21.12.07

Astronaut Farmer


USA 2007 (Astronaut Farmer) Regie: Michael Polish, mit Billy Bob Thornton, Virginia Madsen, Max Thieriot 104 Min. FSK: ab 6
 
Nicht nur in seiner Aussage ist der "Astronaut Farmer" altmodisch: Den Ansari-X-Preis für den ersten privat finanzierten Weltraumflug, 10 Millionen Dollar, hat sich mittlerweile der kalifornische Raumfahrtpionier Burt Rutan abgeholt. Und beim Music-, Flug-, Zug- und nun Raumflug-Pionier Richard Branson stehen die Leute Schlange, um mit Virgin ins All zu düsen. Doch Raumflug scheint auch heute immer noch ein Abenteuer zu sein, wenn man die Schwierigkeiten der NASA mit Schaumstoff und Hightech-Küchenkacheln bedenkt.
 
Da ist eine Aussage besonders interessant: Die NASA kann einfach keinen privaten Flug zulassen, weil dann ihr Jahresetat von über 10 Milliarden reichlich übertrieben wirken würde! Doch erst einmal fängt alles ganz harmlos verschroben an. "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für die Menschheit" hört man, während ein Cowboy im Raumanzug vom Pferd steigt, um ein entlaufenes Kalb zu fangen. Dieser Space-Cowboy ist Charles Farmer, ein Landwirt in Texas, der in seiner Scheune aus den Resten von Luftfahrtprogrammen eine Rakete baut. Der "Astronaut Farmer" hat zwar haufenweise Schulden, aber einen großartigen Charakter. Charles war einst Pilot der Luftwaffe, aber flog damals aus dem Raumfahrtprogramm, weil er zu seinem sterbenden Vater fuhr. Jetzt läuft er wie selbstverständlich die ganze Zeit im Raumanzug rum und bestellt 10.000 Liter Treibstoff.
 
Das lässt die Jungs vom FBI anrücken, es wird komisch, denn die wissen bald selber, dass nicht Farmer der Trottel ist. Wie Schulze & Schultze von "Tim & Struppi" sind die Männer im Anzug immer im Bild, aber nie im Bilde. Auch witzig, wie Bruce Willis als erfahrener Raumfahrer ("Armageddon") vorbeikommt, um Farmer von seinem Plan abzubringen - vergebens. Als dann die Rakete tatsächlich zündet, sieht das allerdings sehr nach Looney Tunes aus. Und der Film hat es sich inzwischen bei den abgewetzten Ideen gemütlich gemacht.
 
"Astronaut Farmer" hebt nie richtig ab, hat die schönsten Flugaufnahmen mit einem Raketen-Karussell für Kinder. Es
bleibt ein netter Familienfilm und ein echter Männerfilm im Sinne von "Kuck mal, wer da hämmert". Das wird überdeutlich, wenn Thornton und Bruce Willis mit Bierflasche vor dem Hobby-Mobil stehen und sich kindisch freuen. Trotz ihrer völlig verrückten Anlage spielt Billy Bob Thornton mal wieder eine eigentlich recht normale Figur, eine Rolle wie für Kevin Costner, der mitten im Maisfeld im Nirgendwo ein Baseball-Platz anlegte.
 
Auf die Frage, weshalb er unbedingt ins All fliegen will, antwortet Farmer: "Es ist mein Traum." Seine Rakete heißt dementsprechend "Der Träumer". Mehr braucht es nicht in einem us-amerikanischen Film, vielleicht noch im Nachbrenner ein "Gib niemals auf!" Das hat alles seltsame Ähnlichkeit mit dem Arche-Noah-Film "Evan Allmächtig", nur war da der Held ein fanatischer Katholik und hier ist es ein aufgeklärter Mann der Wissenschaft. Überzeugender macht das die Film-Idee nicht.

Tödliche Versprechen


GB, Kanada 2007 (Eastern Promises) Regie: David Cronenberg mit Viggo Mortensen, Naomi Watts, Vincent Cassel 101 Min. FSK: ab 16

So wie Hardrockern oft sehr schöne Balladen gelingen, scheint auch das Handwerkszeug der Horrorfilmer für komplett gelungene Filmkunststücke zu prädestinieren. David Cronenberg verstörte nachhaltig mit "eXistenZ", "Crash", "M. Butterfly" und "Naked Lunch", doch mit seinem letzten Film "History of Violence" verschwand das Abgedrehte, für das kanadische Filmförderung immer etwas (Geld) übrig hat. Die Geschichte eines braven Familienvaters (Viggo Mortensen), dessen "Geschichte der Gewalt" entdeckt wird, war nur noch gut, klug und packend.

"Tödliche Versprechen" hält, was Cronenberg verspricht: Der dichte Thriller ist von der ersten Szene an nichts für Zartbesaitete. Tod im Doppelschlag und eine Geburt dazu ... selten wurde der Popcorn-Terror im Kino so effektiv gestoppt. Doch anders als bei den so populären, immer härteten Metzgereien, kommt die Brutalität hier nicht als Selbstzweck daher. Wieder, wie schon bei "History of Violence" dreht sich alles um Gewalt und Identität. Im Milieu der russischen Mafia Londons sehen wir sensible Mörder, zynische Killer, unfassbar brutale Tiere hinter freundlichem Lächeln - dabei enthält fast jede Szene einen Denkanstoss über das dunkle Wesen der Menschen.

Während ein Kunde im Friseursalon final unters Messer kommt, stirbt ein junges Mädchen bei der Geburt ihrer Tochter. Anna (Naomi Watts), die Hebamme russischer Abstammung, versucht Bekannte oder Verwandte der Toten zu finden, ein kyrillisch geschriebenes Tagebuch soll dabei helfen. Annas Onkel will das Buch einer Toten anfangs nicht übersetzen, so führt es die Neugierige zum russischen Restaurant von Semyon (Armin Mueller-Stahl). Der freundliche Chef lächelt schwer aus seinem faltigen Gesicht und verspricht Hilfe. Dass Anna ausgerechnet im Herz der russischen Mafia-Finsternis landete, ahnt sie nur intuitiv.

Das Buch dieses packenden und erschreckenden Thrillers stammt vom Autor des völlig übersehenen Frears-Sozialdramas "Dirty Pretty Things" - unverkennbar in den motivischen Ähnlichkeiten. Cronenberg macht allerdings aus den sozialen Realitäten einen ganz anderen Film: Der Anfangszustand des Schreckens hält an und verstärkt sich mit dem Durchleben grausamer Schicksale nur noch. Im Off hören wir das Tagebuch zu Grunde gerichteter Träume eines jungen Lebens. Der kanadische Regisseur traut sich, Abgründe zu zeigen, die us-amerikanische Krimis selten anrühren.

Das opulente, hedonistische und gnadenlos harte Milieu ist bekannt aus vielen Russen-Krimis wie "Little Odessa". In den grandiosen Bildern aus der Welt russischer Enklaven glänzt eine exzellente Besetzung: Armin Mueller-Stahl setzt (im Original) seinen deutschen Akzent trefflich als alter Russe ein und darf, bevor er im verführerisch leckeren Borscht rührt, seine Geigenkunst vorspielen. Viggo Mortensens ambivalente Figur eines Killers mit Geheimnis umgibt eine starke Aura: reserviert, überlegen, tiefgründig bis zum sehr zwiespältigen Schlussbild. Wie schon in "History" erweisen sich die harmlosen Gesichter besonders gefährlich.

18.12.07

1 Mord für 2


USA 2007 (Sleuth) Regie: Kenneth Branagh mit Sir Michael Caine, Jude Law 89 Min. FSK: ab 12

Eine britische Schauspiel-Show liefern Michael Caine und Jude Law, die bereits 2004 im Remake von "Alfie" zusammenspielten, in "Sleuth" vom Shakespeare-Mimen Kenneth Branagh: Der erfolgreiche Autor Andrew Wyke (Michael Caine) bekommt in seinem stylisch-futuristischen Anwesen Besuch vom Milo Tindle (Jude Law), arbeitsloser Schauspieler und Liebhaber seiner Frau. In einem Duell über drei Runden tasten sich die Konkurrenten ab, spielen mit einander und schließlich auch mit Pistolen. Reizvoll aber nicht unbedingt überzeugend - vielleicht weil die Frau, um die es geht, niemals im Film auftauchen wird?

Die irritierende Rückkehr des Liebhabers als ruppiger Polizist mit Schnurrbart und ebenso prolligem Akzent ist nicht das einzige Deja Vu dieses Films. Branaghs "Sleuth" ist ein Remake des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1972. Damals brachte Altmeister Joseph L. Mankiewicz das Anthony Shaffers Stück von der Bühne auf die Leinwand. Den jungen Liebhaber spielte der damals der 39-jährige Caine! Jude Law wurde im Jahr des Originals geboren. Die Bühnen- und Leinwand-Legende Laurence Olivier gab einst den berühmten Autor. Eigentlich überraschend, dass sich Regisseur Kenneth Branagh, in seinen vielfältigen (Shakespeare-) Aktivitäten ein Nachfolger Oliviers, nicht selber als Wyke besetzt hat. Zumindest dabei hielt er sich zurück, stilistisch fällt er wieder mit einigen Manierismen auf.

Elizabeth - Das goldene Königreich


GB, Frankreich 2007 (Elizabeth: The Golden Age) Regie: Shekhar Kapur mit Cate Blanchett, Geoffrey Rush, Clive Owen 115 Min. FSK: ab 12

Elizabeth I, die zweite

1998 kam Cate Blanchett grandios und königlich als Elizabeth I raus. Shekhar Kapur inszenierte die ersten Regierungsjahre einer historisch eindrucksvollen Figur. Kostüme und Kamera machten Macht spürbar, Cate sorgte für die emotionale Tiefe dieser Herrscherin, sieben Mal wurde der optisch opulente Film für den Oscar nominiert. Fast ein Jahrzehnt musste man auf "Elizabeth II" warten, Shekhar Kapur drehte zwischendurch "Die vier Federn" (2002), Stephen Frears beschäftigte sich mit dem Innenleben der jetzigen "Queen", der wirklich zweiten Elisabeth. Fortsetzungen sind etwas für einfallslose Massenware und bei Meisterwerken eher ungewöhnlich. Was bieten Cate und Kapur Neues?

Es sind bewegte Zeiten: Der hinterhältige Spanier Philip II benutzt das Mäntelchen der Religion als Vorwand für seine Eroberungspläne gegenüber England. Der anglikanischen Staatskirche stehen die "Papisten" gegenüber. Die Schottin Mary Stuart beansprucht den Thron, ein Bürgerkrieg droht. Und alle sorgen sich angeblich um das Seelenheil der armen Untertanen. Aus der "Neuen Welt", die damals noch nicht Südamerika hieß, kommen fremde Menschen, Gold und Kartoffeln. Auf den Weltmeeren kapern englische Piraten die übermächtige Armada, rauben die Schätze der Kolonien.

Doch der Alltag einer Herrscherin des 16. Jahrhunderts ist ungewöhnlich lebendig zu erleben: Elizabeth schießt offene und spöttische Kommentare bei der Audienz ab. Sie raucht mit ihren Kammerdamen im Nachthemd den gerade erst aus der Neuen Welt geklauten Tabak. Als Jungfrau auf der Suche nach einem Mann - offiziell und auch durchaus leidenschaftlich - wirft sie ein Auge auf den Kapitän Sir Walter Raleigh. Wenn sie als royalen Abschiedsgruß meint, "I like you" (ich mag sie), nimmt er sich die freibeuterische Frechheit heraus, zu antworten: "And I like you!"

"Elisabeth II" versucht gar nicht erst, eine steife historische Korrektheit herzustellen. Stattdessen darf die Integrität der Figuren aufleben - das bleibt der große Pluspunkt des Konzepts von Kapur. Und in idealer Besetzung vereint Blanchett Würde und Jovialität, Form und Feingefühl. Clive Owen hat den perfekt verwegenen Blick für einen Piraten des Herzens und sein Sir Walter Raleigh spielt auch die ganze spanische Armada an die Wand.

Wenn wieder schillernde Kostüme und betörend schöne Bildkompositionen das Ganze krönen, wenn Schattenspiele und Kerzenlicht für eine exzeptionelle Stimmung sorgen, beweist Kapur erneut sein enormes Kino-Können. Dabei stellt er seine Inszenierung ganz in den Dienst einer großen (Schauspiel-) Königin. (Was man in der deutschen Synchronisation leider verpasst, ist der Spaß, Cate Blanchett original in Deutsch zu hören.)

12.12.07

Todeszug nach Yuma


USA 2007 (3:10 to Yuma) Regie: James Mangold mit Russell Crowe, Christian Bale, Logan Lerman 123 Min. FSK: ab 16
 
Dieser "Todeszug" ist ein Remake des 1957 mit Glenn Ford verfilmten "Zähl bis drei und bete", doch nichts wirkt hier altmodisch. Das liegt nicht nur daran, dass mit den "2 Fast 2 Furious"-Autoren Derek Haas und Michael Brandt zwei mit Film-Pop vertraute Leute ihren Einfluss einbrachten. Der Kern der Konfrontation zwischen Gut und Böse stammt aus einer Kurzgeschichte von Elmore Leonard (Out of Sight, Jackie Brown, Get Shorty), doch erfreulicherweise fiel die Charakterzeichnung im Remake sehr differenziert aus.
 
Wie es heutzutage gern gesehen wird, kommt auch der Western "Todeszug nach Yuma" direkt zur Sache: Erst der nächtliche Überfall auf die verschuldete Farm von Dan Evans (Christian Bale). Dann die veritable Leinwandschlacht um eine schwer gepanzerte und bewachte Kutsche. Der Geldtransport wird mit einem Maschinengewehr verteidigt und auch die Bilder haben eine Modernität, die beim aktuellen, eher ruhigen Western fast wieder altmodisch wirkt - irgendwie so 80er-mäßig. Vom Feldherrnhügel verfolgt der Oberschurke Ben Wade (Russell Crowe) das niedere Geballere und erlegt erst mit einem ebenso simplen wie genialen Schachzug die Beute. Dass er dabei die von Dan Evans geklaute Kuhherde benutzt, wird sein Schicksal sein. Doch vorher sorgen die beiden ungleichen Kontrahenten für zwei Stunden packenden Western, der mehr durch Akteure als durch Aktionen bestimmt ist.
 
Ben Wade ist gnadenloser Boss einer Räuberbande. Wegen einer Frau wird er festgenommen und der einfache Farmer Dan Evans sieht sich gezwungen, einen Job als Bewacher anzunehmen. Wade bleibt trotz einer Unzahl von Waffen, die auf ihn gerichtet sind, ruhig. Immer begleitet den Transport der lebensgefährlichen Ladung Wades teuflischer Freund am Horizont. Und sollte es einer der Bewacher wagen, den Gefesselten zu ärgern, wird er die nächste Nacht am Lagerfeuer sicher nicht überleben
 
Schon bei der ersten Begegnung - Evans fordert ganz naiv seine Kühe zurück - zeigt sich eine Spannung, deren Tiefe im Laufe des langen Weges ausgelotet wird. In dieser frühen Szene haben wir auch längst begriffen, dass Dan Evans sich irgendwann den Respekt seines Sohnes William verdienen, dass er sich irgendwann wehren und zur Waffe greifen wird.
 
Der "Todeszug" ist "todes gut", wie ein einstiger Jugendslang gesagt hätte, vor allem durch die enorme Präsenz der Darsteller. Wirklich spannend sind die Blick-Duelle zwischen Russell Crowe und Christian Bale. Dazu kommt ein Vater-Sohn-Drama, denn der wütende William folgt dem Transport und greift selbst im entscheidenden Moment ein.
 
Regisseur James Mangold lieferte schon mit "Walk the Line", "Identity", "Durchgeknallt - Girl, interrupted" und "Cop Land" gute Arbeit ab, und überzeugt hier mit gekonnt stilisierten Bildern, wobei die Friedhofskreuze am Horizont, der Rächer im Gegenlicht hier immer nahe an Pop-Zitaten dran sind.
 

Hitman


Frankreich, USA 2007 (Hitman) Regie: Xavier Gens mit Timothy Olyphant, Dougray Scott, Olga Kurylenko 92 Min. FSK: k.J.
 
Französische Produktionen schaffen es immer wieder, ausgetretene Genres mit neuer Ästhetik und Geschwindigkeit aufzufrischen. Diesmal kommt die Killer-Action nicht ganz so revolutionär daher. Aber der Hauptdarsteller Timothy Olyphant ("Stirb langsam 4.0") gibt der tödlichen Stilübung genügend ambivalenten Reiz.
 
Wie entscheidet ein "Guter", ob man töten soll? Diese auf Filmwelten beschränkte Moralfrage steht am Anfang. Für Hitman 47 eine schwierige Frage, denn er ist zwar ein perfekter Killer, doch Moral und Gefühl muss er erst im Laufe der Action entdecken. 47 ist ein genmanipulierter Spezialist, der von seinen Auftraggebern verraten wird und nun hinter die Kulissen blicken will. Dabei entdeckt er - getreu den Gesetzen des Genres und in Folge von "Blade Runner" & Co. - vor allem sich selber.
 
Das hört sich stark nach "Bourne Identität" an, hat auch stellenweise die gleiche Atemlosigkeit. Doch "Hitman" sieht Klassen besser aus! Nicht nur im Styling und in den raffinierten Choreografien der Action. Vor allem Timothy Olyphant hat im Vergleich zu Matt "Bourne" Damon die notwendige Ausstrahlung für einen echten Filmkiller. Reizvoll ist die Besetzung weil Olyphant in den Gesichtszügen eigentlich zu sensibel wirkt. Ein Schuss Ironie tut ihm gut, etwa wenn der coole Kerl im Umgang mit Frauen unfreiwillig komisch wirkt, weil sehr schön ungeschickt und halt unsensibel. Damit landet der "Hitman" im Einerlei der immer härteren und schnelleren Action einen guten Treffer.

5.12.07

Für den unbekannten Hund


BRD 2007 (Für den unbekannten Hund) Regie: Benjamin Reding, Dominik Reding mit Sascha Reimann (alias Ferris MC), Zarah Löwenthal, Lukas Steltner, Gunnar Melchers, Hedi Kriegeskotte 107 Min. FSK: ab 12

Basti kommt raus aus Knast und vermisst seine Playstation mehr als die Freundin. Basti saß wegen eines Bruchs nicht wegen des Mordes, der ihn in Albträumen verfolgt. Um seiner Wut und einer möglichen Erpressung zu entfliehen schließt er sich Handwerksgesellen auf der Walz an, geht für drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft. Nach ersten Schwierigkeiten freundet sich der beschränkte und egoistische Junge mit den altertümlich lebenden Gesellen und mit ihren seltsamen Regeln an. Das Handy landet im Teich, nur die Schuld lässt sich auch in langen Regennächten nicht wegwaschen. Und immer deutlicher wird, dass Bastis Opfer ein guter Freund seiner neuen Kumpel war.

Nach "Oi! Warning" schicken Dominik und Benjamin Reding in ihrem von der Filmstiftung NRw geförderten Nachfolger einen jungen Neonazi auf Lehr- und Wanderjahre, trumpfen mit knalliger Farbdramaturgie auf und fesseln mit einer mythische Sühne. Die Geschichte wiederholt sich, holt sich gar selbst ein. In vielen Szenen beeindruckend kraftvoll, immer stark, wenn Bastis Beschränktheit mit Lust und Klugheit aufgebrochen wird, kann dieser bunte "Hund" seine Spannung nicht durchgehend halten. Doch allein die gute Geschichte im ungewöhnlichen Milieu verdient das Prädikat "sehenswert" "Für den unbekannten Hund".

Mein bester Freund


Frankreich 2006 (Mon meilleur ami) Regie: Patrice Leconte mit Daniel Auteuil, Dany Boon, Julie Gayet, Julie Durand 94 Min. FSK: o.A.
 
François (Daniel Auteuil) ist ein erfolgreicher und raffinierter Antiquitätenhändler. Zum Entsetzen seiner Geschäftspartnerin Catherine (Julie Gayet) ersteigert er eines Tages eine antike Vase für 200.000 Euro. Sie zeigt Achilles und seinen Freund Patroklus. Prophetisch oder höhnisch? Denn provoziert durch den spontanen Kauf bekommt François, die traurige Gestalt, aufs Gesicht zugesagt, dass er keinen besten Freund, eigentlich gar keine Freunde hat. Der reagiert beleidigt mit einer Wette: Wenn er in zehn Tagen keinen besten Freund vorzeigen kann, verliert er die Vase.
 
Nun schickt Leconte seinen Lieblingsschauspieler Auteuil auf einen humoristischen Leidensweg: Witzig, wie François überall Freundschaften sieht, in der Werbung, den Kneipen und auf Kirchenplakaten. Albern, wie er sich Ratgeber in der Bibliothek sucht, Vorträgen lauscht. Tragisch, denn er möchte nun lernen, wie man sich für Menschen interessiert. Doch die Unfähigkeit zu spontanen Sympathie, die Verbautheit seines Denkens, die kein Mitgefühl herauskommen lässt, zieht nicht nur François runter. Zum ständigen Begleiter bei der Suchen nach einem Freund wird der joviale Taxifahrer Bruno (Dany Boon), ein redseliger, freundlicher Zeitgenosse, der François anfangs gehörig auf die Nerven geht. Die Freundschaft, die längst da ist, muss noch einige Proben, des sozial arg groben François überstehen und auch das Ende ist nicht eingängig oder einfach.
 
Menschliche Zustände, die Leidenschaften und auch immer wieder die Einsamkeit kostet Patrice Leconte gekonnt aus:
Er brachte Sandrine Bonnaire und Fabrice Luchini als "Intime Fremde" fast zusammen, ließ Vanessa Paradis als "Die Frau auf der Brücke" an der Seite von Daniel Auteuil leidenschaftlich verschwinden, den "Mann der Friseuse" liebesleiden und "Die Verlobung des Monsieur Hire" als bittersüße Stimmung endlos schmachten. Diesmal inszenierte der französische Meisterregisseur nicht das große Drama, sondern eher eine Nuance der comedie humaine mit leichter Hand. "Mein bester Freund" ist nur im Kern ein Buddy-Movie wie "Der Killer und die Klette" und fügt dem Konzept nachdenkliche Brüche hinzu. Auch wenn die Inszenierung Lecontes diesmal nicht durchgehend überzeugt, Daniel Auteuil gelingt dies jederzeit.

Mr. Magoriums Wunderladen


USA 2007 (Mr. Magorium's Wonder Emporium) Regie: Zach Helm mit Dustin Hoffman, Natalie Portman, Jason Bateman 94 Min. FSK: o.A.
 
Wie zaubert man (Leinwand-) Magie herbei? Ein wundersamer Laden voller Kinderspielzeug, bunt, verzaubert und verzaubernd, mit einem kauzigen, zerstreuten Besitzer, der das Herz am richtigen Fleck hat und auch immer für ein großes Strahlen in Kinderaugen sorgt. Hört sich schon mal gut an. Dass Dustin Hoffman diesen Mr. Magorium seltsam lispelnd grimassiert, irritiert anfangs, tut der magischen Sache aber keinen Abbruch. Vor allem, weil er immer häufiger leise lächelnd seinen Abschied andeutet. Mr. Magorium bereitet sich darauf vor, die Erde zu verlassen, weil er bereits das letzte Paar seiner auf Vorrat gekauften Schuhe trägt, dabei sei er doch erst 243 Jahre alt!
 
Schwerer fällt dieser Abschied seiner jungen Assistentin Molly Mahoney (Natalie Portman), einst eine erstaunlich talentierte Pianistin, die nun auf dem Weg zur Arbeit verzweifelt ihre eigene Melodie sucht. Sicher wird ihr dabei der fein polierte Block Holz helfen können, den sie von Magorium erhielt. Doch auch hier ist es eine Frage der Sichtweise, ob es Magie ist oder nur ein Stück Holz, bzw. Film. Einer hat begriffen, obwohl er gar nichts begreift: Mit dem Satz "Alles ist möglich" bekommt der steife und vertrocknete Buchhalter Henry einen Job in dem völlig verspielten Unternehmen. Es braucht jedoch die Hilfe des genialen aber einsamen Jungen Eric, um die große Traurigkeit Henrys wieder zum Spielen zu bringen.
 
Das Wohlfühlfilm-Tantra "Du musst an dich selbst glauben", ist nicht die schlechteste Aussage eines Films, wenn sie denn schön verpackt wird. Peter Pan konnte ohne nicht fliegen und dieser Film weiß auch nicht recht, ob er ab- und erheben soll. Das Thema Abschied wurde rührend umgesetzt. Die "Toy Story" mit Details animierter Spielzeug-Klassiker, ist witzig und originell. Im großen Finale hätte es auch etwas weniger sein können, zu bemüht dirigiert Natalie Portman mit ihrer neu entdeckten Magie die Farborgie des Ladens. Das konnte Dustin Hoffman vorher besser. Aber ihm ist ja auch eine spezielle Magie eigen.

26.11.07

The Hunting Party


Bosnien, Kroatien, USA 2007 (The Hunting Party) Regie: Richard Shepard mit Richard Gere, Terrence Howard 96 Min.
 
In "The Hunting Party" (Die Jagdgesellschaft) spielt Richard Gere den Kriegs-Journalisten Simon Hunt, der einen serbischen Kriegsverbrecher jagt. Es ist die alte Geschichte des zynischen Reporters, dessen harter Panzer schließlich doch durch eine persönliche Begegnung gebrochen wird. Nachdem seine schwangere bosnische Freundin bei einem Massaker der Serben vergewaltigt und umgebracht wurde, bricht Hunt vor laufender Kamera zusammen, verliert den Star-Job und sinkt in den folgenden Jahren immer tiefer. Doch nun ist er auf der Spur des meistgesuchten Kriegsverbrechers und einer großen Geschichte.
 
Eine große Geschichte ist der Film von Richard Shepard nicht, deshalb läuft er auch nur in der oft anspruchslosen Nachtschiene. Man sollte sich nur eines merken und deshalb machte Richard Gere wohl auch gerne mit: Drei orientierungslose Journalisten finden den Kriegsverbrecher, den NATO, UN-Truppen und Geheimdienste angeblich jahrelang suchen, innerhalb von zwei Tagen! Nicht erst, als die CIA in einer absurden Drehbuchfinte die Ergreifung des Massenmörders verhindert, merkt man, dass hier was nicht stimmt. Im Film und in der korrupten Realität.

Der Mann von der Botschaft


BRD, Georgien 2006 (Der Mann von der Botschaft) Regie: Dito Tsintsadze mit Burghart Klaußner, Lika Martinova; Marika Giorgobiani, Irm Hermann 100 Min.
 
Unerhört, unglaublich: Da nimmt ein deutscher Botschaftsangehöriger in der georgischen Hauptstadt Tbilisi einfach ein zwölfjähriges Mädchen von der Straße mit in seine Wohnung. Was so unerlaubt klingt, entwickelt sich ganz natürlich. Der einsame Herbert Neumann hilft dem Kind - das übrigens seltsam androgyn auftritt. Die Bettlerin, Diebin nähert sich vorsichtig an und schließlich finden sich zwei Menschen ganz freundschaftlich unter völlig unmöglichen Umständen....
 
"Der Mann von der Botschaft" von Dito Tsintsadze erhielt 2006 in Locarno den Darstellerpreis. Genauer: Burghart Klaussner ("Die fetten Jahre sind vorbei", "Requiem") ist der einsame, verschlossene Mann von der (deutschen) Botschaft im georgischen Tiflis, der sich mit seltsamer Naivität eines Straßenkindes annimmt. Die ruhige Psychostudie wurde von Tatfilm in Köln produziert und von der Filmstiftung NRW gefördert.

Nichts als Gespenster


BRD 2007 (Nichts als Gespenster) Regie: Martin Gypkens mit Maria Simon, August Diehl, Brigitte Hobmeier, Janek Rieke 115 Min. FSK: o.A.
 
"Nichts als Gespenster" von Martin Gypkens ist ein partiell eindrucksvoller, mit August Diehl, Jessica Schwarz und Fritzi Haberlandt sehr gut besetzter Episodenfilm nach dem gleichnamigen Erzählband von Judith Hermann. Die Bilder beeindruckten durch reizvolle Farbdramaturgie vom Antonioni-Rot des Grand Canyon bis zum Schwarzgrau einer kalten Liebe in Hamburg. Und einen sehr schönen Jazz-Score. Einige Momente bleiben in der Erinnerung, Schnappschüsse aus Venedig, der Karibik, vom Grand Canyon, aus Island. Ganz ohne oder nur mit verlorenen Menschen. Doch das Ganze überzeugte auf den ersten Blick nicht. Vielleicht fehlte der Zusammenhang der Episoden um junge Deutsche, die vor ihren Leeren entweder in die Ferne oder in die falsche Beziehung fliehen.
 

Playtime


Fr 1967 (Playtime) Regie Jacques Tati 82 Min. FSK: 6
 
Die wunderbar restaurierte Fassung von "Play Time" aus dem Jahre 1967 ist ein Fest für Augen und Herzen. Der umwerfend komische, erstaunlich hellsichtige Parodie "Moderner Zeiten" wirft Tatis Hulot und eine Gruppe amerikanischer Touristinnen in ein hypermodernes Paris der späten Sechziger. Dass sich die Figuren immer wieder die Nase an den vorherrschenden Glasfronten und -türen einrennen, ist symptomatisch für das Missverhältnis zwischen Mensch und Fortschritt. Mit unerschütterlicher Neugierde und Freundlichkeit entdeckt der Pfeifenraucher Hulot trotzdem die Besonderheiten moderner Sitzmöbel, erlebt eine völlig chaotische Restauranteröffnung und kommt einer sympathischen Amerikanerin näher. Dass Tati einen völlig verstopften Kreisverkehr zur Rush Hour nicht in aggressive Stimmung umkippen lässt, sondern ihn zu einer amüsanten Karussellfahrt verzaubert, zeigt die wunderbare Fantasie dieses verehrten und geliebten Filmemachers.
 
Viele Details, etwa dass im Reisebüro die ganze Welt von der gleichen Hochhausarchitektur beherrscht wird, erstaunen durch die Hellsichtigkeit dieser 60er-Weltsicht. Dass sich bei aller Tücken der Objekt ein freundlicher, hilfsbereiter Mensch durch die extrem eckige und kantige Welt schlägt, macht den verstorbenen Tati so liebenswert und hält seine Meisterwerke "Mon oncle", "Die Ferien des M. Hulot", "Traffic" und "Jour de Fete" ewig frisch. In seinem unwiderstehlichen Optimismus ähnelt Tati dem Türsteher in "Play Time", der nachdem die Glastüre längst zu Bruch gegangen ist, noch immer den schweren, bronzenen Türgriff ohne Anhang auf und zu schwenkt, um den schönen Schein zu wahren.

Gone Baby Gone


USA 2007 (Gone Baby Gone) Regie: Ben Affleck mit Casey Affleck, Michelle Monaghan, Morgan Freeman 114 Min. FSK: ab 16
 
Die erste Regie von Schauspiel-Star Ben Affleck begeistert und beschäftigt nachhaltig mit geballtem emotionalem und moralischem Gehalt. Vom Drama eines verschwundenen Kindes, sehr ähnlich zum Boulevard-Thema "Madeleine", bis zum delikat nachgefühlten Dilemma des Finales eine in vieler Hinsicht gelungene Detektivgeschichte, nach der nun wirklich jeder Ben Affleck sehr ernst nehmen sollte!
 
Am Anfang steht die Suche nach der vierjährigen Amanda, die vor mehreren Tagen verschwand. Die Tante und der Onkel des Kindes beauftragen den sehr jung wirkenden Privatdetektiv Patrick Kenzie (Bens jüngerer Bruder Casey Affleck) und seine Freundin Angie (Michelle Monaghan). Durch seine Beziehungen zu den Menschen des Viertels kann Patrick hinter die Kulissen blicken, bekommt schnell heraus, dass Amandas Mutter in üblen Drogenkreisen verkehrt und das Kind bei einem verunglückten Drogendeal verschwand. Bei der katastrophalen Übergabe des Drogengeldes beginnt allerdings der schmutzige Teil der Geschichte...
 
Nur Anfangs dreht sich der Krimi um ein vermisstes Kind. Die Übergabe des Lösegeldes - oft das Finale eines Films - erfolgt hier kurz vor Halbzeit. Danach folgen wir den moralischen Instanzen Patrick und Angie in Abgründe des Umgangs mit Kindern. Dass allerdings auch die beiden in die Irre gehen, dass etwas die beiden trennen wird, unterscheidet dieses hoch spannende Meisterwerk von den üblich simplen Schemata. Deswegen, kann, nein: muss man nach diesem Film unweigerlich noch lange diskutieren und nachdenken.
 
Entsprechend sind die wichtigen Figuren ambivalent angelegt, halten immer eine Überraschung in petto. Angefangen bei Patrick, den man nicht unterschätzen sollte, weil er durchaus seinen Mann steht, wenn es darauf ankommt. Casey Affleck erweist sich nach seiner "Feigling-Rolle" in "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" nach dem Wüsten-Solo in "Gerry" endgültig als grandioser Schauspieler. Casey sollte nun nicht mehr als der "kleine Bruder" gesehen werden.
 
Ebenso wenig kann man Ben Affleck noch unterschätzen, man sollte die Bennifer-Episode mit Jennifer Lopez endgültig abhaken. Neben oberflächlichen Rollen in Hollywood-Produktionen stand er schon immer gerne für Parodien seiner selbst zur Verfügung, trat für anspruchsvolle Rollen in Independent-Produktionen wie "Chasing Amy" an. Das sensationelle Drehbuch für "Good Will Hunting", das er mit seinem damaligen Kumpel Matt Damon schrieb, sei nicht vergessen. Das Thema Freundschaft zieht sich seitdem durch die Karriere Afflecks. Diesmal stammt die Vorlage von Dennis Lehane, der schon den Roman zum sensationell guten "Mystic River" lieferte. "Gone Baby Gone" findet in der Inszenierung Ben Afflecks, in der Hauptrolle Casey Afflecks, in den anderen Rollen, in der spannenden Dramaturgie, im sorgfältigen Umgang mit einem moralisch diffizilen Thema dann seine Vollendung für die Leinwand.

21.11.07

Mr. Brooks


USA 2007 (Mr. Brooks) Regie: Bruce A. Evans mit Kevin Costner, Demi Moore, William Hurt 120 Min.
 
Ein vielfältig überraschendes Comeback von Regisseur Bruce A. Evans und gleich drei Hauptdarstellern sorgt für eine raffiniert spannende Variante von "Dr. Jekyll und Mr. Hyde".
 
Als ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft, ja als "Mann des Jahres", verstrahlt Evan Brooks (Kevin Costner) aus jeder Pore Seriosität. Auf der Heimfahrt vom Abend zu seinen Ehren wirkt Brooks plötzlich irritiert auf seine Frau neben ihm. Kein Wunder - dem Mann sitzt ein heimtückisches Alter Ego (William Hurt) im Nacken, ein hämisches Teufelchen, dass nur er sieht. Und das ihm Verführerisches einflüstert: Sollen wir nicht noch einmal morden? Nur noch einmal? Vielleicht dieses nette Pärchen aus der Tanzschule?
 
Auch das Publikum braucht eine Weile, die brave, bürgerliche Fassade von Mr. Brooks zu durchschauen. Zu verstehen, weshalb er im Keller - wie Batman - die ganze Reihe identischer Anzüge versteckt. Weshalb er so penibel sein Werkzeug für den Ausflug zusammenpackt. Kein Wunder, denn Brooks versteckte diese Seite lange vor sich selber. Der Mordsüchtige ging zu den Anonymen Alkoholikern, was eine Weile half. Doch jetzt ist die dunkle Seite wieder da, und sie wurde tatsächlich sehr vermisst. Das fühlt man geradezu, wenn nach einem meisterhaft ausgeführten Doppelmord die Wellen der Lust durch Brooks wogen. Wieder so ein Moment, wo der Film packt und überrascht.
 
Doch bei seiner Inszenierung, bei dem Arrangieren der Opfer für die Polizei, macht Brooks einen Fehler, wird vom benachbarten Spanner fotografiert. Der junge Mann geht nicht zur Polizei, sondern erpresst den Mörder: Er wolle auch töten, Brooks möge ihn gefälligst in die Lehre nehmen.
 
Dass sich der spannende und immer wieder mit Unerwartetem auftrumpfende "Mr. Brooks" nicht mit diesem Strang zufrieden gibt, hebt ihn endgültig auf das Niveau des unbedingt Sehenswerten. Da gibt es noch Demi Moore, die als raue Polizistin mit weicher Seite bei ihren Scheidungsproblemen, endlich mal wieder ein gute Rolle hat. Und da gibt es auch noch die Tochter von Mr. Brooks, die scheinbar dessen Sucht geerbt hat...
 
Wie Moore trumpft auch Kevin Costner in einer dankbaren Rolle auf. Sie lässt enorm viele Facetten zu, vom liebenden Vater bis zum von Mordlust Getriebenen. William Hurt geht völlig im bösen Einflüsterer von Brooks auf, scheint zu genießen, dass er mal nicht den weinerlichen Gefühlsmenschen spielen muss. Dazu stimmen auch noch Inszenierung, Timing und Styling. Zeitweise denkt man sogar an "Fight Club", so gut passt das Styling zur verschrobenen und gespaltenen Persönlichkeit von Mr. Brooks. Man muss sich ernsthaft fragen, weshalb Bruce A. Evans in den 15 Jahren nach "Kuffs" mit Christian Slater nichts inszeniert hat. Ob dieser Film sehenswert ist, bleibt jedoch völlig außer Frage.

19.11.07

Machtlos


USA, Südafrika 2007 (Rendition) Regie: Gavin Hood mit Jake Gyllenhaal, Reese Witherspoon, Alan Arkin 120 Min.
 
"Rendition" lautet der Originaltitel dieses Films und verweist direkt auf den Kern seines Themas: "Extraordinary rendition" - außergewöhnliche Verurteilung, so harmlos kommt der Begriff daher, der Menschenrechte mit einem bürokratischen Federstrich außer Kraft setzt. Eine politische Absurdität, mag man denken, bis man den Gefolterten schreien hört! Erschütternd, packend, nüchtern analysiert und raffiniert erzählt. "Machtlos" mag so ein Film gegenüber tausendfach schreiendem Unrecht sein, doch er gibt sich mutig und engagiert.
 
Langsam mag man es glauben, dass Hollywood ein Hort linker Umstürzler ist: Schon wieder so ein Film, der die Bush-Politik mit dem hirnrissigen "Krieg gegen den Terror" bloßstellt. Oder liegt es daran, dass jeder mit einem Funken Verstand erkennt, wer die eigentlichen Brandstifter sind? "Machtlos" macht äußerst komprimiert an einem Fall Zusammenhänge klar und stellt durch Verschachtelung der Zeiten die Frage, wo der Anfang von Gewalt und Gegengewalt eigentlich liegt.
 
Am Anfang und am Ende des Films explodiert die gleiche Bombe eines Selbstmordattentäters - schon dieser Zirkelschluss stellt ein Fanal dar. Nichts wird sich ändern! Obwohl der junge CIA-Analytiker Freeman (Jake Gyllenhaal) energisch versucht, den Fall - sein erster - aufzuklären. Denn Freeman war vor Ort, ein Kollege starb in seinen Armen. Nun verfolgt der engagierte Freiheitskämpfer im Staatsdienst erschrocken, wie ein lokaler Polizeichef den einzigen Verdächtigen Anwar El-Ibrahimi (Omar Metwally aus "München") foltern lässt. Es sind die gleichen Methoden mit denen schon die spanische Inquisition "Erfolg" hatte: Wenn man einen Menschen nur lange genug quält, gibt es alles zu. Der Chemiker Anwar El-Ibrahimi, gut verdienender amerikanischer Staatsbürger, wurde während eines Fluges von Ägypten in die USA entführt. Seine Frau (Reese Witherspoon) bleibt ohne Nachricht zurück, die Behörden leugnen und verschweigen, bis eine Kreditkarten-Rechnung vom Einkauf über den Wolken beweist, dass er im Flieger saß! Doch die Nachforschungen eines befreundeten Staatsdieners stoßen auf Schweigen. Auf mehr als Schweigen, denn die über alles informierte Politikerin (Meryl Streep) opfert zynisch und kalt Menschen (-rechte) für ihr Verständnis von "Freiheit". Derweil spielt sich in dem nordafrikanischen Land des Anschlags ein Liebesdrama ab, an dem auch der folternde Polizeichef beteiligt ist...
 
Im Gegensatz zu Redfords Redefilm "Von Löwen und Lämmern" oder Winterbottoms sehr an dokumentarischer Wahrheit haftendem "Road to Guantanamo" treibt hier Handlung die Erkenntnis voran. Die Erkenntnis schuldhafter Verantwortungslosigkeit. Ein klug packender Film, wie ein Schrei in der großen Unterhaltungs- und Ablenkungsmaschine Kino.

13.11.07

King of California


USA 2007 (King of California) Regie: Michael Cahill mit Michael Douglas, Evan Rachel Wood, Allisyn Ashley Arm 93 Min. FSK: ab 12
 
Was wäre das Kino ohne seine Spinner. Nicht die vor und hinter der Kamera, die Regisseure, Schauspieler und Produzenten sind diesmal gemeint, sondern die Figuren, die erschreckend heftig aus der Normalität ausbrechen. Die angepasste Bürgerlichkeit um und in einem hält erschreckt den Atem an. Doch wenn diese aus dem gesellschaftlichen Konsens Verrückten dann doch wieder die Wahrheit finden, wenn sie abseits der alltäglichen Tretmühle den klaren Blick im wirren Gesicht bewahren, jubelt die Seele der kleinen und großen Rebellen in jedem.
 
Das war so beim "König der Fischer", als Robin Williams den Gral mitten in New York fand. Das war auch bei "Harold und Maude" und als Jack Nicholson das "Kuckucksnest" unsicher machte. Nun wird Michael Douglas zum kalifornischen Don Quixote und was man dem alten, reichen Herrn auch immer an biederem Image anheften wollte, darf man hier schnell vergessen.
 
Mirandas (Evan Rachel Wood) Vorfreude auf die Rückkehr des Vaters ist sehr gemischt: Zwar hat sie ihn vermisst, aber eigentlich ging es der 17-Jährigen alleine besser, in der Zeit als Papa Charlie in der Psychiatrie saß. In ihren Erinnerungen ist er der liebevolle Spinner, der wundervolle Sachen für sie machte. Aber auch der kompromisslose Eigenbrödler, der dem Kind das Leben in der Schule und sonst wo sehr schwer machte. Die Mutter verließ beide und so lernte Miranda früh, alleine zurecht zu kommen. Das Mädchen unterschrieb Entschuldigungen wie Fahrerlaubnisse, verdiente Geld und legte die Behörden rein.
 
Nun gibt Charlie zuhause wieder richtig Gas - mit einem Plan, die permanente Finanzkrise der Familie zu lösen. Die Suche nach einem Goldschatz aus spanischen Tagen Kaliforniens sieht aber stark nach einem neuen Schub manisch-depressiver Psychose aus. Doch Miranda macht mit und so beginnt über Golfplätze, Highways und Supermärkte eine ungewöhnliche Reise durch Kalifornien. Letztendlich liegt der geheime Fundort genau unter dem Lager eines Baumarktes. Eine ganz besonders verrückte Aktion ist jetzt vonnöten...
 
Mit einer etwas schrägen Perspektive lässt sich die Poesie des Alltags entdecken - und davon hat "King of California" reichlich. Sei es ein Bass-Solo auf der Veranda, bei dem Charlie mit den Motten jammt oder Mirandas Traum von einer Geschirrspülmaschine. Dieser ebenso einfühlsame wie komödiantische Film packt sofort mit seinen schrägen Figuren und ihrem rätselhaften Verhalten. Aber trotz irrer Nahaufnahmen des wirr bärtigen Gesichts von Douglas als moderner Don Quixote verrät der äußerst sehenswerte Film seine Figuren nie. Das schwierige, aber innige Verhältnis von Vater und Tochter ist ebenso mit Respekt und Liebe gezeichnet, wie die verrückten Aktionen Charlies. Als Sonderbonus dieses schönen Filmtrips ist die Zersiedelung Kaliforniens zu betrauern, ein guter Gegenfilm zur Weinreise "Sideways".

American Gangster


USA 2007 (American Gangster) Regie: Ridley Scott mit Denzel Washington, Russell Crowe, Chiwetel Ejiofor 157 Min. FSK: ab 16
 
Der Pate stand Pate
 
Selten wurde ein Projekt mit ewig langem Vorlauf derart exzellent auf den Punkt gelandet. Ridley Scott macht aus dem Leben des schwarzen Drogen-Paten Frank Lucas mit Hilfe eines wieder mal genialen Denzel Washington ein packendes Gangster-Epos.
 
Gleich in den zwei ersten Szenen nimmt Denzel Washington den Film und das Publikum für sich ein. Ohne ein Wort zu sagen. Dieser Ausnahmeschauspieler wird auch den über lange Strecken undramatischen, epischen Handlungsverlauf tragen. Denzel ist der freundliche, zurückhaltende Familienmensch und Wohltäter von Harlem, Frank Lucas. Aber Lucas ist auch der jähzornige, brutale Killer, der jede Dummheit in seiner Umgebung gnadenlos abstraft.
 
Seine Karriere als Drogen-Boss beginnt, als Frank Lucas das Territorium seines Paten und verbrecherischen Ziehvaters übernimmt. Samt dessen Theorie, man müsse die Ware direkt bei der Quelle holen. So fliegt Lucas eigens nach Thailand, wo sich die US-Soldaten vom Vietnamkrieg erholen und den Horror mit Drogen erträglich machen. Im Dschungel bestellt er gleich hunderte Kilo Heroin und lässt sie mit Militärmaschinen in den heimkehrenden Särgen einschmuggeln. So kann er sein "Blue Magic" unverschnitten zum halben Preis anbieten.
 
Auf der anderen Seite steht der einfache und ehrliche Polizist Richie Roberts. So ehrlich, dass er aus dem Polizeidienst geekelt wird, denn schmutziges Geld - eine Millionen aus dem Kofferraum eines verlassenen Autos - behält man oder man verteilt es unter Kollegen, aber man gibt es auf keinen Fall offiziell an. Ritchie lieferte es ab und sich damit der Verachtung aller Kollegen aus. Als Chef einer geheimen Spezialeinheit wirkt er nun wie ein Amateur im dicken Drogengeschäft. Aber unermüdlich arbeitet er sich an die Großen der Szene ran, die sich mehr und mehr wie alberne Showstars aufführen, affige Klamotten anziehen und sich als unverwundbar empfinden. Nur Frank hält bis auf einen Moment der Schwäche das Cover eines einfachen Mannes.
 
Genauso großartig wie seine Mimik ist der Gang von Denzel Washington - dieses tänzelnde Schreiten macht ihm keiner nach. Dieser "American Gangster" schreitet gleichfalls enorm sicher und stetig voran: Schon allein die Abläufe des Drogenhandels sind hochspannend inszeniert. Als sich dann die Schlinge um den Hals von Frank zuzieht, setzt Ridley Scott ein paar große Momente der Gangster-Genres drauf. Die Verweise zum "Paten" sind unübersehbar. Während eines Gottesdienstes vollzieht sich Franks Karriere-Wende in weiß-rot, Blut spritzt auf reinstes Kokain.
 
Wenn sich dann die Gegner von über zwei Stunden großer Gangster-Saga endlich gegenüber stehen, tauschen sie wieder nur Blicke aus. Beim folgenden Rededuell notiert man die beiden schon mal auf dem Tipp-Zettel für die nächsten Darsteller-Oscars.

6.11.07

Der Glücksbringer


USA 2007 (Good Luck Chuck) Regie: Mark Helfrich mit Dane Cook, Jessica Alba, Dan Fogler 96 Min. FSK ab 12

Schöne Idee: Der Zahnarzt Charlie beglückt jede Frau, mit der er schläft. Nicht unbedingt beim Akt selber, den die Damen recht schnell abhandeln. Doch danach treffen sie garantiert den Mann ihres Lebens. Als sich diese Kuriosität herum spricht und sogar im Internet beurkundet wird, füllt sich Charlies Wartezimmer noch attraktiver blond als die Praxisräume des Schönheits-Chirurgen Stu nebenan.

Schöne Idee, eigentlich... Wenn der Standup-Komiker Dane Cook in der Rolle des Charlie so richtig gequält-verdattert aus der Wäsche kucken könnte und wenn das Drehbuch sich nur etwas Mühe gegeben hätte. So wie bei Komödien von Billy Wilder oder Blake Edwards etwa. So wie früher halt.

So nimmt man eher leicht angeheitert zur Kenntnis, dass Charlie ein großes Problem hat, als er sich in die tollpatschige Tierpflegerin Cam verliebt. Sie mag ihn auch, stolpert noch häufiger als sonst und eigentlich könnten sie, denn sie wollen ja beide. Doch Charlie ist plötzlich klar: Wenn er mit Cam ins Bett geht, wird der nächste Mann, den sie trifft, der Richtige und der Glückliche sein. Auf jeden Fall wird es nicht Charlie sein.

Das nervige Theater, das Charlie veranstaltet, als es aus Versehen doch passiert ist, steht symptomatisch für ein Drehbuch, das eine gute Idee hatte und ansonsten anscheinend nur sagt, nun macht doch mal was. Irgendwas. Für heftigeren Humor ist Charlies sexistischer Ärzte-Freund Stu (Dan Fogler aus "Balls of Fury") zuständig, aber selbst diese Masche verpufft zwischen brav und rüpelhaft. Nur das "Fantastische Vier"-Viertel Jessica Alba überzeugt komödiantisch als tollpatschig und resolutes Objekt der Sehnsucht.

Three Burials - Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada


USA 2005 (The Three Burials of Melquiades Estrada) Regie: Tommy Lee Jones mit Tommy Lee Jones, Barry Pepper, Julio Cedillo Dwight Yoakam 121 Min. OmU

Eine sensationelle Überraschung und wieder eine Erneuerung des Western ist das Kinoregie-Debüt des bekannten Schauspielers Tommy Lee Jones ("Men in Black"). Der formal altmodische Western "The Three Burials of Melquiades Estrada" (Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada) zeigt Jones selbst als einen texanischen, hispanophilen Cowboy Pete Perkins, der die Leiche seines Freundes Mel in die mexikanische Heimat transportieren will. Bei dem langen Sühne-Ritt durch eindrucksvolle Landschaften des Rio Grande hat er ausgerechnet den Mörder Mels, einen brutalen Grenzschützer, gewaltsam ins Schlepptau genommen. Im Jahre 2005 erhielt Tommy Lee Jones in Cannes den Preis für den Besten Darsteller und der Film den Drehbuchpreis. Jones dankte seinem Regisseur Jones - der "beste mit dem ich jemals zusammen gearbeitet habe"!

Der Bruch


DDR/BRD 1988, Regie: Frank Beyer, 118 Min.
 
Monate vor dem Zusammenbruch des SED-Staates und dem Abbruch der Mauer zeigte sich die Ost-West-Koproduktion einer Einbruchsgeschichte, angesiedelt im Aufbruchsjahr '45, als beste deutsche Komödie, weit vor allen Gummibärchen oder Ottifanten. Die leidige Verspätung von einem Jahr gab dem Film zu all seinen anderen Qualitäten noch den Reiz des Vergleichs damaliger und heutiger Umbruchszeiten.
 
"Der Bruch" ist einerseits die Zeit des Wandels, in der alles möglich war. Reiche wurden arm, Arme reich. Ein flüchtender Dieb wird gestellt und ist im Handumdrehen auf der Seite des Gesetzes. Zum anderen ist es auch der (Ein-) Bruch, den drei, von Götz George, Otto Sander und Rolf Hoppe gespielte Gauner, getreu nach den Regeln des Genres durchführen. Neben der Schauspielkunst (teilweise West-Reimport), der perfekten Ausstattung (DDR-Standard) sind vor allem die Texte des ostdeutschen Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase (internationale Spitze) zu genießen. Hier folgt noch während des letzten Lachers ein neuer, fein geschliffener Wortwitz. Eine großartige Komödie, eine Geschichte mit Räubern und Gendarmen, viel Zeitkolorit und natürlich auch Frauen, die alles verderben können.

Abbitte


Großbritannien 2007 (Atonement) Regie: Joe Wright mit Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai 123 Min. FSK ab 12
 
"Abbitte", der erfolgreichste Roman des Britten Ian McEwan, wurde weltweit über drei Millionen Mal verkauft und in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Den Leser beschäftigt angesichts der Verfilmung die spannende Frage, wie Regisseur Joe Wrights mit dem Happy End umgeht. Denn im Roman spielt die Autorin Briony mit genau dieser Erwartung und lässt das Schicksal der Liebenden Cecilia (Kiera Knightly) und Robbie (James McAvoy) im Dunklen.
 
Es ist ein Tag wie aus dem Bilderbuch einer vergangenen Epoche und eines überkommenen Standes. An diesem flirrend heißen Sommertag des Jahres 1935 herrscht Aufregung am Landsitz in Surrey. Die 13-jährige Briony (Saoirse Ronan) erwartet sehnsüchtig den Besuch des erwachsenen Bruders, ihre ältere Schwester Cecilia weiß nicht, wie sie mit Robbie umgehen soll. Der Sohn der Haushälterin und Protegé des Vaters war immer Freund, intellektuelle Herausforderung und Seelenverwandter. Doch jetzt ist da mehr. In einer zentralen Szene am üppigen Brunnen im Garten zerbricht ein Krug, Cecilia taucht spärlich bekleidet nach den Scherben. Aus einiger Entfernung interpretiert die unreife Briony die Szene falsch...
 
Durch eine arrogante Dummheit von Briony, der eingebildeten, 13-jährigen Schwester von Cecilia, wird Robbie in die Grauen des 2. Weltkrieges geworfen. Die raffiniert selbstreflexive Geschichte des Romans erzählt die Ereignisse aus drei Perspektiven samt Überschneidungen. Auch der Film spielt mit seiner Konstruiertheit, nimmt Brionys Schreibmaschinen-Tippen in die Filmmusik auf, lässt es sie später selber als minimale Melodie anspielen und setzt dieses Motiv immer wieder ein. So wird der Sommertag des Jahres 1935, für den Robbie im blutigen Schlachten und Briony als Krankenschwester büßen werden, zum Anfang des ersten und letzten Romans eben dieser Briony.
 
Trotz der kunstfertigen Konstruktion blieb ist "Abbitte" eine bewegende Liebesgeschichte. Regisseur Wright macht seine Sache richtig gut: Sein Film berührt und inspiriert im gleichen Maße. Kiera Knightly beeindruckte schon in Wrights Austen-Verfilmung "Sinn und Sinnlichkeit", sie ist fast perfekt für Rolle der eleganten, lebensfrohen jungen Frau. Kiera hat höchstens etwas zu viel Eleganz und zuwenig Sinnlichkeit. James McAvoy, der Darsteller des Robbie, bringt ein gutes Gesicht mit, in dem Melancholie und Schmerz um den Mund spielen.
 
Die britische Produktion zeigt die Grauen des Krieges in Frankreich im Vergleich zum Roman eher mild, fast poetisch. Eine enorm aufwändige Fahrt durch die auf Schiffe nach England wartenden Soldaten im Strandbad Dünkirchen betont die Absurdität des Geschehens. Doch wirklich eindrucksvoll ist "Abbitte" in der Konzentration auf die Figuren und ihre Abhängigkeiten.

5.11.07

Die Bettlektüre


GB/NL/Fr 1996 (The Pillow Book) Regie Peter Greenaway, 123 Min.

Wer schreibt, der bleibt!

Die Feder ist mächtiger als das Schwert - wie Kunst mit ihren betörenden Mitteln die Macht besiegt, zeigt der Intellektuelle unter den Künstlerregisseuren: Peter Greenaway. Mit der gleichen avantgardistischen Bildtechnik die er mit "Prosperos Bücher" einführte, erzählt er eine Geschichte, die allein schon Appetit auf Kino macht.

Der Pinsel streicht akzentuiert mit roter Farbe über das asiatische Kindergesicht. Geheimnisvolle Schriftzeichen bilden den Geburtstagsgruß des Kalligraphen für seine Tochter Nagiko. Mit den gleichen Worten beschrieb der Schöpfer seine Tonfiguren und hauchte ihnen mit einer Signatur im Nacken Leben ein. Diese Prägung wird Nagiko nie abwaschen können. Sexualität bleibt für die schöne Frau immer mit Schrift auf Haut verbunden. Erst sucht sie Erfüllung bei den besten Kalligraphen der Welt, dann - nachdem die ruhelos nach Liebe Suchende den Übersetzer Jerome traf - verziert sie selbst Körper mit wunderschönen Zeichen und Geschichten.

Um ihren Stoff zu verkaufen, bietet Jerome dem mächtigen Verleger auf bemalter Haut das "Erste Gedicht" eines Zyklus erotischer Poesie an. Doch der Mann, der Bücher verkauft, ist der gleiche, der schon Nagikos Vater mißbrauchte. Dies unmoralische Monster verehrt und verzehrt die Schönheit, eine Katastrophe folgt unweigerlich ...

"Die Bettlektüre" vom Maler, Denken und Filmemacher Peter Greenaway ist das Schönste und Klügste, was weit und breit zu sehen ist. Eine wahnsinnige Geschichte von Leidenschaft und Schrift, die unter die Haut geht! Stilleben schweben in Harmonie. Auf verschiedenen Ebenen breitet Greenaway die Schönheiten und Geheimnisse der Schriften aus. Das Auge gleitet zwischen den Bildern, die sich mit Leichtigkeit der Linearität des Erzählkinos entledigen. "Die Bettlektüre" von Nagiko bildet das 1000 Jahre alte "Kopfkissen-" und Tagebuch einer Hofdame. Es durchwebt und verziert die heutige Story.

Die Entstehung eines Buches wird zum Krimi - das Geheimnis des Buchmachers. Handwerkliche Traditionen wie das Herstellen von Pergament aus Häuten bereichern das Universum dieses Film ebenso wie Gedanken zu modernen Geschäftspraktiken. Und wie "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" teilt auch "Die Bettlektüre" einen brutalen Hieb an die herrschende (Kultur-) Politik aus: Wer sich wunderte, was ein Wagen mit Fleischabfällen vor dem Verlegerhaus zu suchen hat, erfährt später, wie Autoren ausgenommen werden - im körperlichsten Sinne des Wortes. Trotzdem hat "Die Bettlektüre" nichts mehr von den schockierenden Blutszenen, die "Das Baby von Macon" kontrastierten. Eine rituelle Hinrichtung wird im Bild nur angedeutet und gestisch stilisiert.

Auch hier also eine Zurücknahme der barocken Bildpanoramen früherer "Greenaways". Ganz bewußt ließ der Meister die Traditionen japanischer Malerei und Cinematographie in die Arbeit des bewährten Kameramannes Sacha Vierny einfließen. Die Reduktion tut gut: Noch immer quellen die Bilder über vor Schönheit und Ideen. Aber das Gleichgewicht mit der emotionalen Story ist wiederhergestellt. Man kann sich erneut uneingeschränkt für Greenaway begeistern!

Günter H. Jekubzik

Interview mit Peter Greenaway zu DAS WUNDER VON MACON

Zur Vorstellung seines neuen Film "Das Wunder von Macon" gastierte der britische Regisseur Peter Greenaway in Köln. Im Hotel "Wasserturm", das trefflich einem Motiv aus Greenaway-Filmen entspricht, sprach unser Mitarbeiter Günter H. Jekubzik mit dem intellektuellen Macher von immer wieder provozierenden Werken.
 
Gibt es ein historisches Ereignis, das Ihnen zur Grundlage für "Das Wunder von Macon" diente?
Es gibt mehrere zentrale Themen. Das Wichtigste war für mich ein Diskurs über die gegenwärtige Ausbeutung von Kindern. Das im heutigen Journalismus extrem aktuelle Thema hat mich aber nicht als Drama unserer Zeit interessiert, ich wollte es mit der vielleicht größten Ausbeutung eines Kindes in der Mythologie der westlichen Gesellschaft, mit der Geburt Christi, verbinden. Mich interessiert aber die filmische Sprache ebenso wie der Inhalt.
 
Auffällig an "Das Wunder von Macon" ist ein Publikum im Film, das wie bei "Rocky Horror Show"-Vorführungen immer wieder versucht, sich ins Geschehen zu integrieren.
Damit thematisiere ich das Verhältnis des Publikums zur Leinwand. Ich zeige in einer sehr opernhaften Darstellung das im 15.Jahrhundert spielende Stück 'Das Wunder von Macon' und in einer zweiten Ebene die Zuschauer im Theater des 17.Jahrhunderts. Dahinter steht der Gedanke, daß sich das Kinopublikum mit dem Theaterpublikum des Film vergleicht.
 
Die erschreckende Katastrophe des Films, die vielfache Vergewaltigung der Schauspielerin, ereignet sich genau in dem Moment, in dem Illusion und Realität der Bühne zusammenfallen. Welche Rolle spielt der junge Cosimo Medici, der diese Strafe empfahl, als Zuschauer?
Cosimo repräsentiert uns. "Das Wunder von Macon" ist ein religiöses Melodrama, daß in seine und damit auch in unsere Richtung gespielt wird.
Er bleibt am Rande der Ereignisse bis er den Figuren des Stückes die Strafe einflüstert.
Cosimo ist ein religiöser katholischer Novize, dem moralische Regeln gelehrt wurden, die er aber nicht wirklich versteht. Er repräsentiert auch das Zusammenspiel von Kirche und Staat, um jemanden zu zerstören, die es wagte, das Establishment anzugehen.
 
Die Schwester des Babys, die sich als jungfräuliche Mutter ausgibt, wird vom Bischof bekämpf und letztendlich grausam bestraft. Ist "Das Wunder von Macon" ein anti-katholischer Film?
Ich denke, es wäre sehr einfach einen solchen zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, die katholische Kirche anzugreifen. "Wunder von Macon" ist nicht nur wörtlich zu nehmen, es soll nicht allein um die katholische Kirche gehen. Anstelle des Katholizismus, ließe sich auch Kommunismus oder Kapitalismus setzen. Es soll vorgeführt werden, wie diese reagieren, wenn sie von außen angegriffen werden.
Denn es sind eigentlich die Kirchen, die für Wunder zuständig sind. Und hier kommt ein Mädchen, wohlgemerkt, nicht mal ein Mann, die versucht der Kirche etwas von ihren Bereichen wegzunehmen. Sie muß in einer Art katholischen Schauprozeß, in dem jeder beteiligt ist und jeder die Schuld hat, bestraft und erniedrigt werden. Viele vergleichen die Szene mit den institutionalisierten Vergewaltigungen moslemischer Frauen im ehemaligen Jugoslawien.
Obwohl ich metaphorische Hinweise zu anderen Gesellschaften mache, muß es im 17. Jahrhundert die katholische Kirche sein, die damals nicht nur das Leben der Menschen organisierte, sondern auch ihre Gedanken, Vorstellungen. Die römisch-katholische Kirche hat einen schrecklichen Ruf wegen ihrer Haltung gegenüber Frauen. Selbst noch vor einigen Wochen gab es wieder eine päpstliche Enzyklica gegen Empfängnisverhütung und das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen. Das geht schon seit zweitausend Jahren so. Obwohl ich einen historischen Film gemacht habe, mit vielen Gedanken über Repräsentation und Haltung gegenüber Religion, erscheint mir "Das Wunder von Macon" auch sehr zeitgemäß, aktuell.
 
Gibt es nicht noch einen aktuellen Aspekt, der uns zeigt, welch grausame Katastrophen sich ereignen können, wenn wir Realität und Fiction nicht mehr unterscheiden?
Sehr richtig, der Film weist hoffentlich dauernd drauf hin, wie manipulativ Film an sich ist. Mit all diesen vielen Dekors und Details, mit der Handlung und dem Licht kann ich das Publikum von einer Illusion überzeugen. Aber ich kann es auch zurücktreten lassen, ihm sagen, sieh her das ist nur künstlich, wie kannst du an eine Vergewaltigung einer Schauspielerin auf der Bühne glauben?
Es gibt zwei Dinge, an die ich nie glauben konnte. Das eine ist der Tod, weil man weiß, ein Schauspieler wird niemals umgebracht, das andere ist der Geschlechtsverkehr, ich sage nicht Sex, ich sage nicht mal mehr 'Liebe', denn im letzten Jahrzehnt enthält wirklich jeder Film Geschlechtsverkehr. Ich habe versucht diese beiden Dinge bis an den Rand des Möglichen zu verschieben. Ihr wollt Tod? Okay ich gebe euch richtigen Tod! Ihr wollt Geschlechtsverkehr? Okay, ich gebe ihn euch - um zu zeigen wie schrecklich das Kino diese beiden Dinge für seine Manipulationszwecke ausnutzt.
 
Ist die Lust, den Tod zu sehen, nicht auch Grund für all die Snuff-Movies und Realtity-TV Erscheinungen?
Der Tod ist die neue Herausforderung geworden. Sex kontrollieren wir im 20.Jahrhundert zu einem hohen Grad, aber wir haben keine Kontrolle über den Tod, das ist trotz aller medizinischer Fortschritte unmöglich geblieben.
Ich will an diese Phänomene erinnern. Es scheint mir außergewöhnlich, daß im Kino so oft der Tod behandelt wird. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Wir werden so lange tot sein, weshalb imitieren wir diesen Zustand schon vorher, weshalb interessiert uns das so sehr, wenn der Tod auf der Bühne oder der Leinwand gespielt wird?
 
Während der Vegewaltigungsszene fällt der Gegensatz zwischen den grausamen Aktionen, die durchgehen zu hören sind, und einer Schönheit der Bilder, einer Eleganz der Kamerabewegungen auf. Auch in "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" wurde die Ermordung des Liebhabers so widersprüchlich inszeniert?
Es wäre sehr einfach für mich, den ganzen Film in einer rattenverseuchten dunklen Seitengasse einer mittelalterlichen Stadt spielen zu lassen. Weshalb sollen alle gewalttätigen Ereignisse auf dunklen Seitengassen in Jugoslawien stattfinden. Sie können sich ebenso vor dem Rothschildpalast im Zentrum New Yorks oder im Buckingham Palace ereignen. Wir machen uns oft vor, das diese tödlichen Ereignisse nie in Verbindung mit Macht und Geld stattfinden. Zudem versuchen wir, den Tod zu ritualisieren, ihn zu organisieren und damit zu verhüllen. Wir geben dem Tod einen schönen Geruch, wir kleiden den Leichnam in schöne Gewänder, wie schminken das Gesicht, wie Lenins Gesicht im Mausoleum auf dem roten Platz, wir machen uns vor, daß der Tod nicht stattfindet.
Alle meine Filme zeigen im Prinzip, daß die Welt ein reicher Ort mit tausenden interessanter Gegenstände und einem Sinn für Freude ist, der vor der Menschheit hauptsächlich kaputt gemacht wird. Das denken wir weitgehend alle - im Zusammenhang von Umweltverschmutzung oder Überbevölkerung.
 
Die Handlung von "Baby" spielt im 15. und im 17.Jahrhundert. Hätten Sie die Handlung auch in ein heutiges Theater verlegen können?
Das hätte ich machen können, aber ich wollte mich mit einem Langzeitblick mit dem christlichen Mythos des Kindes beschäftigen, der bekanntesten Ausbeutung eines jungfräulich geborenen Kindes. Ich bin kein Dokumentarist und will Fiktion machen. In einem historischen Film kann ich - wie in einem Science Fiction - innerhalb der Grenzen unseres historischen Wissen alles neu schöpfen. Ich gestalte die Umstände so, daß sie genau meinen Ideen entsprechen. Wenn ich die erste Szene in einem deutschen Krankenhaus des Jahres 1993 placiert hätte, hätte ich mich um Hebammen und Gynäkologen und das Gesundheitssystem und die Archtektur von Krankenhäusern kümmern müssen. Aber in diesem Film hat mich das alles nicht interessiert. Deshalb habe ich es in der Vergangenheit angesiedelt.
Die Straußberg Universität hat mich gerade gebeten, "Das Wunder von Macon" als Theaterstück aufzuführen. Es ist eine interessante Herausforderung. Ich kann kein echtes Baby auf der Bühne einsetzen, ich kann keine Kuh auf der Bühne abschlachten und wo plaziere ich das Publikum innerhalb des Stückes.
 
Ist nicht für die Schauspieler ein sehr gefährliches Projekt, in einem Stück mitzuspielen, daß den die tödliche Verquickung von Rolle und Realität behandelt?
Das kann sein. Wir werden sehen, wie es ausgeht.
 
Weshalb verläßt die Figur des Kantor das Stück ohne Verletzungen? Wenn das Stück eine Metapher über das Erzeugen von Illusionen ist, entspräche der Kantor dem Regisseur eines Films und der Regisseur läßt nach weit verbreiteter Auffassung immer etwas von seiner Figur in seinem Werk.
Ich bin derjenige, der alles organisiert, der alle Figuren leitet. Es ist auch sehr bedeutungsvoll, daß der Kantor dem Baby seine Stimme gibt bzw. daß ich dem Baby meine Stimme leihe. Das Baby stellt eine Form der Unschuld dar, ein Kind, das als Macht enden wird. In der Mitte des Films bewirkt das Kind das einzige wirkliche Wunder, den Angriff der Kuh im Stall.
Doch wenn das Spiel zu Ende ist, kommt der Bühnendirektor nach vorne, klatscht in die Hände und das Drama löst sich auf. Alles fällt auseinander, das Publikum, das vom Kinopublikum als Zuschauer gesehen wurde, zeigt sich als eine weitere Gruppe von Schauspielern und Schauspielerinnen. Damit können sie als das Kinopublikum sich identifizieren und vielleicht sind hinter Ihnen weitere Zuschauer, zurück bis zu Gott. Wir werden alle beobachtet, ich bin überrascht, daß hier keine Überwachungskamera ist.
Aber wir werden auch eine Welt von Zuschauern, zu diesem Zeitpunkt sitzen Millionen Menschen passiv und manipuliert vor dem Fernseher oder vor der Kinoleinwand. Und es werden immer mehr. Aber während wir zusehen, werden wir auch gesehen. Wir sind eine Welt der beobachteten Zuschauer, das ist ein Teil der Parabel dieses Films.
 
Wie waren die Reaktionen auf "Das Wunder von Macon" in anderen Ländern?
Der Film wurde sehr hart angegriffen in Cannes und in England. Es ist ein sehr verstörender Film, nicht allein wegen seines Themas, denn es ist auch ein Film, der zeigt, wie Film funktioniert und wie er manipulieren kann. Und das können einige Leute nicht ertragen. So war es allerdings auch mit "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber", der jetzt als eines der wichtigsten Werke des britischen Films der letzten zehn Jahre angesehen wird. "Baby" ist im Moment unter den zehn bestbesuchten Filmen Londons. Ich denke, der Film ist provokativ und er fordert heraus, doch wenn die Leute anfangen, über seine Themen nachzudenken, werden sie herausfinden, wie überzeugend, interessant und sogar unterhaltsam diese Themen präsentiert werden.
 
Gibt es nationale Unterschiede in der Rezeption ihrer Filme?
In Deutschland hatte erstmals der "Koch" einen gewissen Erfolg. Die anderen Filme wurden zwar gezeigt, aber "Der Kontrakt des Zeichners hatte  in Italien und und Frankreich die größten Erfolge.
 
Müssen Sie für das Fernsehen arbeiten, um ihre Kinofilme zu finanzieren?
Nein, ich interessiere mich für die Herstellung von Bildern jeder Art: Ich male noch immer, ich werde im nächsten Jahr eine Oper in Amsterdam inszenieren, ich mache einige CD-Roms und habe mehrere TV-Projekte. Wenn es eine Gelegenheit gibt, spannende visuelle Dinge zu tun, ergreife ich sie gerne.
 
Was machen Sie mit CD-Rom, etwas in der Art ihre Ausstellungen in Rotterdam und Wien?
Im nächsten Jahr habe ich eine Ausstellung in Genf mit dem Titel "Stairs". Wir machen eine CD-Rom über die Geschichte der Treppenhäuser in der europäischen Malerei und Kunst. Parallel zu meinem nächsten, weitgehend aus Japan finanzierter Spielfilm "Aubergensfeld" ensteht eine CD-Rom, die eine Menge mehr Informationen enthält, alle Hintergründe, Recherchen und anderes, was nicht im Film auftauchen wird. Auch zu meinem nächsten Channel 4 TV-Projekt "100 Things to represent the World" - 100 Kurzfilme von einer Minute, die zur besten Sendezeit hundert Abende lang gezeigt werden - entsteht es eine CD-Rom geben.
 
Haben Spiegel eine besondere Bedeutung für Ihre Filmarbeit?
Ich bewundere Borghes sehr. Zwei Bilder, die ich mit Borghes verbinde, sind das Labyrinth und der Spiegel, gewissermaßen sind sie das gleiche Phänomen. Jedes Kunstwerk ist immer ein Spiegel für den Künstler, in dem er sich selber sieht. Seine Leidenschaften, seine Wünsche, Träume oder Qualen und Alpträume. Derart ist der Spiegel eine Metapher. Natürlich sind sie aus der Sicht der Kamera sehr aufregende Gegenstände zum Spielen, wie es zum Beispiel Orson Welles im Finale von "Lady from Shanghai" (Touch of evil?) gemacht hat.
 
Werden Sie bei Ihren nächsten Film "Augsbergenfeld" wieder mit hochauflösenden elektronischen Kameras (HDTV) arbeiten?
"Augsbergenfeld" wird in Schwarz-Weiß, Monochrom und Farbe aufgenommen, denn eines der Themen des Films ist die These, daß es die 'Vergangenheit' nicht gibt, daß sie nur von Historikern rekonstruiert wurde. Ich werde mit dieser Farb-Codierung verschiedene Perspektiven benutzen und die Bedeutung von Szenen sehr einfach betonen können.
HDTV habe ich nicht nur für Prospero, sondern auch für die TV-Produktionen "M is for Mozart" und "Darwin" eingesetzt. Mit "Das Wunder von Macon" bin ich technisch einige Schritte zurück gegangen, um mich auf andere Aspekte zu konzentrieren.
 
Sind nach "Das Wunder von Macon" weitere Projekt mit der Filmstiftung NRW geplant? Dort sagte man, es würden insgesamt drei Filme mit ihnen gedreht.
Wer hat Ihnen das gesagt? Ich würde es gerne machen, "Augsbergenfeld" hat einen deutschen Titel, es geht um ein Ereignis des Dreißigjährigen Krieges, eine Schlacht - besser zwei Schlachten, die 1628 an einem Tag an der Grenze zwischen Westfalen und den Niederlanden stattfanden. Das wäre eine gute Basis für die Finanzierung durch die Filmstiftung NRW.
Mit dem deutschen Produzenten Thomas Klinger plane ich ein HDTV-Remake meines Films aus dem Jahr 1978 "The Falls", der jetzt auch als Roman erschienen ist. Der Verlag Rogner und Bernard, der auch das Buch "Das Wunder von Macon" veröffentlicht hat, wird ihn wahrscheinlich ins Deutsche übersetzen lassen.
 
Wissen Sie, daß ihr Nachwort in dem Buch "Das Wunder von Macon" stark verändert wurde?
Das Script wurde ursprünglich für die Produzenten geschrieben und nicht für die Veröffentlichung verändert.
 
Sie haben für die Filmmusik diesmal nicht mit Michael Nyman zusammengearbeitet?
Für "Das Wunder von Macon" habe ich sechs Komponisten des frühen 17.Jahrhunderts gewählt, da ich musikalisch in die Epoche der Handlung zurückgehen wollte, ohne die ursprüngliche Musik modern zu filtern. Die Musik dieser Periode fasziniert mich, sie taucht in verschiedensten Formen auf. Diese Breite hätte mir ein Komponist nicht geben können.
 
Gibt es da nicht einen Widerspruch zu Ihrem Verständnis der Bilder, die ja keine wirkliche Vergangenheit abbilden, sondern nur Entwürfe von Vergangenheit schaffen?
Das stimmt, aber ein umgekehrter Vorwürf hätte dann den "Kontrakt des Zeichners" treffen müssen. Dort gab es zeitgemäße Kostüme, Umgebungen und Verhalten, weshalb habe ich dort keine zeitgemäße Musik eingesetzt?
Im Barock setzte die katholische Kirche natürlich auch die besten Komponisten und die beste Musik ein, um mit diesem stark emotionalen Mittel für den Glauben zu werben. So ist es auch ein Kommentar zum propagandistischen Einsatz von Musik.

Peter Greenaway - Links


Die ersten drei Spielfilme

Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber

Das Wunder von Macon (Kritik)

Das Wunder von Macon (Dreharbeiten)

Interview Greenaway zu Das Wunder von Macon

Die Bettlektüre

Das Kino ist tot - Masterclass in Thessaloniki 2004

30.10.07

Jagdhunde


BRD 2006 (Jagdhunde) Regie: Ann-Kristin Reyels mit Constantin von Jascheroff, Josef Hader, Luise Berndt 88 Min. FSK: ab 6
 
Während deutsche Regisseure gleich reihenweise gutes Handwerk in den USA beweisen, überraschen heimische Produkte mit wirklich guten Bildern, Darstellern und Geschichten: Der 16-jährige Lars will raus aus der Einöde eines kleinen Dorfes in der Uckermarck, weg vom frustrieren Vater und vom Weihnachtsfest, das nicht fröhlich zu werden scheint. Doch den Zug nach Berlin verpasst er für die gehörlose Marie, die er am Bahnhof trifft. Damit bricht der Junge die Fronten zwischen den Alteingesessenen und den Neuen - Lars und sein Vater - auf. Zu Besuch kommt dann nicht nur die Geliebte des Vaters, auch die Ex schneit herein. Im stetig wachsenden Chaos entwickelt sich eine ganz leise und poetische Liebesgeschichte zwischen Lars und Marie.
 
Nicht so sehr, die sicher erzählte Geschichte mit den tollen Darstellern überzeugt in erster Linie. Es sind von der ersten Einstellung die atemberaubenden Bilder eines Dorfes in Schnelllandschaft. Regisseurin Ann-Kristin Reyels ließ sich von ihnen verführen, kreiert eine sehr schöne Stimmung und verliert dabei nicht den Faden der emotionalen Entwicklung. Unbedingt sehenswert.

Nach 7 Tagen - Ausgeflittert


USA 2007 (The Heartbreak Kid) Regie: Peter Farrelly, Bobby Farrelly mit Ben Stiller, Michelle Monaghan, Malin Akerman 116 Min. FSK: ab 12
 
Bevor man/frau beim Titel "Nach 7 Tagen - Ausgeflittert" denkt: "Romantische Komödie", sollte man auf die Regisseure schauen, und das steht Farrelly. Die Macher von "Alle lieben Mary" halten sich auch hier nicht zurück, doch der Film wirkt, als hätten sie ihren zügellosen, unverschämten Humor in Lizenz verkauft und sich frühzeitig zur Ruhe gesetzt.
 
Auf der Hochzeit seiner Ex ist Single Eddie (Ben Stiller) noch der Riesen-Trottel, doch ein paar Tage später läuft ihm schon die Traumfrau über den Weg und auch noch hinterher. Die Meeresbiologin Lisa ist es! Als sie nach ein paar Wochen jobmäßig aus den USA nach Rotterdam versetzt werden soll, scheint Heirat die einzige Rettung der Zweisamkeit zu sein. Fröhlich geht es in die Flitterwochen nach Mexiko, doch schon auf der Fahrt entdeckt Eddie unbekannte Seiten seiner neuen Frau: Lisa erweist sich als Karaoke-Maschine ohne Aus-Schalter. Die Penetranz des mitgesungenen Besten von gestern, vorgestern und aller Zeiten wird sich auf der sehr, sehr langen Autofahrt ein (später) erster komödiantischer Volltreffer des Films.
 
Wie es sich für dieses Genre seit ein paar Jahren gehört, geht es nicht ohne Körperflüssigkeiten oder Absonderliches ab - so erzeugt man Lacher halt einfacher als mit guter Inszenierung. Dank heftigem Koksen und ruinierter Nase läuft Lisa beim ersten Raststätten-Stopp der Apfelsaft wieder aus dem Riecher raus. Was sich eher in der Kategorie Antiwitz verbuchen lässt. Später in der Honey Moon-Suite erweist sich Lisa im Bett als Bestie, für die Missionarsstellung ein Fremdwort ist.
 
Doch neben solchen Humoreinlagen, den gnadenlosen Attacken einer schrecklichen Mariachi-Band und zwei hinterhältigen Kids, die Eddie verfolgen, gibt es ein wenig mehr Handlung. Noch auf der Hochzeitsreise verliebt sich der von Lisa total abgeschreckte Eddie nämlich in die nette, kumpelhafte Miranda (Michelle Monaghan). Weshalb diese jetzt die bessere Frau sein soll, bequemt der Film sich nicht klarzumachen. Er behauptet es nur, so wie auch andere, wichtige Elemente sehr nachlässig konstruiert wurden.
 
Zum Ende verläuft "7 Tage" furchtbar konventionell, in der Trivialität der Handlung sogar in der Nähe von Vorabend-Serien anzusiedeln. Das Remake von "Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht" aus dem Jahre 1972 ist eine doppelte, gar dreifache Enttäuschung: Von den Farrelly-Brüdern erwartet man eindeutig mehr Pep, Frechheiten und Tempo. Wie bei "Mary" als der Schoß-Hund gegrillt und das exquisite Haargel verköstigt wurde! Damals war Ben Stiller auch dabei und fast alles was er danach ablieferte, war frecher, wilder als dieses Kommödchen. Den Namen Farrelly wird man nicht mehr als Warnung verwenden brauchen.

Bis zum Ellenbogen


BRD 2006 (Bis zum Ellenbogen) Regie: Justus von Dohnányi mit Stefan Kurt, Jan Josef Liefers, Justus von Dohnányi 85 Min. FSK ab 12
 
Von Schweizer Höhen flacht sich dieses deutsche Sommer-Road-Movie bis auf Meeresniveau bei Sylt ab. Schauspielerische und dramaturgische Improvisationen machen den Film von Justus von Dohnányi interessant, aber nur streckenweise gut.
 
In voller Alpen-Abfahrt rammt der aggressive Mountainbike-Rüpel Achim (Jan Josef Liefers) den verträumten Wanderer Willi (Stefan Kurt). Es wird nicht das letzte Mal sein, dass der arrogante Schnösel und der Hartz 4-Empfänger aneinander geraten. Trotzdem quartiert der liebe, naive Sven (Regisseur und Autor Justus von Dohnányi) die beiden Angeschlagenen in seiner Almhütte ein. Achim schafft es nicht mehr ins Tal, muss das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 2006 im flackernden Fernseher verfolgen. Sven, der Bankangestellte aus Sylt, trauert um seine ertrunkene Frau. Willi kehrt hemmungslos den Schmarotzer mit sozialer Kampfagenda heraus. Doch irgendwie verstehen sich die drei und es werden ein paar nette Sommertage ... bis Sven absurd-tragisch verunglückt.
 
Willi fühlt sich schuldig und Achim, der in der Firma des Schwiegervaters große Geldprobleme hat, sieht in Svens Privatbank auf der Nordseeinsel eine Chance. Man muss den Sven nur heil nach Sylt bringen. So packen sie ihn in den Ski-Dachträger und machen sich auf den Weg, der gesäumt sein wird von Fußballspielen. Die Partie der Schweiz soll zum Beispiel den Grenzübertritt erleichtern, meint der Checker Achim. Doch Verlierertyp Willi vergeigt es fast, aber auf herrliche Art und Weise. Praktisch auch, dass in diesen Feier-Tagen niemand eine Schnapsleiche von einer echten unterscheiden kann, wenn sie nur deutschnational geschminkt ist.
 
Für diesen erfrischend lockeren Film trommelte Schauspieler Justus von Dohnányi letzten Sommer seine Kumpels Stefan Kurt und Jan Josef Liefers zusammen und ließ sie auf Basis seines Drehbuchs auch immer wieder kräftig improvisieren. Diese Freiheiten stehen auf der positiven Seite der Komödie, die mit dem verwesenden Sven immer mal wieder einen Abzweig in den schwarzen Humor versucht: Da werden Zähne mit Heißkleber repariert, die Rülps- und Furzgeräusche der Leichengase sollen auch ein paar Lacher herbeizwingen. An deutschen Landschaften im Sommermärchen erfreut sich das Auge, wenngleich der titelgebende Ellenbogen bei Sylt, in dem Sven sich seine Seebestattung wünschte, am Ende dann irgendwie wirkungslos bleibt. So verläuft der ruhige Rhythmus der nie sentimentalen Komödie mal reizvoll, mal träge. Ästhetisch und dramaturgisch fällt der Film-Fluss auseinander, ein weißes Rauschen in der Bank sieht zwar gut aus, passt aber überhaupt nicht an dieser Stelle. Mit Sympathie für das Nicht-Perfekte lässt sich die nur streckenweise gelungene Komödie aber durchaus genießen.

25.10.07

TV Kritik: Johanna sucht das Glück (ZDF)


Fünf Jahre sind vergangen seit dem überwältigenden Erfolg von "Der Tag, der in der Handtasche verschwand", der bewegenden Dokumentation über Frau Mauerhoff, der alten Dame mit Alzheimer. Nun zeigte der neue Film von Marion Kainz, "Johanna sucht das Glück", mit einem jungen Porträt die gleichen Qualitäten: Die 15-jährige Johanna verabschiedet sich schrittweise von Zuhause. Die Mutter lässt den neuen Freund einziehen, bekommt noch ein Kind. Da will Johanna zur Freundin Manu, sie hätte ja Recht auf das Kindergeld - meint sie.
Man muss oft herzlich lachen über die Unbedarftheit, erfreut sich an ihrer Lebensenergie, wenn Johanna nach dem Schulabbruch nur jubelt: "Ich bin frei!" Aber sie erstaunt auch mit frühen Weisheiten, über das Leben, ihre eigene Situation. Das Schwanken zwischen den Emotionen und den möglichen Wegen nimmt der Film in seinem Rhythmus auf: Schnelle Wechsel zwischen Ruhe und Raves, Gesprächen und wortlosen Gefühlsmomenten. (Die Dramaturgie gestaltete der aus Aachen stammende Georg Maas mit.) Soll Johanna ein soziales Jahr machen oder zur Artistenschule? Aber wenn sie nicht zur Schule geht, läuft ohne Abschluss gar nichts ...
Die einfühlsame Dokumentation einer jungen Frau zwischen Unsicherheit und Trotz besticht durch eine enorme Vertrautheit mit der Porträtierten. Genau wie beim "Tag, der in der Handtasche verschwand", der übrigens am Sonntag, dem 28.10.2007 um 0.40h, im BR wiederholt wird. "Johanna sucht das Glück" ist am Sonntag dem 28.10.2007 um 21.15h auf 3 Sat noch einmal zu sehen.

60 Jahre film-dienst


26 x Wahrheit und Durchblick pro Jahr
  
Als der "Filmdienst der Jugend" im Oktober 1947 das Licht der Welt erblickte, wird keiner der Initiatoren vermutet haben, dass dieses Heftchen 60 Jahre später als eine der wenigen seriösen Publikation zum Film in Deutschland gefeiert wird. Man merkt dem film-dienst das Alter nicht an, da er stets auf der Höhe der immer wieder neuen Filme und Themen blieb. Alle zwei Wochen finden sich sämtliche Neustarts, Video- und DVD-Premieren in dem Heft. Und im Gegensatz zu anderen, lauten Cinema-Magazinen bestimmt hier nicht der Werbeetat eines noch lauteren Films Umfang und Schärfe der Berichterstattung.
 
1949 wurde der film-dienst offizielles Organ der "Katholischen Filmkommission", was ihm von Außenseitern immer den Vorwurf einbrachte, nur als klerikaler Sicht zu rezensieren. Doch allein bei explizit kirchlichen Themen wie "Die Letzte Versuchung Christi" von Scorsese liefen die filmkritischen gesammelt auf, ansonsten herrschte im Denken und auch in der Auswahl der Mitarbeiter eine Freiheit, die sich der freie Markt in Abhängigkeit von Anzeigen nicht leisten konnte. Die Zeitläufte erzwangen schließlich doch Zugeständnisse: 1990 wurde die konzentrierte Sammlung von Kritiken und nichts als Kritiken - schwarzweiß und im handlichen DIN A5-Format - umgestellt auf das Magazin-Format von heute mit Festivalberichten, Porträts, einer weiten Spannweite der Themen von Spezifischem wie Filmmusik bis zu Randerscheinungen wie "Film und Internet". Da das federführende Bistum Köln das "Katholische Institut für Medien" (KIM) wegsparen wollte, musste dem film-dienst und der Schwester-Redaktion von "Funkkorrespondenz" eine neue Heimat gefunden werden. Von Köln ging es nach Bonn zum Verlag Deutsche Zeitung, der auch den "Rheinischen Merkur" herausgibt.
 
Mittlerweile zeigt sich der film-dienst als Herz einer ganzen Medien-Phalanx: Der Online-Dienst www.film-dienst.de bietet Abonnenten ideale Recherche-Möglichkeiten zu allen Aspekten des Films. Das "Lexikon des Internationalen Films" ist auf Basis der zweiwöchentlichen Filmbesprechungen mit vielen zig-tausend Kurzkritiken DAS Standardwerk zu allen Filmen, die jemals in Deutschland auf Leinwand, TV, Video oder DVD liefen. Mehrere DVD-Editionen leuchten aktuelle und historische Meisterwerke heraus. Die "Edition Filmmusik" kümmert sich verdienstvoll um all die überhörten deutschen Film-Komponisten. Im Internet sind die verschiedenen Produkte und auch ein Probeheft zu bestellen. Immer wieder gibt es spannende Themenhefte - etwa zu "Jazz und Film" oder bei der aktuellen, prallen Jubiläumsausgabe "Licht". Man darf dem unkorrumpierten Blick auf Licht und Schatten des Films noch viele Jahrzehnte wünschen.
 
(Günter H. Jekubzik ist Freier Mitarbeiter des film-dienst)

23.10.07

Halloween


USA 2007 (Halloween) Regie: Rob Zombie mit Malcolm McDowell, Brad Dourif, Tyler Mane, Daeg Faerch, Sheri Moon Zombie 110 Min. FSK       ab 18
 
Heute braucht man niemandem mehr zu erklären, was die seltsamen Kürbisse und die Verkleidungen in diesem amerikanischen Horrorfilm für eine Bedeutung haben. Halloween hat Deutschland in den letzten Jahren heftig amerikanisiert. Der verwandte Feiertag Allerheiligen gerät dagegen eher in Vergessenheit. Das "Halloween"-Remake von Rob Zombie ("The Devil's Rejects", "Haus der 1000 Leichen") macht aber vor allem einen in 30 Jahren veränderten Umgang mit Gewalt deutlich.
 
Carpenters "Halloween" aus dem Jahre 1978 stellte einen bemerkenswerten Moment der Filmgeschichte dar: Konsequente Horror-Spannung und Michael Myers als kaum zu stoppender Mörder, der in den kommenden Folgen eine übersinnliche Aura bekam, sorgten für den enormen Kassenerfolg einer Low-Budget-Produktion und starteten Jamie Lee Curtis' Karriere. Aus dem dahin randständigen Teen Slasher-Genre erwuchs eine unübersichtliche Reihe vermummter und vernarbter Kino-Serienmörder.
 
Das Remake von Carpenters Klassiker, der acht Fortsetzungen erlebte, bringt den Stoff nach fast 30 Jahren tatsächlich auf eine neue Ebene: Ganz im Trend von Filmen über Amokläufer an Schulen werden soziologische Erklärungen eingebaut - was die Fans des Genres nicht interessieren dürfte. Noch weniger die Fans der gerade mit ihrer Simplizität überzeugenden Halloween-Filme und schon gar nicht die Anhänger des Brutalo-Filmer Rob Zombie.
 
Wir sehen den zehnjährigen Michael Myers bei einem asozialen, brutalen Stiefvater, hänselnden Mitschülern und einer lotterhaften Schwester. Deswegen setzt er eine Clownsmaske auf und mordet erst Tiere, dann seine Peiniger. In der Halloween-Nacht löscht er fast seine ganze Familie aus. Nur die kleine Schwester überlebt, aber als Michael Jahrzehnte später aus seiner Sicherheitsverwahrung flieht, kehrt er wegen ihr an den Tatort zurück.
 
30 Jahre weiter ist Gewaltdarstellung extremer geworden - auch dank vieler Filme in sich gegenseitig übertreffender Nachfolge von "Halloween". Selbst die Soundeffekte sind aggressiver und effektiver, das Zustechen des Messers geht schon akustisch ins Mark. Vielleicht eine Antwort auf all die Frauen im Publikum, die dauernd wegschauen. Die sexuelle Freiheit der im Fokus stehenden Teenager hat sich hingegen zurück entwickelt - was in einem von Repression bestimmten US-Gesellschaftsklima nicht verwundert.
 
Das Einzige, was man dem extrem schwer erträglichen Blutrausch abgewinnen könnte, ist die eigene Ästhetik der filmenden Musikers  Zombie ("White Zombies"), der dank düsteren Lichteffekten und zitternder Kamera eigentlich auf die ganze andere Sauerei verzichten könnte. Spannend sind so vor allem die intensiven Gespräche Michaels mit seinem Psychiater (Malcolm McDowell). Eindrucksvoll gefilmt wurde das Spiel mit den Masken, die für diese Art von Schlachterfilmen typisch sind. Doch vor allem in der zweiten Hälfte bleiben nur die Grundidee sowie die simple und doch ungemein eingängige Synthesizer-Melodie übrig.

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford


USA 2007 (The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Frank) Regie: Andrew Dominik mit Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard 156 Min. FSK: ab 12
 
Chronik einer angekündigten Erschießung
 
Jesse James ist 34 Jahre, hat 17 Morde hinter sich, aber das Geschäft mit der Räuberei läuft nicht mehr so richtig. Die Western-Geschichte schreibt das Jahr 1881, Jesses älterer Bruder Frank zieht sich nach einem letzten Zugüberfall zurück. Nun muss der extrem misstrauische und selbst im Schlaf wachsame Jesse (Brad Pitt) mit neuen, ihm unbekannten Leuten losziehen. Einer von ihnen, Jesses größter Fan Robert Frank, wird später sein Mörder sein.
 
Dies sind die Fakten. Alles andere ist pure Filmkunst, ein ausgebreiteter Genuss an Bildern, Tönen, Texten, Stimmungen und ungemein intensiven Figuren. Es sind nicht die aufregenden Überfälle sondern die Zeiten und Räume dazwischen, die sich in diesen zweieinhalb Stunden weiter Westernwelt nahezu entspannt ausbreiten. Da ist das ruhige Familienleben, das Jesse als braver Bürger unter falschem Namen führt. Die Gespräche am Lagerfeuer. Die langen Ritte, um die Gang wieder zusammen zu bringen. Oder, um ausführlich mit einem möglichen Verräter zu speisen und zu trinken, dann eine Weile mit ihm raus zu reiten, um erst dann, nach quälenden Minuten voller Angst den nun schon fast erlösenden Schuss abzufeuern.
 
Im Zentrum steht der Psychopath Jesse James, vor dessen unberechenbarer Gewalt alle zittern. Doch der Film zeigt ihn auch in depressiven Phasen bis hin zum melancholischen Blick an seinen baldigen Mörder. Kunstvoll indirekt über einen Spiegel, denn Robert Ford schießt selbstverständlich in den Rücken. Da hat Jesse nach dem langen Abschiedsgedicht schon die Pistolen abgelegt, fast philosophisch abgeschlossen.
 
Der Epilog ist dann wieder ganz modern in seiner höhnischen Verachtung des kurzen Ruhms. Nick Cave (dem man bei kaum einem Filmfestival entkommt) darf in einer dreckigen Kneipe die Ballade vom feigen Mörder schrammeln, bevor Robert Ford selbst durch ein noch elenderes Abbild seiner selbst niedergeschossen wird.
 
Vergleiche zwischen Literatur und Film bringen eigentlich nur Uni-Seminare weiter. Doch bei diesem elegischen Meisterwerk muss man auf einen seelenverwandten Text um einen anderen Outlaw-Helden verweisen: "Die gesammelten Werke von Billy the Kid", ein knapper Roman von Michael Ondaatje ("Der englische Patient") evoziert mehr Licht-Bilder, als es altersschwache Kinoprojektoren schaffen. Und jetzt begeistert ein Film mit derart literarischen Off-Texten (Drehbuch: Andrew Dominik, Buchvorlage: Ron Hansen), dass man ihn anhalten, zurückblättern und noch mal lesen möchte!
 
Ein neuer Spätwestern, aber keineswegs ein echter Männerfilm. Der Ausritt in diese dichten, schwer beschreibbaren Atmosphären ist ein packendes Psychogramm mit Cowboyhut und Colt.
 

19.10.07

Depardieus Zaubertrank


Aubel. Falls Sie in den nächsten Tagen kurz hinter der belgischen Grenze Gerard Depardieu begegnen und Sie sich entspannt mit dem als explosiv und launisch verschrienen Filmstar unterhalten wollen - reden sie über Wein! Das Vergnügen, einen Kenner und Genießer beim weinseligen Schwärmen zu erleben, hatten zwei Dutzend Menschen gestern im wallonischen Dörfchen Aubel, wo der lokale Weinhändler Marc Stassen die edlen Tröpfchen des Winzers im Nebenberuf anbot.
 
Eine französische Produktion dreht zurzeit den Jugendfilm "Die Kinder von Timpelbach" in Hergenrath und deshalb dreht sich dort alles um den großen französischen Star Gerard Depardieu. Der will verständlicherweise in Ruhe arbeiten, ordnet "Close Set" an, will keine Zaungäste sehen. Aber gestern gönnte er sich einen Ausflug ins idyllische Aubel am Rande des Val Dieu. Marc Stassen lockte bereits zum zweiten Male in diesem Jahr eine Leinwand-Legende in seinen Weinladen. Im Mai stellte der Komödiant und Reben-Kultivator Pierre Richard seinen Chateau Bel Eveque und seinen Cuvee Cardinal vor. Der große Blonde mit dem guten Geschmack pflegt die Reben ebenso wie das Reden.
 
Wie ernst es den französischen Mimen mit der Weinkultur ist, bewies gestern Depardieu. "Ja, ich sehe mich als Artisan", sagte er ohne zu zögern und man muss das kompliziert als "Künstler der Traubenveredlung" übersetzen. In den Achtzigern fing er an, sich Weingüter zuzulegen. Edle Lagen, die im Jahr von 3.000 bis 9.000 Flaschen hergeben. Mit Verantwortung, denn "zu so einer Parzelle gehören auch Menschen, manchmal eine ganze Dorfgemeinschaft!" Fast eine Stunde lang fachsimpelt der Schauspieler, der hier ganz "Viticulteur" ist, über Rebsorten, die Pflege alter Stöcke, die Weinindustrie und die kleinen, feinen Weine. Der Filmkritiker unter all diesen Weinliebhabern erinnert sich aber auch an den alten, knorrigen Bordeaux-Winzer, der mit noch hochröterem Gesicht als berufbedingt üblich, in der Wein-Doku "Mondovino" den erbitterten Widerstand seines Dorfes gegen den Großinvestor Depardieu ankündigte, der meinte, sich überall groß einkaufen zu können.
 
10 Weine in der Auswahl von Marc Stassen tragen Depardieus Namen und teilweise auch sein Porträt. Wobei - ist das nicht wieder der Schauspieler? Tatsächlich, da gibt es einen "Cuvee de Bergerac" passend zur Paraderolle des "Cyrano de Bergerac". Und Weinnamen, die auch Filmtitel sein könnten. Passend zum Schauspiel liegt der Weinhandel von Marc Stassen in einem alten Theater mitten im Ortskern Aubels. Und dass Marcs Bruder Ben mit seinem Brüsseler nWave-Studio weltweit als einer der führenden Filmemacher in Sachen 3D-Animation gilt, ist eigentlich zuviel der Verbindungen zwischen Wein und Filmwelt.
 
Doch das alles hält den Gourmet nicht vom Schwärmen ab. "Die Frauen seinen für die Weinkultur sehr wichtig", meint er, "er "zählt darauf was die Frauen in Sachen Geschmack sagen!" Und erkundigt sich gleich darauf, wie denn die Kühe hier in der Gegend hießen. Nicht mit Vornamen, aber die Sorte kenne er wohl und sie munde ihm vorzüglich. Da gibt es doch auch einen guten Cidre von hier, welche Äpfel nimmt man denn dazu? Irgendwann ist der Star völlig verschwunden, die bäuerlichen Züge hinter der - zugegeben - großen Nase passen wunderbar zum ehrlich gelebten und auch fachlich interessierten Genussmenschen. Am Ende hatte wirklich jeder seine Autogramme und die Entspanntheit des Stars überzeugte die Fans, sich doch dem Wein und den Häppchen zuzuwenden. Wie schön kann das Leben in Aubel sein - selbst für einen Weltstar.

17.10.07

Enttarnt


USA 2007 (Breach) Regie: Billy Ray mit Chris Cooper, Ryan Phillippe, Laura Linney 110 Min. FSK: ab 12
 
"Das geheime Leben des August Hanning". Will jemand diesen Film sehen? Auch wenn Armin Mueller-Stahl den ehemaligen Bundesnachrichtendienst-Präsidenten spielen würde? Zweifelhaft. Anders in den USA: Matt Damon spielte in "Der gute Hirte" von Robert DeNiro die Rolle eines frühen leitenden Mitarbeiters der CIA. Und nun die Geschichte von Robert Hanssen, des größten Verräters in den Reihen des FBI, der 2001 aufsehenerregend aufflog. "Enttarnt" nähert sich dieser Figur über einen neuen Angestellten. Eric O'Neill (Ryan Phillippe) wird Assistent des altgedienten FBI-Agenten Robert Hanssen (Chris Cooper). Der schroffe Senior lässt den ehrgeizigen Mitarbeiter bei jeder Gelegenheit auflaufen, ein Bürodrama bahnt sich an. Doch O'Neill arbeitet verdeckt, als Spion unter Spionen ist er die Speerspitze einer ganzen Abteilung, die den Verräter Hanssen überführen soll. Dieser liefert seit Jahren Geheimnisse und Agenten an die Russen aus. Obwohl er erzkonservativ, tief religiös und sehr moralisch ist...
 
Der intensive Charme der staubtrockenen Bürokratie. Die detaillierte Beobachtung der Person Hanssens, das immer persönlichere Verhältnis des Seniors und seines jungen Verräters, der irgendwann die Stelle eines Sohnes einnimmt. Mit ruhigen Piano-Klängen zeigt sich das nationale Geheimdienst-Desaster als spannendes Kammerspiel. Man kann endlich mal in Ruhe das Können von Chris Cooper goutieren, der letztens in "The Kingdom" als FBI-Agent in Saudi-Arabien aktiv war. Prinzipiell ist es ja auch gut, hinter die Kulissen der Geheimdienste zu blicken. Doch bei allem Entsetzen über die Menschenverachtung dieser Vereine, wirken diese Filme am Ende eher romantisierend als aufrüttelnd.