26.6.06

Dabei sein ist alles


USA 2005 (The Ringer) Regie: Barry W. Blaustein mit Johnny Knoxville, Brian Cox, Katherine Heigl 94 Min. FSK: ab 6
 
Eine gewisse Tendenz im amerikanischen Kino fährt verzweifelt Provokatiönchen auf, damit ansonsten völlig belanglose Filmchen Aufmerksamkeit bekommen. Im brackigen Kielwasser von "Jackass" oder "American Pie" geht es um recht kindische Übertretungen, die nichts mit einem zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung notwendigen Tabubruch zu tun haben. Selbst die Ventilfunktion, den Druck der überzogenen "political correctness" abzulassen, kann man nicht mehr für all diesen albernen Kram verantwortlich machen.
 
Die behauptete Komödie "Dabei sein ist alles" macht sich über Behinderte lustig, meint aber, diese unkorrekte Haltung mit der Läuterung des höchstens moralisch behinderten Protagonisten Steve aufzuheben. Dabei kriegen die wohl nicht besonders umsichtigen Macher gar nicht mit, wie sehr sie Behinderten-Sport lächerlich machen.
 
Steve Barker (Johnny Knoxville) wird durch eine haarsträubende Geschichte um seinen mexikanischen, illegalen Gärtner, der sich die Finger im Rasenmäher abgeschnitten hat, gezwungen, bei einer "Behinderten-Olympiade" mitzumachen. Der junge Steve ist zwar nicht besonders intelligent, aber zur geistigen Behinderung reicht es nicht, weswegen er sich mit Schauspielerei ins Trainingslager hinein lügt. Derweil setzt sein hoch verschuldeter Onkel Gary Barker (Brian Cox) 100.000 auf den Ausgang des Wettkampfes. Steve hat zwar gehörige Skrupel, aber die Erscheinung der Pflegerin Lynn (Katherine Heigl) bewegt ihn, die miese Nummer durchzuziehen. Doch er hat sich in seinen behinderten Sport-Kumpels getäuscht: Sie sind längst nicht so dämlich wie er sich verstellt. Und sie haben ein eigenes Motiv, ihm zum Sieg zu verhelfen...
 
"Dabei sein ist alles" nimmt weder den Sport noch seine Menschen ernst, es bleibt eine Phrase, dass behinderte Athleten Top-Athleten sind. Gezeigt wird eine simple Clown-Nummer mit braver Moral ohne irgendeine echte Provokation. Im Gegenteil: Wir sollen doch tatsächlich von den tapferen Behinderten lernen, den Hintern hochzubekommen! So was nennt man positive Diskriminierung. Die Knoxville-Kiste wird ab der Hälfte zu einem üblichen Sportfilm, und es ist erstaunlich, wie die Liebesgeschichte oder die Skrupel des Betrügers Steve ohne jede Ernsthaftigkeit behauptet werden. Soll man noch erwähnen, wie einfühlsam, sensibel und herzlich der dänische "Elling" einen geistig Behinderten humorvoll porträtierte?
 

Hard Candy


USA 2005 (Hard Candy) Regie: David Slade mit Patrick Wilson, Ellen Page, Sandra Oh, Jennifer Holmes 103 Min. FSK: ab 18
 
Kontakt-Anzeigen und Internet-Chats sind gefährlich, man ahnt nie, ob man dabei nicht eine Niete oder Mogelpackung erwischt. Dieses Klischee wird zumindest nicht tot geritten, "Hard Candy" schließt sich dafür nahtlos an die Diskussion um das Webcommunity-Angebot MySpace.Com. Dort versucht man nach öffentlichem Druck zu verhindern, dass Jugendliche von Pädophilen kontaktiert werden. Bei "Hard Candy" kommt es zum Treffen mit unerwarteten Folgen...
 
Nach drei Wochen Internet-Chat treffen sich der dreißig-jährige Modefotograf Jeff (Patrick Wilson) und die 14-jährige Hayley (Ellen Page) in einem realen Café. In Sprüchen und Kameraführung läuft eine wenig subtile Verführung ab, etwas Soft-Porno- oder Bilitis-Spannung auf dem Weg in sein gestyltes Appartement. Ein paar Drinks, eine spielerische Fotosession und nach 20 Minuten Film erwacht der Fotograf gefesselt auf einem Stuhl. Die erwarteten Machtverhältnisse haben sich umgekehrt. Eine energische und zu Einigem entschlossene junge Frau hält dem vermeintlichen Pädophilen eine Anklagerede. Dann bereitet sie im Operationskittel alles für seine Kastration vor. Des Volkes Stimme, die immer gern für Pädophile "Kopf ab" oder "Schwanz ab" fordern, kann sich die Erfüllung ihres Wunsches ausführlich ansehen. Mit knappen Action-Einlagen, seltenen Beschleunigungen und hektischen Schnittfolgen entwickelt sich das Zwei-Personen-Drama bis zum selbstgerechten Finale.
 
Aus dem Kamera- wird bald ein Kammerspiel. Die anfangs einer 14-Jährigen entsprechend naiven Dialoge füllen sich mit immer mehr Sarkasmus, welcher der ganzen Konstruktion viel Ernst und diskussionswürdige Substanz raubt (Drehbuch: Brian Nelson), sie zur Lachnummer macht. Schnell spürt man: "Hard Candy" gibt vor, das Thema Selbstjustiz und Rache dialektisch in konzentrierter Form zu behandeln, gleitet aber in sinnlos makabre Albernheiten ab.
 
"Hard Candy" spielt eine Weile mit Zweifeln an der Schuld des Opfers und der Zurechnungsfähigkeit der Anklägerin. Zum Ende bleiben Elektroschocks als Argument. Der Film des Videoclip-Regisseurs David Slade wirkt wie eine Hochschulvariante des wesentlich erwachseneren und reiferen Polanski "Der Tod und das Mädchen" (1994), wobei der belanglose Film sich erdreistet, auf den uralten us-amerikanischen Pädophilie-Vorwurf gegen Polanski zu verweisen. Und auch auf Jodie Fosters Vergewaltigungs-Rache "The Accused" (1988) weist der mediokre Film hin, ohne dass ein Vergleich angebracht wäre.

Mein versch ä rftes Wochenende


Kanada 2005 (The Long Weekend) Regie: Pat Holden Chris Klein, Brendan Fehr, Chandra West 90 Min. FSK: ab 16
 
Eine neue Filmsprache wird eingeführt! Damit ein Film und seine Sprache "funktionieren", muss man Sounds, Zeichen und Szenen benutzen, die bei möglichst vielen Zuschauern etwas auslösen, die ganz allgemein verständlich sind. Heutzutage gehören grobe Comedy-Klötze wie "Jackass" und "American Pie" zum emotionalen ABC der MTV-Generation. So ist es nur verständlich, dass Szenen aus diesem Vorrat gemeinsamer Erfahrungen auch im Spielfilm als Sprach-Fetzen funktionieren sollten. Mit ihrer Hilfe wird ein nicht besonders "verschärftes Wochenende" mit "Home Videos", mit diesen auf allen Kanälen nervenden Amateuraufnahmen aufgepäppelt: Stürze von der Tanzfläche, Schläge in den Genitalbereich, schmerzhafte Unfälle und Tiere, die unheimlich komische Sachen mit ihnen Genitalien machen. "Pimp up" meine lahme Komödie...
 
Schon statt Vorspann gibt es Szenen aus dem millionenfachen Vorrat an kleinen sadistischen Amateur-Aufnahmen. Laut den Worten von Cooper (Chris Klein aus "American Pie"), einem untalentierten Schauspieler und oberflächlichen Frauenheld, stammen sie alle von seinem selt- und einsamen Bruder Ed Waxman (Brendan Fehr). Ed ist ein etwas einfältiges, wandelndes Fettnäpfchen und, seit ihn seine Freundin vor laufender Kamera hinterging, ohne Frau. Deshalb will ihm der ach so feinfühlige Cooper zum Geburtstag Sex verschaffen. Ed muss allerdings einen Auftrag für seinen Job in der Werbeagentur genau an diesem Wochenende fertig stellen, sonst wird er gefeuert...
 
So entwickelt sich das Wochenende zu einer Szenen-Folge um riesigen Pferdepenis, ein Supermodel-Begräbnis, ein haariges Striplokal, eine Gefängniszelle mit zuvielen Steroiden. So ziemlich alle Körperflüssigkeiten drängen sich als billige Pointen ins Bild. Übelriechende Zoten scheinen bei den Jugendkomödien Hollywoods schon im Standard-Vertrag Pflichtprogramm zu sein. Slapstick darf auch ran, wenn Ed einem weiteren Opfer statt der Zigarette gleich die Haare anzündet. Während Cooper eine Frau nach der anderen aufreißt und sich nicht wirklich um seinen Bruder kümmert, wird dieser immer wieder mit der Polizei und peinlich verlaufenden "Dates" konfrontiert.
 
Doch das sind nur sich frech gebende Harmlosigkeiten, nicht wirklich anzüglich, schon gar nicht "verschärft". Die in dieser Form innovativen Amateurfilm-Einsprengsel sollen die Handlung nur aufpeppen, sollen als "Teaser" in den Film hineinziehen. Wenn man dann so angelockt im Film gelandet ist, kuckt man sich um und findet - nichts! Die große gedankliche und dramaturgische Leere, in der einige Scherzchen treiben. Das Beste an dieser banalen Zeitverschwendung ist, dass sie an Scorsese "After Hours" in New York erinnert. Kein verschärftes Wochenende, nur ein lange, geniale Nacht...

Die Chaoscamper


USA 2006 (R.V.) Regie: Barry Sonnenfeld mit Robin Williams, Jeff Daniels, Cheryl Hines 99 Min. FSK: o.A.
 
Eine zersplitterte Familie reist - im Campingmobil zusammengequetscht - durch die Landschaft und kommt bei sich selber an. Ein schöner Film mit Aufregungen, Humor, Tiefgang und Charme. Er heißt allerdings "Familia Rodante" und kommt aus Argentinien. Die lieblos geschriebene Komödie "Mein verschärftest Wochenende" ist, obwohl die gleiche Strecke von Vereinzelung über Konflikt nach Gemeinschaft zurückgelegt wird, so ziemlich das Gegenteil.
 
Nur ein paar Jahre nach der Nachtkuss-Idylle wurde aus dem großen Idol der Kinder ein frustrierter Vater. Bob Munro (Robin Williams), ein kleiner, ängstlicher Angestellter ohne Gewerkschaftspass, muss den Familieurlaub auf Hawaii wegen eines Geschäftstrips nach Colorado absagen. Selters statt Sekt und Surf. Dazu leiht er sich ein riesiges, hässlich grünes Wohnmobil und versucht seiner Familie zu verkaufen, dass so ein Urlaub toll wird.
 
Schon bei der Abfahrt fährt dieser "R.V." (so der Originaltitel für Wohnmobile in den USA) Gartenmauern, Mülltonnen und Bäume platt. Und so geht es ohne Atempause weiter mit diesen völlig unglaubwürdigen, weil einfach gesetzten und nicht vernünftig hergeleiteten albernen Situationen.
 
Bob ist der kleine Angestellte und Familienvater, der bei seinen aufrichtigen und verzweifelten Bemühungen immer wieder besonders peinlich scheitert. Die genervten Familienmitglieder, besonders Sohn und Tochter, strafen ihn dafür mit Verachtung. Da muss das chemische Klo vor vielköpfigem Publikum geleert werden und die Hommage an die Ekelsfilme quillt überall hervor. Zudem jagt Bob seinem Laptop mit wichtigen Job-Unterlagen hinterher und immer wieder treffen die Munros auf eine unerträglich nette Camper-Familie (mit Jeff Daniels als banjo-spielendem Simpel).
 
Robin Williams fährt mit dieser rollenden Rolle in einen Stau ähnlicher Filme: Darin tummeln sich schon Steve Martin ("Im Dutzend billiger"), Dennis Quaid ("Deine, meine und unsere") und Chevy Chase, der gleich mehrere Jahrzehnte mit seinen Familien-Reisefilmen überlebt hat.
 
Zusammen im billigen Leih-Camper durch das Land der Einfältigen und Landeier fahrend, entdecken die Munroes viele Dinge, die sie gemeinsam hassen. Dann noch ein paar schlechte Dialoge und schon hängt der Familiensegen wieder gerade. Wenig überzeugend setzen sich Familien-Metapher und -Bande durch. Kurze Seitenblicke auf die individualisierte Kern-Familie, die einzeln vor den eigenen Fernsehern sitzt oder mit dem iPod in eigenen Musikwelten versinken, wirken letztendlich ebenso albern wie die schwachen Scherzchen.

21.6.06

Cars


USA 2006 (Cars) Regie: John Lasseter 116 Min. OV
 
Unter Hochsicherheitsbedingungen darf die deutsche Presse in wenigen Wochen die neue digitale Animation aus dem Hause Pixar sehen: "Cars" scheint wie ein Prototyp von den großen Autobauern ultrageheim zu sein, Handys sind im Kino ebenso verboten wie Jacken oder Taschen. Der Verleiher hat große Angst, dass jemand den Film "klaut" und ins Internet stellt, wo er seit dem USA-Start vorige Woche sowieso zu sehen ist. Wie viele Zuschauer werden wohl nicht bis zum deutschen Start im September warten wollen? Man kann sich diesen witzigen Trickfilm allerdings auch ganz bequem und ohne von Nachtsichtgeräten beobachtet zu werden, in den Niederlanden ansehen.
 
Der Held von "Cars" ist Lightning McQueen, ein knallrotes Sportauto, das unbedingt an einem großen Rennen teilnehmen will. Auf dem Weg dorthin erlebt er in einem Wüstennest einige Abenteuer und lernt neue Freunde kennen. Beim Nachfolger von "Toy Story", "Findet Nemo" oder "Die Unglaublichen - The Incredibles" hat John Lasseter (Firmenchef zusammen mit Apple-Boss Steve Jobs) wieder die Regie übernommen. Der siebte Film aus dem Hause Pixar wird zeigen, ob die kalifornischen Trickser immer noch Trendsetter sind ...
 

Cars


USA 2006 (Cars) Regie: John Lasseter 116 Min. OV
 
Unter Hochsicherheitsbedingungen darf die deutsche Presse in wenigen Wochen die neue digitale Animation aus dem Hause Pixar sehen: "Cars" scheint wie ein Prototyp von den großen Autobauern ultrageheim zu sein, Handys sind im Kino ebenso verboten wie Jacken oder Taschen. Der Verleiher hat große Angst, dass jemand den Film "klaut" und ins Internet stellt, wo er seit dem USA-Start vorige Woche sowieso zu sehen ist. Wie viele Zuschauer werden wohl nicht bis zum deutschen Start im September warten wollen? Man kann sich diesen witzigen Trickfilm allerdings auch ganz bequem und ohne von Nachtsichtgeräten beobachtet zu werden, in den Niederlanden ansehen.
 
Der Held von "Cars" ist Lightning McQueen, ein knallrotes Sportauto, das unbedingt an einem großen Rennen teilnehmen will. Auf dem Weg dorthin erlebt er in einem Wüstennest einige Abenteuer und lernt neue Freunde kennen. Beim Nachfolger von "Toy Story", "Findet Nemo" oder "Die Unglaublichen - The Incredibles" hat John Lasseter (Firmenchef zusammen mit Apple-Boss Steve Jobs) wieder die Regie übernommen. Der siebte Film aus dem Hause Pixar wird zeigen, ob die kalifornischen Trickser immer noch Trendsetter sind ...
 

20.6.06

Slither


USA 2006 (Slither) Regie: James Gunn mit Nathan Fillion, Elizabeth Banks, Michael Rooker 95 Min. FSK: ab 16
 
Schleimkram
 
Weshalb fragen Bäckereifachverkäuferinnen und Metzger eigentlich immer: "Darf es noch was mehr sein"? Warum sparen sich Immobilien-Händler, Zeitungsverkäufer oder Gynäkologen diese Frage, die nach neuesten Berechnungen jedes Jahr hunderte Stunden und Millionen an Umsatz kostet? Wahrscheinlich aus Rache für diese Metzger-Frage gibt es jetzt "mehr". Mehr Blut, mehr Eingeweide und mehr Gemetzel: Schleim ist noch das Netteste in der Ekels-Schlachtplatte "Slither".
 
Grant Grant geht nächtens im Wald fremd, nachdem ihn seine Frau abgewiesen hat. Dort fängt er sich was, und zwar den Stachel eines abgestürzten Alien. Bald erwachen die tierischen Instinkte in Grant Grant, er frisst den ganzen Viehbestand in der Gegend und füttert seine gigantisch anschwellende Braut, die Alien-Nachwuchs ausbrütet. Nach einem großen Knall wimmelt es von Riesenblutegel, die versuchen in den Mund ihres neuen Brut-Organismus zu gelangen.
 
Ein grotesk mutierender Grant Grant ist Hauptdarsteller in diesem genüsslich unappetitlichen Horror-Filmchen. Doch die Würmchen und Zombies, die ätzenden Schleim spucken, sind verantwortlich für den enormen "Egel-Faktor". Ebenso wie an seinen Monstern berauscht sich dieser "Schleimkram" an der Hässlichkeit des "White Trash" vom Lande. Zwar bleibt der Teenie-Horror in Grenzen, doch erwachsen im Stile von Cronenberg & Co. ist "Slither" keineswegs - nur übertrieben.

19.6.06

Lemming


Frankreich 2005
Regie und Buch: Dominik Moll
Musik: David Whitaker
Darsteller: Charlotte Rampling, Charlotte Gainsbourg, André Dussolier, Laurent Lucas, Michel Cassagne
Länge: 129 Min.
Verleih: Alamode
http://www.alamodefilm.de
Kinostart: 13.7.2006
 
Schön, wie so ein kleiner Nager allzu glatte Lebensentwürfe zur Achterbahn werden lässt. Der Franzose Dominique Moll, der schon mit "Harry" vor einigen Jahren zeigte, dass der gute Familienvater sich letztendlich mit Gewalt gegen äußere Bedrohungen wehren muss, konfrontiert nun in ein harmloses, fast langweiliges junges Paar mit skurrilen bis mysteriösen Entwicklungen.
 
Der junge Ingenieur Alain Getty (Laurent Lucas) erwartet mit seiner Frau Benedicte (Charlotte Gainsbourg) in der kleinen Modelwohnung einer Vorstadt im Süden eigentlich nur den Chef Pollock (André Dussollier) samt Gattin Alice (Charlotte Rampling) zum Abendessen. Doch Alice gebärdet sich extrem exzentrisch, kippt dem herumhurenden Ehemann Wein ins Gesicht. Der Abend ist schnell gelaufen, doch am nächsten Tag versucht Alice Alain zu verführen, taucht darauf bei Benedicte auf und schießt sich eine Kugel in den Kopf. So weit, so seltsam. Nun jedoch wird die Musik gespenstig, Benedicte spricht und gebärdet sich wie Alice. Die vorher sehr ruhige, beherrschte Frau schreit nun impulsiv herum, flucht und geht fremd.
 
Ach ja: Alles fing mit einen Lemming an, der sich im Abfluss der Gettys verirrt hatte! Der skandinavische Nager irritiert im französischen Vorort und erweist sich als Vorbote einer aus den Fugen geratenden Beziehung.
 
Die Mischung von Gesellschaftskomödie und Horror-Ansätzen im japanischen Stile von „The Ring" ist an sich ganz reizvoll. Im Gegensatz zu "Harry" gelingt es Dominique Moll jedoch nicht, seine schon im Genremix divergente Geschichte zusammenhängend und ohne Hänger zu erzählen. Es bleibt die hervorragende Besetzung, vor allem durch das "doppelte Charlottchen", die reife Rampling und die nicht mehr ganz so junge Gainsbourg: Rampling als gequälte oder quälende Gattin mit erschreckend dunklen, bitteren Augen. Und "die Gainbourg" mal harmlos niedlich, mal dämonisch mit dem Geist der Alice, der aus den Augen blitzt. Selbst wenn "Lemming", Eröffnungsfilm der Filmfestspiele von Cannes 2005, kein Höhepunkt des französischen Kinos ist, reizt er mit vielen Qualitäten und einer wahrlich ungewöhnlichen Geschichte.
 
Günter H. Jekubzik

The Science of Sleep


Frankreich 2006
Regie und Buch: Michel Gondry
Darsteller: Gael García Bernal, Charlotte Gainsbourg, Alain Chabat
Verleih: Prokino
http://www.prokino.de/
Länge: 105 Min.
Kinostart: 28. September 2006
 
Der Schlaf der Unvernunft gebiert kuriose Geschichten ... Was wäre das Kino ohne die Träumer? Gar ohne die Träume? Freud sei Dank bahnt sich das Unterbewusste immer wieder einen Weg auf die Leinwand. Bei traumhaften Regisseuren wie Gondry und bei Traum-Männern wie Gael Garcia Bernal ein wahrer Traum! Auch wenn die Traum-Frau schwer zu kriegen ist...
 
Sympathisch verwirrt landet der schüchterne Zeichner Stéphane (Gael Garcia Bernal) auf dem Planeten Paris. Aus Mexiko lockte ihn nach dem Tod des Vaters ein von der Mutter arrangierter Job, der sich als stupide Praktikanten-Tretmühle erweist. Doch Stéphane ist behütet durch seine Inka-Mütze und flüchtet sich - nicht nur nachts - in niedliche Träumereien. Er inszeniert in seinem Unterbewussten mit Pappkarton-Kulissen "Stéphane TV", eine Art "Being Stéphane", fantasiert sich aztekische Pyramiden nach Paris oder philosophiert mit "Aristurtle", einer klugen Schildkröte. Gegen einige, durchaus verständliche Widerstände realisiert er - ganz real - statt der Porno-Aufhänger seinen makabren Katastrophen-Kalender.
 
Als die reizende Nachbarin Stéphanie (Charlotte Gainsbourg) leise Interesse zeigt, aber den schönen Schüchternen erst mal mit der Freundin verkuppeln will, verliert sich Stéphane völlig zwischen einem romantischen Paris und seinen Traumwelten. Die Träume von Stéphane und Stéphanie verschränken sich mit der Realität und miteinander. Da weiß ein berauscht Verliebter nicht, ob er den Liebesbrief wirklich halbnackt wieder unter der Tür der Verehrten herausgefischt hat. Zwischendurch erfindet er eine 1-Sekunde-Zeitmaschine! Wieso ist da vorher noch keiner drauf gekommen?
 
Von Michel Gondry darf man überbordende Fantasie erwarten, besonders wenn sein Alter Ego ein seelenverwandter kreativer Geist ist. Doch "Science of Sleep" ist anders, verspielter als Gondrys frühere Regiearbeiten "Human Nature" und "Vergiss mein nicht!". Denn diesmal war Charlie Kaufman ("Adaption") nicht als Drehbuchautor dabei, was für eine leichtere verspielte Stimmung sorgt. Und endloses Vergnügen! Die Freuden-Skala dieser traumhaften Romantischen Komödie reicht von tiefem Seelen-Schmunzeln bis zum herzlich lauten Lachen. Mal skurril wie "I love Huckabees", mal sanft wie ein Truffaut-Film. Dabei baut der Regisseur trendsettender Music-Videos Gondry (für White Stripes oder Massive Attack) ganz und sehr sympathisch auf altmodische Animationen wie dereinst in tschechoslowakischen Trickfilmen - im Gegensatz zum volldigitalen "Vergiss mein nicht". Der Film übernimmt so den Stil seiner Protagonisten. Und vereint sich kongenial mit dem verschmitzten (Gael Garcia Bernal) oder spröden (Charlotte Gainsbourg) Charme seine Darsteller. Nach den Kopffilmen mit Kaufman also diesmal ein Augenschmaus, ein Seelenspaß und ein herzlich traumhafter Film, an dem selbst die härtesten Mainstream-Schwimmer Vergnügen finden werden.
 
Günter H. Jekubzik

Die andere Seite des Mondes


Kanada 2003 (La Face Cachée De La Lune) Regie: Robert Lepage mit Robert Lepage, Anne-Marie Cadieux, Céline Bonnier 105 Min. FSK: o.A.
 
Philippe (Robert Lepage) ist ein Raumfahrt-Fan, der seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr mit den Füssen auf dem Boden steht. Seine Gedanken kreisen um die Erde, das Sonnensystem und astronautische Ideen. Ganz profan muss er sich mit einem miesen Job beim Telefon-Marketing und seinem Bruder André (Robert Lepage), einem lauten, groben TV-Meteorologen rumschlagen. Der sensible Träumer hängt seiner Kindheit nach, die von Krankheit bestimmt war, und die wichtigste Gerätschaft zur Bereitung von Nahrung in der Küche ist das Telefon. Für das SETI-Projekt nimmt Philippe mit alter Videokamera ein Protokoll des eigenen Lebens als Botschaft für Außerirdische auf.
 
So wie Philippe im Film den Außerirdischen ein Gedicht vorliest, weil "es im Fernsehen ja keine Poesie mehr gibt", zaubert das Multi-Genie Lepage als Autor, Regisseur und doppelter Hauptdarsteller mit seiner "anderen Seite des Mondes" einen seltenen Fall von Leinwand-Poesie herbei. Das Kunstwerk begeistert mit Bild-Ideen wie der Überblendung von der Rückseite des Mondes in eine Waschmaschine und zurück in die Luke einer Raumkapsel. Philippe geht vom Hörsaal durch eine Tafel direkt in seine Wohnung und die Kamera blickt ihm über Spiegel um die Ecken nach. Ein Flashback geht von den Schuhen der Mutter zu ihren Beinen in seiner Kindheit. Die Nabelschnur eines Embryos ist gleichzeitig die Verbindung zum Kosmonauten im All ...
 
Schon in seiner raffinierten und spannenden Hitchcock-Hommage "Le Confessionnal" zeigte der Theater- und Kino-Künstler Lepage, dass Film sehr vielschichtig Geschichten erzählen kann. "Die andere Seite des Mondes", die Auseinandersetzung Philippes mit dem Bruder und der Vergangenheit, wurde zuerst für die Bühne inszeniert. Man merkt dem Film die Theatervorlage in einigen Szenen an. Ansonsten ist dieser neue Seite von Lepage pures Kino, bestes Kino.

Die andere Seite des Mondes *****


Kanada 2003 (La Face Cachée De La Lune) Regie: Robert Lepage mit Robert Lepage, Anne-Marie Cadieux, Céline Bonnier 105 Min. FSK: o.A.
 
Philippe (Robert Lepage) ist ein Raumfahrt-Fan, der seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr mit den Füssen auf dem Boden steht. Seine Gedanken kreisen um die Erde, das Sonnensystem und astronautische Ideen. Ganz profan muss er sich mit einem miesen Job beim Telefon-Marketing und seinem Bruder André (Robert Lepage), einem lauten, groben TV-Meteorologen rumschlagen. Der sensible Träumer hängt seiner Kindheit nach, die von Krankheit bestimmt war, und die wichtigste Gerätschaft zur Bereitung von Nahrung in der Küche ist das Telefon. Für das SETI-Projekt nimmt Philippe mit alter Videokamera ein Protokoll des eigenen Lebens als Botschaft für Außerirdische auf.
 
So wie Philippe im Film den Außerirdischen ein Gedicht vorliest, weil "es im Fernsehen ja keine Poesie mehr gibt", zaubert das Multi-Genie Lepage als Autor, Regisseur und doppelter Hauptdarsteller mit seiner "anderen Seite des Mondes" einen seltenen Fall von Leinwand-Poesie herbei. Das Kunstwerk begeistert mit Bild-Ideen wie der Überblendung von der Rückseite des Mondes in eine Waschmaschine und zurück in die Luke einer Raumkapsel. Philippe geht vom Hörsaal durch eine Tafel direkt in seine Wohnung und die Kamera blickt ihm über Spiegel um die Ecken nach. Ein Flashback geht von den Schuhen der Mutter zu ihren Beinen in seiner Kindheit. Die Nabelschnur eines Embryos ist gleichzeitig die Verbindung zum Kosmonauten im All ...
 
Schon in seiner raffinierten und spannenden Hitchcock-Hommage "Le Confessionnal" zeigte der Theater- und Kino-Künstler Lepage, dass Film sehr vielschichtig Geschichten erzählen kann. "Die andere Seite des Mondes", die Auseinandersetzung Philippes mit dem Bruder und der Vergangenheit, wurde zuerst für die Bühne inszeniert. Man merkt dem Film die Theatervorlage in einigen Szenen an. Ansonsten ist dieser neue Seite von Lepage pures Kino, bestes Kino.

Alibi


USA 2005 (The Alibi) Regie: Matt Checkowski, Kurt Mattila mit Steve Coogan, Rebecca Romijn, James Marsden 91 Min. FSK: ab 12
 
Cool aussehen - das ist für viele junge Filme total wichtig. Doch reicht das aus? "Alibi" will eine dieser raffiniert witzigen Gangster-Filme wie "Snatch" oder "Pulp Fiction" sein. Doch hinter dem glänzenden Look gibt es einige Hohlräume. Die Drehbuch-Autoren sollten sich ein Alibi besorgen ...
 
Ray (Steve Coogan) beschafft untreuen Männern und Frauen mit seiner Agentur Alibis. Auf sehr professionelle Weise bucht er Hotels und Konferenzen, leitet Anrufe um oder inszeniert kleine Szenen, um die Seitensprünge zu decken. Das florierende Geschäft mit der Lüge entgleist jedoch: Wendell Hatch (James Marsden), der Sohn eines Stammkunden und ein dämlicher, verwöhnter Schnösel, bringt seine Freundin beim S&M-Sex um. Dabei war Wendell mit Rays Kreditkarte unterwegs. Ein paar Gangster müssen die Leiche entsorgen, andere sind hinter Rays Boss Jack her, der mysteriös verschwunden ist. Der mormonische Killer (Sam Elliott, der Cowboy aus "The Big Lebowski") will Rays Alibi-Dienste nun auch buchen, während eine seiner Gattinnen diesem nachstellt. Ganz nebenbei entspannt sich eine unauffällige Romanze zwischen dem Alibi-Besorger und seiner neuen Angestellten Lola (Rebecca Romijn, "Femme Fatale").
 
Diese "Alibi" sieht aus wie gelackt, das Filmdebüt von Matt Checkowski und Kurt Mattila wirkt jedoch vor allem nur auf das Ende hin konstruiert. Das Finale in einem völlig überladenen Hotel bringt all die unübersichtlichen Handlungsfäden zusammen und zerschlägt sie mit einer schwer nachvollziehbaren Auflösung. Mit vielen Prominenten am Rande (Selma Blair, John Leguizamo, Deborah Unger, Henry Rollins) wird der Trick-Film vor allem von Steve Coogan ("Marie Antoinette", "In 80 Tagen um die Welt") britisch gelassen und sehr cool gespielt. Doch letztendlich fehlt es an Tempo, Witz und Substanz.

Lady Henderson pr ä sentiert


Großbritannien 2005 (Mrs. Henderson Presents) Regie: Stephen Frears mit Dame Judi Dench, Bob Hoskins, Will Robert Young 103 Min. FSK: ab 6
 
Mein wunderbarer Nacktsalon
 
Lady Laura Henderson (Judi Dench) hat gerade ihren Gatten unter die Erde gebracht. Gelangweilt von Kaffeekränzchen legt sie sich ein verfallenes Theater im Londoner Westend zu. Wir sind im Jahr 1937 und die gute Mrs. Henderson ist gerade mal 69 Jahre alt. So kommt es auch zu stürmischen Auseinandersetzungen mit dem engagierten Theater-Manager Mr. Vivian Van Damm (Bob Hoskins), den der alte Drachen direkt mit: "You must be jewish!" (Sie sind wohl Jude) begrüßt. Doch das neue Konzept für das "Windmill Theatre" schlägt ein wie eine Bombe: Das "Windmill" zeigt nackte Frauen - als Kunst selbstverständlich. Viel Überzeugungsarbeit ist bis zur Premiere zu leisten. Um die scheuen Darstellerinnen zu beruhigen, müssen auch die Herren vom Theater alle Hüllen fallen lassen. Um Genehmigungen kümmert sich Mrs. Henderson persönlich, schließlich ist der zuständige Lord Tommy ihr kleiner Neffe. So kämpft die Lady gerissen und rücksichtslos wie eine Löwin für ihr Theater. Gleichzeitig ist sie Freundin für die jungen Schauspielerinnen.
 
Doch richtig hart wird der Kampf für das "Windmill", seine Menschen und seine Gäste erst als die Deutschen London bombardieren. Lady Henderson bietet den letzten Widerstand auf, damit Tommy das Theater nicht schließt. Sie verkauft die Peep-Show tatsächlich als Barmherzigkeit für die jungen Soldaten, die in den Krieg ziehen und angeblich noch nie eine nackte Frau gesehen haben. So bleibt das "Windmill" als einziges Theater der Stadt offen. Sternchen Maureen (Kelly Reilly) meint gar, nackt auf der Bühne zu stehen, sei der sicherste Platz auf der Welt.
 
Ein geradezu ungeheure Leichtigkeit, über die Kulturkonservative pikiert die Nase rümpfen, und dabei eine rührende Herzlichkeit, die sich nicht um Form oder Etikette kümmert. Was der Show von Mrs. Henderson vorgeworfen wurde, trifft auch auf "Lady Henderson präsentiert" zu, der wieder eine neue Facette in der Kunst von Stephen Frears zeigt. Der Brite, dessen "Wunderbarer Waschsalon" 1985 ins Kino einschlug, wurde am 20. Juni bereits 65 Jahre alt. In der Zwischenzeit hat er aber alles Mögliche gemeistert: Die freche Multikulti-Komödie "Sammy und Rosie tun es" (1987), das Historiendrama "Dangerous Liaisons" (1988) mit Malkovich, den Genre-Krimi "The Grifters" (1990), die Medien-Satire "Hero" (1992) mit Dustin Hoffman, die andere Dr. Jekyll-Seite "Mary Reilly" (1996) erneut mit Malkovich, den Western "The Hi-Lo Country" (1998), die Nick Hornby-Verfilmung "High Fidelity" (2000), den ungewöhnlichen Klassenkampf "Liam" (2002) und das völlig übersehene Sozialdrama "Dirty Pretty Things" (2002) mit Audrey Tautou.
 
Nun diese Hommage für die 1944 verstorbene Laura Henderson: Die scheinbare Nichtigkeit der ersten Hälfte erhält durch den Krieg ein gehöriges Maß Betroffenheit. Neben der schönen Geschichte, den spitzen Dialogen, der Dramaturgie zwischen Witz und Melancholie wird "Lady Henderson" durch Judi Denchs Performance ein Muss. Wie ein kleines Mädchen kuckt sie Van Damm hinterher, benimmt sich eingeschnappt und eifersüchtig. Schöne Streitereien werden vom Zaun gebrochen, nur weil es Spaß macht. Frech, exzentrisch, unverschämt, elitär, arrogant - also so richtig zum Gernhaben. Genau wie dieser Film.

Shaggy Dog


USA 2006 (Shaggy Dog) Regie: Brian Robbins mit Tim Allen, Robert Downey Jr., Kristin Davis 99 Min. FSK: o.A.
 
Wow! Oder besser: Wuff! So einfach klont man Hunde-Filme und Film-Hunde. Disney verwertet eine Hund-Mensch-Verwechselungskomödie wieder und vermeidet bei dem handzahmen Familien-Spaß jede Überraschung.
 
Ein amerikanischer Pharmakonzern entführt aus Tibet den uralten Hund Shaggy. Im Labor sollen seine Gene untersucht und fortgepflanzt werden, was zu skurrilen Tier-Zombies führt. Gleichzeitig verklagt der gedankenlose Anwalt Wilby Daniels (Tim Allen) für diesen extrem (einfluss-) reichen Pharmakonzern einen Tierschützer. Als Shaggy den Karrieristen zufällig beißt, verwandelt sich dieser langsam in einen Hund. Erst blafft er im Gerichtssaal seine Gegner an, dann hebt er das Bein und letztlich läuft er auf allen Vieren.
 
Das Remake von "Zotti, das Urviech" aus dem Jahre 1976 geriet immer mal wieder witzig, aber bis auf eine Tier-Meditation im Pharma-Labor zu keinem Zeitpunkt originell: "Heimwerker" Tim Allen zeigt, wie Jack Nicholson als "Wolf", die tierische Verwandlung vor allem schauspielerisch. (Steve Martin machte solche Verwandlungsnummer im Schlaf und in Serie.) Vor Gericht kommt das Tier in ihm hoch, wie bei Jim Carrys "Liar". Nach der Verwandlung nervt ein Voice Over wie in "Kuck mal, wer da bellt". Wie in "Mars Attacks" tummeln sich im Versuchslabor Kröten-Boxer, bellende Kaninchen, eine Schlange mit buschigem Hundschwanz und andere Tier-Mutationen.
 
Wilby kann dann wie "Dr. Doolittle" die Tiere verstehen und mit ihnen sprechen. Die Story ist arg am Hundfell herbei gezogen. Man fragt sich, weshalb sie bei fünf (!) Drehbuchautoren so löcherig (und lausig) sein kann. Dass der Pharmakonzern mit seinen grausamen Tierexperimenten in Person des verrückten Wissenschaftlers (ganz nett: Robert Downey Jr.) bloßgestellt wird, ist für Disney richtig gewagt. Shaggy endet allerdings letztendlich auch in der immer gleichen Familiensoße.

13.6.06

Stoned


Großbritannien 2005 (Stoned) Regie: Stephen Woolley mit Paddy Considine, Leo Gregory, Luke De Woolfson, Tuva Novotny, Ben Whishaw, David Morrissey 102 Min. FSK: ab 12
 
Man sollte es nicht glauben, wenn diese Rock-Opas sich als verzweifelte Ewig-Jugendliche auf den Bühnen lächerlich verrenken: Auch die "Stones" waren mal wild. Dass der wildeste von ihnen nicht mehr lebt, ist typisch für den Rock. Zu seiner Legende um den Tod vom Stones- Manager und -Gitarristen Brian Jones fügt "Stoned" reizvolles Zeitkolorit.
 
Als der Bauunternehmer Frank Thorogood (Paddy Considine) eine Mauer beim Anwesen von Brian Jones (Leo Gregory) versetzen soll, verschieben sich auch die Grenzen seines kleinbürgerlichen Lebens. Denn im Gegensatz zu seinen Arbeitern fühlt sich Frank angezogen vom freizügigen Leben des Musikers. Nicht allein wegen der vielen Frauen, die leicht bekleidet in dem verwunschen wirkenden Haus ein und ausgehen. Frank nippt an den Verführungen und auch Jones scheint geschmeichelt vom Interesse des einäugigen Bauarbeiters. Es sind die Jahre des Verfalls. Jones hängt immer noch Anita Pallenberg (Monet Mazur) nach, die ihn an die Nadel brachte, jetzt aber mit dem kontrollierteren Keith Richards (Ben Whishaw) zusammen ist. Der einstige kreative Kopf der Stones, bringt im Drogenverfall nichts mehr zustande und wird schließlich aus der Band geworfen.
 
Da bleibt nur noch Frank, mehr Babysitter als Freund, der mit immer längeren Haaren auch zur "Szene" gehören will. Doch letztendlich spielt der extrovertierte Star nur mit dem braven Bauarbeiter. Als Tom Keylock (David Morrissey), der aalglatte Manager, dann auch kein Geld mehr für die Umbauten zahlt, kommt es zur Nacht, in der Jones in seinem Pool ertrinkt. Dabei war er nicht allein ...
 
Regisseur Stephen Woolley recherchierte zwölf Jahre für diesen, von Neil Jordan produzierten Film, der sich auf die letzten drei Monate von Brian Jones konzentriert. Dabei gibt es keine Musik der Stones, die auch hier eher langweilig und uninspiriert wirken. "Stoned" ist unabhängig von den Stones eine Story über Liebe und Abhängigkeit, das Psychogram einer extremen Persönlichkeit. Wenn man die aufwändigen Versuche, Zeitstimmung auch im Dekor und in den (mit einer alten Kamera aufgenommenen) Farben einzufangen, beiseite lässt, irgendwie ähnlich den letzten Stunden von Kurt Cobain in Gus van Sants "Last Days".

American Dreamz - Alles nur Show

USA 2006 (American Dreamz) Regie: Chris Weitz, Paul Weitz mit Hugh Grant, Dennis Quaid, Mandy Moore 107 Min. FSK: ab 6
 
Noch zynischer als Harald Schmidt? Bitte sehr: Martin Tweed (Hugh Grant) produziert und moderiert die ungemein erfolgreiche TV-Show "American Dreamz", eine Art "America sucht den Superstar". Seine vernichtenden Kommentare treffen tiefer als die der männlichen Blondine Bohlen, denn Tweed hat Verstand. Und er weiß um die Gnadenlosigkeit seines Geschäfts, als er für die neue Staffel noch bessere Kandidaten handverlesen auswählt. Vor allem die Quoten-Blondine Sally Kendoo (Mandy Moore) fasziniert ihn, denn genau wie er verrät das Landei aus der Provinz für den Erfolg jeden. Etwa ihren einfältigen Ex-Freund, den sie erst wieder zurück nimmt, als ihn sein selbstmörderischer Einsatz im Irak zum Helden machte.
 
Um das Finale aufzupeppen, zählt der vor nichts zurück schreckende Tweed für das Finale noch auf den rappenden orthodoxen Juden Sholem und den in die 80er vernarrten, heimlichen Terroristen Omar (Sam Golzari als Versager wie Peter Sellers, der "Partyschreck"). All diese Geschichten sind reichlich absurd und recht komisch, doch die größte Nummer ist der US-Präsident (Dennis Quaid), der als Gast-Juror auftritt. Kurz nach dem Wahlsieg ist seine Quote ganz unten. Etwa weil er mal Zeitung las und danach in Bücher versank? Jetzt stellt er fest, dass es drei Arten von "Irakistanis" gibt.
 
Niemand wird hier ernst genommen: Die strengen anti-westlichen Terroristen konferieren im Whirlpool. Der Präsident ist mit seiner Alkoholismus-Vergangenheit und seiner Charakterisierung als Bibel-Freak eindeutig eine Bush-Parodie: Er wurde von seiner Mutter zu Präsidenten gemacht, "um meinem Dad zu zeigen, dass jeder Idiot das kann!" Selbst der Folterer wird angesichts der Talentlosen-Show zum Musikkritiker. Und überhaupt, glaubt man "American Dreamz", wird schlechtes Fernsehen bald die Welt befrieden. Alle Menschen werden RTL-Zuschauer...
 
"American Dreamz" wird von allen Hauptdarstellern sensationell gut gespielt, und bleibt trotzdem seltsam harmlos. Hugh Grant gefällt - wie schon bei "About a boy" - als faltiger, müder Zyniker viel besser als in seinen typischen charmanten Rollen. (Es macht übrigens besonders Spaß, noch mal an seinen Part als britischer Premier in "Love Actually" zu denken. Der US-Cowboy war damals Billy Bob Thornton.) Dennis Quaid ist so gut wie lange nicht mehr. Mandy Moore gibt Sally als richtig glaubwürdig natürliches Biest. William Dafoe zeigt als Präsidentenberater mit Glatze ungeahnte Seiten.
 
Doch der langweilige Verlauf solcher Shows ist auch im Kino ein dramaturgisches Problem. Dazu verkommt die Weltpolitik völlig hemmungslos zum Soap-Material und gleichzeitig meint man Medienkritik zu erspähen, wenn die ultimative Nähe zur Kamera schließlich den Tod bringt. Wie viel treffender war da noch Sidney Lumets "Network" vor dreißig Jahren? Oder auch nur der ähnlich gelagerte und sowohl als Komödie wie auch als Satire gelungenere "Wag the Dog" mit Robert DeNiro und Dustin Hoffman. "American Dreamz" bietet leichte bis seichte Unterhaltung - als Medienkritik lahm, als Unterhaltungsfilm träge.

Unbekannter Anrufer


USA 2006 (When a Stranger Calls) Regie: Simon West mit Camille Belle, Tommy Flanagan, Tessa Thomson 87 Min. FSK: ab 16
 
Telefonterror ist eine schlimme Sache. Wenn er dann nicht nur von Geschäftspartnern. sondern von richtigen Psychopathen beim einsamen Babysitter ausgeübt wird, kratzt ein Thriller drohend an der alarmgesichterten Eingangstür. Wenn ein "Unbekannter Anrufer" mehr als zweimal klingelt, bleibt diesmal wenigstens der Laster mit dem Kunstblut außen vor ...
 
Die 16-jährige Jill Johnson (Camilla Belle) gibt den Babysitter in einem großen, unbekannten Haus. Dass es furchtbar weit weg am einsamen Seeufer liegt, ist schon recht weit hergeholt. Auch ein Kindermädchen, das sich bis zum Finale nicht um die feste durchschlafenden Kinder kümmert, riecht arg nach beschränkter Drehbuch-Realität. Doch Regisseur Simon West ("Con Air", "Lara Croft - Tomb Raider") macht aus dem eingeschränkten Kammerspiel des Schreckens das Beste.
 
Nach einer raschen Einführung der Auftraggeber ist Jill allein zuhaus - fast. Denn die beiden Kinder sind zwar lange nicht zu sehen, dafür schleichen aber Hausangestellte und Freundinnen herum. Die ersten Schreckmomente gehen jedoch auf Kosten der Elektronik im Luxushaus. Und auf den Telefonterror. Ununterbrochen klingelt es, mal die Freundin, dann der Ex, dann die besorgten Eltern ... dass zwischendurch jemand keucht und mit tiefer Stimme droht, ist da kaum noch schlimm. Allerdings stellt sich heraus, dass dieser jemand erstens kein Scherzkeks und zweitens schon im Haus ist. Jetzt wird es Zeit für das Schreien, Weglaufen, Stolpern und Hände, die nach den Knöcheln greifen ...
 
Dieser "Unbekannte Anrufer" ist fast sympathisch, weil er nur mit Spannung und leichtem Schrecken auskommt. Hier wird - ganz gegen den Trend - nicht direkt mit Blut rumgespritzt, dieses Thriller-Remake von "Das Grauen kommt um zehn" aus dem Jahre 1979 ersetzt nicht die Pathologie-Vorlesung der Mediziner. Simon West arbeitet bei diesem, für ihn kleinen Film ästhetisch ganz ansprechend. Mit Hintergründen, die mitspielen, Plastiken, die erschrecken können. Keine Sensation, aber solide und angenehm zurückhaltend.

The Sentinel


USA 2006 (The Sentinel) Regie: Clark Johnson mit Michael Douglas, Kiefer Sutherland, Kim Basinger, Martin Donovan, Eva Longoria 108 Min.
 
Es ist tatsächlich ein langer Weg von den "Straßen von San Francisco" bis zu "modernen" TV-Thrillern wie "24". Der Kinofilm "The Sentinel" bringt die Protagonisten beider Serien-Generationen, Michael Douglas und Kiefer Sutherland, zusammen. Man sieht, wie das Fernsehen das Erzähltempo des Kinos beeinflusst, und wird nebenbei ganz gut unterhalten.
 
Pete Garrison (Michael Douglas) ist eine Legende beim Secret Service. Er bekam eine Kugel ab, als er Präsident Reagan beschützte. Garrison passt immer noch auf den aktuellen US-Häuptling auf, seine Vorgesetzten sind mittlerweile alle jünger. Der alte Hase bekommt von einem seiner Informanten eine Warnung: Es gäbe einen Verräter im Secret Service und einen Plan, den Präsidenten ("Sledge Hammer" David Rasche) umzubringen. Sofort herrscht Panik bei den heimlichen Bewachern, denn der Secret Service gilt immerhin seit Jahrzehnten als "unfallfrei". Die Schutztruppe wird so konfus, dass sogar ein Münzenwurf als Verschleierungsmaßnahme herhält: Fliegt der Präsident mit dem Hubschrauber oder fährt er mit dem Auto? Kopf oder Zahl? Beim Test am Lügendetektor fällt Garrison durch, denn der alte Schwerenöter hat eine Affäre mit der First Lady (Kim Basinger). So wird er plötzlich von den eigenen Leuten verfolgt, wobei sich sein alter Freund David Breckinridge (Kiefer Sutherland) besonders verdächtig macht. Denn er vermutet, Pete hätte was mit seiner Ex-Frau gehabt ....
 
Pete Garrison erweist sich als gehetzter Einmann-Suchhund effektiver als der ganze Verein, der ihn mit Hightech und Totalüberwachung jagt. Da wird die Glaubwürdigkeit der Handlung von "The Sentinel" arg strapaziert - wie in vielen anderen Situationen auch. Doch heutzutage erscheint wichtiger, dass der Thriller seine Handlung zügig durchzieht. Atemlos wäre übertrieben, aber was im Fernsehen bei "24" mit Kiefer Sutherland funktioniert, müsste doch auch auf der großen Leinwand klappen?
 
Daran krankt "The Sentinel": Die Charaktere bleiben oberflächlich, die ruhigen Szenen zum Sinnieren werden seltener. In den "Straßen von San Francisco" (1972-77) hatte Michael Douglas neben Karl Malden noch kräftig Charakter ausbilden konnte. Aus der hochkarätigen Besetzung mit Michael Douglas, Kiefer Sutherland, Kim Basinger und Martin Donovan hätte man einen anderen Film machen können.
 
Basinger ist eine strahlende, kluge Film-First Lady, nicht eine der realen angestrengten Präsidenten-Gattinnen. (Kollege Körte basierte seine Kritik vor allem auf seiner Begeisterung für Basinger.) Trotzdem bleibt die Liebesgeschichte zwischen ihr und Garrison ziemlich unglaubwürdig - was vor allem an der viel beschworenen Chemie liegt. Sie ist nicht da. Denn hier hatte Clark Johnson die Regie. Clark wer? Der Schauspieler und Regisseur, der vor allem bei Fernsehkrimis wie "The Shield" oder "Homicide" mitmachte und bei "The West Wing" auch mal ins Weiße Haus reinschaute.
 
So ist wohl auch ein subtiler Bezug, der die Latte für "The Sentinel" hochlegt, Zufall: Die Anfangsbilder zeigen ein Attentat auf Präsident Ronald Reagan, dessen Secret-Service-Codename "Rawhide" lautete. Eine Verulkung des ewigen Cowboys Reagan, denn "Rawhide" war eine Cowboy-Serie mit Clint Eastwood. Der wiederum verzichtete auf die Politik-Karriere und spielte den alternden Präsidenten-Bewacher bei "In the Line of Fire", ein exzellenter Film von Wolfgang Petersen, der heute schon wirkt wie aus einem vergangenen Jahrhundert.

7.6.06

The Three Burials of Melquiades Estrada


USA 2005 (The Three Burials of Melquiades Estrada) Regie: Tommy Lee Jones mit Tommy Lee Jones, Barry Pepper, Julio Cedillo Dwight Yoakam 121 Min. OmU
 
Eine sensationelle Überraschung und wieder eine Erneuerung des Western ist das Kinoregie-Debüt des bekannten Schauspielers Tommy Lee Jones ("Men in Black"). Der formal altmodische Western "The Three Burials of Melquiades Estrada" (Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada) zeigt Jones selbst als einen texanischen, hispanophilen Cowboy Pete Perkins, der die Leiche seines Freundes Mel in die mexikanische Heimat transportieren will. Bei dem langen Sühne-Ritt durch eindrucksvolle Landschaften des Rio Grande hat er ausgerechnet den Mörder Mels, einen brutalen Grenzschützer, gewaltsam ins Schlepptau genommen. Im Jahre 2005 erhielt Tommy Lee Jones in Cannes den Preis für den Besten Darsteller und der Film den Drehbuchpreis. Jones dankte seinem Regisseur Jones - der "beste mit dem ich jemals zusammen gearbeitet habe"!

Das Omen


USA 2006 (The Omen) Regie: John H. Moore mit Liev Schreiber, Julia Stiles, Mia Farrow, 110 Min. FSK: ab 16
 
Zu Zeiten, in denen jeder Waffenhändler, jeder Zuhälter, jeder korrupter Politiker mehr Unheil anrichten kann, als diese katholische Schreckensinstanz namens Teufel in ihrer ganzen, fast 2000-jährigen Karriere, hat es das gehörnte Kerlchen schwer, ernst genommen zu werden. Auch aus Filmen braucht man ihn kaum mehr zu exorzieren, einfach nicht mehr "in", der Typ. Weshalb jetzt "Omen", ein teuflischer Erfolg der Achtziger, widerbelebt wird, bleibt ein Rätsel. Anscheinend "remaked" Hollywood alles, wo jemals auch nur ein Gänsehäutchen schauderte ...
 
Das Prinzip von "Omen" ist wohl jedem klar: Damien, der Sohn des Teufels landet als Kuckucksei bei irgendeiner unbedarften Familie und mordet möglichst ausgefeilt sadistisch alle, die sich ihm in den Weg stellen. Der Balg versteckt sich, ängstigt die Mutter, schreckt Mitschüler, will nicht in die Kirche, verhält sich völlig eigenartig, macht teuflische Dinge - ein ganz normales Kind also erst einmal. Bis sich ein Kindermädchen spektakulär über drei Etagen erhängt. Gleichzeitig versuchen eifrige Kirchenmännlein (Pete Postlethwaite), den Adoptivvater Robert Thorn (Liev Schreiber) vor seinem Satansbraten zu warnen. Erst als auch Frau Thorn (Julia Stiles) am Schrecken über schockartig eingeblendete Horrorbilder stirbt, greift er aber zum Exorzistendolch...
 
Mit der ganz groben Hammer-Methode, mit ganz heftigen Schockmomenten, muss dieser äußerst unnötige Film arbeiten, um sein Publikum wach zu halten. Die Inszenierung leuchtet zwar Gebäude ganz gut aus und setzt die Farbe Rot gezielt ein, doch zwischen diesen Schauwerten klaffen statt Figuren und Story nur Leerstellen. (Die roten Punkte auf der Leinwand sind übrigens nicht immer Blut, meist sind es "Wasserzeichen" zur Kodierung der Filmkopie!)
 
Der ganze interpretatorische Humbug um düstere Deutungen ist noch schlimmer als im "DaVinci Code". Liev Schreiber spielt den Vater roboterhaft wie im "Manchurian Candidate" - nur stand damals seine Figur unter Hypnose. Julia Stiles ist als Püppchen mit Problem-Kind völlig fehlbesetzt. Allein Mia Farrow, die ehemalige Mutter des Satans ("Rosemarys Baby"), zu dessen Kindermädchen zu machen, ist originell. Das teuflische Kind Seamus Davey-Fitzpatrick bleibt im wahrsten Sinne nichts sagend.
 
Dazu ist das Drehbuch schlampig: Mal hasst Damian die Kirche, wie der Teufel ... sie wissen schon. Dann kann Belzebub plötzlich eine Kirchepforte von innen verschließen! Dem Film ist ein konkurrenzloser Erfolg sicher: Der beste Start aller Zeiten an einem 6.6.2006. Ansonsten weißt die Zahl 666 nur auf eines hin. Dieses "Omen" ist schlecht - und nicht im Sinne von "böse"!

6.6.06

Das größte Spiel seines Lebens


USA 2005 (The Greatest Game Ever Played) Regie: Bill Paxton mit Shia LaBeouf, Stephen Dillane, Elias Koteas 121 Min. FSK: o.A.
 
Einiges spricht gegen diesen Film: Zuerst die elitäre Bewegungstherapie namens Golf als Thema und "Sport" - mit garantiertem Maximalpuls von 110. Dann fehlen die bekannten Namen, vor der Kamera. Bill Paxton ("Twister") ist mit Abstand der bekannteste Schauspieler, er führt Regie. Denn zuletzt hat Golf Spaß gemacht, als Kevin Costner 1996 in "Tin Cup" wie ein Wahnsinniger versuchte, den unmöglichen Schlag doch noch hinzukriegen und dabei den sicheren Sieg verspielte. (Und nicht in Adam Sandlers Blödel-Nummer "Happy Gilmore" aus dem gleichen Jahr...) Doch gegen alle Erwartungen kommt in Paxton zweiter Regie viel Gutes zusammen und ergibt einen durchaus gelungenen Film "nach einer wahren Geschichte".
 
Dass Golf kein Sport für Könner, sondern für Besitzer ist, thematisiert "Das größte Spiel seines Lebens" von der ersten düsteren Szene an. Und der mehrschichtige Film führt zwei Figuren, die nicht zur golfenden Elite gehören und dies ihr Leben lang spüren mussten, ins Finale der US-Open des Jahres 1913.
 
Das amerikanische Arbeiterkind Francis Ouimet (Shia LaBeouf) darf als Caddy auf den Golfplatz - Selberspielen strengstens verboten! Doch seine Leidenschaft lässt sich nicht bremsen, findet zwei Förderer und schließlich auch die Einladung für ein Turnier. Wegen einer Unachtsamkeit scheitert der Junge und gibt das Golfen auf. Bis er das amerikanische Feld bei den US-Open als Amateur unter lauter Profis anfüllen soll. Die Randnotiz des wichtigsten Golfwettkampfs entwickelt sich aber als letzte nationalistische Hoffnung der Amis gegen die dominanten Engländer: Francis ist nach vier Runden als einziger punktgleich mit zwei britischen Favoriten, darunter auch sein großes Idol, der mehrfache britische Champion Harry Vardon (Stephen Dillane).
 
Für das dreitägige Turnier nehmen sich Paxton und Autor Mark Frost ("Akte X") tatsächlich eine ganze Stunde Zeit - und gestalten diese sehr spannend. Auffällig aber keineswegs störend dabei die inszenatorischen Gimmicks, etwa wenn die Kamera dem Golfball hinterher fliegt, wie einst dem Pfeil von "Robin Hood" Costner. Paxton beherrscht sein Regiefach außerordentlich gut, dass darf man nach dem bereits überraschenden Grusel-Debüt "Dämonisch" anerkennen. Jetzt hat jeder der beiden Hauptschläger Francis und Harry seine Dämonen als Begleiter immer dabei. Am Eindrucksvollsten und Stimmigsten sind da die Effekte, wenn Vardon alles, aber auch wirklich alles ausblendet: Von den lauten Zuschauern bis zum letzten Strauch. Nur die dunklen Gestalten seiner Kindheit mit den bedrohlich hohen Zylindern bleiben. Die Männer, die ihm einst erzählten, Golf sei für Gentlemen und nicht für "seinesgleichen". Das von Bobbele Becker und Co zur Banalität zerredete "Mentale" gewinnt derart eine faszinierende Visualisierung.
 
Und wie befreiend - in Zeiten von WMs - Vardons noch britisch reservierter Wutausbruch gegenüber einem feisten Offiziellen des Golfbundes: Er spiele nicht für einen Verband, nicht für ein (Vater-) Land, er spiele Golf und dieses Turnier nur für das Gefühl, der Beste zu sein!

Das Schloss im Himmel


Japan 1986 (Tenkû no shiro Rapyuta) Regie: Hayao Miyazaki 125 Min. FSK: ab 6
 
Ein Film zum Abheben! Auch im ganz engen Wortsinne, denn die überbordende Fantasie des japanischen Animations-Meisters Hayao Miyazaki kann wie schillernde Seifenblasen nur aufsteigen und sich zum faszinierenden Wolkenkuckucksheim kristallisieren. Wie dieses auf Japanisch heißen mag, weiß ich nicht. Der sensationelle Klassiker "Tenkû no shiro Rapyuta" kommt jedenfalls erstmals als "Das Schloss im Himmel" in die Kinos.
 
Nach einem Piraten-Überfall auf ein Luftschiff stürzt die junge Sheeta in die Tiefe - bis der Kristall an ihrem Hals zu scheinen beginnt und sie sanft zu Boden gleiten lässt. In die Arme von Pazu, einem quicklebendigen Jungen. Zusammen fliehen sie vor den Piraten und der Armee unter der Führung des mysteriösen Musca. Mit fantastischen Fahr- und Flugobjekten gelangen alle schließlich zum sagenhaften "Schloss im Himmel" Laputa, wo bemooste Roboter eine unglaubliche rührende Verbindung von Natur und Technik pflegen. Doch sie können auch unglaubliche Zerstörungskräfte durch die Luft schleudern. So soll Laputa für Sodom und Gomorra sowie andere historische Katastrophen verantwortlich sein.
 
Viele Kollegen meinen ja, dieser alte Miyazaki sei viel besser als die neueren, "Prinzessin Mononoke" (Berlinale Gewinner), "Chihiros Reise ins Zauberland" (Oscarsieger) und "Das wandelnde Schloss". Vielleicht wollen sie so auch nur besonders betonen, dass sie schon damals sahen, wo es lang geht mit der Fantasie, die ja noch unreformiert Phantasie hieß. Allerdings ist die Geschichte einfacher und das Spektrum der Figuren beschränkter. (Eine sehr platte amerikanische Synchro raubt sicher einiges vom Zauber des Films.) Hier gibt es noch nicht die "Pokemons auf LSD", die später die Leinwand überschwemmen. Aber schon die weibliche Heldin, die kraftvolle Utopie einer reinen Natur, die Anachronismen in Kostüm und Kulisse. Dazu fügte man mal ruhige Pianomusik, mal einen großen Orchester-Score, oft hart am Rande des Kitsches.
 
Die Fertigstellung diese wunderbaren "Schlosses" liegt nun schon zwanzig Jahre zurück und immer noch ist es weitaus fantasiereicher und handwerklich gekonnter als die meisten aktuellen Zeichentrickfilme. Miyazaki zeigt ganz nebenbei, dass die ganze gehypte digitale Technik ohne eine Geschichte und ohne Seele nichts ist. Allein die ganzen Flugmotive sind erhebend. Wenn sein Piratenschiff ins Wolkenmeer eintaucht, ein Roboter den Flugdrachen sanft von einem Nest aufhebt, dann sind die Bilder voller naiver Fantasie und wunderbarer Poesie.