30.1.08

Die Band von nebenan

Die Band von nebenan
 
Frankreich, Israel 2007 (The Band's Visit / Bikur hatizmoret) Regie: Eran Kolirin mit Sasson Gabai, Ronit Elkabetz, Khalifa Natour 88 Min. FSK: o.A.
 
Es hat schon bei der Ankunft einen ganz besonderen Charme, dieses Polizeiorchester von der traurigen Gestalt. Die Städtische Polizeicombo von Alexandria sieht reichlich verloren aus am israelischen Flughafen. Nicht nur weil niemand sie abholt, auch weil es hier gar Arabisches Kulturzentrum gibt, eigentlich "überhaupt keine Kultur", wie die Imbiss-Wirtin Dina bitter spöttisch bemerkt. So ziehen die acht Musiker mit ihren Trolleys und verschiedenen Instrumenten auf Rollen durch die öde Gegend und lassen an Kaurismäki und andere trockene Humoristen denken.
 
Dabei herrschte schon ohne dieses Chaos Krisenstimmung, denn die Band wird auch zuhause nicht mehr gebraucht. Interne Spannung verursacht nicht nur der junge Trompeter, der Chat Baker und junge Frauen liebt. In der angestaubten Rollerskate-Disco gibt er eine Lehrstunde in Sachen altmodischem Flirt und Charme. Die Völkerverständigung läuft hier nur über Englisch ab - ein beredter Beleg für die Situation im Nahen Osten. Wobei die Musik der "Summertime" ganz einfach harmonisch zusammenführt. Oder die Begeisterung für Omar Sharif und die alten ägyptischen Liebesfilme.
 
Der melancholisch-diktatorische Dirigent Tafik erinnert stark an Chaplin und umso reizvoller ist das Interesse Dinas an ihm. Will sie ihren verheirateten Liebhaber eifersüchtig machen? Neben großartigen Schauspielern mit eindrucksvoller Physiognomie präsentiert der junge Regisseur Eran Kolirin immer wieder wunderbare Tableaus, welche die Würde gebrochener Individuen ausdrücken.
 
Diese "Band" war Preisträger bei vielen Festivals und spielt sich in der Konfrontation von ägyptischer Tradition und israelischer Moderne in die Herzen des Publikums. Die mit Sympathie gezeichneten Figuren erzählen ganz nebenbei einiges über die Region, was man nicht in den Nachrichten erfährt.

29.1.08

In die Wildnis - Into the Wild


USA 2007 (Into the Wild) Regie: Sean Penn mit Emile Hirsch, Marcia Gay Harden, William Hurt 140 Min.
 
Der Traum vom Aussteigen, von der Klarheit eines ursprünglichen Lebens, gehört zum Handgepäck jedes romantischen oder auch nur halbwegs rebellischen Jugendlichen. Meistens lässt dieser Traum sich in einen Rucksack verpacken und erfüllt sich je nach Generation auf Goa oder Gomera. Mit der wahren Geschichte des Aussteigers Chris McCandless zeichnete Autor Jon Krakauer so einen idealistischen Trip nach. Schauspieler, Autor und Regisseur Sean Penn ("Das Versprechen - The Pledge", "The Crossing Guard", "The Indian Runner") verfilmte den Traum-Stoff durchaus doppelbödig: "Into the Wild" schwelgt in Naturromantik und bricht diese gleichzeitig im aufmerksamen Blick.
 
Schon dieses (Titel-)bild ist verwunderlich: Wie kommt ein Linienbus in die straßenlose Wildnis einer abgelegenen Ecke Alaskas? Und wie kommt dieses bärtige Jüngelchen, das Gedichte in Holz ritzt, in den rauen Winter? Der 20-jährige Student Chris (Emile Hirsch), verwöhntes Jüngelchen aus reichem Hause, will die Wahrheit finden. Er reist klassisch gen Westen, verbrennt seinen Ausweis. Der alte Datsun wird weggespült von Naturgewalten. Dann geht es den Grand Canyon runter, man besucht nette Hippies in Kalifornien, bevor der eigentliche Plan verwirklicht wird: Ab nach Alaska. Doch Alexander Supertramp, wie er sich nun nennt, flieht ebenso die Zivilisation wie den Ehekrieg seiner Eltern.
 
Nun lebt er allein mit seinen literarischen Helden in diesem Bus mitten im Nichts. Man vermeint, im Kino die Klarheit der Berge und der Luft zu atmen. Chris stehen Tränen in den Augen bei einer stillen Begegnung mit einem Karibu und das Publikum ist ergriffen von eindrucksvollen Naturaufnahmen. Die Songs von Eddie Vedder ("Pearl Jam") begleiten die Bilder kongenial rau ("Gesellschaft, du bist ein seltsames Gewächs. Hoffe, du fühlst dich nicht einsam ohne mich").
 
Doch die Kondensstreifen der Flieger am Himmel machen deutlich, dass man der Zivilisation auf dieser Welt kaum mehr entfliehen kann - zumindest nicht geographisch. Überhaupt ist das so ein Ding mit der verachteten Gesellschaft und ihren Errungenschaften. Da grillt der verleugnete Vater bei gehassten Gartenfeiern, die albernen skandinavischen Touristen braten sich einen Burger im Grand Canyon. Chris lässt dies alles zurück, um archaisch selber wieder mit dem Feuermachen anzufangen. Oder wie es ein "Freund" auf der Wanderschaft in die Wildnis bemerkte: "Wer ist denn diese Gesellschaft? Bin ich es? Oder der Typ an der Bar?"
 
Freund steht in Anführungszeichen, weil fraglich ist, ob Chris sie überhaupt hat? Der Super-Tramp leistet sich den Luxus der Ungebundenheit - wird dadurch von vielen Menschen an Sohnesstatt angenommen, um bald wieder weiter zu ziehen. Was für die Zurückgebliebenen sehr grausam ist, höhnisch kommentiert von Pseudo-Weisheiten wie "Man darf sein Herz nicht an die Menschen hängen. Zwei Fragen an die Menschen stechen heraus in dieser Reise zur Selbstfindung, zwei Pole: Wovor laufen sie weg? Oder: Wovor verstecken sie sich? Sean Penn entschied sich für den Mittelweg, er lässt Chris in den Bildern träumen, ohne sich naiver Romantik hinzugeben.
 

Cloverfield


USA 2007 (Cloverfield) Regie: Matt Reeves mit Lizzy Caplan, Jessica Lucas, T.J. Miller 85 Min. FSK: ab 12
 
Wer meint, Hollywoodfilme im allgemeinen und Katastrophen-Filme ganz besonders seien in den letzten Jahren eher eine Katastrophe gewesen, und wer sich für hochwertige TV-Kost wie "Lost" begeistert, wird an der neuen Kino-Katastrophe "Cloverfield" seinen Spaß haben.
 
Aufnahmen von einer Abschiedsparty in Manhattan wirken unspektakulär wie all die anderen Heim-Videos mit persönlichem Erinnerungswert. Eine Clique feiert und nimmt die Wünsche für den scheidenden Rob (Michael Stahl-David) auf. Ein kleiner Einblick in die Beziehungen der Gruppe reicht, Gerede über Robs Freundin Beth kommt hinzu. Kurz vor dem ersten Einschlag hört man das Leitmotiv für die weiteren Handlungen: Kümmere dich um die Leute, die dir am meisten bedeuten! Dann fällt das Licht aus, ein Erdbeben erschüttert die Hochhäuser in New York. Das Fernsehen bringt erste Spekulationen, doch schon rennen alle panisch auf die Straßen, wo der Kopf der Freiheitsstatue als Bowlingkugel missbraucht wird. Zeit für Erklärungen hat dieser Film nicht. Oder positiv gesagt: "Cloverfield" ist so unübersichtlich wie das Leben.
 
Denn der Film besteht nur aus verwackelten Handkamera-Aufnahmen, die Hud ziemlich talentlos schießt. Dafür ist er wie die Kamera ziemlich robust: Selbst in den wildesten Szenen vergisst er das Filmen nicht, eine helfende Hand fehlt also immer in der Not - man sollte nicht weiter drüber nachdenken. Auch nicht darüber, dass die Kamera selbst wohl ein Model "Bruce Willis" ist. Unkaputtbar machen ihr Hubschrauberabstürzen, Bombenattacken und Feuersbrünste nichts aus. Doch das sind Randerscheinungen eines erfreulich unkonventionellen Katastrophenfilms.
 
Ganz anders als bei üblichen Panikstreifen aus New York herrscht hier kein Hightech vor, kein digitales Trickfeuerwerk will beeindrucken. Mit vermeintlichem Understatement bleibt die hektische und verwackelte Hand-Kamera der 25 Mio.-Produktion ganz nahe bei den schreienden panischen Menschen. Dazu sieht man von den Angreifern lange nur Fragmente im Dunkeln. "Blair Witch" trifft auf "Godzilla" beschrieb die Kritik dieses Konzept treffend.
 
Im scheinbar dokumentarischen Videomaterial, gefunden im Katastrophengebiet "Cloverfield", ehemals bekannt als Central Park, baut sich Spannung konsequent auf der Augenhöhe der Betroffenen auf. Das wirkt und lässt beinahe vergessen, dass die Dramaturgie der Freunde, von denen einer nach dem anderen auf der Strecke bleibt, sehr klassisch ist.
 
Schauspielerisch ist "Cloverfield" gelungen, ohne dass Highlights auffallen würden. Die wirklichen Werte warten hinter der Kamera auf: Produzent ist der "Lost"-Macher J.J. Abrams. Der Autor Drew Goddard schrieb auch Bücher zu "Lost", "Alias" und "Buffy". Dazu kam in den USA eine sehr geschickte Werbekampagne, die wie der Film vieles nur andeutete. Da sich dabei wie bei "Blair Witch" der Reiz verliert, je mehr man über den Film weiß, sollte man ihn einfach mal sehen.

23.1.08

Leergut


Tschechische Republik 2007 (Vratne Lahve) Regie: Jan Sverák mit Zdenek Sverák, Daniela Kolárová, Tatiana Vilhelmová und Jirí Machácek, 103 Min.
 
Wenn ein Film gleich eine Reihe von Publikumspreisen auf großen Festivals erhielt und erfolgreichster tschechischer Film aller Zeiten wurde, braucht man eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Außer vielleicht, dass "Leergut" umso sympathischer ist, weil er sich auf keine Erfolgsformel ausruht und die Kantigkeit seiner Hauptfigur erfolgreich die Form einer wunderbaren Komödie übernimmt.
 
Oscar-Preisträger Jan Sverák inszenierte (wieder mit seinem Vater Zdenek in der Hauptrolle) nach "Kolya" eine herrlich unromantische Komödie. Nachdem der alte Lehrer Josef wieder einen Schwamm über seinem schlimmsten Schüler auswrang, wird ihm klar, dass er hier aufhören muss. Doch zuhause bei seiner Frau, mit der er vierzig Jahre teilte, hält er es auch nicht aus. Er sein ein "Grüßer", und um seine Frau freudig zu begrüßen, müsse man halt vorher aus dem Haus gehen. So versucht sich Josef erst als Fahrradkurier im vereisten Prag, wobei er wohl älter ist, als alle Kollegen zusammen. Dann findet er seine Bestimmung in der Leergutannahme eines Supermarktes. Dort ist der liebenswert eigenwillige Rentner Psychologe, Verkuppler und Sozialdienst in einer Figur.
 
Nach der Senioren-Kinder-Geschichte "Kolya" gelang Sverák wieder ein ungemein herzlicher Film um Menschen, die man mag, weil sie einfach menschlich sind. Ohne großes Theater ist "Leergut" in seiner Bescheidenheit großartig. Wobei, wenn es im Finale abhebt, das Meisterwerk noch einmal atemberaubend wird.

My Blueberry Nights


China/USA 2007 (My Blueberry Nights) Regie: Wong Kar Wai mit Jude Law, Norah Jones, Rachel Weisz 95 Min. FSK: ab 6
 
In the Mood für Blaubeer-Küsse
 
Der Moment kurz vor der Liebe, ausgedehnt über ein ganzes Leben, oder zumindest einen schönen langen Film, mit möglichst vielen kulinarischen Szenen ... das ist Wong Kar-Wai, das ist „In the mood for love". Nur diesmal sind es nicht dampfende Nudelküchen, in denen sich erst Blicke, dann Sehnsüchte und Säume wunderbarer Stoffe streifen. Der in Kunstkino-Kreisen hoch verehrte Regisseur aus Hong Kong drehte erstmals in Englisch. So wird Elizabeth (Norah Jones) New York nach langer Beziehung verlassen, vom Imbiss ihrer verlorenen Liebe gen Westen aufbrechen - von einer Kneipe zum nächsten Restaurant. Weil sie nicht schlafen kann, macht sie gleich zwei Jobs, bis jemand sowohl in ihrem Tag- als auch im Nacht-Leben auftaucht.
 
Vom kalifornischen Venice Beach gehen die Erinnerungen zurück nach Coney Island, an die Ostküste. Fast ein Jahr ist es nun her, dass Elisabeth (Norah Jones) sich verzweifelt im Cafe Kluych nach ihrem Freund erkundigte. Der englische Chef Jeremy (Jude Law) erinnert sich gut an Leute, nur nie an ihre Namen, immer nur an ihr Essen. Wie die verlorene Frau, die nicht allein sein will, bald Abend für Abend zum Reden kommt und ihren Blueberry Pie, ihren Blaubeer-Kuchen mit Vanille-Eis essen wird, bleibt ihm unvergesslich ...
 
Das Ritual erlaubt ihnen eine ganz langsame Annäherung, lässt Trauer verfließen und die Bilder der Überwachungskamera statt alter Geschichten erzählen. Warme, gelb-grüne Töne passen zur rauchigen Stimme Elizabeths. Bald fällt sie an seiner Seite in Schlaf. Ein Rest Eis verführt zum wunderbaren, dem Schlaf und schönen Lippen geraubten Kuss. Dazwischen geschnittenes Zusammenschmelzen von Beeren, Sahne und Eis macht die reine Berührung hoch erotisch.
 
Im Rahmen dieser besonderen Begegnung zwischen Elizabeth und Jeremy erzählt „My Blueberry Nights" von anderen Leidenschaften auf dem Weg der Reisenden. Auch wenn der Film vor allem in dem New Yorker Cafe die großen und kleinen Gefühle in ganz große traumhafte Kinomomente umwandelt, zeigen auch die anderen gefühlvollen Geschichten schönes Kino, mit heftigen Leidenschaften, saufenden und heulenden Männern, denen verzweifelte Liebe das Genick bricht.
 
Ein ganzes Buch voller Geschichten erzählt eine Vase mit Schlüsseln, die Jeremy von unglücklich Verliebten zum Aufbewahren hinterlassen wurden. Er glaubt daran, dass Türen nicht für immer geschlossen bleiben. Und seine Mutter lehrte ihm, wenn er mal verloren ginge, einfach stehen zu bleiben und zu warten. Das erschwert seine Suche nach Elizabeth, die längst immer wieder anders heißt, ihrem „Freund" Postkarten schickt, aber vielleicht auch woanders Blaubeer-Kuchen isst.
 
Norah Jones, die als Jazz-Country-Sängerin ähnlich meinte: "Come Away with Me", hat nicht die Eleganz von Gong Li, der Göttin aus Wong Kar-Wais asiatischen Filmen. Das fällt besonders auf, wenn Rachel Weisz in einer kleineren Rolle ähnlich cool stilisiert wird. Doch der Seitenwechsel tut Wong Kar-Wai gut: Man erfreut sich an vielen bekannten Stilen, erlebt aber auch ganz neu dynamische Montagen, etwas schnellere Zeitlupen. Das gilt für Bild und Ton, den kreisenden Melodien von „Mood" gesellen sich Jones-Akkorde hinzu. Die bewegendsten Momente dieses wunderbaren Films treffen mit kurzem Flamenco-Klatschen oder mit einer Version (Nina Simone?) von Neil Youngs „Harvest Moon" auf: Because I am still in love with you ...
 

16.1.08

Once

Once
 
Irland 2006 (Once) Regie: John Carney, Musik: Glen Hansard, Markéta Irglová mit Glen Hansard, Markéta Irglová 87 Min. FSK       o.A.
 
Ein Musical? Da klampft jemand in einer Dubliner Einkaufsstraße, am Bildrand pinkelt ein anderer in die Ecke, um bald mit den paar Münzen des Straßenmusikers abzuhauen. Das ist voll das Leben. Oder zumindest live aus diesem aufgenommen. Nix von der auch sehr schönen Künstlichkeit eines "Singing in the Rain", der "Regenschirme von Cherbourg" oder Lars von Triers "Dancer in the Dark". Kein Jacques Demy und kein Hollywood-Musical. Sympathisch, diese Eröffnung, auch weil der Musiker (Glen Hansard), nachdem er den Dieb gestellt hat, sich erweichen lässt, ihm das Geld zu lassen. In der nächsten Szene gewinnt der bärtige Barde endgültig die Herzen: Nachts ohne rastlose Konsumenten spielt er vor den verschlossenen Läden seine eigenen, rau-sehnsüchtigen Songs. Ein wenig von Damien Rice hat er im Besingen unglücklicher Liebe, obwohl man sich den nicht im Nebenjob als Staubsauger-Mechaniker vorstellen kann. Doch dies ist wieder so eine nette Wende des im Minutentakt einnehmenden Films. Die Begegnung mit dem tschechischen Mädchen (Markéta Irglová) wird erst zu einem Reparaturauftrag, dann zu einem Duett und dann ... wird man wird wieder überrascht.
 
Glen Hansard und Markéta Irglová haben auch schon im richtigen Leben zusammen musiziert und eine CD aufgenommen. Das steigert den Charme dieses so ungemein natürlich spielenden Paares aus zwei sehr liebenswerten und sehr witzigen Charakteren. Auf jeden Fall kann man "Once" wünschen, dass die Szene, in der das Mädchen ihren Staubsauger wie einen Hund durch die Fußgängerzone zieht, zu einer Filmikone wird - ganz wie Gene Kelly unter Regenschirm und Lampe.

15.1.08

PS - Ich liebe dich


USA 2007 (P.S. Ich liebe dich) Regie: Richard LaGravenese mit Hilary Swank, Gerard Butler, Gina Gershon 129 Min. FSK: o.A.
 
Zu sagen, Holly (Hilary Swank) und Gerry (Gerard Butler) lieben und necken sich, wäre die größte Untertreibung seit dem bekannten Streit von Adam und Eva. Sie streiten sich derart, dass die Sofa-Kissen zerfetzt aussehen, wie nach einem Besuch von Freddy Krueger. Und lieben sich dann ebenso intensiv! Eine schwierige Beziehung, die erst als das ganz Wunderbare erkannt wird, wenn man und frau einen Schritt zurückgehen. Leider ist der Schritt, den Holly erleben muss, unwiderruflich: Gerry stirbt wegen eines Tumors. Auf geht es zu einer unverschämt guten Achterbahn der Gefühle...
 
Erst vergräbt sich die junge Frau derart in ihrem Schmerz, dass es die Freunde förmlich riechen. Vor lauter Trauer und herzzerreißenden Erinnerungen bleibt die Körperhygiene auf der Strecke. Doch an ihrem 30. Geburtstag erreicht Holly eine Nachricht des Verstorbenen: Im Bewusstsein des nahenden Endes hinterließ er ihr Nachrichten, die sie jetzt langsam wieder zurück ins Leben führen sollen. Sie enden fast alle mit "P.S. Ich liebe dich".
 
Rührend wie die Rückblenden wirkt auch die intime Kenntnis Gerrys aller zukünftigen Reaktionen seiner Liebsten. Spät, zu spät, erkennt sie, wie gut er sie kannte. Und wie selbstlos er sie aus seiner Liebe entlässt, damit sie sich selber wieder finden kann.
 
La Gravenese verfilmte einen Roman der Irin Cecilia Ahern und bestätigt seine hervorragenden Arbeiten als Autor ("Die Brücken von Madison County", "Der Pferdeflüsterer") und Regisseur ("Wachgeküsst", "Freedom Writers"). Es geht um Trauer und Abschied, aber "P.S. Ich liebe dich" ist in munterem Wechsel unverschämt rührend und umwerfend spaßig. Hinzu kommt, dass eine Romantische Komödie selten so schön beiläufig von Weisheiten des Lebens, Leidens und Liebens erzählte.
 
Hilary Swank ist als Holly ein Volltreffer: Ein klasse Charakter, immer irritiert, dauernd verwirrt und meint dabei ganz genau zu wissen, was man machen muss. Ihre Launen sind schwer erträglich und dabei sehr liebenswert. Auch die Nebenrollen in Hollys toller Party-Familie sind fantastisch besetzt, sehr schön, der ungeschickte, alberne Barkeeper Daniel (Harry Connick jr.), der tatsächlich Pillen gegen seine Unhöflichkeit nehmen muss. Ob aus dieser seltsamen Freundschaft aus Selbstmitleid, Bitterkeit und Kotze mehr wird? Dies wird hier nicht verraten. Eines jedoch noch: "P.S. Ich liebe dich" ist auf keinen Fall nur ein Frauenfilm, denn irgendwann wird den Männern verraten, worauf Frauen eigentlich wirklich stehen!

Der Nebel


USA 2007 (The Mist) Regie: Frank Darabont mit Thomas Jane, Marcia Gay Harden, Laurie Holden, André Braugher 127 Min. FSK: ab 12
 
Es ist eine unheimliche Begegnung, die einem das Grauen lehren könnte: Ein nicht besonders guter, aber effektiver und dadurch erfolgreicher Horror-Autor - Stephen King - trifft auf einen hervorragenden Regisseur - Frank Darabont. Zweimal ging es gut. "Die Verurteilten" und "The Green Mile" waren dichte, hervorragend gezeichnete Filme, denen man Stephen King nicht unbedingt ansah. Diesmal jedoch herrscht der Schrecken und das Ergebnis hätte auch heißen können: "Ungeziefer im Nebel".
 
Zuerst schlägt ein Sturm zu, dann nähert sich eine seltsame Nebenwand der Küste. Als David Drayton (Thomas Jane) mit seinem Sohn zum Supermarkt fährt, ist alles in einem unerklärlichen Aufruhr. Polizei, Feuerwehr und Militär rasen durch die Straßen. Bald erreicht der Neben die Glasfassaden des Einkaufszentrums und die Kunden sind eingeschlossen, denn draußen lauert etwas.
 
Regisseur Darabont schafft es sofort, eine bedrohliche Atmosphäre aufsteigen zu lassen. Allerdings gibt er auch schnell etwas preis - früh wird ein Teil des Ungeheuers gezeigt, das dort draußen wütet. So schafft er Raum für ein Wechselspiel von externer Bedrohung und inneren Spannungen. Im Mikrokosmos der eingeschlossenen Notgemeinschaft errichtet eine fanatische Christin (grandios; Marcia Gay Harden) ihren Gottesstaat, ein unsicherer Nachbar will dauernd jeden verklagen, und die kleinen Geister im menschlichen Wesen zeigen sich in Verdächtigungen und Missverständnissen. Im Klima aus Aggressionen, Gewalt und Drohungen wächst ein kleiner Angestellter des Supermarktes über sich selbst hinaus.
 
Wie verhalten sich Menschen in Notlagen, welchem Führer rennen sie hinterher? Das lässt sich alles durchaus auch simpel politisch interpretieren. Etwa mit den Anschlägen von 9/11 und dem falschen Prediger Bush, der mittelalterlich anmutenden Widergeburt von Religionen. Und schuld an allem ist das Militär. Oder die Genforschung? Da es bei King vor allem um vordergründige Effekte geht, fällt die Erklärung auch austauschbar aus. Bis zur billigen und zynischen Schlusspointe, die niemals die Tragik hat, die hier vor allem in die Musik gelegt wurde.
 
Von Stephen King kann man nicht erwarten, dass all diese plakativen Dramen differenziert geschildert werden. Etwas wird den Fans jedoch gefallen: Ziemlich fiese Viecher mit hohem Ekelfaktor spritzen ihr Blut bis in die Splatterecken. Immer wieder sorgen kleine Duelle mit Rieseninsekten für Schockmomente. Geschickt hält der Film dabei seine Kreaturen tricktechnisch im Halbdunkel. In dem ganzen künstlich erzeugten Nebel aus Werbung und Marketing sollte man eines nicht übersehen: "Der Nebel" ist nicht mehr als ein inhaltlich billiges B-Movie, das zusätzlich Sympathien verspielt, weil es sich viel zu ernst nimmt.
 

11.1.08

Die Österreichische Methode


BRD 2006 Buch und Regie: Florian Mischa Böder, Peter Bösenberg, Gerrit Lucas, Erica von Moeller, Alexander Tavakoli 93 Min.
 
"Die Österreichische Methode" verbindet fünf Episoden von fünf jungen Regisseuren, in denen Selbstmord einen Ausweg darstellt. Fünf Frauen wird bewusst, was im Leben wirklich zählt.
 
Was ist "Die Österreichische Methode"? Weil es im Film ganz am Anfang steht und auch einen Teil der Stimmung ausmacht, sei es verraten: Es ist eine in Alpenländern und Winter praktizierbare Methode des Selbstmords. Man saufe sich fast besinnungslos, lege sich in den Schnee und schlummere - angeblich - dem Ende entgegen. Ansonsten ist "Die Österreichische Methode" ein starkes Stück Kollektivarbeit von fünf jungen Regisseuren.
 
Treibende Kraft hinter dem Projekt ist Produzent Tobby Holzinger mit seiner Schauspiel-Agentur "Spirit", in der auch Akteure des Theater Aachens vertreten sind. Den Look verantwortete der Top-Kameramann Matthias Schellenberg, der etwa mit Daniel Brühl "Das weiße Rauschen" und "Die fetten Jahre sind vorbei" drehte. Auch "Kroko" nahm er auf. Vor der Kamera standen junge und renommierte Akteure, bekannte und frische Gesichter von Susanne Lothar bis Walter Sprungalla. "Die Österreichische Methode" wurde von der Filmstiftung NRW gefördert.

8.1.08

Control


Australien, Großbritannien, Japan, USA 2007 (Control) Regie: Anton Corbijn mit Sam Riley, Samantha Morton, Craig Parkinson, Alexandra Maria Lara 121 Min.

Auch ohne ein Fan der "Joy Division" zu sein, ja selbst, wenn man den anhaltenden Hype um die populäre Band der Siebziger nicht versteht - diese untypische, aber rundum exzellente Filmbiographie zum früh verstorbenen Sänger Ian Curtis versteht man unabhängig: "'Control' ist ein persönlicher Film. Es ist kein Musikfilm" meint Anton Corbijn, der bekannte Fotograf und Clipregisseur, der seinen ersten Spielfilm realisierte.

Mit 19 Jahren trifft Ian Curtis (Sam Riley) auf Debbie (Samantha Morton). Der verträumte Teenager verdient sein Geld beim Arbeitsamt, schwärmt für den Glamrock des David Bowie und verliert sich in seinen Gedichten. Debbie wird er heiraten, doch sein Leben gibt er für eine Band aus Freunden, die mit ihm als Sänger und Texter einen rasanten Aufstieg erlebt. Mit Einflüssen des Punk und einem düsteren Image werden "Joy Divison" weit über Manchester bekannt. Auf den Touren begleitet Ian bald das belgische Groupie Annik (Alexandra Maria Lara), die Affäre vergrößert noch den Abstand zu Ians Frau und der inzwischen geborenen gemeinsamen Tochter. Die Ehe zerbricht. Drogenkonsum und die Folgen epileptischer Anfälle bringen den schwermütigen Musiker immer mehr runter. Am Abend vor der ersten US-Tournee bringt sich Ian im Alter von 23 Jahren um.

Der Film erzählt aus der Sicht von Ians Frau Debbie, so trägt nichts zur üblichen Glorifizierung solcher Filmbiographien bei, nur Sam Riley in der Hauptrolle beeindruckt schwer. Alexandra Maria Lara darf als verliebtes, belgisches Groupie Annik wieder mit großen Augen anhimmeln. Eine internationale Rolle, die vor allem neben Sam Riley völlig verblasst.

Besonders beeindruckt der im Rhythmus und in der Dramaturgie der Emotionen gute Einsatz bekannter Lieder: "Love will tear us apart" bekommt nach tausenden individuellen Erlebnissen der Hörer dieses Songs nun eine weitere universale Geschichte. Die erste Entfernung von Ian und Debbie setzt Corbijn in nüchterne, fast triste Schwarzweiß-Bilder. Für den Fotografen schließt sich mit dem Film ein Kreis, schoss er doch vor dreißig Jahren seine ersten Bilder bei einem Konzert von "Joy Division". Mittlerweile ist der Niederländer auch als Regisseur von Videoclips ein gefragter Künstler. Ob "Control" eine dem Leben nahe Biographie ist, mögen die Fans entscheiden. Corbijn ist vor allem ein exzellenter, bewegender Film gelungen.

Die zweigeteilte Frau


Frankreich, BRD 2007 (La fille coupée en deux) Regie: Claude Chabrol mit Ludivine Sagnier, Benoît Magimel, François Berléand 115 Min.
 
So ungefähr der 60.Film von Chabrol mag dies sein - wer will da noch nachzählen oder genau hinsehen. Dementsprechend zeigt sich auch die Kritik zweigeteilt: Hier der scharfe, entlarvende Blick auf Menschen und Gesellschaftsschichten. Und dort die nicht zu übersehenden Nachlässigkeiten eines Regisseurs, der mal wieder einen Film macht, wie jedes Jahr.
 
Das es bei der 25jährigen Wetterfee Gabrielle Deneige (Ludivine Sagnier) im französischen Namen kräftig schneit, macht direkt klar, wie wenig rücksichtsvoll Chabrol mit seinen Figuren umgeht. Die aufstrebende Moderatorin umschifft regelmäßig die äußerst plumpe Einladung zur Bewerbungscouch aus der beschränkten Chefetage des Senders. Dem 30 Jahre älteren Schriftsteller Charles verfällt sie jedoch intellektuell und körperlich. Der reife Lebemann "erzieht" und benutzt sie sexuell. Gemeinsam ziehen sie ins Paradies ein - so steht es auf dem Klingelschild des Stadtappartements von Charles. Wenn Liebe Hingabe bedeutet, liebt Gabrielle ihn absolut. Doch nachdem der Autor sie rücksichtslos verlässt, fällt die hoffnungslos Verliebte erst in ein Koma, um dann dem Werben des albernen Millionenerben Paul nachzugeben. Der eitle Clown war schon länger in Gabrielle verliebt, nur ein persönlicher Leibwächter konnte den psychisch Instabilen dabei von extremen Dummheiten abhalten. Doch auch nach der Heirat ist Paul vom Ziel seiner verzweifelten Liebe unendlich weit entfernt und erschießt Charles, der immer noch Gabrielles Herz besetzt.
 
Routiniert konjugiert der 77 Jahre alte Zyniker Claude Chabrol in "Die zweigeteilte Frau" die Wahnsinnigkeiten vergeblicher Liebe: Die Möglichkeiten, sich lächerlich oder unglücklich zu machen, sind zahllos wie die Trivialromane. Doch wie in allen Klischees steckt auch in Chabrols Figuren ein Kern an Wahrheit. Und so lässt sich Gabrielles emotionale Achterbahnfahrt durchaus interessiert, manchmal amüsiert, selten bewegt verfolgen. Erst am Ende, wenn sich die Zerrissenheit der jungen Frau zwischen Leidenschaften und Stabilität, zwischen Selbständigkeit und Sicherheit, und wie immer bei Chabrol: zwischen den französischen Gesellschaftsständen, in einer künstlerischen Schwebe ausdrückt, erst dann gewinnt die menschliche Versuchsanordnung einen poetischen Reiz. Gabrielles Lösung für das Dilemma des Lebens liegt darin, sich allabendlich mitten durch sägen zu lassen - auf der Bühne eines Magiers. Der ist Chabrol auch diesmal wieder nicht, doch mit einiger Neugierde lässt sich sein Querschnitt durch das menschliche Gefühls- und Gesellschaftswesen gut betrachten.

I Am Legend


USA 2007 (I Am Legend) Regie: Francis Lawrence mit Will Smith, Alice Braga, Dash Mihok 100 Min. FSK ab 16
 
Mit seinem Mustang und dem treuen Schäferhund Sam jagt Robert Neville in der Wildnis, verfolgt einen Hirsch, doch den reißt eine Löwin vor seinen Augen. Der ganz normale Kampf von Mensch und Natur - nur hier ist die Wildnis das New York des Jahres 2011. Staus gibt es immer noch, aber die Autos sind verlassen wie die Hochhäuser drumherum. Gras wächst auf dem Asphalt, hier hat es vor kurzem noch einen Film mit Batman und Superman gegeben - doch das ist nicht der Grund, weswegen die Menschen verschwunden sind. Robert Neville ist der letzte Mensch in dieser Stadt, nachdem eine Krebsimpfung vor drei Jahren die Bevölkerung der Erde bis auf ein paar Tausend Überlebende auslöschte. Und die werden von lichtscheuen Mutanten ausgelöscht, blutgierige Monster, die das Dunkel lebensgefährlich machen.
 
So verbringt Robert seine Tage in diesem großen Freizeitpark, der alles Materielle bietet, was man sich wünschen kann. Neue Autos an jeder Straßenecke, moderne Klamotten zur Selbstbedienung, alle DVDs, die man jemals sehen wollte. Es sind vor allem die Bilder der menschleeren Metropole, in der die Zeit stehen geblieben ist, die faszinieren und fesseln. Bilder wie in Terry Gilliams "12 Monkeys", in Frears "28 Days later" oder halt im "Omega Man", der letzten Verfilmung des 1954 erschienen Science Fiction-Romans "Ich, der letzte Mensch" von Richard Matheson. Die erste Verfilmung war 1964 "The Last Man on Earth".
 
In der aktuellen, wesentlich aufwändigeren Version wirken die digitalen Monster zeitweise recht künstlich, aber wenn man sich an die alberne Maskerade der Nachtgestalten aus dem Studiofilm "Omega Man" (mit Waffenfan
Charlton Heston) erinnert, ist das ganz in Ordnung. Denn  die beiden Filme schlagen unterschiedliche Richtungen ein: War im Jahre 1971 Bücherverbrennung ein Schlüssel zum Verstehen der dunklen, technik- und fortschrittsfeindlichen Figuren, kämpft der Dr. Robert Neville von heute gegen animalische Zombies, die einfach nur Blut wollen. Einst löste der Krieg zwischen der Sowjetunion und China mit biologischen Waffen das Massensterben aus, im 21.Jahrhundert ist es ein Fehler der medizinischen Forschung. Homo Faber, der die Welt technisch verändernde Mensch, ist in beiden Varianten der Schuldige.
 
Will Smith muss als "Legende" fast allein die Einsamkeit des letzten Menschen ausfüllen - was ihm hervorragend gelingt. Mit der lässigen Shopping-Attitüde des Tages, der panischen Angst vor der Nacht, die vom Alarm der Armbanduhr angekündigt wird. Mit den Albträumen von der Vorgeschichte, der Evakuation New Yorks, die Neville Frau und Tochter raubte. Trotz der Einsamkeit, die langsam ihn den Wahnsinn treibt, darf Smith zwischendurch auch komisch sein.
 
Doch - und das könnte öfters so sein - Regisseur Francis Lawrence ("Constantine") überzeugt vor allem durch starke, stilisierte Bilder, dichte Atmosphäre und subtile Entwicklung. Er verzichtet auf die üblichen billigen Effekte - und das machen wir auch gerne im nächsten Kinojahr.

2.1.08

Hotel Chevalier


USA 2007 (Hotel Chevalier) Regie: Wes Anderson mit Natalie Portman, Jason Schwartzman 13 Min.
 
Selten passte ein Vorfilm so gut zum Hauptwerk und selten war es eine derart eigenständige Perle der Filmkunst: Wes Anderson rät dringend an, den wunderbaren Kurzfilm "Hotel Chevalier" vor seiner neuen Familien-Absurde "Darjeeling Limited" zu sehen. (Und der deutsche Verleih erfüllt diesen Wunsch zum Glück!) Die Verbindung ist die Figur von Jason Schwartzman mit den Koffern des verstorbenen Vaters, die ihn auch bei der Indienreise begleiten. Ansonsten steht das Hotel Chevalier in Paris und er (Schartzman) auf sie (Natalie Portman). Mit größter Selbstverständlichkeit tritt sie in sein Hotelzimmer und nach grandiosem Wortgeplänkel folgen hautnahe Dialoge: "Was immer passiert, ich möchte dich nicht als Freund verlieren!". Er: "Ich werde nie dein Freund sein." Ob das nur wieder cooler und schräger Spaß oder zutiefst wahrhaftig ist, wird die offene Zukunft zeigen. Anderson zeigt derweil in kurzer Zeit und auf engstem Raum einen detailreichen Ausstattungs-Augenschmaus. Die Aktien von Apple und der extrem lässigen iPod-Anlage lassen sich kaufen, die des Peter Sarstedt-Songs "Where do you go to, my lovely?" sollte man auch ergattern - seine Downloads werden mit Filmstart exponential ansteigen.

Ich weiß, wer mich getötet hat


USA 2007 (I Know Who Killed Me) Regie: Chris Sivertson mit Lindsay Lohan, Julia Ormond, Spencer Garrett 107 Min. FSK: k.J.

Nach dem eigenhändigen David Lynch-Imitat "Island Empire" versucht hier nun noch ein Film beim Meister des Mysteriösen zu plündern. Doch das unangenehmste Ausschlachten findet beim Schlachten selber statt: Immer wieder werden Folter- und Amputationsszenen in die wirre Handlung geschnitten. Ein grausamer Aufschrei von Unvermögen und Mangel an dramaturgischem Handwerk, das sich zu gröbsten Mitteln flüchtet.

Lindsay Lohan spielt in einer Doppelrolle eine brave Schülerin und eine Stripperin. Nach einer Entführung wird sie mit amputiertem Bein und abgetrennter Hand aufgefunden. Das Opfer eines Serienkillers, das nicht brave Aubrey, sondern harte Dakota sein will. Irritiert sind nicht nur die Eltern, auch das Kinopublikum wird gezielt und wenig subtil in die Irre geführt. Rote und blaue Rosen sende Signal für zwei Persönlichkeiten aus, die Anklänge in der Musik bei Badalamenti, ein verruchter Club, ein roter Raum und vieles mehr lässt an Laura Palmer und Lynchs "Twin Peaks" denken. Doch die Mischung aus Lynch-Mysterium und "Torture-Porn", dem obszönen Einsatz von Grausamkeiten in Folge von "Saw 1-3", will nur viel und kann nicht anderes als anwidern.

Wir verstehen uns wunderbar


Frankreich, Großbritannien, Rumänien, 2006 (Désaccord parfait) Regie: Antoine De Caunes mit Jean Rochefort, Charlotte Rampling, Ian Richardson 92 Min. FSK: o.A.
 
Es ist ein Skandal, wie Charlotte Rampling (und die Marketingabteilung des Films) versuchen, mit einem Skandälchen um eine Nacktszene Werbung für diese generell sehr schöne Komödie zu machen! Eigentlich. Denn andererseits passt diese Geschichte auch wunderbar zur Rolle Ramplings, zum Filmstar Alice d'Abanville, der die Verleihung eines Preises fürs Lebenswerk ihres geliebt-gehassten Regisseurs Louis Ruinard (Jean Rochefort) zu ihrer eigenen Show umfunktioniert. Ein gemein-genialer Rachezug gegenüber dem Mann, der sie vor mehr als dreißig Jahren entdeckt und geliebt hat, den sie aber eifersüchtig verließ und damit auch dem Filmgeschäft in Frankreich den Rücken kehrte. Seitdem spielte sie Theater in London. Mit dem Theater, das Louis aufgrund von neu entflammter Liebe an den Tag legt, kann sie jedoch nicht mithalten. Sie schießt mit Worten und Blicken tödliche Pfeile, aber er aber eine Herzattacke simuliert, bricht auch ihr wahres Gefühl aus.
 
Alices Ehemann, der edle und schwule Lord Evelyn Gaylord (Ian Richardson), wusste es schon längst und lächelt nur süffisant. Genau wie das Kinopublikum, das eine in Anlage leichte, aber in Ausführung wunderbare Beziehungskomödie erleben darf. Veredelt wird sie durch Charlotte Rampling und Jean Rochefort, wobei schon im Vorspann aus alten schwarz-weiß Starfotos mit den Images der alten Stars gespielt wird. Den Höhepunkt bildet ein Helmut Newton-Akt Ramplings, der frisch ersteigert über dem Kamin hängt und von Vergänglichkeit erzählt. Dass die Liebe zwischen Louis und Alice den Äußerlichkeiten und den Jahrzehnten allerdings trotzt ist das rührende Zentrum dieser mal leichten, mal genialen, aber insgesamt sehr schön gelungenen Komödie.
 
PS: Eigentlich sollte man den Originaltitel "Désaccord parfait" mit "Wir missverstehen uns wunderbar" übersetzen. Angesichts des trotz der Zweisprachigkeit von Original und Charlotte Rampling guten Verständnisses wollen wir ausnahmsweise den Verdacht gelten lassen, dass sich da jemand Gedanken gemacht hat.

Darjeeling Limited


USA 2007 (The Darjeeling Limited) Regie: Wes Anderson, mit Owen Wilson, Jason Schwartzman, Adrien Brody, 105 Min. FSK: ab 6
 
Wenn "dysfunktional" besonders gut funktioniert, dann kann Regisseur Wes Anderson nicht weit sein. Aus schiefen Gefühlslagen in ziemlich zerrütteten Familien wird etwas herrlich Schräges. Wie schon in seinem ersten Film "Durchgeknallt - Bottle Rocket" (1996) geht es in "Darjeeling Limited" um drei entfremdete Brüder, auch in "Die Royal Tenenbaums" (2001) kamen die Teile eines seltsam eng verbundenen Clans nur in absurdesten Situationen zusammen. Damals verschied am Ende der längst verabschiedete Patriarch Gene Hackman. Nun begeben sich drei Brüder ein Jahr nach dem Tod des Vaters auf einen spirituellen Indien-Trip. Wobei alles übliche Spirituelle nur als nette Lachnummer dient, die wahre Erlösung liegt in der Anderson-Religion aus Lachen, Leben und Lernen.
 
Schon die erste Sequenz, in der Bill Murray versucht, einen Zug zu erreichen, es aber nur Adrien Brody gelingt, ist großes Kino. Rasant geht es durch indisches Farben-Gewirr, elegant lässt die Zeitlupe Brodys Sprint genießen. Auf dem "Darjeeling Express", der lang genug durch Indien fahren wird, um dem Leben eine andere Richtung zu geben, warten auf Peter (Brody) seine Brüder Jack (Jason Schwartzman) und Francis (Owen Wilson). Letzterer lud nach einem schweren Autounfall die entfernten Verwandten zum Selbstfindungstrip.
 
Die seelische Last, die sie mit sich herumtragen, packt der Film in das zahl- und umfangreiche Louis-Vuitton-Reisegepäck des Vaters, das mühsam mitgeschleppt wird. Überhaupt macht der stylische aber doch etwas unpassende Nachlass des Patriarchen, den Peter an sich trägt, einen Teil des optischen Humors aus - vor allem die Riesenbrille springt ins Auge.
 
Zuerst läuft alles schief, jeder verrät jeden, Jack vögelt die indische Schaffnerin und als sich der Zug verfährt, lautet die Erkenntnis: Wir haben uns noch nicht gefunden! Dann stürzen ein paar indische Jungs in einen reißenden Fluss und die großen amerikanischen Jungs funktionieren auf einmal als Team bei der Rettung der Kinder. Der versuchten Rettung, denn ein Junge stirbt, Peter trägt ihn in seinem Armen zum nahe liegenden Dorf. Nicht nur wegen des unfassbaren Schmerzes funktioniert Sprache nicht mehr, doch statt Ablehnung erfahren die Fremden eine Aufnahme in unbekannte (Trauer-) Rituale. Dieses andere Begräbnis gibt den Brüdern die Ruhe zur Trauer, die beim Abschied vom Vater fehlte.
 
"Die Tiefseetaucher" blieben zu sehr an Äußerlichkeiten und der skurrilen Tiefseeforscher-Figur von Bill Murray hängen, um wirklich in die Tiefe zu gelangen. Doch bei "Darjeeling Limited" stimmt das Gleichgewicht, unmerklich führt die ungemein spaßige und reizvolle Reise zur emotionalen Katharsis. Ganz ohne interpretatorische Reiseleitung, wie sie diese Kritik versucht, bringt der emotionale Weichensteller Anderson die Aufmerksamkeit zur Seele des Films, die Verständnis und Verständigung ersehnt. Zu Wilson und Jason Schwartzman, den Schauspiel-Typen aus der Anderson-Familie, gesellen sich Adrien Brody, eine bunte Bilderflut, grandiose Songs und Chansons. Absurd komisch und gleichzeitig ungemein einfühlsam - das bekommt wohl nur Wes Anderson hin. Man sollte seine Filme wes-funktional nennen.