5.10.06

News from House / News from Home


Amos Gitai gehört zu den wichtigsten kritischen Chronisten Israels und seiner Region. In fast allen seinen Filmen bezieht er durchaus unterschiedliche Positionen. Mal legt er in "Kadosh" (1999) die menschenverachtende Behandlung von Frauen bei extrem orthodoxen Juden bloß. Dann macht er 2000 in "Kippur" fast den Einsatz junger Leute zur Landesverteidigung im Kippurkrieg, an dem er selbst teilnahm, nachvollziehbar. Dazwischen verfolgt er dokumentarisch seit einem Vierteljahrhundert, seit seinem ersten internationalen Erfolg mit "Bait" (Haus) im Jahre 1980 und dann später in "Bait be Yerushalayim" (Ein Haus in Jerusalem, 1998), die Geschichte eines Hauses in West-Jerusalem, an dem sich das problematische Spannungsfeld zwischen Israelis und wortwörtlich "aus ihren eigenen vier Wänden" vertriebenen Palästinensern kristallisiert.
 
Webseite: www.mecfilm.de
 
Israel, Frankreich, Belgien 2006
Regie: Amos Gitai
Kamera: Haim Assias, Nurith Aviv, Vladimir Truchovski (1997), Emanuel Aldema (1980)
Länge: 96 Min. 35mm,
Arabisch, Hebräisch, Englisch, Französisch mit dt. Untertiteln
Verleih: Mec Film
Kinostart: 7.9.2006
 
 
FILMKRITIK:
 
1980 begann es mit einem Steinbruch. Damals drehte Gitai "Bait" (Haus) in Schwarzweiß auf 16mm-Film und erhielt prompt ein TV-Verbot des israelischen Fernsehens. Er wurde als "pro-palästinensisch" angefeindet und zog 1982 nach Paris. (Zusammen mit dem ein Jahr später entstandenen "Wadi" gehörte "Bait" zum Standard der Programmkinos.) Nun kann der exilierte Israeli in seinem eigenen filmischen Steinbruch Archäologie betreiben: Immer wieder und sehr passend montiert er Szenen aus den Vorgängerfilmen, konfrontiert heute die Beteiligten von damals damit, sucht sie auf sowie deren Kinder und Verwandte.
 
Einst gehörte das Haus Mitgliedern der großen Jerusalemer Dajani-Familie, bis es 1948 von ihnen auf der Flucht verlassen wurde. 1980 ließen es die israelischen Besitzer umbauen. Ein besonderer Hohn damals wie heute: Die Vertriebenen müssen als billige Arbeitskräfte für die Besatzer ihre enteigneten Häuser herrichten oder renovieren. Mohammad, der Steinmetz von der West Bank lebt noch, erzählt von der Situation in den palästinensischen Gebieten. Von den aus Wassermangel sterbenden Bäumen, vom Verfall des Bodens und des Landes. Dem alten Mann kommen die Tränen angesichts der Arbeitslosigkeit und seiner zig Enkel. Ein Verwandter von ihm baut jetzt an der Erweiterung. Im Spektrum der Geschichten rund um das "Haus" gibt es auch den zionistischen Bauleiter aus Süd-Afrika oder den Nachbarn, der die Shoah überlebte. In dieser überraschend ergiebigen Archäologie trifft Gitai weiter auf Claire, einer Jüdin aus der Türkei, mit ihrer faszinierenden Geschichte. Ihr Vater war im erstaunlich säkularen Istanbul einst der deutsche Uhrmacher für die Moscheen der Stadt. Noch so ein verschütteter Traum von Freiheit. Aber es gibt auch die progressive Familie Dajani. Sie haben sich mit den Verhältnissen ausgesöhnt, leben kosmopolitisch und sehen eine Zukunft im gleichberechtigten Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis.
 
Die exzellente Struktur des Films lässt Persönliches und Politisches nahtlos ineinander fließen. Bemerkenswert ist dabei der Aspekt der Architektur - Gitai studierte selbst einst dieses Fach, sein Vater, Munio Weinraub Gitai, war Mitglied des Bauhaus. Amos Gitai ist derart "Chronist der menschlichen und ideologischen Architekturen des Israel-Palästina-Konfliktes". Im Film vergleicht er den Spielfilm mit der Architektur, die beide einem Bauplan, dem Drehbuch, folgen. Der Dokumentarfilm hingegen ist wie die Archäologie, die verschiedene Schichten sedimentierter Bedeutung zugänglich macht. Sein Spielfilm zu diesem Thema war "Free Zone" (2005), auf den in der letzten Szene mit den Tränen von Nathalie Portman in Jerusalem stimmungsvoll verwiesen wird.
 
Im Vergleich zum israelisch-italienischen Spielfilm "Private", bei der das von Israelis besetzte palästinensische Haus als Mikrokosmos und Metapher nur eine Momentaufnahme liefert, ist "News from House" vielschichtiger. Man könnte diese Langzeitaufnahme mit den „Kindern von Golzow“ vergleichen, doch Gitais Projekt war nie so geplant. Es ist gerade die Tragik dieser Region, dass sie wie das Haus noch immer im Umbruch, im Umbau begriffen ist.
 
Günter H. Jekubzik
 
(Im Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln, erschien die Publikation "Amos Gitai: News from Home" anlässlich eines Projektes der Internationalen Filmfestspiele Berlin, Forum expanded und KW Institute for Contemporary Arts.)