5.9.06

Sehnsucht


BRD 2006 (Sehnsucht) Regie: Valeska Grisebach ca. 90 Min.
 
Die Geschichte eines Freiwilligen Feuerwehrmannes aus Brandenburg - nicht interessant? Von wegen: Verzehrende Leidenschaften auf dem Dorfe packen dank erstaunlicher Darstellung durch frisches Schauspieltalent. Und wenn man genau hinsieht, ist viel mehr Magie - und Film-Kunst - zu entdecken, als der triste Hintergrund vermuten lässt.
 
Ein Unfall am Ortseingang erweist sich als Selbstmordversuch. Markus, der Freiwillige Feuerwehrmann, ist als erster bei der Unfallstelle, kann aber nicht mehr helfen. Das Ereignis macht ihn nachdenklich und still - noch stiller als er so schon war. Bei einem stinklangweiligen Ausflug zu Feuerwehrkollegen in einem Nachbarort tanzt Markus versunken zu Robbie Williams' Feel: I dont wanna die. Ich will nicht sterben. Am nächsten morgen wacht er bei der netten Kellnerin Rose auf, obwohl zuhause seine Frau Ella sehr sehnsüchtig mit ihrer intensiven, jungen Liebe wartet. Ein Ausrutscher, denkt man, wenn der Schlosser Markus seinen Alltag wieder aufnimmt. Doch nach ein paar Tagen zieht es ihn wieder zur Rose. Mit dem Kleinlaster geht es zur neuen Leidenschaft. Seine sehr verliebte Frau kämpft um die Beziehung, will miteinander reden, auch beim Sex. Sie ist die große Romantikerin, die ein leidenschaftliches Ringen beginnt. Als Markus gerade die Untreue beenden will, kommt es zu einem weiteren Unfall und man steckt mitten in einem Film noir-Stoff, obwohl diese "Sehnsucht" äußerlich gar nicht so daher kam.
 
Das alle passiert in Briesen-Zühlen, einem Ort mit 200 Einwohnern und 6-7 Feuerwehr-Einsätzen im Jahr. Zwischen den Menschen mühen sich ganz zähe Dialoge ab, aber das scheint treffend, wirkt authentisch. Das Publikum amüsiert sich anfangs über diese Typen vom Dorf, aber ihre Sehnsüchte, ihre Dramen packen letztendlich doch. Und das bei Laiendarstellern, die so gut spielen und passen, dass man sich eine andere Besetzung gar nicht vorstellen kann. Während Markus ohne Konturen und unartikuliert zwischen den beiden Frauen steht, fesseln die mit tollen Gesichtern.
 
Regisseurin Valeska Grisebach überraschte schon mit "Mein Stern!", der intensiven, lebensnahen Geschichte eines junge Mädchens, ähnlich unspektakulär realistisch platziert und überzeugend von Debütanten gespielt. Am Ende des Films bleibt Markus allein zurück, allein mit Karnickel und Gewehr in seiner Scheune. Das ist dann plötzlich ein Moment extremer Spannung. Es gibt einen Schuss im Off und ein offenes Ende. Mit wunderbarem Epilog, der einer der besten Szenen der Berlinale 2006 brachte. Ein paar Mädchen erzählen sich die Geschichte auf dem Spielplatz nach. Wie ein romantisches Märchen, wie Romeo und Julia, oder genauer: Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Dorfe. In den Kinder-Kommentaren findet sich große Lebensphilosophie, die Frage nach der wahren Liebe, nach Schicksal oder Kharma.