27.4.08

Das Leben ist ungewiss - Interview Fatih Akin


Berlin/Aachen. Samstag erhielt Fatih Akin mit seinem Film „Auf der anderen Seite“ vier Deutsche Filmpreise - für die Regie, als Produzent, für den Schnitt und das Buch. Am Tag zuvor nahm er in Aachen zusammen mit dem französischen Regisseur Abdellatif Kechiche die „Karlsmedaille für die europäischen Medien“ („Médaille Charlemagne pour les médias européens“) entgegen.
Günter H. Jekubzik begleitet Fatih Akin am Tag der Verleihung, befragte den Regisseur und sammelte seine Statements bei Gesprächen mit Filmstudenten, der Presse und Publikum.


Wo liegen deine Vorbilder, deine filmischen Einflüsse?
Kino bietet so ein großes Spektrum, dass sich Einflüsse und Interessen dauernd verschieben. Jetzt interessiert mich asiatisches Kino sehr. Vorher war es das iranische Kino, durch das ich versucht habe, Sachen sehr einfach zu erzählen.

Im chinesischen Kino gefällt mit der Umgang mit den anderen Geschlechterrollen. In chinesischen Filmen sind Frauen generell stärker, selbst beim Marketing: Immer steht ein Frauenname oben auf dem Plakat. Und der Ausdruck von Sexualität ist viel spannender.

„Solino“ war für mich der wichtigste Film der Karriere, weil ich mich vor dem Film intensiv mit dem italienischen Neorealismus auseinandergesetzt habe. Da sieht man erst, wie sehr der verzweigt wurde. Vor „Solino“ versuchte ich eine Künstlichkeit herzustellen.

Auch Amerika kann ein wunderbares Land für Filme sein. Im amerikanischen Kino sieht man wie viele Einflüsse aus Europa kommen. Amerikaner sehen Kino als reine Unterhaltung, für mich ist es aber in erster Linie eine Kunstform.



Wie ist dein Standpunkt zum Thema Integration?
Wenn ich irgendetwas leiste zur Integrationsdebatte, positiv oder negativ, läuft das unbewußt ab. Es gibt keine Botschaft, die ich verbreite. Es ist eher so, dass ich etwas hinterher laufe, als das was aus mir entspringt - wie bei einem Traum, der umso mehr entschwindet, je mehr man sich an ihn erinnern will.

Ich habe in meinem Statement zur Verleihung der Karlsmedaille versucht zu warnen, dass die Mediendebatte nicht zur Paranoia gerät. Die ganze Integrationsdebatte in Deutschland hat sich dahin bewegt, dass alles, was islamisch ist, unter Terrorverdacht gerät. Wir haben generell eine Stimmung, die mich an die Springer-Kampagnen gegen Linke Ende der Sechziger Jahre erinnert. Es geht nur darum, Schlagzeilen zu machen auf Kosten der Ressentiments. Ich sehe die Situation auf Messers Schneide.
Wenn ich das überspitzt formuliere, was jetzt in den NL passiert ist mit Theo van Gogh, was soll das anderes sein als die Eskalation? Im Kern geht es um soziale Ungleichheiten, aber das interessiert die Schlagzeilenmacher nicht. Sie sehe ich als Hauptschuldige. Vor 30 Jahren wurden so die Linken vom Hause Springer verurteilt.


Kann Film differenzierter arbeiten als die Printmedien?
Die Tagespresse trägt viel größere Verantwortung als der Film. Wir sind aber näher an der Realität, weil wir mehr reflektieren als die Schlagzeilen. Unsere Berufung ist, narrativ zu reflektieren. Ein Film dauert 90 Minuten, zeigt verschiedene Figuren und Perspektiven. Ich versuche, unterhaltende Reflexion zu schaffen.


Treibt die Wut auf die Schlagzeilenmacher dich zum Filmemachen?
Das Universum ist so groß, ich bin auf sehr viele Sachen wütend, davon ist die Wut über die Medien die Geringste. Ich würde mich lieber mit den Medien über die Fähigkeit unterhalten, Geschichten mit Bildern zu erzählen, über das Licht in bestimmten Situationen. Man wird aber zum Botschafter für bestimmte Dinge. Nehmt das nicht so ernst, was aus meinem Mund kommt, nehmt das ernst, was auf der Leinwand ist.
Worum geht es in meinen Filmen? Um Menschen. Nicht um deutsch- oder türkischstämmige Menschen. Das Blut ist doch überall gleich, wir schwitzen doch alle. Meine deutsch-türkische Herkunft hat mir ermöglicht, in zwei Sprachen zu denken, zu überlegen, wie der Film hier und dort funktioniert.

Bei „Im Juli“ wollte ich zeigen, wie sich ein Held verändert. Dass der Held Deutscher ist und sich in eine Türkin verliebt, muss nicht gleich ein Akt mythischer Verständigung sein. Dann wird mir aber das Ende, wo ein Deutscher mit einer Deutschen zusammenkommt, so ausgelegt, dass ich sagen will: Die Deutschen sollen unter sich bleiben!

Verändert so eine Rezeption das weitere Schreiben?
Dass der Held in „Auf der anderen Seite“ ein türkischer Germanistikprofessor ist, da steckt schon eine Idee dahinter. Und die Überlegung, dass nach Gangstern und anderen wilden Typen auch mal ein Akademiker eine interessante Figur sein könnte.


Wie erlebst du die Rezeption deiner Filme in der Türkei?
Meine ganze filmische Arbeit wird sehr positiv dargestellt, ich habe viele Preise bekommen als deutscher Filmemacher, auch als gefühlter deutscher Filmemacher. Ich begreife meine Arbeit als Teil einer Kultur meiner Eltern, die aus der Türkei stammen. Es wird dort nicht alles verstanden, etwa wenn in „Auf der anderen Seite“ bei einer Taxifahrt ein Hamburger und ein Münchener sich unterhalten, bekommt man das in der Türkei nicht unbedingt mit. Meine Filme werden dort im Kino mit Untertiteln gezeigt.



Das Leben ist ungewiss
Dann eine Frage zu deiner Ästhetik: Was bedeutet das offene Ende von „Auf der anderen Seite“ dramaturgisch für dich?
Rainer Werner Fassbinder hat mal gesagt, Leben ist eine Lüge, Kino ist vielleicht noch eine größere Lüge. Ich glaube, dass das Leben offen ist, nie ist etwas zu ende. Im Widerspruch zu einer anthroposophischen Erfahrung, die besagt, alles hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Es geht immer weiter, das ist meine philosophische Überzeugung. Wenn ich mal in einem Film ein Happy End mache, belüge ich das Publikum und mich selbst. Ich komme mir bei „Im Juli“ und „Solino“ vor wie Pinocchio. Und das als Tipp für Filmstudenten: Filme, die ein offenes Ende haben, sind besser. (Lacht.)

Die Entscheidung für ein offenes Ende hat auch viel mit Mut zu tun. Es gab auch (im Drehbuch, die Red.) die Option, dass das Boot mit dem Vater um die Ecke kommt. Aber die Welt ist nicht so, dass der Vater zurück kommt, das Leben ist ungewiss.



Du warst als Schauspieler, Autor, Regisseur und Produzent („Chiko“, „Takva“) aktiv. Wie ist deine Erfahrung mit Filmproduzenten?
Ich bin (mit der Firma Corazon, die Red.) Produzent geworden, wegen der Erfahrungen mit ihnen. Dabei hatte ich zwei gute Mentoren. Aber man kann das Verhältnis mit dem Elternhaus vergleichen: Irgendwann muss man selbst ein Haus bauen. Andreas Thiel (der kurz vor der Fertigstellung von „Auf der anderen Seite“ starb, die Red.) war mein zweiter Mentor und ein Unruhestifter, das habe ich von ihm gelernt.