25.9.07

Auf der anderen Seite


BRD 2007 (Auf der anderen Seite) Fatih Akin mit Baki Davrak, Nursel Köse, Hanna Schygulla, Tuncel Kurtiz, Nurgül Ye
şilçay 122 Min.
 
Und ins Oscar-Rennen geht: Fatih Akin mit dem deutschen Starter "Auf der anderen Seite" sowie dem brisanten türkischen Film "Takva". Diese Doppel-Nominierung ist bezeichnend für einen der besten, talentiertesten und auch noch sympathischsten Regisseure der letzten Jahre, für einen Autor, Schauspieler und Produzenten, der fern von irgendeiner Betroffenheitsmasche unglaublich starke Filme macht, in denen vor Leben strotzende Figuren immer mit Grenzen zwischen den Kulturen zu tun haben. Manchmal rennen sie sich "Gegen die Wand" die Köpfe ein. Mal geht es spielerisch von der europäischen Seite des Bosporus auf die asiatische, wenn türkische Musiker in "Crossing the Bridge: The Sound of Istanbul" porträtiert werden. Mal prallen drei hitzige Köpfe aus Serbien, Griechenland und der Türkei im Krimi "Kurz und schmerzlos" aufeinander. Dann folgt Moritz Bleibtreu "Im Juli" der Sonne in den Orient, oder das ganz große Gefühlskino "Solino" verbindet den Ruhrpott mit Sehnsucht nach Apulien. Schon im Kurzfilm "Getürkt" zeigte der Hamburger, dass er auf die Klischees gesellschaftlicher Gruppen nicht reinfällt.
 
Und nun "Auf der anderen Seite". Was für ein Film! Einfühlsam beobachtet, nein: ganz vorsichtig eingelebt, lässt der Film die Lebenswege von Eltern und erwachsenen Kindern für einige dramatische Momente zusammenkommen. Wer "Gegen die Wand" liebte, sollte unbedingt auch Akins Erzählvermögen "Auf der anderen Seite" entdecken. Wer die extrem energische Begegnung zweier exzentrischer Gestalten nicht ertrug, sollte trotzdem den neuen, viel ruhigeren, aber auch auf diese Art intensiven Akin erleben.
 
Der gut gelaunte Senior Ali verliert sein Herz im Puff an die türkische Prostituierte Yeter, bietet ihr äußerst galant ein Beziehungs-Geschäft an, das die ältere Frau nicht ausschlagen kann, hat sie doch ihre studierende Tochter Ayten in der Türkei durchzufüttern. So zieht Yeter beim Witwer ein. Aber nicht die bald drohenden islamischen Sittenwächter, diese scheinheiligen Machos, werden Yeter umbringen, es ist überraschend Ali selbst, der ihr eifersüchtig einen tödlichen Stoß versetzt. Denn Yeter zeigte Gefühle für Alis Sohn, den Hamburger Germanistik-Professor Nejat. Der verzweifelte junge Mann wendet sich von seinem verhafteten Vater ab, reist in die Türkei, um Ayten zu finden.
 
Währendessen floh diese vor Folter und politischer Verfolgung nach Deutschland, entweicht auch der strengen Macho-Hierarchie ihrer Organisation und verliebt sich in die deutsche Studentin Lotte. Dieser Leidenschaft in der Illegalität ist keine Dauer vergönnt, die Polizei greift Ayten auf und schiebt sie nach einem teuren Prozess ab. Die dramatischen Ereignisse verlagern sich nach Istanbul, wo es noch einen Todesfall gibt und sich die Trauernden in tief mitfühlender Anteilnahme finden werden.
 
Die Größe dieses stillen Meisterwerks zeigt sich in der Vielfalt seiner gelungenen Aspekte: Eine faszinierend dichte Geschichte, für die Fatih Akin 2007 den Drehbuchpreis in Cannes erhielt. Die unmittelbare Nähe zu Leben und Politik in der Türkei sowie in Deutschland. Die einfühlsame, fast poetische Darstellung von Verlust und Trauer. Bilder, die sich viel sagend einbrennen. Grandiose Darsteller wie Hanna Schygulla. Und alles fügt sich letztendlich harmonisch in Tragik und Trost. Inshallah!

Chuck und Larry - Wie Feuer und Flamme


USA 2007 (I Now Pronounce You Chuck and Larry) Regie: Dennis Dugan mit Adam Sandler, Kevin James, Jessica Biel 115 Min. FSK: ab 12
 
Ist die ganze Klamotte nun schwulen-feindlich oder -freundlich? Wer diese Frage stellt, hat "Chuck und Larry" nicht gesehen oder ließ dabei seinen Humor zuhause. Die alberne Geschichte zweier heterosexueller Kumpels bei der New Yorker Feuerwehr, die sich zum Erhalt von Pensionsansprüchen als schwules Pärchen ausgeben, ist vor allem komisch.
 
Chuck und Larry sind vor allem Kumpels, unschlagbar unter dem Basketballkorb, unzertrennlich auch im brenzligsten Einsatz.
Wer jetzt gleich was Latentes denkt, wird von Chucks (Adam Sandler) unglaublichem Einsatz an der Frauen-Front eines Besseren belehrt. Schon in der Eingangsszene streiten sich zwei Zwillingsschwestern um ihren Liebhaber, der ganz macho-cool einfach einen Dreier vorschlägt. Später holt ihn gleich eine ganze Wagenladung Stripperinnen aus dem Krankenhaus ab. Die Oberärztin überwacht die Genesung in Chucks Schlafzimmer und in Strapsen, die irgendwie nicht ganz der Dienstordnung entsprechen.
 
Doch als ihm Larry ("King of Queens" Kevin James) das Leben rettete, bot Chuck an, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Den einer gleichgeschlechtlichen Ehe selbstverständlich niemals. Auch wenn es um die Rente des verwitweten, allein erziehenden Freundes geht. Doch irgendwann macht Chuck mit, es wird ja niemand erfahren... Bis ein besonders scharfer Ermittler (Steve Buscemi) Versicherungsbetrug wittert und anfängt, in Larrys Mülltonne zu wühlen. Jetzt muss das Trau-Schein-Paar die Sache durchziehen, muss privat und auf der Feuerwache auf schwul machen. Wobei sie ganz schnell die vielfältigen Formen der Schwulen-Feindlichkeit zu spüren bekommen. Selbst die Kumpels vom Dienst zeigen sich hier von der schlechten Seite. Aber einige besonders harte Kerle überraschen auch mit ihrem Coming Out.
 
Wenn dann die Spritzenmänner in der Feuerwachen-Dusche ein Zeitlupen-Ballett um die dramatisch zu Boden gehende Seife vollführen, und sich absolut keiner vorbeugen will, um sie aufzuheben, bringt selbst dieser äußerst dämliche Witz heftige Lacher. In dem Milieu der Brandbekämpfer herrscht kein fein geschliffener Wortwitz vor, auch wird niemand "Chuck und Larry" im Schulunterricht zum Abbau von Vorurteilen einsetzen. Doch da sowohl der Super-Macho Chuck als auch haufenweise Schwulen-Klischees sympathisch auf die Schippe genommen werden, kann man diesem Humor nichts verübeln. Er ist zwar frech und treffend, vermeidet aber die momentan modischen Übertreibungen ins Groteske oder Absurde. Ein Film für die ganze Familie also, selbst für Larrys Sohn, der all zu gerne im Plissee-Rock Spagat übt...
 
Adam Sandler gelingt diese Rolle unglaublich souverän. Überhaupt hat man oft das Gefühl, die beiden Hauptdarsteller hätten sich beim Dreh herrlich amüsiert. Und der Funke springt ins Publikum über.
 

18.9.07

Shoot 'Em Up


Ein Hertz für Kinder
 
USA 2007 (Shoot 'Em Up) Regie: Michael Davis mit Clive Owen, Monica Bellucci, Paul Giamatti 86 Min. FSK: k.J.
 
Was wird wohl aus einem Kind, auf das noch im Bauch der Mutter leere Patronenhülsen niederprasseln, dessen Nabelschnur durchgeschossen statt -geschnitten wird? Es wird eine kugelsichere Weste mehr brauchen als eine Wiege!
 
Und wenn es mal groß ist, wird bestimmt so einer wie Mr. Smith aus ihm: Gerade knabbert er noch auf den Bus wartend an einer Mohrrübe, im nächsten Moment steckt diese äußerst ungesund im Auge des Gegners. Vitamin A sollte niemals überdosiert werden! Mit einer ersten, akrobatischen Massen-Erschießung rettet Mr. Smith (Clive Owen) ein Baby vor seinen gnadenlosen Verfolgern. Dann findet sich in DQ (Monica Bellucci) eine Prostituierte, die statt ihrer Kunden nun das Kind mit Muttermilch versorgt. Doch die Killer geben nicht auf und auch eine andere, besser angezogene Truppe ist hinter der ungewöhnlichen Dreifaltigkeit her. Das Rätsel um das Baby führt Smith bis zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der selbstverständlich auch kein Guter ist und mit der Waffenlobby Geschäfte macht.
 
Dabei geht der sympathisch relaxte und selbstgerechte Kämpfer Smith nicht nur über Leichen, sie werden nebenbei zum Bestandteil der ebenso gewitzten wie zynischen Action-Choreografie. Da darf man ruhig das große Vorbild John Woo erwähnen, auch wenn Regisseur Michael Davis eher vom B-Film kommt. Er hat zwar etwas bei der Action-Akrobatik gespart wird, nicht jedoch am mörderischen Spaß. Auf die Leuchtwerbung für "FAULK - TRUCK & TOOL" hinter der sich die Gangster verbergen, wird so lange gefeuert, bis ein "FUK U" übrig bleibt.
 
Die Handlung ist zwar zeitweise sehr unwahrscheinlich, doch zum Glück war der Gangster-Boss Mr. Hertz (Paul Giamatti) früher FBI-Profiler und weiß, was immer vorher, was der Gegner macht. Doch das Wichtigste und Beste an diesen herrlichen Action-Kapriolen sind das Styling in jeder Szene sowie die Gags, die einem fast so heftig um die Ohren fliegen wie die Kugeln. Smith beweist in einem grandiosen Abflug, dass Sicherheitsgurte nicht immer das Sicherste sind und fabriziert lässige Sprüche - "Ich bin ein britisches Kindermädchen und ich bin gefährlich!" - am laufenden Fluchtmeter. Den Höhepunkt bildet ein echtes Todes-Ballett im freien Fall, wobei die Brutalität leider konstant zunimmt, bis die Jugendfreigabe endgültig aufgegeben wird.
 
Clive Owen stehen die lässigen Stunts äußerst gut, auch sitzt er bald wieder im BMW, den er als "Driver" in Kurzfilmen für prominente Regisseure beschleunigte und bewarb. Bei ihm heißt der Orgasmus "kleiner Tod" und er trifft mitten im Akt die Gegner mit seinen Feuerstößen. Zwischendurch betätigt er sich als Verkehrs- und Umweltpolizist - vor allem gegen Fahrer protziger Blechkisten. Paul Giamatti als eiskalter, sadistischer und zynischer Killer ebenso gut wie als weinerlicher Weintester in "Sideways", das er nebenbei zitiert. Monica Bellucci darf ganz viel italienisch reden und gut mitspielen.

Tuyas Hochzeit


China 2006 (Tuya de hun shi) Regie: Quanan Wang, Drehbuch: Wei Lu, Quanan Wang mit Nan Yu, Bater, Sen'ge, Zhaya, Baolier 96 Min.
 
In der Folge von "Urga" oder "Die Geschichte vom weinenden Kamel" gerät das traditionelle Leben der mongolischen Hirten auch in "Tuyas Hochzeit" unter die Räder der Veränderungen in Wirtschaft und Natur. Tuya (Yu Nan) hütet in der weitläufigen Steppe der Inneren Mongolei Schafe, sie versorgt den Mann Baolier (Peng Hongxian) und zwei Kinder. Baolier verletzte sich bei Bau eines neuen Brunnen, kann sich nur noch mühsam an Krücken fortbewegen. Tuya muss nun täglich weite Wege für das Wasser reiten und selbst die ferne Quelle versiegt. Dann gilt es, die Schafherden zu den letzten Grasbüscheln zu treiben, die Milch zu verarbeiten und an der fernen Straße zu verkaufen, das Essen für die Familie zu kommen und sich ums Baby zu kümmern. Da Tuya das alles nicht mehr schafft, muss ein neuer Mann her. Der gutherzige Baolier stimmt in die Scheidung ein. Aber der Neue soll auch ihn im Haushalt belassen und nicht in ein Heim abschieben, das ist Tuyas Bedingung.
 
Das Schaulaufen der neuen Bewerber steht für die feine Balance von Humor und Tragik. Es deutet den Männerüberschuss im heutigen China an, das Ein-Kind-Politik vorschreibt und die Ermordung der Mädchen nicht verhindert. Bei einem Tee-Zeremoniell schaut man sich die Braut an, kein Gedanke, dass diese Frau auch stur, eigensinnig oder gar wählerisch sein könnte. Doch die Herren der Schöpfung sind zu absurd, als dass sie ernst genommen werden können. Sei es der junge Schnösel, der den Haushalt als weiteres Kind wohl nur belasten würde. Oder der alte, geile Sack, sicher auch nur ein Pflegefall. Von den vielen, meist alten Bewerbern stimmt außerdem keiner der Bedingung zu, Baolier aufzunehmen. Nur der unglückliche Nachbar Shenge, selbst von seiner Frau verlassen, bleibt. Er steht mal hilfreich zur Seite, mal muss er besoffen in der Steppe aufgelesen werden. Und dann kommt nicht ganz zufällig ein alter Verehrer vorbei, der mittlerweile in der Stadt zu großem Reichtum gekommen ist. Er will einen Pflegeplatz für den alten Mann kaufen. Doch dessen Pferd kann nicht mit ins Heim. Das ist schlimmer als der Tod für einen Mongolen, der nur davon träumt, wieder über die Steppen zu jagen.
 
Eine schöne, anrührende Geschichte, die Einblick in den Wandel einer naturverbundenen, aussterbenden Lebensweise gewährt, Sympathien für die Figuren gewinnt und gut unterhält. So ein reizvoller Film mitten aus dem Mainstream internationaler Wohlfühlproduktionen kommt international im Arthaus-Kino an. Das weiß man, weil es nicht der erste Film dieser Art, vor diesem Hintergrund ist. So erhielt "Tuyas Hochzeit" im Februar bei der Berlinale einen Goldenen Bär, der die Artenvielfalt der Mongolei bereichern wird.

Disturbia


USA 2007 (Disturbia) Regie: D.J. Caruso mit Shia LaBeouf, Sara Roemer, Carrie-Anne Moss 104 Min. FSK: ab 16
 
"Fenster zum Hof" für Teenager von heute - das ist eindeutig ein zu weit hergeholter Vergleich. Doch in diesem liegt tatsächlich mehr Reiz als im eigentlichen Teenie-Spaß-Thriller "Disturbia".
 
Unser Held ist an seine Wohnung gefesselt und beobachtet mit dem Fernglas einen verdächtigen Nachbarn. Allerdings glaubt keiner dem Voyeur, dass drüben ein Frauenmörder heimtückisch haust. 1954 war es Jimmy Stuart in Hitchcocks "Fenster zum Hof", der den Zwang zum Beobachten mit viel Spannung durchspielte. Seine Figur hatte ein gebrochenes Bein. Heute verhindert eine elektronische Fußfessel, dass der Jugendliche Kale (Shia LaBeouf) sein Grundstück verlässt. Der Innenhof öffnete sich zur Vorstadtsiedlung und die Spannung zerfiel zu Schreckmomenten.
 
Man merkt direkt, dies ist ein Film des frischen 21.Jahrhunderts: Der Unfall am Anfang knallt so richtig laut und unvermittelt rein. Der Tod des Vaters wird in Folge immer wieder als Grund für auffällige Verhaltensweisen des 17-jährigen Kale angeführt, doch erst als dem verwöhnten, faulen Jungen das Kabelfernsehen gekappt wird, kommt Trauer auf. Weil er einen Lehrer niederschlug, gibt es polizeilich kontrollierten Hausarrest mit elektronischer Fußfessel. Dann ist Kales X-Box nicht mehr online, die genervte Mutter (Carrie-Anne Moss) sperrt auch den iTunes-Account. Eine existenzielle Katastrophe für einen amerikanischen Jugendlichen, der noch Jahrhunderte vom Erwachsensein entfernt ist. In der Not entdeckt Kale die Welt vor seinem Fenster: Reality ohne TV! Nicht nur Blicke auf Ahsley (Sara Roemer), die reizende Tochter der neuen Nachbarn, sind spannend für den Spanner, auch der geheimnisvolle Mr. Turner (David Morse) fesselt. Mit Vorliebe Frauen, wie sich herausstellt. Auch einige andere Details passen zum gesuchten Serienmörder. Zusammen mit Ahsley und seinem ulkigen Freund Ronnie (Aaron Yoo) will Kale den Verbrecher enttarnen.
 
Eine glatte, unauffällige Inszenierung könnte man "Disturbia" bescheinigen, um es neutral bis positiv zu beschreiben. Der Wechsel von Teenie-Sozialdrama zu Komödie und Romanze bis zum an Horror grenzenden Finale verläuft holperig, aber das wird wohl niemanden stören. Die Hauptfigur sollte wegen permanenter Unreife Hausverbot statt Hausarrest erhalten, aber solche Klischees lassen sich wohl einfacher ins Drehbuch schreiben als komplette Menschen. Unter diesen Voraussetzungen funktioniert "Disturbia" als anspruchslose Unterhaltung ganz gut, die Nebenrollen sind mit guten Gesichtern besetzt, der Jugend-Star Shia LaBeouf wird nicht überfordert. Doch was wirklich beunruhigt bei diesem simplen Film über einen Spanner, der Recht behält, ist dass nicht der kleinste Gedanke über die explodierende Beobachtungs-Sucht unserer Gesellschaften anklingt. Wer Kamerahandy als modern ansieht, sollte mal ins Bild zoomen und schauen, ob da nicht noch eine "öffentliche" Kamera an der Wand hängt. Oder nach oben zum Satelliten von Google-Earth winken...

12.9.07

Gucha


BRD, Serbien, Österreich, Bulgarien 2006 (Guca!) Regie und Buch: Dušan Milic mit Marko Markovic, Aleksandra Manasijevic, Mladen Nelevic, Nenad Okanovic 94 Min. FSK: ab 6
 
Emir Kusturica produzierte und in der gleichen Fluss- und Kneipenlandschaft aus "Schwarze Katze, Weißer Kater" spielt sich diese nette Romeo und Julia-Geschichte um zwei zerstrittene Trompeten-Bands ab.
 
Der Roma Romeo ist der junge Rebell, dessen Stil in der eigenen Familienband nicht anerkannt wird. Während Romeo meint, er lässt den Atem des Lebens durch seine Trompete fließen, bemerkt sein Stief-Vater trocken: Das Leben fängt mit einem Atemzug an und hört mit einem Stöhnen auf, dazwischen ist Technik. Aus Frust spielt Romeo dann für Geld in einem anderen Orchester mit - ein unerhörter Regelbruch.
 
Der serbische Bandleader Satchmo bezeichnet die Roma als Schwarze. Er meint aber, sein Namensgeber Armstrong sei auch ein Schwarzer gewesen, deshalb sei er kein Rassist. Dieser unleugbare Rassismus gegenüber den Roma gehört mit den studiofernen Szenen, den Landschaften und Gebäuden, den Flusskneipen, den Wohnungen, die halbe Baustellen sind, zum reizvollen authentischen Hintergrund des Films. Um die Hand von Satchmos süßer, mit Zahnspange leicht burschikosen Tochter Julia zu erlangen, muss Romeo beim größten Musikfestival in Guca die Goldene Trompete gewinnen.
 
Die musikalische Liebesgeschichte kommt märchenhaft erzählt daher, was erstaunlich gut mit dokumentarischen Aufnahmen einhergeht. Regisseur Dušan Milic setzt oft Handkamera ein, nicht immer stilsicher. Die Rollen werden manchmal eher laienhaft gespielt, dafür aber herrlich herzlich und kitschig. Wunderbar dabei das Trompeten-Fernduell zwischen Julias Vater und dem unerwünschten Verehrer der Tochter. Die folgende Verfolgung durch Pflaumenwiesen, Wälder und Felder wird dann zum klamauk-nahen Hase und Igel-Spiel. Und alles zusammen gibt dann ein lebensfrohes Happy End.

Die Regeln der Gewalt


USA 2007 (The Lookout) Regie: Scott Frank mit Joseph Gordon-Levitt, Jeff Daniels, Matthew Goode 99 Min. FSK: ab 12
 
Memento mal! War da nicht ein Film über ein Verbrechen und einen Mann mit Gedächtnisverlust, der sich alles aufschreiben musste? Titel vergessen? Wo haben wir das noch mal notiert...? Egal - diesen Film sollte man sich auf jeden Fall merken: Nach einem großartig inszenierten, dämlich selbstverschuldeten Autounfall hat der einstige Eishockey-Star Chris (Joseph Gordon-Levitt) Probleme mit seinem Gedächtnis und dem Leben. Schritt für Schritt tastet er sich durch den Tag, oft auf die Hilfe seines blinden Mitbewohners Lewis (Jeff Daniels) angewiesen.
 
Als Chris in einer Bar die Bekanntschaft Garys und einer von dessen Freundinnen macht, beginnt die klassische Verführung des Film Noir. Gary plant einen Überfall auf die Bank, bei der Chris Nachtwächter ist. Das Regie-Debüt von Scott Frank, der die Drehbücher zu "Out of Sight" und "Schnappt Shorty" schrieb, überzeugt sowohl mit der Zeichnung des traumatisierten jungen Helden - eindrucksvoll: Joseph Gordon-Levitt - als auch mit exzellenter Bildgestaltung. Die dichte Atmosphäre packt von der ersten Szene an. Ein trotz gewisser Trägheit und kleiner logischer Probleme sehenswerter Genrefilm.

11.9.07

K=?UTF-8?B?w7Y=?=nige der Wellen


USA 2007 (Surf's Up) Regie: Ash Brannon, Chris Buck mit den Stimmen von Shia LaBeouf/Robert Stadlober (Cody Maverick), Zooey Deschanel/Jessica Schwarz (Lani Aliikai), Jeff Bridges/Thomas Fritsch (Big Z Topanga/ Freak), Jon Heder/Dieter Landuris (Chicken Joe) 86 Min. FSK: o.A.
 
Cody Maverick war schon immer ein Surfer. Auch wenn er aus der unwirtlichen Antarktis stammt, konnte ihn doch nichts stoppen, sich irgendwann mit den ganz Großen in die Riesenwellen zu stürzen. Cody Maverick ist übrigens ... ein Pinguin! Während die anderen Eier ausbrüten, trainiert er draußen auf dem Wasser. Er reitet auf einem Surfbrett aus Eis.
 
Die Erfolgsstory von Cody, der eines Tages von einem Talentscout entdeckt und per Walfisch-Kreuzer nach Pen Gu Island in der Südsee zu den Surfmeisterschaften reist, klingt vielleicht konventionell - selbst für einen Trickfilm. Doch das Ganze als veralberte Dokumentation aufzuziehen, ist wirklich originell. So sehen wir die Geschichte des Surfens von der Steinzeit bis heute, hören von den großen Stars des Sports - und alle sind Pinguine. Dann begleitet die TV-Crew eines amerikanischen Sportsenders unseren kleinen Helden auf dem Weg zum Ruhm. Oder auch nicht.
 
Denn Spaß zu haben, muss Cody zuerst lernen, als er sein todgeglaubtes Idol, die Surf-Legende Big Z, trifft! Der verabschiedete sich einst in die Anonymität einer Dschungelhütte, wo er nun seltsame Heilmethoden praktiziert. Etwa das berüchtigte Auf-den-Fuss-pinkeln gegen Seeigel-Stachel. Diese Art wilden, manchmal skurrilen Humors durchzieht den ganzen Trickfilm mit seiner sehr, sehr spaßigen Animation: Die Osterinseln begrüßen die Surfer mit riesigen Pinguin-Köpfen anstelle der bekannten Vorzeit-Skulpturen. Als Sidekick begleitet Cody ein verrücktes Huhn - tatsächlich: ein Huhn! Dessen Erlebnisse auf einem Urwald-Trip wäre eigentlich einen eigenen Film wert, ganz wie bei Scrat aus "Ice Age". Zwischendurch amüsiert man sich über den irritierten Blick eines roter Octopus', der als Lebensretter-Boje a la "Baywatch" mitmacht. Und der Seeigel beschwert sich vor laufender Kamera unter Wasser über umgeknickte Stachel.
 
Und das Erstaunlichste an dieser Animation: Da gleitet tatsächlich ein dicker, alter, gemalter Pinguin graziös auf den Wellen. Die Animateure zauberten per Computer-Malerei nicht nur beseelte Tierchen auf die Leinwand, sie verliehen ihnen in den passenden Momenten sogar Eleganz. Beeindruckend auch die Detailgenauigkeit der Wellen; eindrucksvoll, welche Fortschritte die Animationstechnik gemacht hat.
 
Nach dem niedlichen Zeichentrick-Öko-Musical "Happy Feet" und der umwerfend komischen Parodie "Farce of the Penguins" liefert diese freche Animation noch eine Antwort auf die ideologisch und religiös verbrämte, fürchterlich vermenschlichte "Reise der Pinguine". Selbstverständlich hört man Sätze wie: "Gib niemals auf und finde deine Welle!" Aber die wichtigste Lektion bleibt Codys erste: Spaß haben! Und dabei hilft dieser Film definitiv

10.9.07

Salvador - Kampf um die Freiheit


Spanien 2006 (Salvador - Puig Antich) Regie: Manuel Huerga mit Daniel Brühl, Tristán Ulloa, Oriol Arau, Leonardo Sbaraglia, Joel Joan 134 Min.
 
Daniel Brühl ist nicht nur einer der besten jungen deutschen Schauspieler, er ist auch Halb-Spanier. Für die Rolle des katalanischen Widerstandskämpfers Salvador Puig Antich drehte er erstmals in seinem Geburtsort Barcelona. Und synchronisierte sich selbst für die deutsche Fassung. Der Anarchist und Bankräuber Salvador Puig Antich wurde 1974 in der Franco-Diktatur hingerichtet. Als letzter politischer Gefangener dieser dunklen Epoche Spaniens.
 
Es sind die Szenen der wilden, lustvollen Widerstands, die sich international so gleichen: Mit dem Mut der Jugend kämpfen Salvador Puig Antich und seine Freunde 1973 gegen das Regime Francos, philosophieren, genießen das Leben. Um den Kampf zu finanzieren, werden Banken überfallen. Doch die politischen Täter stellen sich dabei stümperhaft an, die Gruppe schrumpft. In einer brutalen Polizeiaktion wird auch Salvador festgenommen, in einem Schusswechsel stirbt dabei ein Polizist. Nun wartet der junge Mann auf seinen Prozess und die wahrscheinliche Hinrichtung.
 
In einer reizvollen Form erzählt Salvador im Gefängnis seinem Anwalt von den Ereignissen. Mit Farbverfremdungen und expressiven Aufnahmen gestaltet der Regisseur Stimmungen der Rückblenden, während in der Gegenwart vor allem die Menschen um Salvador in einen sensibel gezeigten Dialog mit dessen zurückhaltender Persönlichkeit treten. Da ist vor allem der Gefängniswärter, der Salvador anfangs hasst, ihm aber über einen Brief an dessen Vater näher kommt. Und die Familie Salvadors, das enge Verhältnis zur jüngeren Schwester, das schwierige zum Vater.
 
Manuel Huerga gelang ein stilistischer wie emotional intensiver Film, der eine fast vergessene Zeit Europas mit einem leidenschaftlichen Kampf wieder aufleben lässt. Vor allem in der Originalversion ist die andere Seite von Daniel Brühl beeindruckend.

Yella


BRD 2007 (Yella) Regie: Christian Petzold mit Nina Hoss, Devid Striesow, Hinnerk Schönemann 88 Min. FSK: ab 12
 
Wirtschaftsthriller und Psycho-Trip
 
Yella (Nina Hoss) ist eine junge Frau aus dem Osten, die gerade einen neuen Job fand. Zwar stört ihr latent aggressiver Ex Ben, doch beim vorsichtigen Wesen ist leichte Freude über den Aufbruch erkennbar. Als Ben sie zum Bahnhof bringt, stürzt er beide mit dem roten Land Rover in die Elbe, ausgerechnet der Grenze zwischen Ost und West. Doch Yella überlebt, fährt klatschnass nach Hannover, lernt nach der Pleite ihres neuen Arbeitgebers einen Risiko-Finanzier kennen, macht märchenhaft schnell Karriere und verliebt sich. Allerdings verfolgt sie der Ex wie ein Gespenst und auch sonst wirkt einiges nicht ganz real...
 
Kühl und nüchtern porträtiert Petzold nach "Gespenster" und "Die innere Sicherheit" wieder eine Frau in einer intensiven, außerordentlichen Lebenssituation. "Yella" von Christian Petzold, machte aus nüchterner Wirtschafts-Realität ein fesselndes Psycho-Puzzle. Dabei legt er deutliche Spuren auf die Leinwand, dass die eigentliche Handlung ein Traum oder eine Form von Wahnsinn sein muss. Alle Männer ähneln sich frappant, Typen wiederholen sich wie Farben. Wasser durchfließt den ganzen Film. Erstaunlich dabei, dass diese Wunsch-Fantasie Yellas in seiner kühlen Klarheit so gar nicht traumhaft wirkt. "Yella" reißt nicht emotional mit, es ist spannendes Kopf-Kino von einem der intellektuellsten Autoren unserer Zeit.

Ein mutiger Weg


USA 2007 (A Mighty Heart) Regie: Michael Winterbottom mit Angelina Jolie, Dan Futterman, Archie Panjabi 100 Min.

"Ein mutiger Weg" erzählt die wahre Geschichte der französischen Journalistin Mariane Pearl (Angelina Jolie), deren amerikanischer Mann Daniel in Pakistan entführt und nach vierwöchiger Gefangenschaft schließlich hingerichtet wird. Mit eindrucksvoller Stärke steuert die Hochschwangere die Nachforschungen bis zum markerschütternden Schmerzensschrei im Moment der Todesnachricht.

Die Trümmer von 9/11 sind noch nicht beseitigt, die ersten Bomben fallen auf Afghanistan, das 2002 irgendwie als schuldig ausgemacht wurde. Mariane Pearl und ihr Ehemann Daniel, ein Journalist des "Wall Street Journal", berichten engagiert und offen aus Pakistan. Daniel ist Jude und sich durchaus bewusst, dass er bei religiös radikalen Interviewpartnern in besondere Gefahr begibt. Trotzdem verfolgt er einen Hinweis, lässt nicht locker, als er die Chance bekommt, einen mächtigen Führer im Untergrund zu interviewen. Das Letzte, was der Film von ihm zeigt, ist eine Fahrt im Taxi ins Nirgendwo weit draußen vor der Stadt.

Nun beginnt der eindrucksvolle Kampf der Mariane Pearl: Die Polizei ist nicht hilfreich, startet erst einmal eine Hausdurchsuchung. Geheimdienste mit unterschiedlichen Interessen machen das Haus der Pearls zur Kommandozentrale. Angelina Jolie verkörpert eindrucksvoll die ungemein gefasste und starke Mariane, spielt ähnlich intensiv wie Meg Ryan in "Lebenszeichen - Proof of Life". Anrührend dabei die Hilfe von Freunden und die Anteilnahme einiger Helfer. Zur Spannung tragen die authentischen Aufnahmen der rastlosen Metropole Karatschi bei, wie überhaupt die Dramaturgie Winterbottoms erneut enorm mitreißend ist.

Doch inhaltlich ist "Ein mutiger Weg" für Regisseur Michael Winterbottom, der bislang mühelos zwei außerordentliche Filme pro Jahr hinlegte, die erste Enttäuschung. Es braucht gar nicht den Vergleich zu seinen thematisch nahe liegenden Filmen "In This World" und "Road to Guantanamo", um die politische Nichtigkeit dieser handwerklich anständigen Arbeit zu bemerken. Da sitzen in Karatschi lauter nette Leute am Krisentisch, gleich drei Geheimdienste verstehen sich problemlos, alle werden Freunde. Auch die pakistanischen Polizisten, die gerade jemanden gefoltert haben, weil auf seinem Rechner eine bestimmte Email zu finden war. Nur am Ende weist die vom Islamisten-Rassismus der Medien weit entfernte Mariane tapfer darauf hin, dass während der Entführung auch 10 Pakistani durch religiöse Gewalt starben.

Nun kann man für Winterbottom anführen, dass er eine autobiografische Geschichte verfilmte. Wahrscheinlich erlag der politische Winterbottom dieser außerordentlichen Frau und ihrem Buch zu diesen Ereignissen. Wenn man dieses "große, starke Herz" ("A Mighty Heart" lautet der Originaltitel) im Film erlebt, kann man das ganz gut verstehen.

9.9.07

Venedig 2007 Preise

Vorsichtiger Preis

Venedig. Zum zweiten Male nach 2005 erhielt der Taiwanese Ang Lee am Samstagabend den Goldenen Löwen, den Hauptpreis der Filmfestspiele von Venedig (29.8.-8.9.). Nach "Brokeback Mountain" kehrte der ebenso meisterliche wie vielseitige Regisseur mit "Se, Jie (Lust, Caution)" (Leidenschaft, Vorsicht) in heimatliche Gefilde zurück: Die tragische Geschichte einer chinesischen Widerstandskämpferin unter japanischer Okkupation bot edles Historienkino mit gefährlichen Leidenschaften.
 
Vorsicht: Lust! könnte auch der Titel des Siegerfilms lauten, der auf einer Kurzgeschichte der populären chinesischen Autorin Eileen Chang basiert. Die junge Agentin Wong Chai Chi gerät 1942 während der japanischen Besetzung großer Teile Chinas an eine Laien-Theater- und Laien-Widerstandstruppe. Sie verliebt sich direkt in deren Anführer, muss aber mit einem gefährlichen Kollaborateur ein Verhältnis eingehen, damit man diesen ermorden kann. Während die Liebe unausgesprochen bleibt, bricht in expliziten Bildern die sexuelle Leidenschaft zwischen Agentin und Feind aus. Mit tragischen Folgen. Auch der Preis für die Beste Kamera ging an dieses Drama und seinen Kameramann Rodrigo Prieto.
 
Dass im dritten Jahr ein Film mit deutlicher asiatischer Beteiligung in Venedig gewinnt, gibt nicht nur die Innovationskraft dieser Weltregion wieder. Der italienische Festivaldirektor und Weltbürger Marco Müller, in mehreren asiatischen Sprachen zuhause, ist an der starken Präsenz Asiens in Venedig sicherlich nicht unbeteiligt.
 
Ein in China spielender Widerstandsfilm lässt selbstverständlich auch immer Kritik am heutigen System vermuten. So ein Subtext war aber bei Ang Lee für Außenstehende nicht zu erkennen. Allein im Vorfeld gab es hinter den Kulissen Rangeleien, ob der Film unter dem Produktionsland Taiwan oder China laufen sollte. Eine Kleinigkeit, wenn ansonsten schon mal gerne chinesische Filme ganz von Festivals abgezogen werden.
 
Die Jury der "64. Mostra Internazionale d'Arte Cinematografica" unter der Leitung des Chinesen Zhang Yimou wählte aus den 23 Wettbewerbsfilmen beim Hauptpreis ein allgemein positiv aufgenommenes Werk, das allerdings eine Weile braucht, bis sich sein Drama mit erschütternder Kraft entfaltet. Erst beim Silbernen Löwen entschied sich Zhang mit seinen Jury-Kollegen den Regisseuren Catherine Breillat, Jane Campion, Emanuele Crialese, Alejandro González Iñárritu, Ferzan Ozpetek und Paul Verhoeven, für ein brisantes Thema: "Redacted" von Brian De Palma gibt sich als Dokumentation aus und zeigt Gräueltaten amerikanischer Soldaten im Irak.
 
Als Bester Darsteller wurde Brad Pitt in der Western-Rolle des legendären, zwischen Manie und Depression schwankenden Killers Jesse James im Film "The Assassination Of Jesse James By The Coward Robert Ford" ausgezeichnet. Cate Blanchett erhielt wie erwartet den Preis für die Beste Schauspielerin für ihre Interpretation von Bob Dylan in der avancierten und offenen Biografie "I'm Not There" von Todd Haynes. Im Vorfeld wurde scherzhaft getippt, Blanchett könnte eigentlich beide Darstellerpreise, den männlichen und den weiblichen, so gut sei ihre Interpretation des mit Drogen und engstirnigen Journalisten kämpfenden Dylan.
 
Einen "Spezial-Löwen" gab es für das Gesamtwerk von Nikita Mikhalkov, der auch in seinem neuen Film "12" mit "großer Humanität und viel Gefühl die Komplexität der Existenz" erforscht, meinte die Jury. Tatsächlich zeigte Mikhalkovs Sitzung von 12 Geschworenen in einer heruntergekommenen Turnhalle mit vielen individuellen Schlaglichtern auf die Schicksale aller Beteiligten ein bewegendes Bild vom Zustand der russischen Gesellschaft, wobei die Menschen immer im Mittelpunkt stehen.
 
"It's a Free World", der neue, wieder von der Filmstiftung NRW geförderte Film von Ken Loach, erhielt den Preis für das Beste Drehbuch. Die Osella, die Goldmedaille der Filmfestspiele von Venedig, nahm Autor Paul Laverty entgegen. Das erschütternde Drama um eine zunehmend skrupellosere Arbeitsvermittlerin in London wurde auch mit dem EIUC Human Rights Film Award ausgezeichnet und erhielt eine besondere Erwähnung der Signis Awards, der World Catholic Association for Communication.

6.9.07

Alte Meister, bekannte Genres in Venedig


Venedig. Zum Abschluss des Wettbewerbs erlaubte sich die Programmplanung den Scherz, "12" von Andrej Michalkov, ein russisches Remake von "Die zwölf Geschworenen", anzusetzen. Heute Abend werden die Goldenen Löwen der "64. Mostra internazionale d'arte cinematografica" (29.8.-8.9.) verliehen, und es wird sich zeigen, welche Dramen sich in Juryraum der auf Film Eingeschworenen abgespielt haben.
 
Bei einem wohltemperierten Wettbewerb aus lauter Weltpremieren mit wenig Sensationellem und kaum Enttäuschungen dürften die Entscheidungen auch nicht sonderlich aufregen. "Venezia 64", wie man hier den Wettbewerb des Jahres 2007 nennt, verwöhnte mit Filmkunst auf hohem Niveau, bewies, dass aus Hollywood auch Anspruch kommen kann und ließ eine Filmsensation vermissen, die alle begeistert oder wenigstens entzweit. Drei Werke waren besonders im Gespräch: "The Darjeeling Limited", die einzigartig eigenartige Selbstfindung drei Brüder in Indien von Wes Anderson. Der Western "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" mit Brad Pitt als lebensmüdem Serienmörder. Und als mutigster, avanciertester Beitrag die frei assoziierende Bob Dylan-Biographie "I'm not there" von Todd Haynes.
 
Während Cannes in diesem Jahr betont jungen Leuten Platz im Programm machte, hat Venedig die alte Garde abbekommen: Woody Allen mit 76 Jahren und dem 43. Film "Cassandra's Dream" - durchgehend enttäuschend. Im Kwon Taek, der koreanische Altmeister (71) mit seinem 100.Film - wunderbar. Wieder hat er eine Geschichte über eine traditionelle Sängerfamilie gedreht: Der Vater ist fanatischer Künstler, der vor allem seine Stieftochter zur großen Sängerin machen will. Der Sohn verabschiedet sich irgendwann von der brotlosen Kunst und versucht ab dann jahrzehntelang, wieder mit der Stiefschwester zusammen zu kommen, weil sich beide lieben. Zwischendurch lässt der Vater seine Tochter erblinden, damit die nicht auch noch wegläuft und sich ganz auf die Kunst konzentrieren muss. Eric Rohmer (87, circa 50 Filme) blieb mit einem moralischen Schäferinnen-Stück weit in der Vergangenheit. Chabrol (77, mehr als 60 Filme) ließ der Moral erst gar keine Chance zwischen Lust und unglücklicher Liebe. Ken Loach ist zwar erst 71, machte aber auch nichts Neues im Kampf gegen Ausbeutung und Globalisierung. Der 98-jährige Manoel de Oliveira hält den Rekord und konnte uns deshalb noch eine wahrscheinlich persönlich erlebte Fußnote zum Landsmann Columbus erzählen.
 
Nicht unbedingt ein Trend, aber sehr erfreulich waren die Frischzellen-Kuren traditionsreicher Genres. Und solche neuen Sichtweisen verdanken wir meist den Asiaten. Der Western feierte mit "The Assassination ..." die (Wieder-) Entdeckung der Langsamkeit und mit Brad Pitt ein manisch-depressives Gesicht des Psycho-Duells. Doch die Krönung einer film-historischen Retrospektive zum Einfluss des Spaghetti-Western fand auch im Wettbewerb statt: "Sukiyaki Western Django" vom japanischen Kult-Regisseur Miike Takashi ist gleich Kult hoch drei. Wenn Quentin Tarantino im Epilog vor gemaltem Berg Fuji Essstäbchen aus dem Pistolen-Halfter zieht und mit herrlich von japanischem Dialekt durchsetzten Englisch die Saga vom Krieg des roten Heike- und des weißen Genji-Clans anhebt, dann jubeln die Asia-Fans und die alten Western-Knochen können sich ein Lächeln nicht verkneifen. Tatsächlich kreuzen sich bis zum letzten Gefecht immer wieder Colt und Samurai-Schwert, dazu mixt sich der Cowboy-Dress mit traditionellen japanischen Kostümen und anachronistischen Punk-Elementen. Eine rot-weiße Western-Stilblüte, die ungewohnt Spaß macht. Nur dass die japanischen Schauspieler alle Englisch sprechen mussten, so dass am Ende wohl weder japanische noch englische Ohren ohne Untertitel was mitbekommen, war eine Schnaps- ähm: Sake-Idee.
 
Greenaway erfreute, weil er in "Nightwatching", der Verfilmung von Rembrandts "Nachtwache" als Krimi, wieder zu seinen alten Qualitäten fand und den Abschied vom Erzählkino rückgängig machte. Auch der Überraschungsfilm überraschte tatsächlich: Johnny To, Meisterregisseur des Cop-Films aus Hongkong, landete mit "Mad Detective" einen Volltreffer genau zwischen den Augen: Ein Kommissar wie in Lynchs "Twin Peaks" gemischt mit "Monk" aus dem Fernsehen, klärt Fälle äußert unkonventionell auf, indem er die Tat nachspielt und sich dabei tatsächlich in die Mörder und Räuber versetzt. Zudem sieht er die vielfältigen Persönlichkeiten der Menschen ganz konkret als mehrere Personen. Man MUSS unweigerlich an die Bob Dylan-Biographie "I'm not there" denken! Bis zum Finale - selbstverständlich im Spiegelkabinett der Schizophrenie - findet noch ein komplizierter Austausch von Dienstwaffen statt. Das ist Johnny To pur und gefällt sowohl als Krimi als auch als verrückter Arthouse-Film.
 
So kann man auch den Klassiker "Mostra del cinema" auch siebzig Jahre nachdem der erste Filmprojektor anlief immer noch genießen. Die inhaltliche Revolution und Konzentration durch Festivaldirektor Marco Müller bleibt gelungen. Eine Runderneuerung der Infrastruktur wäre allerdings dringend vonnöten. Man staunt immer wieder, dass es dieses Festival überhaupt geben kann, weil an allen Ecken und Kanten irgendwas nicht funktioniert, aber sich auch keiner drum kümmert. Doch wenigstens die Filme liefen - und das sogar pünktlich.

5.9.07

Das Bourne Ultimatum


USA 2007 (The Bourne Ultimatum) Regie: Paul Greengrass mit Matt Damon, Julia Stiles, Joan Allen, David Strathairn, Paddy Considine, Daniel Brühl 111 Min. FSK ab 12
 
Eigentlich frustrierend: Fast zwei Stunden Vollgas-Film und dann weiß man immer noch nicht, was denn das "Bourne Ultimatum" eigentlich ist. Aber wie war das mit der "Bourne Supremacy", dem zweiten Teil der Verfilmung von den drei Bourne-Romanen Robert Ludlums? Da hat der deutsche Verleih freundlich mit "Bourne Verschwörung" übersetzt. Nur die "Bourne Identität" war ein eindeutiger Titel, obwohl der Agent Jason Bourne genau das bis zum Ende aller drei Teile sucht: Seine eigentliche Identität. Doch die Fans wissen von den bisherigen Teilen noch das Wichtigste: Das war stark!
 
In Moskau geht es ohne lange Vorrede mit einem Autocrash los. Gab es das nicht schon in "Bourne 2"? Aber solche Filme sind zum sofortigen Vergessen gedreht. Dann, ohne nach Luft zu schnappen, weiter nach Paris und weiter, weiter, weiter. Wichtiger als die Handlung ist die Geschwindigkeit. Selten wurde vorher in einem Action-Film so sinnleer das Tempo hochgehalten! Moskau, Paris, London, Tanger und New York sind die Handlungsorte und das in so rascher Abfolge, dass es James Bond den Martini im Magen rühren und schütteln würde.
 
Und nach langer, leerer Raserei landet Bourne (Matt Damon) letztendlich wieder in New York, wo alles anfing. Hier wurde er in einer Filiale des CIA zur unschlagbaren und fast unkaputtbaren Kampf- und Mordmaschine ausgebildet. Dabei ging ne Menge Persönlichkeit und auch nahezu das ganze Gedächtnis an sein Vorleben den Bach runter. Und diese Erinnerung will der Geheimdienstler mit wiedererwachendem Gewissen zurück. Hauptgegner ist sein ehemaliger Arbeitgeber CIA, aber irgendwie sind die immer zu doof oder zu langsam, ihre Geheimwaffe wieder einzufangen. Eine Vorgesetzte wird dabei zur Kollaborateurin, im Sumpf aus Korruption und Selbstjustiz hält sie die Verfassungswerte aufrecht und Bourne in Bewegung.
 
Der Abspann macht klar, wo es langging: Fünfzig Stuntleute hielten in den USA ihre Knochen für Jason Bourne hin, noch einmal fünfzig waren es in England. Auch bleiben immer wieder Frauen Jasons auf der Strecke, meist von den Gegnern heimtückisch erledigt. Klaus Theweleit würde mit seiner Orpheus-Theorie Bourne und den Drehbuchautoren Mitschuld anrechnen, denn hätte der rasende Agent weiter verliebt Ferien mit Franka Potente gemacht, wäre die Serie schnell zu Ende gewesen. Passend zu Orpheus gibt es ein wenig Schwindel erregenden Vertigo-Effekt, wenn eine junge CIA-Kollegin (Julia Stiles) als vergessene alte Beziehung aus dem Reich der vermeintlich Toten auftaucht. Vertigo-Effekt war, als Hitchcock die Kamera gleichzeitig ranzoomte und in die andere Richtung fuhr. Hitchcock war, als man Spannung inszenierte und dafür überhaupt nicht mit Höchstgeschwindigkeit durch die Handlung rasen musste. Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?

Hairspray


USA 2007 (Haispray) Regie: Adam Shankman mit Darsteller: Nikki Blonsky, John Travolta, Michelle Pfeiffer, Christopher Walken, Amanda Bynes, James Marsden, Queen Latifah 116 Min. FSK ab 0
 
Nein, nicht John Travolta im Speckmantel ist die Sensation dieses netten Musicals: Neuling Nikki Blonsky tanzt und singt sich in die Herzen. Als pummeliger Teenager Tracy Turnblad schwärmt sie mitten im Baltimore der Sechziger von der hippen "Corny Collins Show". Das Nachsitzen bei schwarzen Mitschüler-Klischees bringt dem braven weißen Mädel ganz neue Schritte bei und schon ist sie die Neue in der Show. Zum Entsetzen der Managerin (Michelle Pfeiffer), die alle Kameras nur auf ihrer Tochter sehen will. Als Tracy im rassistischen Amerika herzlich naiv die Rassentrennung in Frage stellt, wird sie endgültig zur Zielscheibe...
 
Der Film "Hairspray" war der harmloseste vom zügellosen Lust(ig)-Regisseur John Waters, der sich am Anfang selber als Exhibitionist sehen lässt. Das entschärfte Broadway-Musical wurde ein Hit und nun wieder ein Film. Der hat schon mit dem getanzten, gehüpften Schulweg Tracys gewonnen - trotz der brav angegangenen Thematik und der eher fröhlichen als spektakulären Shownummern. Und dann gibt es ja auch den tanzenden, travestierenden Travolta, der als Tracys Mutter eine echte Lachnummer bringt.

4.9.07

Welt-Verbesserer

Das Schöne am Roten Teppich von Venedig ist seine Länge: Mehr als hundert Meter paradieren die Stars parallel zu den Fans auf dem Weg in den Festivalpalast am Lido. Da kann die Treppe in Cannes nicht mithalten und Berlin schon gar nicht. Und die weiße Absperrung dient auf beiden Seiten als Graffiti-Wand: "George komm hier hin" steht dort mehrfach in Englisch, "Brad küss mich" und auch "Brad and Angelina - you made the world a better place" (Danke, dass ihr die Welt verbessert!).
 
Der aktuelle Weltverbesserer ist allerdings Richard Gere: In "The Hunting Party" (Die Jagdgesellschaft) spielt er den Kriegs-Journalisten Simon Hunt, der einen serbischen Kriegsverbrecher jagt. Es ist die alte Geschichte des zynischen Reporters, dessen harter Panzer schließlich doch durch eine persönliche Begegnung gebrochen wird. Nachdem seine schwangere bosnische Freundin bei einem Massaker der Serben vergewaltigt und umgebracht wurde, bricht Hunt vor laufender Kamera zusammen, verliert den Star-Job und sinkt in den folgenden Jahren immer tiefer. Doch nun ist er auf der Spur des meistgesuchten Kriegsverbrechers und einer großen Geschichte.
 
Eine große Geschichte ist der Film von Richard Shepard nicht, deshalb läuft er auch nur in der oft anspruchslosen Nachtschiene. Man sollte sich nur eines merken und deshalb machte Richard Gere wohl auch gerne mit: Drei orientierungslose Journalisten finden den Kriegsverbrecher, den NATO, UN-Truppen und Geheimdienste angeblich jahrelang suchen, innerhalb von zwei Tagen! Nicht erst, als die CIA in einer absurden Drehbuchfinte die Ergreifung des Massenmörders verhindert, merkt man, dass hier was nicht stimmt. Im Film und in der korrupten Realität.
 
Besser sieht Gere in der seltsamen Bob Dylan-Biografie "I'm not there" (Ich bin nicht dort) von Todd Haynes aus. Hier setzen sich Karriere und Persönlichkeit des Folk-Rock-Poeten aus mehreren Charakteren zusammen. Unter ihnen ist ein schwarzer Junge und Cate Blanchett, die eine drogenreiche Episode Dylans verkörpert und der Journaille klar machen will: Ich will mit meiner Musik NICHT die Welt verbessern! Der Regisseur der Glam-Rock-Geschichte "Velvet Goldmine" und von "Far from Heaven" erzählt kunstvoll wie originell, nur macht er es recht mühsam, ein Gesamtbild Dylans zusammen zu puzzlen.
 
In der Sektion "Giornati degli autori" (Autorentage) startete Andreas Kleinerts "Freischwimmer" mit einem touristischen Blick auf Monschau. Während Japaner und Afrikaner schöne Schieferfassaden bewundern, erstickt in der Schule der Schwimmstar Robert an einem Eclair, Liebesknochen genannt. Der schwerhörige, feinsinnige Rico nimmt den Tod kalt mit seiner Kamera auf. Da auch im Kollegium Spannungen herrschen, hat eine Kirchenfrau mit kriminalistischem Interesse viel herauszufinden. Wer am Ende was schuld ist, interessiert schon nach wenigen Minuten der sehr einfachen Geschichte mit schlecht gespielten, drehbuch-trockenen Figuren nicht mehr. Die von der Filmstiftung NRW geförderte WDR-Produktion ist auf einem Filmfestival dieser Größe völlig deplatziert.
 

2.9.07

Mörderische Liebe in Venedig


Venedig. Eigentlich könnten Welt und Globalisierung so einfach zu verstehen sein: Die Amerikaner kümmern sich um den Krieg und seine Folgen. Die Franzosen um die Liebe und ihre Folgen. Und die Briten um Moral sowie ihre folgenschwere Abwesenheit. Zur Halbzeit des Wettbewerbes um den Goldenen Löwen sind filmisch die Aufgaben klar verteilt und herrscht am Lido angeregte Zufriedenheit. Ein Favorit ist allerdings noch nicht auszumachen. Doch in der Dramaturgie einer Marco Müller-Mostra kommen die Asiaten erst spät ins Spiel. 2006 gewann "Still Life" von Jia Zhang-Ke, der als "Überraschungsfilm" nachträglich ins Programm genommen wurde. Auch 2007 gibt es wieder einen noch unbekannten Starter aus Asien...

Perspektiven
Wenige Stunden nach "Redacted", Brian De Palmas Schein-Doku zur Verrohung amerikanischer Soldaten im Irak, ging zum exakt gleichen Thema "In the Valley of Elah" von Paul Haggis an den Start. Chancenlos eigentlich. Denn nachdem man gesehen hat, wie amerikanische Soldaten morden und vergewaltigen, interessiert es nicht wirklich, wie zerrüttet oder zerstückelt die "Jungs" nach Hause kommen. Doch Haggis, der mit "Crash" ein faszinierend differenziertes und einfühlsames Panorama amerikanischer Unnahbarkeiten zeichnete, erzählt mehr. Tommy Lee Jones - inzwischen eine Art moralischer Instanz im amerikanischen Schauspiel - versucht als Polizist und ehemaliger Soldat Hank Deerfield die Mörder seines Sohnes Mike zu finden, der erst vor wenigen Tagen aus dem Irak zurück kam. Dabei entdeckt er zum einen, was für ein Monster sein Sohn wurde, und er muss sich die Frage stellen, ob er ein guter Soldaten-Vater war. In der letzten Szene hisst der Patriot Hank die amerikanische Nationalflagge falsch herum: Eine Nation in Gefahr!

Auch beim Cannes-Sieger Ken Loach kommt es auf die Perspektive an. Seine moralische Lehrstunde über den menschenverachtenden Handel mit Arbeitskräften aus Osteuropa, wählt ausnahmsweise nicht den Blick der Opfer. Das hätte man schon zu oft gesehen, meinte der Brite Loach auf der Pressekonferenz. So erleben wir in dem von der Filmstiftung NRW geförderten Thesenspiel die ebenso reizvoll aussehende wie toughe Angie, die sich nach miesen Erfahrungen als Angestellte selbständig macht und mit viel Energie und Einsatz Arbeitskräfte vor allem aus Polen in London für miese Jobs vermittelt. Erschreckend zu sehen, wie der eiskalte Engel Angie auch den letzten Rest an Anstand aufgibt, um Wohlstand für die eigene Familie zu sichern. Nur ihr Vater, ein alter Sozialist, erinnert an schwer erkämpfte Werte - ungehört.

Liebe deinen nächsten Mörder
Während Altmeister Erik Rohmer in dem Schäferstück "Les Amours d'Astree et de Celadon" Treue und reine Liebe durchspielt und dabei in Kostüm (Römerzeit) und Text (aus dem 17.Jahrhundert) extrem altmodisch daherkommt, konjugiert der alte Zyniker Claude Chabrol in "La fille coupée en deux" (Die zersägte Frau") gekonnt die Wahnsinnigkeiten vergeblicher Liebe: Gabrielle verfällt dem 30 Jahre älteren Charles, der sie sexuell "erzieht" und benutzt. Nachdem der Autor sie rücksichtslos verlässt, fällt die hoffnungslos Verliebte erst in ein Koma, um dann dem Werben des albernen Millionenerben Paul nachzugeben. Doch der ist auch nach der Heirat vom Ziel seiner verzweifelten Liebe unendlich weit entfernt und erschießt Charles, der immer noch Gabrielles Herz besetzt.

Zu kompliziert? Wie wäre es mit einem echten Männerfilm? Im Western "The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford" darf Brad Pitt als Serienmörder Jesse James seinem Henker inmitten unheimlich dichter Atmosphären melancholisch verbunden lange in die Augen blicken. Bilder, Stimmungen und Texte (nach einem Roman von Ron Hansen) machen diesen gar nicht so eindeutig männlichen Western von Newcomer Andrew Dominik dann vielleicht doch zum ersten Favoriten.