16.5.07

My Blueberry Nights, Wong Kar-Wai

In the Mood für Blaubeer-Küsse

Vom kalifornischen Venice Beach gehen die Erinnerungen zurück nach Coney
Island, an die Ostküste. Fast ein Jahr ist es nun her, dass Elisabeth
(Norah Jones) sich verzweifelt im Cafe Kluych nach ihrem Freund
erkundigte. Der englische Chef Jeremy (Jude Law) erinnert sich gut an
Leute, nur nie an ihre Namen, immer nur an ihr Essen. Wie die verlorene
Frau, die nicht allein sein will, bald Abend für Abend zum Reden kommt
und ihren Blueberry Pie, ihren Blaubeer-Kuchen mit Vanille-Eis essen
wird, bleibt ihm unvergesslich …

Das Ritual erlaubt ihnen eine ganz langsame Annäherung, lässt Trauer
verfließen und die Bilder der Überwachungskamera statt alter Geschichten
erzählen. Warme, gelb-grüne Töne passen zur rauchigen Stimme Elizabeths.
Bald fällt sie an seiner Seite in Schlaf. Ein Rest Eis verführt zum
wunderbaren, dem Schlaf und schönen Lippen geraubten Kuss. Dazwischen
geschnittenes Zusammenschmelzen von Beeren, Sahne und Eis macht die
reine Berührung hoch erotisch.

Der Moment kurz vor der Liebe ausgedehnt über ein ganzes Leben, oder
zumindest einen schönen langen Film, mit möglichst vielen kulinarischen
Szenen … das ist Wong Kar-Wai, das ist „In the mood for love". Nur
diesmal sind es nicht dampfende Nudelküchen, in denen sich erst Blicke,
dann Sehnsüchte und Säume wunderbarer Stoffe streifen. Der in
Kunstkino-Kreisen hoch verehrte Regisseur aus Hong Kong drehte erstmals
in Englisch. So wird Elizabeth NY nach langer Beziehung verlassen, vom
Imbiss ihrer verlorenen Liebe gen Westen aufbrechen – von einer Kneipe
zum nächsten Restaurant. Weil sie nicht schlafen kann, macht sie gleich
zwei Jobs, bis jemand sowohl in ihrem Tag- als auch im Nacht-Leben
auftaucht.

Im Rahmen dieser besonderen Begegnung zwischen Elizabeth und Jeremy
erzählt „My Blueberry Nights" von anderen Leidenschaften auf dem Weg der
Reisenden. Auch wenn der Film vor allem in dem New Yorker Cafe die
großen und kleinen Gefühle in ganz große traumhafte Kinomomente
umwandelt, zeigen auch die anderen gefühlvollen Geschichten schönes
Kino, mit heftigen Leidenschaften, saufenden und heulenden Männern,
denen verzweifelte Liebe das Genick bricht.

Ein ganzes Buch voller Geschichten erzählt eine Vase mit Schlüsseln, die
Jeremy von unglücklich Verliebten zum Aufbewahren hinterlassen wurden.
Er glaubt daran, dass Türen nicht für immer geschlossen bleiben. Und
seine Mutter lehrte ihm, wenn er mal verloren ginge, einfach stehen zu
bleiben und zu warten. Das erschwert seine Suche nach Elizabeth, die
längst immer wieder anders heißt, ihrem „Freund" Postkarten schickt,
aber vielleicht auch woanders Blaubeer-Kuchen isst.

Norah Jones, die als Jazz-Country-Sängerin ähnlich meinte: "Come Away
with Me", hat nicht die Eleganz von Gong Li, der Göttin aus Wong
Kar-Wais asiatischen Filmen. Das fällt besonders auf, wenn Rachel Weisz
in einer kleineren Rolle ähnlich cool stilisiert wird. Doch der
Seitenwechsel tut Wong Kar-Wai gut: Man erfreut sich an vielen bekannten
Stilen, erlebt aber auch ganz neu dynamische Montagen, etwas schnellere
Zeitlupen. Das gilt für Bild und Ton, den kreisenden Melodien von „Mood"
gesellen sich Jones-Akkorde hinzu. Die bewegendsten Momente dieses
wunderbaren Films treffen mit kurzem Flamenco-Klatschen oder mit einer
Version (Nina Simone?) von Neil Youngs „Harvest Moon" auf: Because I am
still in love with you …