25.5.07

Im Rausch von Cannes 2007


Cannes. Die 2007er Abfüllung mit Bildern, Themen und Highlights war ein außerordentlich guter Jahrgang. Der so harmlos "Filmfestival" genannte Gigant, der eine unersättliche Unterhaltungsmaschinerie jeden Tag mit zahlreichen Mega-Events füttert, inszenierte sogar die Feiern zur 60.Ausgabe mit Augenmaß und großer Achtung vor den filmischen Kunstwerken, um die es eigentlich gehen sollte. Dabei liefen an einem Gala-Abend mehr Top-Prominente auf, als sich die Berlinale für ein ganzes Festival wünschen kann.
 
Cannes 2007 war auch filmisch ein hervorragendes Festival, die Papierform der großen Namen hat sich während der bisherigen acht Festivaltage in vielen bewegenden, engagierten, ästhetisch wie dramaturgisch avancierten und wenigen komischen Momenten realisiert. Die Internationale Jury unter der Regie des Briten Stephen Frears ("The Queen") kann eigentlich nicht viel falsch machen. Außer Tarantino eine Goldene Palme zu geben ...
 
Jurys stehen immer vor dem Äpfel und Birnen-Problem: Wie lässt sich der iranische, persönlich-politische Zeichentrick "Persepolis" mit dem amerikanischen Serienmörder-Thriller "Zodiac" vergleichen oder mit den für wenig Geld inszenierten französischen "Chansons d'Amour"? Mehr als in vergangenen Jahren ist die Begeisterung einhellig, doch die Fachbeobachter bejubeln Verschiedenes. Seit der ersten Festivalwoche hält sich das rumänische Abtreibungs- und Politdrama "4 Months, 3 Weeks and 2 Days" von Cristian Mungiu in der Spitze der Punktelisten. Die Coen-Brüder schlossen auf und ihr "No Country for old men" wurde Favorit, weil er den Spaß an typisch schrägen Verbrechern und Gemetzeln zur einer mythischen Ebene und einer pessimistischen Sicht auf die eben noch amüsante Gewalt führt.
 
Cannes-Sieger Gus van Sant fand in der Skater-Welt von "Paranoid Park" wieder einzigartige Bilder für Jugendliche in Extremsituationen. Ebenso unvergleichlich das unfassbar ruhige Liebesdrama "Stellet Licht" von Carlos Reygadas, in dem mexikanische Mennoniten im altertümlichen plattdeutschen Dialekt wie in Zeitlupe erstaunliche Lösungen für Gefühlskonflikte finden. Die neuen Filme von Kim Ki-Duk ("Breath") oder Ulrich Seidl ("Import Export") sind eindeutig nicht ihre besten, doch wer weiß, wie vertraut die sehr gemischte Jury mit dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk oder dem mauretanischen Regisseur Abderrahmane Sissako mit den jeweiligen Werken sind. Man darf aber hoffen, dass dummes Teenager-Geschwätz über Minuten, ein bauchfreier Lapdance als reizloser Höhepunkt und Serienmorde mit Lust an drastischer Darstellung kein Gefallen fanden. "Death Proof", von Quentin Tarantino als "Hommage" anspruchsloser Unterhaltung gedreht, im Wettbewerb von Cannes, ist vergleichbar mit Fußballbildchen in der Sixtinischen Kapelle.
 
Wie immer spielten die Frauen in Cannes meist nur eine dekorative Rolle: Wenn drei Regisseurinnen im Wettbewerb 21 Männern gegenüberstehen, und das auch noch den Schnitt der sechzig Ausgaben hebt, stimmt etwas nicht. Wenn man dann noch erlebt, dass ein einfühlsames, witziges, offen persönliches Meisterwerk wie "Actrices", die zweite Regie der Schauspielerin Valeria Bruni-Tedeschi, in einer Nebensektion landet, darf man laut "Unrecht" rufen.
 
Die deutschen Filme von Volker Schlöndorff ("Ulzhan"), Jan Bonny ("Gegenüber") und Robert Thalheim ("Am Ende kommen Touristen") fanden Aufmerksamkeit, aber vor allem die Begeisterung bei der Premiere von Fatih Akins "Auf der anderen Seite" überraschte selbst die Hoffnungen der Fatih-Freunde. Das von der Filmstiftung NRW geförderte Drama verwebt die Schicksale von sechs Menschen, wobei erst der Tod ihre Lebenswege zusammenführt. Großer Applaus machte "Auf der anderen Seite" zu einem heimlichen Favoriten und zeigte, dass dieser mutige und exzellente Regisseur nun auch auf der internationalen Bühne anerkannt ist. Und das will was heißen im Rausch des hochprozentigen Cannes 2007.