23.10.07

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford


USA 2007 (The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Frank) Regie: Andrew Dominik mit Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard 156 Min. FSK: ab 12
 
Chronik einer angekündigten Erschießung
 
Jesse James ist 34 Jahre, hat 17 Morde hinter sich, aber das Geschäft mit der Räuberei läuft nicht mehr so richtig. Die Western-Geschichte schreibt das Jahr 1881, Jesses älterer Bruder Frank zieht sich nach einem letzten Zugüberfall zurück. Nun muss der extrem misstrauische und selbst im Schlaf wachsame Jesse (Brad Pitt) mit neuen, ihm unbekannten Leuten losziehen. Einer von ihnen, Jesses größter Fan Robert Frank, wird später sein Mörder sein.
 
Dies sind die Fakten. Alles andere ist pure Filmkunst, ein ausgebreiteter Genuss an Bildern, Tönen, Texten, Stimmungen und ungemein intensiven Figuren. Es sind nicht die aufregenden Überfälle sondern die Zeiten und Räume dazwischen, die sich in diesen zweieinhalb Stunden weiter Westernwelt nahezu entspannt ausbreiten. Da ist das ruhige Familienleben, das Jesse als braver Bürger unter falschem Namen führt. Die Gespräche am Lagerfeuer. Die langen Ritte, um die Gang wieder zusammen zu bringen. Oder, um ausführlich mit einem möglichen Verräter zu speisen und zu trinken, dann eine Weile mit ihm raus zu reiten, um erst dann, nach quälenden Minuten voller Angst den nun schon fast erlösenden Schuss abzufeuern.
 
Im Zentrum steht der Psychopath Jesse James, vor dessen unberechenbarer Gewalt alle zittern. Doch der Film zeigt ihn auch in depressiven Phasen bis hin zum melancholischen Blick an seinen baldigen Mörder. Kunstvoll indirekt über einen Spiegel, denn Robert Ford schießt selbstverständlich in den Rücken. Da hat Jesse nach dem langen Abschiedsgedicht schon die Pistolen abgelegt, fast philosophisch abgeschlossen.
 
Der Epilog ist dann wieder ganz modern in seiner höhnischen Verachtung des kurzen Ruhms. Nick Cave (dem man bei kaum einem Filmfestival entkommt) darf in einer dreckigen Kneipe die Ballade vom feigen Mörder schrammeln, bevor Robert Ford selbst durch ein noch elenderes Abbild seiner selbst niedergeschossen wird.
 
Vergleiche zwischen Literatur und Film bringen eigentlich nur Uni-Seminare weiter. Doch bei diesem elegischen Meisterwerk muss man auf einen seelenverwandten Text um einen anderen Outlaw-Helden verweisen: "Die gesammelten Werke von Billy the Kid", ein knapper Roman von Michael Ondaatje ("Der englische Patient") evoziert mehr Licht-Bilder, als es altersschwache Kinoprojektoren schaffen. Und jetzt begeistert ein Film mit derart literarischen Off-Texten (Drehbuch: Andrew Dominik, Buchvorlage: Ron Hansen), dass man ihn anhalten, zurückblättern und noch mal lesen möchte!
 
Ein neuer Spätwestern, aber keineswegs ein echter Männerfilm. Der Ausritt in diese dichten, schwer beschreibbaren Atmosphären ist ein packendes Psychogramm mit Cowboyhut und Colt.