29.4.08

[Rec]


Spanien 2007 ([Rec]) Regie: Jaume Balagueró, Paco Plaza mit Manuela Velasco, Ferran Terraza, Jorge Yamam 83 Min.

Weshalb ein Land wie Spanien über viele Jahren hinweg mit  bemerkenswertem und ungewöhnlichem Horror auftrumpfen kann, mag viele Gründe haben. Bei ernsthafteren Autoren wie Guillermo del Toro kann man die Verarbeitung des faschistischen Terrors in der nationalen Psyche suchen. Oder als Fan des Genres einfach makabren Spaß geniessen.

Was passiert, während du schläfst? Da könnte man die Ungeheuer zitieren, die der Schlaf der Vernunft beim spanischen Bildermacher Goya gebiert. Oder einer zu schrillen Moderatorin des Lokalfernsehens bei ihrer vermeintlichen Dokumentation über einen nächtlichen Feuerwehr-Einsatz folgen. Angela (Manuela Velasco) macht gelangweilt eine dieser Beiträge, die keiner braucht. Nett und belanglos, bis die alte Frau, die eigentlich gerettet werden sollte, zubeißt. Blut fließt, laute Hektik bricht aus und schnell ist das TV-Team mit Feuerwehrleuten, Polizisten und einigen Mietern im mehrstöckigen Gebäude eingeschlossen.

Was hier tatsächlich ausgebrochen ist, bleibt schön lange rätselhaft. Immer stürzt ein neues Ereignis überraschend auf uns ein, oder ein Feuerwehrmann im Treppenhaus ab. Bemitleidenswerte Opfer wandeln sich zu blutrünstigen Bestien. In diesem unübersichtlichen Horrorhaus ist niemand sicher, auch nicht vor dem Verdacht, im nächsten Moment selber zum Zombie zu werden.

Das alles verfolgt die angebliche Doku-Kamera von Pablo hautnah, und wenn sie mal ausgeschaltet wird, sorgt die weiter laufende Tonspur für noch mehr Spannung. Man darf zugeben, „[Rec]“ ist extrem spannend!

Die Regisseure Jaume Balagueró und Paco Plaza beweisen, dass man in Sachen Zombie-Horror nicht immer die alten Klassiker wiederbeleben muss. „[Rec]“ ist nichts für schwache Nerven, geht aber noch relativ sparsam mit den Blutkonserven um - für heutige Verhältnisse. Dafür streut die Story den Verdacht geschickt und verrät nicht zu schnell, was hinter der nächsten Ecke der Geschichte lauert. Die subjektive Perspektive vom „Blair Witch Project“ wird zum Blick des Ego Shooters. Und während „I am Legend“ oder „28 Days“ ganze Landstriche mit dem Schrecken überziehen, konzentriert sich hier das bissige Drama auf ein unentrinnbares Gemäuer. Effektiv, gradlinig und schnörkellos - das war schon immer ein gutes Rezept - für Genrefilmer und Zombies gleichermaßen.

Blind Wedding - Hilfe, sie hat ja gesagt


USA 2006 (Blind Wedding) Regie: Michael Ian Black mit Jason Biggs, Isla Fisher, Joe Pantoliano 92 Min. FSK: ab 12

Wenn man Jason Biggs sieht und an „American Pie“ denkt, erwartet man das schlimmste Niveau in Sachen Humor. Doch die Autoren von „Blind Wedding“ fischten nicht im Brackwasser der Anzüglichkeiten nach Zoten. Wie dieser leicht romantische Lach-Mix allerdings zustande kam, bleibt rätselhaft. Wahrscheinlich lag es auch an dem auf seltsame Weise ungewöhnlichen Humor, dass der Film reichlich verzögert und mit seinem bereits dritten alternativen Titel in die Kinos kommt.

Schon die Eröffnungsszene könnte Parodie sein: Anderson (Jason Biggs) taucht äußerst knapp mit rotem Schlüpfer und Flügelchen bekleidet vor einem edlen Restaurant auf. Er will seiner Liebsten als Amor einen Antrag machen. Während ihn sein bester Freund Ted ziemlich anzüglich mit Babyöl einreibt, macht sich ein Latino-Kellner drinnen heftigst an Valerie ran. Liegt es an dessen Steroiden oder am Entsetzen über Andersons Auftritt einige Minuten später? Auf jeden Fall bricht die Angebetete zusammen und wacht nie wieder auf....

Eine witzige Montage-Sequenz komprimiert die Trauerzeit Anderson auf erträgliche Minuten. Doch deutlich wird: Der ist noch lange nicht reif für eine andere, eine lebendige Frau. Bis er spontan im Restaurant die Kellnerin nicht um die Karte, sondern um ihre Hand bittet. Wie Katie (Isla Fisher) dazu kam, nach einer gezögerten Millisekunde einzuwilligen, erklärte eine Rückblende. Und wenn wir gerade in der Abteilung Holperiges sind, müssen Handlungsablauf und Figurenzeichnung erwähnt werden. Wie überhaupt einiges nicht stimmt in dieser Komödie zwischen niedlich und absurd. Dass es trotzdem irgendwie funktioniert, liegt zum Teil an den Darstellern um den sehr steifen Jason Biggs. Die hinreißende Isla Fisher beispielsweise hätte bessere Filme verdient.

Aber es liegt auch am schwer einzuordnenden Humor um die durchaus spaßig schrägen Figuren. Klar ist, dass die sich fremden Anderson und Katie nach dem schnellen Ja-Wort im Schnellimbiss erst einmal noch fremder werden müssen, bis sie in einer schönen, gestrittenen Liebeserklärung zueinander finden. Hilfreich dabei ist das Treffen der Schwiegereltern in der Arrestzelle der Polizei. Dabei sind seine Eltern sexbesessen und hemmungslos. Katies Vater fürchtet man selbst in seinem Schwerverbrecher-Knast und doch freut sich die geschiedene Mama über den Ausbruch des Tieres pünktlich zur Hochzeit des Töchterchens. Das begeistert sogar den Polizisten, der eben in seiner eigenen Zelle gelandet ist.

Wir sind zwar von nichts gefesselt, doch dank wilder Ideen bleibt trotz wenig origineller Handlung die Langweile aus. Da gibt es bei der allwöchentlichen Brautschau der romantischen Komödien Schlimmeres.

Actrices - oder der Traum von der Nacht davor


Frankreich 2007 (Actrices) Regie: Valeria Bruni Tedeschi mit Valeria Bruni Tedeschi, Noémie Lvovsky, Mathieu Amalric, Louis Garrel, Marisa Borini, Valeria Golino 108 Min. FSK: ab 6

Ja, sie ist die amtierende Schwägerin des französischen Präsidenten Sarkozy. Und nein, Valeria Bruni Tedeschi, die Schwester von Carla Bruni, hat so gar nicht von schamlosen Staatsaffären. Äußerst sensibel und persönlich zeigt sie sich in ihrer zweiten Regie „Actrices“ als Schauspielerin in einer Lebens- und künstlerischen Krise.

Valeria Bruni Tedeschi ist Schauspielerin, eine grandiose! Als Bäckersfrau in „Nénette et Boni“ kurbelte sie 1996 den Brotverkauf heftig an. In „La Seconda Volta“ spielte sie, die im Italienischen ebenso zuhause ist wie im Französischen, eine rehabilitierte Terroristin der „Roten Brigaden“, die auf ihr früheres Opfer trifft. Während „Ist Liebe nur ein Wort?“ aufs Wunderbarste mit der Verletzlichkeit einer psychisch labilen jungen Frau fasziniert, zeigte „Die Farbe der Lüge“ eine ruppige Kommissarin. Ihre Regisseure heißen Chabrol, Blier, Denis oder Ozon, aber erst in ihrer ersten eigenen Regie konnte sie das gleichzeitig spröde und äußerst sensible, das schon ihre Stimme in Originalversion erleben lässt, ganz ausspielen: „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr...“ war als autobiographische Tragikomödie ebenso klug und klassenkämpferisch wie humoristisch und anrührend. Und wer wirklich etwas erfahren möchte über die Familie eines italienischen Industriellen, der aus Angst vor den „Roten Brigaden“ mit Frau und den beiden Töchtern nach Paris flieht, über Valeria und die besagte Carla Bruni, der möge sich diesen Film ansehen und nicht all die oberflächlichen Promi-Stories. Carla hieß dort Bianca und wurde gespielt von Chiara, Chiara Mastroianni. Genau: der Tochter.

Biographisch ist auch ihr zweiter Film „Actrices“, wenngleich nicht derartig entschlüsselbar. Valeria Bruni Tedeschi spielt eine Schauspieler und sie spielt im Film an dem Theatre des Armandiers in Nanterra, das real ihr Bühnendebüt erlebte. Der Star Marcelline (Bruni Tedeschi) probt dort die Hauptrolle der Natalaja Petrowna aus Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“. Und es ist die Hölle. Mit enormer Offenheit, extrem engagiert und verletzlich kämpft sie mit der Figur - und mit sich selbst. Denn selbst ihre Gynäkologin weist die bald 40-Jährige auf das Ticken der biologischen Uhr hin.

All die kleinen Momente, die Verletzlichkeiten, Zweifel, Unsicherheiten zeigen eine Frau mit so ehrlicher Offenheit, dass man schamhaft wegschauen möchte, es aber zu keiner Sekunde kann. Zwischen der Affäre mit dem Falschen, einer Vergewaltigung durch ihren nichtswürdigen Regisseur, den Zwiegesprächen mit einer mysteriösen Petrowna oder einem Sofa, fließt immer eine berührende Anmut der Schwäche, eine enorme Kraft im Selbstzweifel. Ganz nebenbei sind die Dialoge genial, die Rollen exzellent besetzt. Valeria - nach diesem Film denkt man, man dürfe sie duzen - spielt zusammen mit ihrer Mutter Marisa Borini, einer bekannten Konzertpianisten. Besser, sie rauft sich zusammen mit ihrer Mutter. Auch ein ziemliches Theater in diesem nicht einfachen Leben, das sich in diesen Nuancen nicht mehr beschreiben lässt, man muss es mit viel Mitgefühl erleben.

27.4.08

Das Leben ist ungewiss - Interview Fatih Akin


Berlin/Aachen. Samstag erhielt Fatih Akin mit seinem Film „Auf der anderen Seite“ vier Deutsche Filmpreise - für die Regie, als Produzent, für den Schnitt und das Buch. Am Tag zuvor nahm er in Aachen zusammen mit dem französischen Regisseur Abdellatif Kechiche die „Karlsmedaille für die europäischen Medien“ („Médaille Charlemagne pour les médias européens“) entgegen.
Günter H. Jekubzik begleitet Fatih Akin am Tag der Verleihung, befragte den Regisseur und sammelte seine Statements bei Gesprächen mit Filmstudenten, der Presse und Publikum.


Wo liegen deine Vorbilder, deine filmischen Einflüsse?
Kino bietet so ein großes Spektrum, dass sich Einflüsse und Interessen dauernd verschieben. Jetzt interessiert mich asiatisches Kino sehr. Vorher war es das iranische Kino, durch das ich versucht habe, Sachen sehr einfach zu erzählen.

Im chinesischen Kino gefällt mit der Umgang mit den anderen Geschlechterrollen. In chinesischen Filmen sind Frauen generell stärker, selbst beim Marketing: Immer steht ein Frauenname oben auf dem Plakat. Und der Ausdruck von Sexualität ist viel spannender.

„Solino“ war für mich der wichtigste Film der Karriere, weil ich mich vor dem Film intensiv mit dem italienischen Neorealismus auseinandergesetzt habe. Da sieht man erst, wie sehr der verzweigt wurde. Vor „Solino“ versuchte ich eine Künstlichkeit herzustellen.

Auch Amerika kann ein wunderbares Land für Filme sein. Im amerikanischen Kino sieht man wie viele Einflüsse aus Europa kommen. Amerikaner sehen Kino als reine Unterhaltung, für mich ist es aber in erster Linie eine Kunstform.



Wie ist dein Standpunkt zum Thema Integration?
Wenn ich irgendetwas leiste zur Integrationsdebatte, positiv oder negativ, läuft das unbewußt ab. Es gibt keine Botschaft, die ich verbreite. Es ist eher so, dass ich etwas hinterher laufe, als das was aus mir entspringt - wie bei einem Traum, der umso mehr entschwindet, je mehr man sich an ihn erinnern will.

Ich habe in meinem Statement zur Verleihung der Karlsmedaille versucht zu warnen, dass die Mediendebatte nicht zur Paranoia gerät. Die ganze Integrationsdebatte in Deutschland hat sich dahin bewegt, dass alles, was islamisch ist, unter Terrorverdacht gerät. Wir haben generell eine Stimmung, die mich an die Springer-Kampagnen gegen Linke Ende der Sechziger Jahre erinnert. Es geht nur darum, Schlagzeilen zu machen auf Kosten der Ressentiments. Ich sehe die Situation auf Messers Schneide.
Wenn ich das überspitzt formuliere, was jetzt in den NL passiert ist mit Theo van Gogh, was soll das anderes sein als die Eskalation? Im Kern geht es um soziale Ungleichheiten, aber das interessiert die Schlagzeilenmacher nicht. Sie sehe ich als Hauptschuldige. Vor 30 Jahren wurden so die Linken vom Hause Springer verurteilt.


Kann Film differenzierter arbeiten als die Printmedien?
Die Tagespresse trägt viel größere Verantwortung als der Film. Wir sind aber näher an der Realität, weil wir mehr reflektieren als die Schlagzeilen. Unsere Berufung ist, narrativ zu reflektieren. Ein Film dauert 90 Minuten, zeigt verschiedene Figuren und Perspektiven. Ich versuche, unterhaltende Reflexion zu schaffen.


Treibt die Wut auf die Schlagzeilenmacher dich zum Filmemachen?
Das Universum ist so groß, ich bin auf sehr viele Sachen wütend, davon ist die Wut über die Medien die Geringste. Ich würde mich lieber mit den Medien über die Fähigkeit unterhalten, Geschichten mit Bildern zu erzählen, über das Licht in bestimmten Situationen. Man wird aber zum Botschafter für bestimmte Dinge. Nehmt das nicht so ernst, was aus meinem Mund kommt, nehmt das ernst, was auf der Leinwand ist.
Worum geht es in meinen Filmen? Um Menschen. Nicht um deutsch- oder türkischstämmige Menschen. Das Blut ist doch überall gleich, wir schwitzen doch alle. Meine deutsch-türkische Herkunft hat mir ermöglicht, in zwei Sprachen zu denken, zu überlegen, wie der Film hier und dort funktioniert.

Bei „Im Juli“ wollte ich zeigen, wie sich ein Held verändert. Dass der Held Deutscher ist und sich in eine Türkin verliebt, muss nicht gleich ein Akt mythischer Verständigung sein. Dann wird mir aber das Ende, wo ein Deutscher mit einer Deutschen zusammenkommt, so ausgelegt, dass ich sagen will: Die Deutschen sollen unter sich bleiben!

Verändert so eine Rezeption das weitere Schreiben?
Dass der Held in „Auf der anderen Seite“ ein türkischer Germanistikprofessor ist, da steckt schon eine Idee dahinter. Und die Überlegung, dass nach Gangstern und anderen wilden Typen auch mal ein Akademiker eine interessante Figur sein könnte.


Wie erlebst du die Rezeption deiner Filme in der Türkei?
Meine ganze filmische Arbeit wird sehr positiv dargestellt, ich habe viele Preise bekommen als deutscher Filmemacher, auch als gefühlter deutscher Filmemacher. Ich begreife meine Arbeit als Teil einer Kultur meiner Eltern, die aus der Türkei stammen. Es wird dort nicht alles verstanden, etwa wenn in „Auf der anderen Seite“ bei einer Taxifahrt ein Hamburger und ein Münchener sich unterhalten, bekommt man das in der Türkei nicht unbedingt mit. Meine Filme werden dort im Kino mit Untertiteln gezeigt.



Das Leben ist ungewiss
Dann eine Frage zu deiner Ästhetik: Was bedeutet das offene Ende von „Auf der anderen Seite“ dramaturgisch für dich?
Rainer Werner Fassbinder hat mal gesagt, Leben ist eine Lüge, Kino ist vielleicht noch eine größere Lüge. Ich glaube, dass das Leben offen ist, nie ist etwas zu ende. Im Widerspruch zu einer anthroposophischen Erfahrung, die besagt, alles hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Es geht immer weiter, das ist meine philosophische Überzeugung. Wenn ich mal in einem Film ein Happy End mache, belüge ich das Publikum und mich selbst. Ich komme mir bei „Im Juli“ und „Solino“ vor wie Pinocchio. Und das als Tipp für Filmstudenten: Filme, die ein offenes Ende haben, sind besser. (Lacht.)

Die Entscheidung für ein offenes Ende hat auch viel mit Mut zu tun. Es gab auch (im Drehbuch, die Red.) die Option, dass das Boot mit dem Vater um die Ecke kommt. Aber die Welt ist nicht so, dass der Vater zurück kommt, das Leben ist ungewiss.



Du warst als Schauspieler, Autor, Regisseur und Produzent („Chiko“, „Takva“) aktiv. Wie ist deine Erfahrung mit Filmproduzenten?
Ich bin (mit der Firma Corazon, die Red.) Produzent geworden, wegen der Erfahrungen mit ihnen. Dabei hatte ich zwei gute Mentoren. Aber man kann das Verhältnis mit dem Elternhaus vergleichen: Irgendwann muss man selbst ein Haus bauen. Andreas Thiel (der kurz vor der Fertigstellung von „Auf der anderen Seite“ starb, die Red.) war mein zweiter Mentor und ein Unruhestifter, das habe ich von ihm gelernt.


23.4.08

Die Drachenjäger


Frankreich, BRD, Luxemburg 2008 (Chasseurs de dragons) Regie: Guillaume Ivernel, Arthur Qwak 82 Min. FSK: ab 6

Wenn der Regisseur Arthur Qwak heißt und renommierter Comic-Künstler ist, darf man etwas Besonderes erwarten und diese deutsch-französische Koproduktion übertrifft an Ideenreichtum selbst die Hits von Pixar und die modernen Märchen aus dem Territorium von „Shrek“.

Das profimäßig lächerliche Drachenjäger-Gespann Gwizdo und Lian-Chu versucht gemeinsam mit dem abenteuerlustigen Mädchen Zoe, die Welt zu retten. Die besteht allerdings mittlerweile aus kleinen Planeten, die lustig umeinander purzeln und von denen sich mutige Drachenjäger hin und her schwingen wie einst Tarzan an den Lianen. Das ist der bröcklige Rest der Erde und die Handlung besteht aus Bruchstücken anderer erfolgreicher Animationsgeschichten. Dafür ist der digital gezeichnete Kosmos der Minimonde, Figuren und Monster ausgesprochen einfallsreich, kurios und sogar anarchisch. Die Ästhetik ist auf dem Stand der Digitaltechnik, wirkt in den Hintergründen wie vom Spiele-Klassiker „Myst“ geklaut und erinnert bei den Figuren an die puppenhafte Poesie des Film-Klassikers „Der König und der Vogel“. Eine sehr sehenswerte Mischung für (nicht ganz) jung und alt.

Ein Schatz zum Verlieben


USA 2007 (Fool's Gold) Regie: Andy Tennant mit Matthew McConaughey, Kate Hudson, Donald Sutherland 112 Min.

Bei der Jagd nach grünen Diamanten, Millionenbeuten oder versunkenen Goldschiffen ist in der romantischen Version der eigentliche Schatz der jeweilige Partner, der gefunden, verloren oder zurück gewonnen werden muss. Diese Schatzkarte für den Kassenerfolg war einige Zeit verloren, doch mit dem Duo Matthew McConaughey und Kate Hudson - bekannt aus Komödie "Wie werde ich ihn los in 10 Tagen?“ - kommt wieder Leben in die alte Kiste.

Die Eröffnung macht den Charakter des passionierten Schatzsuchers Ben (Matthew McConaughey) klar: Begeistert buddelt er im Meeressand, während über ihn in einer herrlichen Abfolge kleiner Katastrophen sein Boot abfackelt und schließlich im Hintergrund als Wrack zu Boden sinkt. Doch die Kleinigkeit interessiert Ben gar nicht, er hat wieder ein Puzzleteil auf der Suche nach eine spanischen Schatzschiff entdeckt.

Und auch das Schiff gehörte eigentlich seiner Frau Tess (Kate Hudson), die sich gerade von ihm scheiden lässt. Doch die gemeinsame Leidenschaft für die Schatzsuche und einander macht eine Trennung unmöglich. Während ihn die einen Geldgeber schon mit Ankerkette am Fuß im Meer versenkt haben, findet Ben mit grandioser Spürnase den nächsten Millionär, der sich für seine Geschichte begeistern lässt. Nigel Honeycutt (Donald Sutherland) beschäftigt auf seiner Superjacht Tess als Steward und so geht die Jagd nach dem Schatz wieder los....

Diese Schatzsuche in der Karibik zu verankern ist optisch weitaus reizvoller wie die Suche nach einer Sonnenscheibe in schlammigen deutschen Wäldern. Dazu taucht Matthew McConaughey immer wieder begeistert knackig und gut „gebuildet“ in die blauen Fluten - ein „Schätzchen“ für sich. Seine Bedenkenlosigkeit gibt der Handlung ihren Schwung. Kate Hudson darf erfreulicherweise mehr sein, sie ist der kluge Kopf der Operation. Ein gelungener Clou der routinierten Inszenierung ist, dass die beiden geschiedenen Partner ihre bewegte Vorgeschichte nur andeuten brauchen und trotzdem in den vielen Streits schön ausleben können.

Die ansonsten nicht originelle Schatz-Romantik findet man noch ganz nett durch reizende Dialoge und eine originelle Besetzung mit Klischee-Typen. Etwa der reiche Gangster-Rapper mit mörderischer Vergangenheit, der in ganz artfremden Gewässern räubern will. Oder die Dummchen-Tochter des Millionärs, der Tess immer mal wieder das Gehirn einschaltet. Dieser Personen-Mix folgt dem Strom der Handlung lebendiger als einst bei Michael Douglas und Kathleen Turner bei der „Jagd nach dem grünen Diamanten“ - aber das kann auch eine Generationen-Frage sein.

22.4.08

Der Fliegende =?UTF-7?B?SCtBT1EtbmRsZXI=?=

Fr 2007 (Le fils de l+IBkA6Q-picier) Regie: Eric Guirado mit Nicolas Cazal+AOk,
Clotilde Hesme, Daniel Duval 96 Min.

Ohne gro+AN8-e Namen und ohne rei+AN8-erische Geschichte die Herzen zu gewinnen, ist
auch eine Kunst. Dem sympathischen franz+APY-sischen Film +IB4-Der Fliegende
H+AOQ-ndler+IBw gelingt diese. Wobei gerade seine m+APw-rrische Hauptfigur Antoine
m+APw-hsam lernen muss, die Herzen seiner Mitmenschen zu gewinnen.

Es ist eine altmodische und +APY-konomisch wahrscheinlich v+APY-llig unsinnige
Erscheinung: Der fahrende Tante-Emma-Laden, der vor allem in l+AOQ-ndlicher
Umgebung meist alte Menschen mit dem N+APY-tigsten versorgt. Und weil dieses
N+APY-tigste nicht nur aus Nahrungsmitteln, Streichh+APY-lzern oder Briefmarken
besteht, rechnet sich der +IB4-Service+IBw nicht mehr. Denn f+APw-r ein paar Minuten
Aufmerksamkeit, f+APw-r ein wenig Anteilnahme f+AOQ-hrt kein H+AOQ-ndler mehr mit viel
Gebimmel vor und bringt kein Milchwagen jeden Morgen die Flaschen frisch von
der Molkerei.

Antoines Vater war so ein Fliegender H+AOQ-ndler in einer abgelegenen Ecke
S+APw-dfrankreichs. Bis ihn der Herzinfarkt ins Krankenhaus brachte. Durch den
Schicksals-Schlag +APw-bernachtet die Mutter in der chaotischen Bude des
verlorenen Sohns Antoine (Nicolas Cazal+AOk) und schl+AOQ-gt auch noch vor, der
Junge solle den Job des Vaters +APw-bernehmen. Antoine ist entsetzt, vom Laden
der Eltern und wohl auch von der Familie wollte er nichts mehr wissen. Und
au+AN8-erdem hat er ja einen Job als Kellner! Hatte, den auch hier fliegt der
unstete Zwanziger wieder raus.

So kehrt Antoine doch heim ins Dorf. Dazu bringt er seine beste Freundin
Claire (Clotilde Hesme) mit. Heimlich liebt er die junge, lebensfrohe
Studentin von nebenan und gibt ihr die Reise aus, damit sie in Ruhe f+APw-rs
Studium arbeiten kann. Am n+AOQ-chsten Morgen beginnt die Tour mit dem fahrenden
Einkaufsladen. Dabei ist Antoine so schnell, dass die alten Leutchen kaum
aus dem Haus sind, bevor er wieder wegd+APw-st. Ansonsten begeistert er mit
Ungeduld, Unfreundlichkeit und grobem Verhalten. Wie konnte dieser
unsensible Mensch blo+AN8 Kellner sein? Obwohl: Das war er ja auch nur ein paar
Wochen.

Claire hingegen kommt wunderbar mit all den alten K+AOQ-uzen der Gegend zurecht.
Sie findet die richtigen Worte und Zugang zu ihnen. Selbst Antoines
verst+APY-rter Bruder, der sich und alle anderen das Verschwinden seiner Ehefrau
verheimlichen will, +APY-ffnet sich der Fremden. Zusammen k+APY-nnten sie den
fahrenden Laden am Laufen halten und sogar die unm+APY-glichen Verh+AOQ-ltnisse in
Antoines Familie aufl+APY-sen. Doch dann +APw-berschreitet der Verliebte eine Grenze
und verjagt Claire...

W+AOQ-hrend der junge Held sich noch selber finden muss, ist der Film schon
l+AOQ-ngst in den ruhigen H+APw-geln dieser Ecke S+APw-dfrankreichs angekommen. Kein
Drama wird k+APw-nstlich +APw-berh+APY-ht, die Handlung nimmt sich von Anfang an Zeit
f+APw-r ihre Menschen, so wie es Antoine erst noch lernen muss. Er lernt auch,
sich selber nicht mehr so wichtig zu nehmen, die Mitmenschen nicht als
st+APY-rend im eigenen (Zeit-) Plan zu empfinden. Das ist schon alles, aber
zusammen mit den Landschaften, dem guten Spiel und der sicheren Inszenierung
ganz unbedingt einen Kinobesuch wert.

16.4.08

Sommer


BRD 2008 (Sommer) Regie: Mike Marzuk mit Jimi Blue Ochsenknecht, Sonja Gerhardt, Jannis Niewöhner 104 Min. FSK: ab 6

Nur zur Warnung: Wer sich noch an „Und es war Sommer“ von Howard Carpendale erinnern kann, ist hier im falschen Film - um mehrere Generationen. Dies ist nicht der Erweckungs-Sommer des weißen Südafrikaners, dies ist der Sommer des 16-jährigen Jimi Blue Ochsenknecht, einem Teenie-Idol mit hohem Kreischfaktor. Niedlich gibt er den Rebell auf Amrum und auch sonst ist alles harmloser als damals bei Howie...

Jimi Blue Ochsenknecht ist Jungstar aus der Filmreihe "Die wilden Kerle". Jungstar mit Wachstums-Problemen: Er wird zu alt, braucht ein neues Spiel(film)feld, um seine Popularität an die Kids zu bringen. Deshalb diese Jugendromanze, die sich nicht nur in jeder Generation, sondern fast jeden Sommer wiederholt: Der 15-jährige Tim (Jimi Blue Ochsenknecht) wird mal wieder von seinem Piloten-Vater (Papa Ochsenknecht) auf eine andere Schule geschickt. Direkt nach der Ankunft auf der Nordsee-Insel Amrum bekommt Tim Ärger mit den lokalen Schnöseln in ihren geschmacklosen Polohemden. Der reiche Lars soll auch in Folge Tims Konkurrent um die Freudin Vic (Sonja Gerhardt) werden.

Tim ist „seltsam“ und er steht dazu. Zwar machen Lederjacke, schief sitzende Kappe und ein Skateboard noch längst keinen Rebellen, aber der Junge geht seinen eigenen Weg, macht sich nichts draus, Feigling genannt zu werden. Auch die unsichere Vic wehrt sich gegen den Markenwahn und erfährt, dass ein Kompliment über ihre hochgesteckt noch schöneren Haare wesentlich wertvoller als die teure Jeans ist.

Der Jugendfilm kann also durchaus Werte vermitteln, schwimmt nicht mit dem Strom. Dazu gibt es ein paar erwachsene Probleme, etwa mit dem arbeitslosen, alkoholkranken Vater Vics. Gerade hier erweist sich Lars als der Falsche, weil er nicht zuhört, kein Freund ist. Und vor allem mit Vic ins Bett will. Bis zum spannenden Finale erfüllt der Film routiniert die Erwartungen des Zielpublikums und überrascht zeitweise sogar mit etwas mehr: Eine Ahnung von Poetik beim ausgeschlachteten VW-Käfer, der wie ein gestrandeter Wal im Sand steckt. Und Romantik, für die es allerdings nur einiger freundlicher Worte bedarf.

Schauspielerisch bewegt sich das alles auf TV-Niveau. Ochsenknecht Junior wirkt in diesem Filmformat so deplatziert wie sein Möchtegern-Rebell auf der Nordsee-Insel. Die Harmlosigkeit des Milchbubis passt zur asexuellen Pferdeschwärmerei der Mädchen. Die Darstellerin der Vic, Sonja Gerhardt, stammt aus der Sat.1-Telenovela „Schmetterlinge im Bauch“. Hier einen Vergleich mit Elke Sommer zu ziehen, bringt den größten Lacher des Films. Witzig ist es eher selten, was in Abwesenheit simpler Albernheiten auch als angenehm empfunden wird. „Sommer“ ist erfreulicherweise nicht die Anhäufung schleimiger und peinlicher Zoten, als die uns „American Pie“ und andere die Pubertät verkaufen will. Obwohl: Der sonnige Jungentraum von Howie hatte auch was...

15.4.08

Fatih Akin

Kompromissloser Brückenbauer

Aachen. Am 24. April erhält Fatih Akin zusammen mit dem französischen Regisseur Abdellatif Kechiche im Aachener Rathaus die „Médaille Charlemagne pour les médias européens“. Die „Karlsmedaille für die europäischen Medien“ geht an Akin und Kechiche, weil sie „mit ihren Filmen einen herausragenden medialen Beitrag zur europäischen Integration“ leisten, so Frauke Gerlach, die Vorsitzende des Kuratoriums Médaille Charlemagne pour les Médias Européens. Die Filme Fatih Akins zeichnet dabei aus, dass man bei ihnen nicht direkt an „Integration” denkt. Sie sind nicht aus dem Stoff der Sonntagsreden von Politikern, sondern prall des Lebens, das Letztere oft aus den Augen verloren haben.

Immer sind es die Leben von Grenzgängern. So fällt schon die Einordnung Fatih Akins in Herkunftsschubladen nicht ganz leicht: Am 25. August 1973 in Hamburg als Sohn türkischer Gastarbeiter geboren, könnte man ihn als Deutsch-Türken vereinnahmen. Wenn man ihn erlebt, ist er viel eher Hamburger, genauer: ein wahrer Bürger des multikulturellen Stadtteils Altona. Dort wuchs er auf, spielte an der Schule Theater und begann erste Geschichten zu schreiben. Später absolvierte er das Studium „Visuelle Kommunikation“ an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, arbeitete beim Film und mit 22 Jahren drehte seinen ersten Kurzfilm „Sensin - Du Bist Es!“. Für den Nachfolger „Getürkt“ gab es 1996 bereits internationale Preise sowie eine Sicherheit: Hier lässt sich einer nicht von Klischees vereinnahmen, sondern spielt frech mit ihnen.

Und genauso tritt er auch auf: Fatih Akin begegnet seinem Publikum ebenso wie Staatsmännern und -frauen sympathisch unangepasst und lässig mit Kapuzenjacke, wenn andere Anzug tragen. Klar, deutlich und temperamentvoll, so geht er alle möglichen Themen an, verbreitet die trockene Launigkeit seiner Wahlheimat Hamburg ebenso wie eine kompromisslose Leidenschaft für den Film.

Die Karriere seiner Spielfilme verlief im Rückblick energisch und gradlinig: Das Debüt „Kurz und schmerzlos“ (1998) gewann direkt den Bronzenen Leoparden in Locarno. Die Liebes-Odyssee von Hamburg nach Istanbul „Im Juli“ mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle war 2000 ein Kinoerfolg. Das Brüderdrama zweier italienischer Einwanderer-Söhne „Solino“ kam zwei Jahre später nicht mehr so gut an, für diesen Paukenschlag des europäischen Gefühlskinos war die Kinolandschaft noch nicht reif. „Gegen die Wand“ (2004) war auch ein Schlag, ein Volltreffer, und wieder ganz anders: Das äußerst heftige Drama einer Deutsch-Türkin auf der Flucht vor den Traditionen und eines Deutsch-Türken im Kampf mit sich selbst sowie dem Alkohol, konnte während der Berlinale nur den Hauptpreis, den Goldenen Bären erhalten. Später kamen noch der Deutsche und der Europäische Filmpreis hinzu. Obwohl wesentlich stiller und feinfühliger hätte auch „Auf der anderen Seite“ solch einen Erfolg verdient. Im zweiten Teil seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie erzählt Akin darin kunstvoll und einfühlsam von sechs Menschen in Deutschland und der Türkei sowie vom Umgang mit dem Tod in diesen wechselnden Konstellationen.

Der Regisseur des Oscar-Kandidaten „Auf der anderen Seite“ hat aber viele andere Seiten: Man kann ihn immer wieder in kleineren und größeren Rollen als Schauspieler sehen, letztens etwa in der türkischen Komödie „Hirsiz var!“.  Seine deutsch-mexikanische Frau Monique zeigt ihn in der Dokumentation „Fatih Akin  - Tagebuch eines Filmreisenden“ beim Dreh von „Auf der anderen Seite“. Die mehrfach ausgezeichnete Fernsehdokumentation „Mein Vater der Türke“ von Marcus Vetter schildert das Wiedersehen mit Fatihs türkischem Vater, einem Gastarbeiter, den der Regisseur seit frühen Kindertagen nicht mehr gesehen hat.

Als Autor schrieb er das Buch der interkulturellen Väterpanik-Komödie „Kebab Connection“, als Produzent schickte er „Takva – Gottesfurcht“ im Februar für die Türkei ins Oscar-Rennen. Morgen läuft das ebenfalls von ihm produzierte Kiez-Drama „Chiko“ (wieder mit Moritz Bleibtreu) im Kino an. Im türkischen Heimatdorf seiner Großeltern startete er ein dokumentarisches Langzeitfilmprojekt mit dem Titel „Müll im Garten Eden“. Und gerade dreht Fatih Akin in New York seine Episode „Chinatown“ aus der Kompilation „New York, I Love You“.

Dass er mit renommierten Kollegen wie Mira Nair, Natalie Portman, Shekhar Kapur („Elisabeth“) in diesem Projekt arbeitet, zeigt dass er längst im Weltkino angekommen ist. „Auf der anderen Seite“ wurde im letzten Jahr gar als Favorit in Cannes gehandelt und der Regisseur meinte selbstbewusst: „Ich bin erst mal da angekommen, wo ich hinwollte. Mal sehen, wohin die Reise noch geht." Zwei Jahre zuvor war er Mitglied der Internationalen Jury und außer Konkurrenz lief seine Musik-Dokumentation „Crossing the Bridge“ - noch so ein Dokument des Grenzgängertums zwischen Europa und Asien wie zwischen verschiedensten Musikstilen.

Die Begeisterung des Regisseurs für Musik war bekannt: Zwischendurch legt er gerne als "DJ Superdjango" Platten auf, solch eine Einlage war auch im Rahmenprogramm der Karlsmedaille angedacht, doch die Zeit zwischen Ankunft aus New York und Weiterflug zum Deutschen Filmpreis in Berlin war zu knapp. Zu wenig Zeit zwischen der Arbeit und dem Einsammeln der Preise. Die süße Last des Erfolges wird der Energie des leidenschaftlichen Filmemachers keinen Abbruch tun. Bislang hatte er immer die Power, mit jedem Film gleich einen großen Schritt weiter zugehen. Was die Neugierde auf den nächsten Film besonders groß macht.

8.4.08

Tödliche Entscheidung


USA 2007 (Before the Devil knows you're dead) Regie: Sidney Lumet mit Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei 117 Min. FSK ab 16

Wie klingt es, wenn das Leben, so wie man es sich vorstellt, erträumt hat, zusammenbricht? Wenn die Konstruktion von Familie, Beruf, Glück nicht mehr hält und zu Boden stürzt? Ganz gleich, welches Geräusch nun bei Ihnen anklingt, nach dem neuen Film von Sidney Lumet hat dieses Gefühl einen ganz eigenen Klang!

Schon an Anfang geht es mächtig schief - und wird nur noch schlimmer: Irgendwo in einem amerikanischen Einkaufszentrum betritt ein Mann mit Skimaske einen Juwelierladen, zückt seine Pistole und zwingt die alte Verkäuferin an die Wand. Wie bei den Coen-Brüdern überbieten sich die beiden Beteiligten in Dummheit, Schüsse fallen, der Räuber stirbt, die alte Frau ist schwer verletzt und den Parkplatz verlässt ein Autofahrer in heller Panik.

Die Idee für diesen Bruch war - wie immer - idiotensicher: Wirtschaftsprüfer Andy Hanson (Philip Seymour Hoffman) braucht Geld, viel Geld. Die Steuerprüfer stehen vor dem Büro und das Koks wird auch immer teurer. Er überzeugt seinen kleinen Bruder Hank (Ethan Hawke), der ebenfalls in einer verzweifelten finanziellen Situation steckt, den Juwelenladen der Eltern auszurauben. Nur die alte, halbblinde Angestellte sei da, die Versicherung würde sowieso zahlen und alle profitieren. Allerdings will Hank den Bruch nicht selber machen, engagiert einen Gangster. Und im Laden steht unglücklicherweise die Mutter von Hank und Andy. Klar wird den beiden das erst, als sie die Mutter im Krankhaus im Koma liegen sehen. Der Vater (Albert Finney) wird noch eine Weile suchen, bis er die Verantwortlichen für die Tat findet. Und - man glaubt es kaum - das ist nicht die einzige erschütternde Entdeckung in diesem Film. Aus der Raubgeschichte kristallisiert sich ein Familiendrama heraus, in dem Andy als vernachlässigter Sohn an der vermissten Liebe zerbricht, während „Baby“ Hank trotz aller Aufmerksamkeit auf die schiefe Bahn gerät.

Mit dem Geräusch von zerspringendem Glas, das auseinander fällt, wie das Leben aller Beteiligten, springt die Handlung immer wieder zurück. Sie zeigt, wie sich die Beteiligten in die verfahrene Situation hineinmanövriert haben. „Tödliche Entscheidung“ besteht aus einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die alle falsch gefällt wurden. Und mitten im Herzen des Gefühlssturms aus Dummheit und Gier, die in liebloser Kindheit wurzelt, vermeint man kurz das Schlagen eines erbarmenden Herzens zu hören. Doch das EKG zeigt falsche Werte, Moral muss hernach neu überdacht werden.

Auf Basis des exzellenten Drehbuchdebüts von Kelly Masterson realisierte Altmeister Lumet einen gewaltigen Familienfilm und einen genialen Thriller. „Tödliche Entscheidung“ ist gleichzeitig klassisch gut und modern, hat die tragische Wucht der alten Griechen und die Absurdität der Gier aus Coen-Filmen. Hinter dem Film steht der bereits 83-jährige Sidney Lumet, der mit Werken wie „Die zwölf Geschworenen“, „Hundstage“, „Prince of the City“ und „The Verdict“ bereits Filmgeschichte schrieb. Nun inszeniert er atemberaubend geniale Schauspieler: Jede einzelne dieser Darstellerleistung von Philip Seymour Hoffman, Albert Finney und Marisa Tomei bildet einen schillernder Marmorblock der Filmgeschichte.

2.4.08

Run, Fat Boy, Run


Großbritannien 2007 (Run, Fat Boy, Run) Regie: David Schwimmer mit Simon Pegg, Thandie Newton, Hank Azaria 100 Min. FSK: ab 6

Seit Dennis bei seiner eigenen Hochzeit Fersengeld gab, hat er ein Problem: Er läuft vor allen Problemen davon und wird doch immer dicker. Eher kläglich versucht er, doch noch bei Libby (Thandie Newton) zu landen. Fünf Jahre nachdem er sie hochschwanger vor dem Traualter sitzen ließ. Doch die hat mittlerweile einen Neuen, Whit (Hank Azaria), der reich, kultiviert, charmant, geistreich und gut angezogen ist - das Gegenteil von Dennis, der als Wachmann den Ladendieben hinterher hecheln muss. Eher gezwungen als motiviert durch seine sehr ungewöhnlichen Freunde will Dennis nun bei einem Marathon gegen Whit antreten.

Dennis ist ein herrlich sympathischer Verlierer, der sich wunderbar lächerlich macht und so die Herzen des Publikums gewinnt. Das Kunststück dieser Brit-Komödie mit hohem Lachfaktor ist, dass trotz heftiger Slapstickeinlagen die ganze Sache nie albern oder blöd gerät. Verantwortlich dafür ist Hauptdarsteller Simon Pegg, der auch das Buch schrieb. Dieses enorme Talent kennt man schon von der Polizisten-Parodie „Hot Fuzz“ aber vor allem von dem Zombie-Spaß „Shaun of the Dead“. Nicht nur die eigene Rolle, die sich Pegg auf den Leib schrieb, ist ein Volltreffer, auch die exzellent besetzten Nebenfiguren gefallen ungemein: Vom indisch-stämmigen Hobbytrainer bis zum Sohnemann, dessen Mimik oscarreif ist.

Abgedreht


USA 2008 (Be kind rewind) Regie: Michel Gondry mit Jack Black, Mos Def, Danny Glover, Mia Farrow 101 Min. FSK o.A.

Wer tatsächlich noch Videokassetten zuhause hat, wird das Drama um diese aussterbenden Schätzchen aus vergangenen Medienzeitaltern verstehen: Die chaotische Nervensäge Jerry (Jack Black) magnetisierte sich selbst bei einem Sabotageakt gegen das Umspannwerk hinter seinem Wohnwagen. So weit so schräg, aber als Jerry gegen die Verbote des Besitzers Mr. Fletcher (Danny Glover) wieder in dessen Videoladen rumstöbert, löscht er alle Aufnahmen der Leihkassetten. Eine Katastrophe für Fletchers Vertretung Mike (Mos Def) und gerade jetzt will die alte Stammkundin Mrs. Falewicz (Mia Farrow) den Komödienhit „Ghost Busters“ ausleihen. Da kein Ersatz aufzutreiben ist - wer hat noch Videos im DVD-Zeitalter? - drehen Jerry und Mike mit sehr, sehr einfachen Mitteln den Film selber nach. Verkürzt selbstverständlich, dann wird er ja besser. Das Unglaubliche passiert nach dieser unglaublichen Aktion: Die „geschwedeten“ Filme werden ein Erfolg, lassen sich sogar teuerer vermieten. So drehen sich die beiden Notfall-Regisseure hemmungslos durch die Filmgeschichte: „Robocop“ schießt da mit dem Fön, „Driving Miss Daisy“ lässt Mia Farrow wunderbar auftreten. In dieser Reihe von schönen Scherzen für Cineasten mündet der anfangs absurde Humor, für den Jack Black meist steht. Doch die liebevolle Film- und Viertel-Geschichte bekommt noch mehr Gefühl, als alle zusammen eine Dokumentation über die vergessene Jazz-Legende Fats Waller drehen...

Der Originaltitel des Film, „Be kind rewind“, ist einerseits die Bitte, das Video vor Rückgabe zurückzuspulen. Aber auch programmatisches Konzept, die Zeit zurückzuspulen. Zum Früher, als es besser war. „Abgedreht“ war schon immer eine gute Bezeichnung für die Filme, an denen Michel Gondry beteiligt war: Geboren in Versailles besucht er eine Kunstschule, hatte eine kurze Karriere beim Pop und wurde schließlich von Björk als Regisseur der sensationellen Videoclips zu „Human Behaviour“ und fünf anderen Songs entdeckt. Danach drehte er für Massive Attack, bevor er 2001 mit „Human Nature“ in Cannes einschlug. Auch der folgende „Vergiß mein nicht“ (Eternal Sunshine of the Spotless Mind) war als digitales Drama einer verwehenden Liebeserinnerung Kino, wie man es noch nie gesehen hatte. Mit „Science of Sleep“ kehrte Gondry von den großen Tricks zu der sehr sympathischen Kleinkunst des ausgeschnittenen Kartons zurück. Die Liebesgeschichte zwischen Stephane und Stephanie (Gael García Bernal und Charlotte Gainsbourg) in Paris gewann mit dem Charme des Handgemachten, der nun auch in „Abgedreht“ das Publikum der nachgedrehten Blockbuster-Filme überzeugt. Ein Märchen vom Film, der unabhängig von den Konzernen gemacht und geliebt wird, dem handgedrehten, der Menschen aus der Nachbarschaft noch etwas erzählt, der von ihren Geschichten handelt.

Untraceable


USA 2007 (Untraceable) Regie: Gregory Hoblit mit Diane Lane, Colin Hanks, Billy Burke 101 Min. FSK: ab 16

Da braucht es nicht die Abstimmung mit der Computer-Maus: „Untraceable“ ist kein guter Film. Jeder, der mitdenkt, entdeckt schnell mangelnde Intelligenz im Drehbuch. Schauspielerisch kann Diane Lane (von „Rumble Fish“ bis „Untreu“) mehr, als sie hier zeigt. Überhaupt ist die ganze Darstellerriege eher schwach. Trotzdem gehört „Untraceable“ in die Kiste mit dem Etikett „interessant“: So erschreckend wurde bislang selten eine mögliche Diktatur des kleinen Klicks geschildert!

Was ist echt im Internet? Stecken die süßen kleinen Katzen tatsächlich schrecklich deformiert in viereckigen Flaschen? Oder hat hier ein Designer zuviel Zeit mit Photoshop verbracht? Die Frage „Was ist echt?“ stellt sich auch den Ermittlern in Portland, als eine süße kleine Katze im Internet live gequält und umgebracht wird. Was soll’s, es gibt Wichtigeres für das FBI aufzuklären, meint der Chef von Jennifer Marsh (Diane Lane). Doch nicht nur die auf den Cyberspace spezialisierte Ermittlungs-Agentin starrt fasziniert auf die Monitore: Die Site "KillWithMe?" behauptet, je mehr Klicks sie erfährt, je schneller solle die Katze sterben. Nur ein paar Tage später hängt ein Mensch gefesselt vor der Kamera, während das Publikum weltweit an den Monitoren hängt. Hunderttausende Internet-Surfer sorgen für ein langsames Verbluten des Opfers.

Es kostet das Drehbuch einige heftige Verbiegungen, zu erklären, weshalb ein Verbrechen im Weltweiten Netz ausgerechnet zufällig von Jennifer Marsh vor ihrer Haustür aufgeklärt werden muss. Selbst die Auflösung macht nicht verständlich, warum der wahnsinnige Mörder die Ermittlerin des FBI ins Visier nimmt. Doch egal. Der Blick auf den Voyeurismus macht „Untraceable“ reizvoll. Die Anonymität des Internet lässt Millionen Menschen zu Zeugen einer Hinrichtung werden und ein Kommentar vermutet, dass dazu bald für viel Geld Werbung geschaltet wird. Welche - kommerzielle - Macht die Quote hat, wird in Bezug auf das Fernsehen und, in minderem Maße, auf die Printmedien hinlänglich diskutiert. Da ist „Untraceable“ so zynisch wie „Das Millionenspiel“ (und dessen Remakes) nach Wolfgang Menge schon 1970. Doch wenn Blicke tatsächlich mit Klicken töten können, erschreckt diese Umsetzung neuerlich. Nicht die grausamen, sadistischen Morde schocken. (Sie werden erträglicher als bei „Saw“ und „Hostel“ dargestellt, bleiben aber noch unappetitlich.) Es ist der Zähler am Rande des Computerschirms der rasend die wachsende Menge der Zuschauer einblendet. Die Gedanken Canettis über „Masse und Macht“ sollten um eine neue Form der anonymen Masse erweitert werden. Wobei: Hat sich so viel verändert seit den johlenden Menschenmassen bei Hinrichtungen im Mittelalter?

So gesehen sollte man es Gregory Hoblit danken, dass er es nach "Zwielicht", "Dämon" und "Das perfekte Verbrechen" nicht zu spannend macht und Zeit zum Nachdenken lässt.