konzentrierte Integrität im Kino zu erleben. „Redbelt“ erzählt von einem durch und durch rechtschaffenen Menschen. Das exzellente psychologische Drama aus dem Umfeld des Jiu-Jitsu-Sports stammt allerdings auch von einem unbestechlichen Autor und Regisseur: David Mamet.

Konzentriert. Ungemein konzentriert. Von der ersten Szene an packt dieser Film die Zuschauer am Kragen. Wie die feste Stimme eines Kampfsportlehrers seinen besten Schüler in einer extremen Situation führt und gleichzeitig eine Frau verzweifelt versucht, in einer Apotheke ihr Beruhigungsmittel zu bekommen. Als die Handlungsstränge zusammenkommen, knallt es. Doch der Schuss aus der Polizeiwaffe zersplittert nur die Scheibe der Jiu-Jitsu-Schule von Mike. Der Polizist, ein Schüler Mikes, lässt die Sache auf sich beruhen. Nur das Drehbuch vergisst die Episode nicht.

Mike Terry (Chiwetel Ejiofor) lehnt Wettkämpfe ab, nicht nur weil sie arrangiert und die Ergebnisse verkauft sind. Er trainiert für das Leben auf der Straße, bildet eher das Selbstbewusstsein seiner Schüler als ihre Schlagfertigkeit. Er ist Kämpfer, aber auch Psychiater. Steht für seine Freunde ein, auch wenn er zum Leid seiner Frau immer draufzahlt. Doch das zufällige Treffen mit einem kaputten Filmstar (Tim Allen) scheint die Wende zu sein: Terry bekommt ein Skript und gleich auch einen Wohnwagen am Set angeboten. Seine Frau soll Mode für die Gattin des Stars entwerfen. Doch die kurze Hoffnung auf Wohlstand zerschlägt sich schnell und endet in einer mehrfachen Enttäuschung. Es scheint, dass Terrys ehrenhafte Prinzipien in der Realität nicht anwendbar sind. Der sich für nichts verkauft, wird von allen verschaukelt. Um die Schulden abzuzahlen, muss er doch in den Ring. Aber er erkennt, dass mit gezinkten Karten gespielt wird...

„Redbelt“ ist kein Kampf- oder Sportfilm. Im psychologischen Ringen der Figuren, im Kampf und der Konzentration vor allem außerhalb des Ringes könnte man zwar vermuten, dass der Autor und Regisseur David Mamet, der selbst fünf Jahre Jiu-Jitsu lernte, diese Erfahrungen kongenial auf die Leinwand brachte. Doch Mamet ist einfach ein extrem guter Filmschreiber. Einer der ganz großen der Autorenbranche - „Die Unbestechlichen“ stammt aus seiner Feder, ebenso wie „Wenn der Postmann zweimal klingelt“, „Ronin“ oder „Hannibal“ - aber auch einer, der seine Meinung sagt. „Glengarry Glen Ross“ legte 1992 die Menschenverachtung des Geschäftslebens bloß, in „Hoffa“ spielte Jack Nicholson den legendären amerikanischen Gewerkschaftsführer gleichen Namens. Und der ursprüngliche Theaterautor blieb auch der reinen Kunst treu: „Vanya on 42nd Street“ schrieb Mamet ebenso wie den raffiniert rätselhaften Krimi „The Spanish Prisoner“.

Auch wenn das dramatische Prinzip des letzten Kampfes abgenutzt ist wie ein alter Boxhandschuh, Drama-Meister David Mamet füllt die Spannung in „Redbelt“ mit sehr, sehr eindringlichem Schauspiel. Ein erstaunlich klarer und wirkungsvoller Film über Moral und Integrität.

10.9.08

Wilde Unschuld DVD

Regie: Tom Kalin

mit Julianne Moore, Stephen Dillane, Eddie Redmayne

Hauptsache, Zentrum und (einziges) Extra dieser DVD ist Julianne Moore. Die exzellente Schauspielerin konnte selten so grandios aufspielen wie in diesem Melodram um extreme Gefühle und Leidenschaften. In sechs Szenen aus den Jahren 1946 und 1972 zeigt die „Wilde Unschuld“ die erfrorene Ehe des reichen Zynikers Brooks und seiner Frau Barbara (Julianne Moore). Nach der realen Geschichte der Baekeland-Dynastie klammert sich die verlassene Barbara pathologisch an ihren schwulen Sohn Tony.
Mit großartigem Kostüm, Bild und Schauspiel packt das Drama sofort und nachhaltig. Eine besonders seltsame und feine Perle für die Filmsammlung.

Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra


Italien 2008 (Gomorra) Regie: Matteo Garrone mit Salvatore Abruzzese, Simone Sacchettino, Salvatore Ruocco 135 Min. FSK: ab 16

So mögen wir das sonnige Italien: Ein schmissig-schmantiger Song, die Sonne scheint... Doch hier in Neapel scheint erst einmal das Sonnenstudio auf die Haut kräftiger Kerle mit Goldkettchen. Dann knallen andere schmierige Typen die Gebräunten ab, Blut spritzt auf die Neonröhren. Nur das Lied trällert weiter.

„Vedi Napoli e poi muori“ (Neapel sehen und sterben) hat nichts mehr mit einstiger Schönheit der Stadt zu tun. In der heruntergekommenen, gefürchteten Siedlung Scampia geht es vor allem ums Sterben. Unverkleideter Beton rottet vor sich hin und nackte Gewalt beherrscht das Armenviertel. Männer im Anzug planen illegale Müllgeschäfte. Ein Junge hilft Nachbarn beim Einkauf, dann schnappt es sich den Beutel mit Drogen, der bei einer Razzia weggeworfen wurde und kommt den schmutzigen Geschäften zu nahe. Zwei große Jungs machen auf Mafia-Film und werden völlig größenwahnsinnig, als sie ein Waffenlager finden. Ein hervorragender Schneider wechselt die Seiten von einem Ausbeutungsbetrieb zum dem der Chinesen. Ein unauffälliger Mann besucht Familien von „Justiz-Opfern“, von festgenommenen oder verstorbenen Bandenmitgliedern, und liefert ihnen die Rente des Unrechts-Systems aus.

Das kann alles nicht gut gehen, doch genau so stark wie die Spannung um Einzelschicksale ist die authentische Wucht dieser Milieu-Schilderung. Grundlage des Films, der in Cannes 2007 den Jury-Preis gewann, ist das Buch von Roberto Saviano. Eine Enthüllung, die so deutlich wurde, dass der Autor untertauchen musste. Es geht um die Mafia, die in der Region um Neapel Camorra heißt. Ihr (a-)soziales Wirken führt zum dem klanglich nahe liegenden, biblischen Gomorrha des Titels. Sodom und Gomorrha waren derart der Sünde anheim gefallen, dass Gott sie mit einem Regen aus Feuer und Schwefel strafte.

Man muss angesichts dieses „Gomorrha“ überlegen, ob solch eine Strafe nicht milde wäre im Vergleich zum Elend im Vorort Neapels. Es gibt keine Hoffnung in diesen auch im Verfall noch futuristisch wirkenden Ausgeburten deplatzierter Architektenträume. Die Schicksale sind vorhersehbar, das Leben unter den Bedingungen der „ehrenwerten Familien“ unvorstellbar. Die Stärke des Films, der an Originalschauplätzen spielt, liegt in der ungeschminkten Direktheit. Dazu passt auch ein kräftiger Dialekt, der selbst in Italien Untertitel erforderlich machte. Das hat nichts mit den üblichen Mafia-Geschichten wie „Der Pate“ zu tun, auch nichts mit ehrenwerten, aber immer noch als Film inszenierten Polit-Thrillern. „Gomorrha“ ist nackt und hässlich - und nach dem Film weiß man, es kann gar nicht anders sein.

Die Stiefbrüder


USA 2008 (Step Brothers) Regie: Adam McKay mit Will Ferrell, John C. Reilly, Richard Jenkins 98 Min. FSK: ab 12

Die Komödien-Sonderabteilung „Infantile Scherze“ der Apatow Productions beliefert uns nun monatlich mit neuen Ergüssen. Der seltsame Humor wächst sich langsam zu einer Epoche aus - die allerdings kaum einen Stellenwert wie etwa bei den Marx-Brothers erlangen wird. Stärker als der Lachzwang ist hier das Wundern über diese Art von Witz.

Süß ist es, wenn Kinder Erwachsene nachahmen. Traurig, wenn Ausgewachsene auf dem geistigen Stand von Kinder blieben. Schön, wenn Große das Kind in sich erhalten haben. Doch was, wenn zwei fast 40-Jährige immer noch bei den Eltern leben und sich einfach nur so und sehr selbstverständlich extrem infantil verhalten? Ist das schon komisch?

Brennan lebt alleine mit seiner Mutter Nancy Huff und Dale bei seinem Vater Robert Doback. Als die beiden älteren Erwachsenen verliebt zusammen ziehen, beginnen harte Zeiten für die verwöhnten großen Jungs. Schon beim ersten Abendessen streiten und heulen sie wie Kindergarten-Insassen. Dann müssen sie sich noch ein Zimmer teilen und den Ärger dabei kann man sich vorstellen. Aber auch in Form der sichtlich reifen Will Ferrell und John C. Reilly? Daraus soll der Humor dieser absurden Klamotte entspringen, was manchmal funktioniert, aber längst nicht einen ganzen Film lang. Da helfen dann auch ein paar Ekelmomente nicht über die Lücken hinweg. Doch unerschütterlich und sichtlich genüsslich spielten die beiden Komödianten die Albernheit aus, wie sie es schon in "Ricky Bobby - König der Rennfahrer" taten. Im Falle von Will Ferrell als Autor und Produzent mit besonders viel Engagement.

Vielleicht bleiben „Time to say goodbye“ in einer Schmalz-Rapp-Version sowie ein paar andere Momente haften. Momente, bei denen man sich an den Kopf packt. Bewundernd, denn bei einer Schwemme von absurd-albernen Filmen kann es gar nicht mehr so einfach sein, richtig bescheuerte Ideen aufzutreiben.

Babylon A. D.


USA, Frankreich 2008 (Babylon A. D.) Regie: Mathieu Kassovitz mit Vin Diesel, Melanie Thierry, Michelle Yeoh 101 Min. FSK: ab 16

Der Franzose Mathieu Kassovitz hat als Schauspieler ein markantes Gesicht und als Autor/Regisseur eine eigene Handschrift. Seit der heftigen Sozialstudie „La Haine“ (1995) ist er international bekannt, 2000 legte mit „Die purpurnen Flüsse“ einen internationalen Hit nach. „Gothika“, sein Hollywood-Flirt mit Halle Berry, war 2003 nur mäßig gelungen. Jetzt schrieb, inszenierte und produzierte er „Babylon A. D.“, einen futuristischen Action-Film. Die Hauptrolle hat Vin Diesel, ein Star des Haudrauf-Genres. Da muss man an Luc Bessons „Das fünfte Element“ denken, Bruce Willis schlug sich damals durch grandiose Zukunftsbilder, die vom Comic-Meister Enki Bilal inspiriert waren. „Babylon A. D.“ geht in diese Richtung, bedient sich einiger Versatzstücke, aber bleibt letztendlich ein ganzes Stück hinter dem klasse Kino-Klassiker zurück.

Der glatzköpfige Toorop (Vin Diesel) mit dem sanften Gesicht bleibt extrem entspannt, selbst mit zahllosen Gewehren, die auf ihn gerichtet sind. Bevor Toorop dem Zwang folgt, bringt er noch den Anführer der Eskorte um - er war eine Schande für die Zunft der Auftragsmörder. Somit ist auch klar, dass in der rauen, mit Muskeln ebenso wie mit Waffen reich bepackten Schale ein guter Kern steckt. Das Abenteuer kann beginnen.

Für den unmöglichen Auftrag, ein junges Mädchen in die USA zu schmuggeln, wird Toorop aus der Luft abgeholt, mit einem Auto, das vom Hubschrauber abgeschleppt wird. In dieser hoffnungslosen Zukunft sieht alles sehr gewöhnlich aus, nur extrem runtergekommen: Der TGV ist mittlerweile eine verbeulte Blechbüchse, ehemalige Kernkraftwerke sind nur noch riesige Krater in unbewohnbaren Gebieten. Die Städte unterscheiden sich nicht sehr von heutigen sozialen Katastrophen-Gebieten, nur die Gewaltbereitschaft mag etwas höher sein.

Aus einem abgelegenen Frauen-Kloster in der Mongolei holt der Söldner Toorop sein „Paket“ ab: Das blonde Mädchen Aurora (Melanie Thierry). Die Reise durch Kasachstan und über die Beringstraße nach Kanada begleitet Schwester Rebecca (Michelle Yeoh) als moralischer und auch schlagkräftiger Beistand. Erst nach vielen, zwangsläufigen Action-Einlagen, erst im Finale wird „Babylon A. D.“ inhaltlich ein richtiger Science Fiction, mit den heutigen Themen genetische Manipulation, künstliche Befruchtung und Gehirnforschung. Hier trifft auch Lambert Wilson als wahnsinniger Forscher auf Charlotte Rampling, die in einem schönen Ehestreit eine Religionsführerin gibt. Der Streit dreht sich um ... eine Tochter? Ein Wunder? Eine jungfräuliche Geburt als Markenzeichen für eine Weltreligion?

Vor allem die Besetzung der nicht wirklich erschütternden Dystopie ist gelungen - mit Gags wie einem narbigern Depardieu als skrupellosem russischen Gangsterboss Gorsky. Das Futuristische beschränkt sich auf ein paar nette Zukunfts-Gimmicks wie Landkarten aus Papier, auf denen man wie auf dem Touchscreen eines iPhone navigiert oder einem elektronisch lesbaren Ausweis, der Raketen hilft, ihr persönliches Ziel zu finden. In den Ruhepausen zwischen der Action überzeugen die Hauptdarsteller, die erwartete Annäherung zwischen Toorop und der messianischen Aurora hebt „Babylon A. D.“ aus dem Genre-Einerlei hervor. „Babylon“ liegt irgendwo zwischen Bessons „Das fünfte Element“ und Cuarons „Children of Men“ - doch bleibt weniger dicht, weniger fantastisch. „Babylon A. D.“ ist vor allem ein Action-Film.

5.9.08

Venedig 2008 Abschluss



Venedig. Der Wettbewerb der "65. Mostra Internationale d'Arte Cinematigrafia" (26.8.-69.2008) endete mit einem großen Abgesang: Mickey Rourke spielte einen grandiosen Abschied als "The Wrestler" in dem Drama von Darren Aronofsky ("Pi", "Requiem for a Dream", "The Fountain"). Bevor heute Abend die Preisträger vom Jury-Chef Wim Wenders bekannt gegeben werden, zeigt sich das Filmfestival im Rückblick als thematisch reichhaltig mit vielen Blicken auf eine andere Globalisierung, die ein oft schwieriges Miteinander verschiedenster Herkünfte vorführte.

Man kann wirklich sagen, Mickey Rourke hat diese Geschichte mit vollem Einsatz seines Körpers gelebt: Auf der Höhe seiner Karriere, nach Filmen wie "Angel Heart", verabschiedete sich der provokante Schauspieler von der Karriere, um sich seinen Traum vom Profiboxen zu erfüllen. An dem Ergebnis arbeiteten sich später plastische Chirurgen und Psychoanalytiker ab. Doch als gealterter Wrestling-Star "The Ram" kann Rourke alle seine Erfahrungen einbringen. Und was ist das Wrestling anders als großes Kino? Oder wie es Rourke selber in rauer Sprache sagte, er wisse schon, "wie man ein Publikum bei den Eiern packt". So erhielt, der vergebliche Versuch des Muskel-Wracks, nach einem Herzanfall auszusteigen, begeisterten Applaus. Ein auch von Marisa Tomei als Stripperin hervorragend gespielter, bewegender Film, bei dem sich Regisseur Aronofsky stilistisch auffallend zurück hält.

Bei der Publikumsgunst liegt im Wettbewerb am letzten Tag der Kinder-Zeichentrick "Ponyo" vom japanischen Zeichentrick-Spielberg Hayao Miyazaki ("Prinzessin Mononoke") vorne. Einige Kritiker favorisieren knapp Kathryn Bigelows "Hurt Locker" - vor Rourkes großem Auftritt, wohlgemerkt! Petzolds "Jerichow" begeistert wie erwartet nur einen kleinen Kreis.

Wenn man die Vielfalt der vertretenen Regisseure und Autoren, der Stile und Themen ausblendet und so tut, als wären Filmfestspiele ein nationaler Sportvergleich, erwies sich das anfängliche Theater um den italienschen Film als sehr peinlich. Auf ein paar harmlose Zeilen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" reagierte der Kulturminister Berlusconis, Sandro Bondi, beleidigt und Festivalchef Marco Müller prognostizierte einige Preise für den unglaublich guten italienischen Jahrgang. Die vier italienischen Starter im Wettbewerb - einer mehr als nach üblicher selbstauferlegter Höflichkeit des Gastgebers - langweilten oder enttäuschten auf ganzer Linie.
Die Abwesenheit von so schön einfach bekannten Namen des US-Kinos wurde von einer Verteilung auf die ersten und letzten Tage halbwegs kaschiert, doch die Glamour-Medien mäkelten konstant. Als Grund für die geringe Zahl von Hollywood-Filmen wurde der Autorenstreik zu Beginn des Jahres gehandelt. Doch vor allem die überzogenen Zimmerpreise auf dem Lido und die Konkurrenz des Festivals von Toronto, das seit Donnerstag läuft, kratzen an der Position Venedigs. Viele Filme sind auf beiden Festivals zu sehen. Also nicht das nahe Rom, das mit seinem protzigen Festival mittlerweile ohne Bedeutung scheint, bedroht das älteste Filmfest, das 2011 mit einem neuen Palast auftreten will. Bis dahin könnte man sich auf die guten Filme konzentrieren, von denen es im kompakten Programm reichlich gab, wenn weiter als das Nationen-Nummernschild blicken wollte.