11.2.06

Berlinale: Elementarteilchen

 

Aus häßlichem Entchen wird romantischer Schwan

 

Roehler spült Houellebecqs „Elementarteilchen“ weich

 

Von Günter H. Jekubzik

 

Es war einmal ein unerträglicher Roman, voller Ekel, Weltverdruß und Selbsthaß. Da kam ein bekannter Regisseur daher, dessen Filme bislang durchaus Ähnlichkeiten zu Houellebecqs Ergüßen hatten, der diesem Gollum der Bestseller-Liste irgendwie seelenverwandt schien und deshalb wollte niemand die Frucht beider jammervoller Gedankenwelten sehen. Außer der Wettbewerbsauswahl der Berlinale – und vielleicht den seltsamen Menschen, die immer noch Houellebecq-Romane kaufen, es sollen nicht wenige sein. Nun geschah aber das Wunder, dass aus dem ganzen rausgerotzten Lebensüberdruß ein ganz netter, sogar witziger und vor allem richtig romantischer Film wurde. Erleichterung machte sich breit auf der Berlinale ...

 

Dem in einigen Kreisen durchaus überschätzten Regisseur Oskar Roehler war Humor bislang nicht ganz unbekannt: Von „DIE UNBERÜHRBARE“ bis „AGNES UND SEINE BRÜDER“ wurden seine Filme weniger larmoyant und viel erträglicher. Nun läßt er sogar Bruno (Moritz Bleibtreu) und Michael (Christian Ulmen) lachen. Die beiden Halbbrüder sind die Anti-Helden von Houellebeccq. Bruno quält sich mit sexuellen Frustrationen durchs Leben, kompensiert das mit heftigen Obszönitäten, Rassismus und an allem haben die 68er Schuld. Der geniale Biologe Michael hat seit früher Jugend auf Gefühle verzichtet und forscht an künstlicher Repoduktion der Menschheit ohne solche lästigen Randerscheinungen wie Sex oder Gefühle.

 

Nun hat Christian Ulmen schon viel zu viel Gefühl im Blick, sieht viel zu gut aus. Und obwohl der Stoff für ihn sehr biographisch war, er wuchs wie die beiden Jungs bei seiner Oma auf, zeigt Roehler das Beste, was man aus Houellebecq machen kann: Ein Liebesfilm mit frustriertem Clown (Bleibtreu) am Rand. Der Deutsche zeigt den Lebensverdruß des Franzosen viel weniger radikal in Wort und Gedanken. Die Verlierer, die sich aus persönlichem Unvermögen beim Umgang mit Frauen in sex- und gefühlslosen Theorien für gesamte Menschheit suhlen, bekommen ihre romantische Chance. (Ein Hohn übrigens, dass der sich so radikal gebende Houellebecq selbst noch an anderen alten Zöpfen wie Religiösität in Form von Anti-Islamismus hängt.)

 

Moritz Bleibtreu kann die desillusionierte Verzweiflung erschreckend gut spielen. Die ansonsten meist langweilige Martina Gedeck zeigt als tragisch sex-süchtige Christiane mit schwarzen Haaren eine ihrer besten Rollen. Überhaupt gibt es öfters ein lustiges Wiedersehen mit quer besetzten deutschen Stars. Als Michels Liebe Annabell eine leicht verhärmte Franka Potente, die noch einen Auftritt als Regisseurin bei dieser Berlinale haben wird. Uwe Ochsenknecht als versoffener Ex-Chirurg und Papa Brunos. Zum Nachdenken bleibt allerdings vor allem eine als Satire gemeinte Bemerkung am Rande eines libertinären Zeltlagers: Die Freiheit des anderen dehnt die meine bis ins Unendliche aus.

 

Und so wird aus dem Zusammentreffen zweier Giganten des Trübsalblasens erstaunlicherweise der am wenigsten radikale Roehler. Man ist auch erleichtert, weil der befürchtete Larmoyant-Tiefpunkt so einfach und leicht humorig ausfiel.