26.12.05

Match Point


GB 2005 (Match Point) Regie: Woody Allen mit Scarlett Johansson, Emily Mortimer, Jonathan Rhys-Meyers 123 Min. FSK ab 12
 
Der Zufall möglicherweise hat diesmal die Hauptrolle: Kopf oder Zahl? Schrödingers Katze eröffnete die Möglichkeiten zahlloser paralleler Universen und den Fluch des besseren Lebens immer auf der anderen Seite. Der Pole Kieslowski ließ den Lauf einer Münze über das Schicksal seiner Figuren entscheiden. Und nun macht auch Woody Allen sein Spiel mit der Münze. Allerdings sind es Pfund statt Dollar, denn der Ur-Einwohner von Manhattan drehte nun mit britischen Produzenten.
 
Wohin kippt die Münze? Geht der Ball übers Netz oder nicht? Das Schicksal in Form einer gelben Filzkugel wird das Leben des Ex-Profis Chris (Jonathan Rhys-Meyers) bestimmten. Im noblen Tennisclub lernt er Tom Hewett (Matthew Goode) kennen und fädelt es geschickt ein, in dessen reicher und nobler Familie zu landen. Denn Toms naive Schwester Chloe (Emily Mortimer) verliebt sich in ihn und wird ihn heiraten. So weit, so skrupellos glatt. Als Chris sich allerdings lüstern auf Toms Verlobte Nola (Scarlett Johansson) stürzt, eine talent- und arbeitslose amerikanische Schauspielerin, wird es dramatisch ...
 
Es ist ein gemeines Spiel, das die irischen und amerikanischen Aufsteiger in den besseren Kreisen spielen. Doch die Motive und der Grad an Schlechtigkeit unterscheiden sich. Woody Allen seziert dies trefflich und humorvoll, schwarz und bitter, "Schuld und Sühne" auf und um den Center Court. Viele meinten schon bei der Premiere in Cannes, "Match Point" sei der beste Woody Allen seit langem. Aber tatsächlich ist er lang nicht so spritzig und gemein wie die guten Allen.

Domino


USA 2005 (Domino) Regie: Tony Scott mit Keira Knightley, Mickey Rourke, Edgar Ramirez 128 Min. FSK ab 16
 
Nun hat der mittlerweile über sechzigjährige Tony Scott mehr als 20 Spielfilme gedreht, darunter Hits wie "Top Gun" oder "True Romance", und mit seinem Bruder Ridley ("Alien") auch erfolgreich produziert. Trotzdem hängt man ihm immer noch den Werbefilmer an. Auch bei dieser unglaublichen "wahren" Geschichte einer Kopfgeldjägerin dominiert der überbordende Stil die gar nicht so schlechte Story.
 
Keira Knightley, das ist das nette, höchstens spitzzüngige Mädchen aus "Stolz und Vorurteil", die geschickte Edeldame aus den "Piraten der Karibik", der Teenager aus "Kick it like Beckham". Und jetzt Killerin? Es gehört zum Reiz der Figur Domino (Keira Knightley), dass die gut aussehende, junge, blonde Frau einem ohne echten Grund mal schnell die Nase bricht. Aggressiv, jähzornig, brutal, unangepasst - genügend Qualitäten, um öfters von der Schule zu fliegen und auch die Model-Karriere flott zu schmeißen. Diese "kleine, süße Ding" entscheidet sich für den Werdegang einer Kopfgeldjägerin, "um etwas Spaß zu haben". Schon als Kind spielte sie mit Waffen rum, doch sie hat noch andere Qualitäten: Ihren ersten Job erledigt sie mit Hilfe eines Lapdance, eines kleinen Strips. Das war eine Art Aufnahmeprüfung im Team von Ed Moseby (Mickey Rourke), wie seine rechte Hand Choco (Edgar Ramirez) ziemlich durchgeknallt, aber nicht halb so gefährlich wie Domino. Die wird direkt "Kopfgeldjägerin des Jahres", eine Auszeichnung, die unter lauter schrägen Gestalten wohl durchaus ernst gemeint ist.
 
Man könnte sich á la Tarantino eigentlich mit den bescheuerten, brutalen, aber cool gefilmten Gewalttaten dieses Teams begnügen. Aber es gibt noch eine Handlung, und die durchschaut keiner der Beteiligten - dazu zählen Figuren, Regie und Zuschauer - so richtig: Die Frau des Auftraggebers von Domino und Ed will ein kleines Nebengeschäft aufziehen, man klaut Casinogelder, schnappt die vermeintlichen, als "First Ladies" verkleideten Diebe mit den Millionen und kassiert einen Finderlohn. Leider gehört das Geld der Mafia und zudem ist unter den falschen Dieben noch ein Mafia-Söhnchen hingerichtet worden.
 
Mindere Filmemacher haben sich schon erfolgreich aus einer komplexen Story herausgedreht. Doch Tony Scott macht es mit seinem extremen Styling noch etwas schwieriger. Farbverzerrungen, rasante Schnitte, unruhige Kameras. "Domino" sieht meist aus wie "Natural Born Killers", nimmt sich sogar selbst mit der Kopfgeldjäger-Soap "Bounty Squad" medienkritisch auf die Schippe. (Hallo Arte: Wär das nicht was für euch?)
 
Dieser Stil nervt bald nur noch. Schade, denn die Story - nach der Geschichte der wahren Domino Harvey - ist richtig gut, spannend. So gehen auch Elemente eines Erzählens mit Bildern unter wie der Goldfisch von Domino als Metapher für Einsamkeit. Das Spiel mit einer Münze - Kopf oder Zahl? - bleibt oberflächlich wie die bemerkenswerte Ähnlichkeit Chocos zu dem Jesus-Porträt, das Dominos Wende zum Bösen beobachtete. Die psychologische Ausstattung der Figuren ist fragmentarisch, die Liste der Auftritte dafür eindrucksvoll: Christopher Walken macht den TV-Produzenten, ein harmloses Kerlchen in dieser rauen Charakter-Sammlung. Mickey Rourke, mit einer Narbe längs übers Gesicht, hat noch mal eine richtige Rolle. Tom Waits ist als (Seelen-) Retter zu hören und endlich auch noch mal zu sehen. Allerdings hätte Scott eines Retters im Schnittraum bedurft, um all das Gute dieses Films nicht hoffnungslos wild zu zerschnibbeln.

Im Dutzend billiger 2


USA 2005 (Cheaper by the Dozen 2) Regie: Adam Shankman mit Steve Martin, Bonnie Hunt, Eugene Levy, Piper Perabo 93 Min. FSK o.A.
 
Ist der Titel eine Drohung? Wollen die uns tatsächlich den gleichen Film mit kaum erkennbaren Varianten zwölffach vorsetzen, weil das für die Produzenten billiger ist? Mal sehen - jetzt ist die völlig unoriginelle Komödie mit einem nervigen Steve Martin als zweiter Aufguss zu erleiden.
 
Kaum jemand wird sich erinnern, "Im Dutzend billiger" ist Dutzendware, ein Filmchen, das man ganz schnell vergisst. Da war die Karnickel-Familie der Bakers, der das Dauerchaos von zwölf Kindern nicht reichte. Papa Tom Baker (Steve Martin) machte auch noch auf berufstätigen Alleinerzieher, weil Mama (Bonnie Hunt) mit ihrem Bestseller auf Leserreise ging. So trainierte Tom schon mal sein Football-Team im Wohnzimmer, um gleichzeitig seine wilde Horde zu bewachen.
 
Jetzt verlagert Teil 2 den gleichen "Spaß" in den Wochenend-Urlaub draußen am See. Papa Tom will mit Camping und Hausen in einer erinnerungs-beladenen Bruchbude krampfhaft das bisherige Leben der Riesenfamilie aufrechterhalten. Denn zwei Töchter ziehen in andere Städte, da gerät der Familienvorstand in Panik. Allerdings gestaltet er den Familienausflug nach seinem Gusto und verdirbt jeden trotzdem aufkeimenden Spaß durch einen dummen Hahnenkampf mit dem Nachbarn, einem ekelhaft protzenden Angeber (Eugene Levy), der viel Geld, aber "nur" acht Musterkinder hat.
 
Viel Slapstick und sonstige Albernheiten geben Steve Martin Gelegenheit, schon mal für den "Rosaroten Panther" zu üben. "Im Dutzend 2" ist einer dieser Filme, bei denen jede wahllos ausgewählten fünf Minuten auf die Nerven gehen - Steve Martin ist für so was die beste Besetzung. Zur Begleitung dieser Welt ohne Drogen, ohne Irak-Krieg, ohne Coca-Cola zerfließt das
Orchester in Süßlichkeit. Mal sehen, ob die Drehbuchautoren für den dritten Teil mal ins richtige Leben raus dürfen.

19.12.05

Oliver Twist


Tschechien 2005 (Oliver Twist) Regie: Roman Polanski mit Barney Clark, Ben Kingsley, Jamie Foreman 130 Min. FSK ab 12 Jahre
 
Dickens ohne "Twist"
 
"Ganz gut" kann ein Abstieg bedeuten, wenn es vorher "grandios" hieß. Nach seinem überragenden und persönlichen Meisterwerk "Der Pianist", der Herzen und Preise eroberte, realisierte Roman Polanski nun eine anständige, ansehnliche Dickens-Verfilmung: "Oliver Twist". Nicht mehr aber auch nicht weniger.
 
Er stolpert in eine Farce, eine grausame: Der Waise Oliver Twist (Barney Clark) landet in einem Arbeitshaus. Das verschüchterte Kindergesicht sieht hinauf zu Fratzen im Anzug, die ihn geringschätzend begutachten. Danach geht es zum Arbeitsdienst, der vor zwei Jahrhunderten von den Gemeinden betrieben wurde, um hilflose Kinder so richtig ins Elend zu stürzen. Die kleinen Sklaven können vor Hunger selbst nicht schlafen, während sich die als Karikaturen gefilmten Ausbeuter den Wanst füllen.
 
Olivers offizielle Ausbeutung für britischen Kapitalismus und Krieg endet mit der unverschämten Bitte: "Please Sir, I want some more!" Könnte ich etwas mehr haben? Das schreit nach der Todesstrafe, doch lohnender ist der Verkauf. Für ein paar Pfund wird der Waise an einen Sargbauer gegeben, als er dort geprügelt wird, macht er sich in einem tagelangen Marsch auf nach London, um dort direkt in die Fänge einer Diebesbande zu geraten. Unter den Fittichen des seltsam liebvollen und sehr skurrilen Schurken Fagin (Ben Kingsley) kann sich Oliver erstmals zu Hause fühlen, allerdings in einem moralisch äußerst zweifelhaften Umfeld.
 
Doch das Schicksal hat auch einige positive Überraschungen für den bescheidenen, äußerst freundlichen Jungen parat. Beim ersten Diebeszug gerät der Jungen dann gleich in die Fänge einer grausam albernen Justiz, wird aber durch den aufopfernd humanen Mr. Brownlow (Edward Hardwicke) gerettet, der seinen wohlbetuchten Glauben in das Gute im Menschen an Oliver beweisen will. Doch die Bande um Fagin entführt den Jungen und es wird noch einige tragische Ereignisse geben, bis er einem behüteten und reich ausgestatteten Leben entgegenblicken darf.
 
Polanski inszenierte den bekannten Roman von Charles Dickens aus dem Jahre 1838 als richtig schön altmodische Geschichte, mit Verrätern, die einfach verraten, Gaunern, die einfach nur betrüben. Gradlinig, ohne "Twist", ohne Überraschung oder auffällige Interpretation. Der gleiche sorgfältige Realismus, der beim "Pianisten" die Grundlage für einen unerhörten, erschütternden Leidensweg durch Holocaust und Krieg bildete, bebildert hier einen Literaturklassiker. Darin ist alles überzeichnet, karikiert, nur das hilflose Wesen im Zentrum erleidet alles mit unerschütterlich gutem Wesen.
 
Man verbreitet, Polanski verarbeite in seiner ersten Regiearbeit nach dem Triumph mit "Der Pianist" "eigene Erfahrungen als Waise auf den Straßen des Ghettos von Warschau". Das mag man glauben oder nicht, Anhaltspunkte im Film sind keine zu erkennen. Es ist ein Dickens und kein Polanski, da will die Marketing-Abteilung vielleicht etwas den "Pianisten" nachklingen lassen.
 
Oliver Twist, der Junge mit dem Engelsgesicht, wird eindrucksvoll gespielt von Barney Clark. Obwohl es immer besonders schwierig ist Kinder zu inszenieren, verdient sich jedoch vor allen Ben Kingsley viel Begeisterung. Sein Fagin ist eine wirklich interessante Figur, mit vielen faszinierenden Schattierungen des Verderbten, Düsteren.
 
Eine düstere Kindergeschichte, die sich zur Weihnachtszeit nett anschauen lässt, weil heute ja alles nicht mehr so schlimm ist. Nirgendwo mehr werden Kinder so schlecht behandelt. Außer in Indien, Thailand, China, Brasilien, ... Aber sie müssen ja nur unsere Hemden und Schuhe nähen, bis sie umfallen ...

Terkel in Trouble


Dänemark 2004 (Terkel i knibe) Regie: Stefan Fjeldmark, Kresten Vestbjerg Andersen, Thorbjørn Christoffersen, 78 Min.
 
Da werden die Pädagogen aufheulen: Pädagogisch wertvoll trotz heftig Blut spritzender Splatter-Einlagen? Die dänische Computer-Animation "Terkel in Trouble" wird den Kids Spaß machen, weil sie so herrlich krass und respektlos daherkommt.
 
Terkel - deutlichstes Merkmal: Zahnspange - erlebt die Schulzeit zusammen mit seinem Freund Jason als großen Spaß, bis er ins Visier der beiden Quälgeister der Klasse gerät: Die "Bullies" schikanieren dauernd und machen ihn fertig. Terkels Eltern - herrlich: die dauerqualmende, keifende Mutter und der hinter einer Zeitung verschollene Vater - hören nie zu. Der Opa von der Schüler-Hotline rafft auch nichts, teilt aber bei einer Prügelei kräftig aus. Das Mobbing wird dann mit dem Selbstmord einer dicken Schülerin höchst dramatisch ...
 
Auch wenn die Mini-Zusammenfassung jetzt didaktisch interessant klingt, dieser bis zu den "Fehlern" im Abspann umwerfend komische Trick-Film wird nie zum pädagogischen Einsatz kommen. Denn in ihm kucken sich die Jungs Splatter-Animationen an, da geht beim Pinkeln schon mal was schief, da ist Jesus am Kreuz genau so ein Hänger wie die anderen Figuren. Statt schmalz-klebriger Disney-Schnulzen gibt es beim Musikunterricht von Arne super-coole Disko-Einlagen. Die pädagogisch wertvollen Songs des Aushilfslehrers Gunnar schocken mit Wahrheiten über Kindersex in Thailand. Und bei der Hochzeits-Jubiläumsfeier der Eltern sagt Vater endlich das richtige Wort: "Nein!"
 
Allerdings fährt "Terkel" bei aller politisch inkorrekten Unverfrorenheit letztendlich fast noch auf der Schiene "pädagogisch wertvoll", denn wie Terkel sich gegen die beiden Sadisten wehren muss, könnte bei den vielen ähnlichen Situationen im richtigen Leben eine Hilfe sein - oder auch nicht.
 
Die Regisseure nutzen die einfache Machart der Computer-Animation, um zahllose freche Ideen umzusetzen. Vom Alptraum im Stile von Horrorfilmen wie Shining oder Zombie bis zur kurzlebigen subjektiven Perspektive einer Spinne. "Terkel" war der erfolgreichste Kinostart des Jahres 2004 in Dänemark. Dort wurden alle Stimmen vom Stand-up Comedian Anders Matthese gesprochen und gesungen. In Deutsch übernimmt Bela B. Felsenheimer diese Parts überzeugend.

U-Carmen


Südafrika 2005 (U-Carmen eKhayelitsha) Regie: Mark Dornford-May mit Pauline Malefane, Andile Tshoni, Zweilungile Sidloyi 126 Min. FSK ab 6
 
Bizets "Carmen" mit den Liedtexten in der südafrikanischen Xhosa-Sprache, mit den schnalzenden Lauten, die wir aus Miriam Makebas "Click Song" kennen, das ist so ungewöhnlich wie faszinierend. Ebenso das Setting in einem Township zwischen Prostituierten, Schmugglern und Polizisten sämtlich schwarzer Hautfarbe. (Theater-) Regisseur Mark Dornford-May zeigt in "U-Carmen eKhayelitsha" das alte Drama von Verführung und Eifersucht glaubhaft verbunden mit den aktuellen Themen des Landes, lässt einige traditionelle Lieder aber vor allem viele dokumentarische Straßenszenen einfließen. Ein Kunstgenuss, der Augen und Ohren für die Vielfalt der Welt öffnet. "U-Carmen" erhielt den Goldenen Bären bei den Berliner Filmfestspielen 2005. Die Hauptdarstellerin Pauline Malefane, eine in Südafrika sehr bekannte Sängerin, nahm bewegt die Ovationen für ihre packende Carmen im Berlinale-Palast entgegen.
 
Carmen (Pauline Malefane) lebt in einem Township von Soweto und bändelt mit dem Polizisten Jongikhaya (Andile Tshoni) an. Doch als sie einem jüngeren nachgibt und bei Schmugglergeschäften mitmacht, nimmt das bekannte Drama seinen Lauf. Es könnte komisch klingen, aber bei dieser Carmen in einer fremden Sprache ergibt sich eine reizvoller Vexier-Klang: Die Melodien sind bekannt, die Stimmen passen, aber auch wieder nicht. Doch die Handlung in sich, dieser Hexenkessel aus Leidenschaft, Armut, Eifersucht und Wahnsinn ist völlig stimmig, man könnte vergessen, dass Bizets Original "etwas" nördlicher, in Sevilla angesiedelt ist.
 
Regisseur Mark Dornford-May realisierte zuerst eine Bühneninszenierung der Oper, die er dann mit seinen Schauspielern zu einem Spielfilm machte. Sicherlich die spannendste Carmen-Variation zurzeit - neben Goran Bregovics "Carmen with a Happy End" - der ersten Carmen mit einem Balkan-Akzent und begleitet vom "Wedding and Funeral Orchestra"!

12.12.05

King Kong


Neuseeland/USA 2005 (King Kong) Regie: Peter Jackson mit Naomi Watts, Adrien Brody, Jack Black 187 Min. FSK ab 12
 
Grandios! 207 Mio. Dollar Drehkosten, noch einmal 125 Mio. für die Werbung und trotzdem ein guter, ein sensationeller Film. Das gab es lange nicht mehr. Nachdem er den Fluch des Ringes los ist, zeigt der dreimalige Oscar-Gewinner Peter Jackson ("Heavenly Creatures", "Bad Taste", "Braindead", "The Frighteners") wieder, was er wirklich kann.
 
Romantik, großartige Abenteuer, Humor in verschiedenster Form - Peter Jackson sparte bei seinem "King Kong" nirgendwo. Jetzt kann man die Romantik zwischen der Schönen und der Bestie (der Affe ist Letzteres) wieder in vollen Zügen genießen, jetzt erschreckt das gewaltige Tier und beeindruckt im Kampf gegen gleich drei Saurier, als wäre er bei Bruce Lee in die Kung Fu-Schule gegangen.
 
Es geling Jackson vor allem, seinen Jugendtraum "King Kong" unaufdringlich auf den Stand modernen Erzählens zu bringen, mit medialen Verweisen und einer sehr dichten Struktur. Eine grandiose Nummer ist die Idee, den großen, massigen Affen zum gnadenlosen Zuschauer einer Vaudville-Show zu machen. Denn die "Weiße Frau" Ann Darrow (Naomi Watts) tanzte in einer solchen, bevor sie mitten in der tiefsten Depression - wir drehen das Jahr 1933 - auf der Straße landet. Dort liest sie der wahnsinnige Regisseur Carl Denham (Jack Black) auf und lockt sie auf seine mehr als abenteuerliche Dreh-Expedition.
 
Tatsächlich strandet sein Dampfer "Venture" an einer abschreckenden Felsenküste. Eine zehn Meter hohe Mauer zieht sich über die Insel und die schaurigen Eingeborenen schnappen sich bald die Weiße Frau, um sie dem Riesenaffen hinter Mauer und Graben zu opfern. Der schnappt sich seine neue Barbie-Puppe, schleudert sie etwas herum, verliert dann aber fast das Interesse. Wäre Ann nicht so eine raffinierte und komödiantische Variete-Artistin. So lernen sich die beiden näher kennen, im großen, sehr lauten Affen steckt ein weicher Kerl und sie könnten bis ans Ende ihrer Tage Sonnenuntergänge bewundern, gäbe es nicht das tragische Ende. Denham fängt den Affen ein, macht ihn zu Attraktion von New York, die aber bald selbständig durch die Straßen zieht und auf das Empire State Building klettert.
 
Der Rest ist Kinogeschichte und trotzdem rührend, traurig, bewegend. Wenn das ungleiche Pärchen im Central Park auf dem Eis herumtollt, hat das mehr Gefühl, als die meisten "Stars" auf die Leinwand bringen! Das Buch ist zurückhaltend mit unnötigen Worten, erspart sich damit auch Platituden. Ansonsten sind die über drei Stunden keine Minute zu lang, eher wundert man sich, dass Jackson für das tragische Finale in New York mit 40 Minuten auskommt.
 
Jackson fand seine Schädel-Insel im Computer, doch "King Kong" ist wegen anderer Gründe eine Sensation: Die eindrucksvollen Emotionen in "King Kong" sind vor allem den Darstellern zu danken. Sogar "King Kong" selbst verdankt seinen Ausdruck einem Menschen: Andy Serkis, der Gollum aus "Herr der Ringe".

Alles ist erleuchtet


USA 2005 (Everything is illuminated) Regie: Liev Schreiber mit Elijah Wood, Eugene Hutz, Boris Leskin 106 Min. FSK ab 12
 
Eine Skurrilität des deutschen Startkalenders, dass am gleichen Donnerstag zwei "Gefährten des Rings" einen neuen Film bringen: Während Regisseur Peter Jackson seinen riesigen "King Kong" los lässt, brilliert "Hobbit" Elijah Wood in einem außergewöhnlichen, kuriosen und erinnernden Werk. Und auch bei der "Family Stone" dreht sich alles um einen Ring.
 
Sie ist zwar noch nicht tot, aber ihr Gebiss kommt schon mal in die Sammlung des Enkels: Jonathan Safran Foer (Elijah Wood) sammelt an einer großen Wand in Klarsicht eingetütete Erinnerungsstücke seiner Familie. Eine Heuschrecke in Bernstein und ein Foto vom Großvater zusammen mit dem Namen der Ortschaft Trachimbrod in der Ukraine bringt den skurrilen Amerikaner mit dem ängstlichen Blick hinter dicken Brillengläsern auf eine Reise nach Europa.
 
Am Bahnhof von Odesa begrüßt ihn Alex (Eugene Hutz), der sich als Hip-Hopper wähnt, aber dessen Englisch mit seltsam sperrigen Formulierungen gepflastert ist. Seine Familie verdient mit "Jewish Heritage Tours", mit "Jüdischen Erinnerungs-Reisen" ihr Geld. So gehört zu Jonathans Begleitung im sozialistischen Arbeiterklasse-Wagen der aus Überzeugung blinde und antisemitische Großvater (Boris Leskin) am Steuer und hinten neben dem Gast die bissige Töle Sammy Davis Junior Junior (sic!), die mit einem T-Shirt bekleidet immer als Running Gag mitläuft. Dass Jonathan Angst vor Hunden hat, wird kaum belächelt, aber ganz und gar ignoriert. Ebenso wie sein total abstruser Wunsch, Essen ohne Fleisch zu sich zu nehmen. Die ganze Umgebung bedenkt ihn mit einem dieser Blicke, die Vegetarier nur noch in Bayern und anderen Gebieten erleben, die bald durch Rinderwahn, BSE und Kreutzfeld Jakob entvölkert sein werden.
 
Man kann sich noch über viele Kuriositäten in diesem "Clash of Culture" amüsieren, bis die gemischte Truppe tatsächlich in Trachimbrod und in der Vergangenheit des Holocaust ankommt. Bei Lista, einer entfernten Verwandten Jonathans finden sie eine Wand mit Schachteln mit Erinnerungen an ein Dorf, dass es nicht mehr gibt.  Im März 1942 wurden dort 1024 Juden nach grausamen Erniedrigungen ermordet.
 
Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jonathan Safran Foer findet langsam vom oberflächlich witzigen "Kulturvergleich" (die dummen Ukrainer, haha - die dummen Amis, haha) zu einem tieferen Kern. Schauspieler Liev Schreiber (der Sohn der Politikerin im Remake von "Der Manchurian-Kandidat") erzählt in seiner ersten Regie eine Geschichte, die Erinnerung sein will, nie rührselig wird. Das ist befremdlich und etwas gewöhnungsbedürftig. Am Ende ergreift sie aber doch, gibt sie etwas von Jonathans süßer Melancholie ab, in einem Verlust eine Heimat wiedergefunden zu haben.
 
PS: Und mittendrin in all der überwältigenden Trauer fällt "Hobbit" Elijah Wood der völlig unnötige Satz ins Gesicht: "It is because of the ring we are all here!!!!" (Wir sind wegen des Ringes hier!)

Die Familie Stone - Verloben verboten!


USA 2005 (The Family Stone) Regie: Thomas Bezucha mit mit Claire Danes, Diane Keaton, Rachel McAdams 103 Min. FSK o.A.
 
Alle Jahre wieder treffen sich Filmteams im Frühjahr, um mit viel Kunstschnee und falschen Gefühlen einen weiteren Weihnachtsfilm zu drehen. Wie blöd sich das anfühlen muss, spürt man bei der "Familie Stone" fast in jeder Szene. Ein routiniert inszeniertes Familienfest zum Weglaufen.
 
Ein fröhliches Durcheinander von Personen und Probleme trifft sich zum familiären Weihnachtsfest irgendwo im Norden der USA: Der taube Thad Stone (Ty Giordano) schneit mit seinem schwulen, schwarzen Freund Patrick (Brian J. White) herein. Seine Schwester Susannah Stone (Elizabeth Reaser) kommt mit kleiner Tochter und reichlich viel Schwangerschaft, um fortan nur noch selig zu lächeln. Der lässige Schwerenöter Ben Stone (Luke Wilson) bekommt von Über-Mutter Sybil Stone (Diane Keaton) direkt Kiff-Verbot. Ein Keifverbot für das bösartige Nesthäkchen Amy Stone (Rachel McAdams) wäre auch angesagt. Und alle warten auf Everett (Dermot Mulroney), der seine Neue, Meredith Morton (Sarah Jessica Parker), vorstellen und gleich auch verloben will.
 
Der äußerlich coolen, aber schrecklich unsicheren Business-Frau Meredith gelingt es gleich auf Anhieb, in alle möglichen Fettnäpfchen zu treten: Sie brüllt den tauben Thad an, und befürchtet, das adoptierte Kind der beiden Schwulen könnte auch "nicht normal" werden. Doch diese Entgleisungen der angeblich gebildeten, beruflich erfolgreichen Blonden werden verziehen und vergessen. Was man dem Drehbuch nicht verzeihen sollte!
 
Meredith wurde aber schon vorher von allen gemobbt, nur Amy reagiert normal - sie ist von Natur aus eklig. Die zukünftige Verlobt ruft deshalb ihre Schwester Julie Morton (Claire Danes) zu Hilfe und da das Personal komplett ist, geht jetzt alles drunter und drüber. Einige landen in falschen Betten und dann ist gemäß der Standard-Dramaturgie Weihnachten.
 
Dem Regisseur Thomas Bezucha gelingt es, routiniert und glatt ein Ensemble-Drama zu inszenieren, das einen kalt lässt, wie die Eiswürfel im Gefrierfach. Man verfolgt das Geschehen, man weiß, was beabsichtigt war und interessiert sich weiter nicht dafür. Selbstverständlich darf auch das unausgesprochene Geheimnis, von dem jeder weiß, nicht fehlen. Die unheilbare Krankheit.
 
Eine Zeit lang glaubt man, hier würde sich ein Außenseiter-Drama abspielen, man würde erleben, wie die Weihnachts-Seligkeit den Fremdkörper nicht integrieren kann. Aber zum Ende bekommen wir gleich ein dreifaches Happy End geliefert, nur Mutter ist nicht mehr dabei.

6.12.05

Alles was ich an euch liebe

Spanien/Großbritannien/Argentinien/Portugal, 2004 (Seres Queridos / Only
Human) Regie: Teresa de Pelegri, Dominic Harari mit Norma Aleandro,
Guillermo Toledo, María Botto, Marián Aguilera 89 Min. FSK o.A.

Es geht los mit einem Quickie im Aufzug, denn vor dem Familienbesuch sollte
man sich lockern, vor der Vorstellung des neuen Verlobten besonders. Leni
bringt Rafi mit und noch weiß keiner in der spanischen Familie, dass Rafi
Palästinenser ist. Doch vorerst sorgen ganz alltägliche Dinge für das Chaos:
Der kleine Bruder ist nervig religiös geworden, die Mutter hygienisch. Der
blinde Opa fuchtelt zu sehr mit dem Gewehr rum, mit dem er vier Araber
erschossen hat. Und ein großer Klumpen gefrorener Suppe rutscht Rafi aus der
Hand, fliegt aus dem Fenster und erschlägt einen Passanten.

Das ist Almodovar mit Wilder gepaart: Juden am Rande des
Nervenzusammenbruchs. Die Filmemacher bescheren uns so schöne Sätze wie
"Eher bekommt Israel Frieden als ich einen Orgasmus mit meinem Mann",
scheuen sich nicht vor grobem Klamauk oder frech schwarzem Humor und halten
die zwischenstaatlichen Konflikte wenigstens musikalisch immer nahe.

5.12.05

Factotum


USA, Norwegen 2005 (Factotum) Regie: Bent Hamer mit Matt Dillon, Lili Taylor, Fisher Stevens, Marisa Tomei, Didier Flamand 94 Min. FSK ab 12
 
Bukowski - trocken und nüchtern
 
Charles Bukowski ist irgendwie nicht mehr richtig in Mode. Vielleicht weil man seinem Saufen, dem Delirium, dem Rumhuren und dem es-auch-noch-alles-richtig-gut-finden nur begrenzt viele Varianten abgewinnen kann. Nach Barbet Schroeders "Barfly" mit Mickey Rourke verfilmte nun Bent Hamer ("Kitchen Storys") eine Bukowski-Geschichte,
und zwar ganz ungewöhnlich: Trocken und nüchtern!
 
Henry Chinaski (Matt Dillon) ist Schriftsteller - manchmal. Meistens ist er besoffen, und das volle Kanne. So fliegt er aus jedem Job raus, aber das mit Stil. Den Laster mit Gefrierkost lässt er vor einer Bar auftauen. Den Vorarbeiter, der sich zwischen ihn und seinen Drink stellt, rennt er heftig über den Haufen.
 
In solch knappen Szenen mit sparsamem Off-Kommentar ist Bent Hamer exzellent. Stille, seltsame Kerle in aberwitzigen Situationen machten auch seine "Kitchen Story" zum Hit in Sachen trockener Humor. Matt Dillon spielt Henry Chinaski als Trottel von Qualität von Laurel und Hardy. Aber auch als ganz ernsthaften Beobachter und Schriftsteller mit Kostproben der Literatur von Bukowski.
 
Die nüchtere, fast distanzierte Bukowski-Interpretation von Bent Hamer sieht in ihren besten Momenten aus wie ein Jarmusch oder ein Wenders. Allerdings leidet die Story unter der Abwesenheit von Entwicklung, geht nur beschränkt rauf oder runter mit dem Anteil des Alkohols im Blut.
 
In guten Momenten gewinnt Chinaski auf der Pferderennbahn, wird von der reichen Mätresse Laura (Marisa Tomei) ausgehalten und lebt in völliger Sexual-Harmonie mit Jan (Lili Taylor). Was bedeutet, dass sie beide fast gleichzeitig kotzen und sofort wieder zur Flaschen greifen und ins Bett hüpfen. Dann fliegt der Alki wieder aus dem Job, kriegt seinen Führerschein nicht zurück und auch keine der Geschichten, die er zu Zeitschriften schickt.
 
So lassen sich die lakonischen Momentaufnahmen fast ohne Filmmusik, das Philosophieren über Pferdewetten, Sex und die Frauen vielleicht als ruhige, feine Beobachtungen preisen. Ein nüchterner Bukowski halt.

Cry_Wolf

USA 2005 (Cry_Wolf) Regie: Jeff Wadlow mit Julian Morris, Lindy Booth, Jared Padalecki 90 Min. FSK ab 16
 
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. So lautet die sinngemäße Übersetzung der englischen Redewendung "Cry Wolf". Doch im Teenie-Horror macht das überhaupt keinen Sinn, den dieser lebt vom Vortäuschen, vom unnötigen Schrecken und falschen Fährten, denen man immer wieder auf den Leim geht. Es wird also gelogen und erfunden auf Serienkiller komm raus. Und gemordet selbstverständlich.
 
"Cry_Wolf" lässt die falschen Fährten in ungeahnter Vielfalt sprießen: Die Schüler einer amerikanisch Uni spielen nächtens ein nettes Detektivspiel und Owen (Julian Morris), der Neue, erweist sich als cleverer Kombinierer. Als dann ein Mädchen auf dem Campus ermordet wird, erfinden die Journalistik-Studenten einen Serienkiller und verbreiten das Täterprofil im Internet. Das makabre "Spiel" weitet sich bald auf den ganzen Campus aus und wird blutiger Ernst, als der Killer tatsächlich in der Realität auftaucht. Verdächtig ist jeder (auch "Lehrer" Jon Bon Jovi) und die Lösung stellt noch einmal all die vielen Wendungen der Geschichte auf den Kopf.
 
Der Unterstrich im Titel "Cry_Wolf" (es ist ein Email-Name) macht deutlich, dass die ganze Geschichte computer-hyper aufgemotzt wurde. Man "chatet" fortwährend, die Drohungen kommen übers Internet und der Freund erkennt den Killer auf dem Handyfoto im Spiegel hinter der Freundin. Was für ein technischer Blödsinn - auf richtigen Handyfotos würde er die Freundin nicht von der Oma unterscheiden können!
 
Aber dem Teenie-Horror-Klientel wird dies egal sein, wichtig sind die Schauer- und Schreckmomente. In der ersten Hälfte bleibt "Cry_Wolf" gemächlich und verspielt, erst in der letzten halben Stunde geht das fröhliche Schlachtfest los. Im Stil von Wes Craven und "Sceam" wird mit dem Killer und seiner Verkleidung gespielt, zu Halloween laufen gleich zig Studenten mit roten Kapuzen über dem Gesicht rum. Ansonsten überrascht höchstens, dass in dieser Welt immer noch die gleiche verklemmte Sexualität herrscht, die uns seit "Halloween" wie ein böser Geist verfolgt.

Dias de Santiago

Dias de Santiago
 
Peru 2004 (Dias de Santiago) Regie: Josué Méndez mit Pietro Sibille, Milagros Vidal, Marisela Puicón, Alheli Castíllo 83 Min. OmU
 
Eindringlich. Von den ersten Bildern an. Der Druck bei diesem jungen Mann ist spürbar wenn er durch die Straßen von Lima geht, seine Gedanken, seine Beobachtungen im Off hörbar sind. Still, verschlossen, aber mit einem kräftigen Körper, dem man im Moment der Explosion nicht nahe sein will.
 
Santiago Román kommt nach dreijährigem Kriegsdienst nach Lima zurück. Aber er kommt nicht an in einer modernen Großstadt-Gesellschaft, die sich nicht um ihn und seinesgleichen kümmert. Die Brutalität der Kriege gegen die Widerstandsgruppe "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad) und das Nachbarland Ecuador verfolgt ihn quälend im Schlaf. Doch der 23-Jährige reißt sich zusammen, will sich weiterbilden. Aber die Ausbildung zum Informatiker ist langwierig und teuer, Förderung gibt es keine. Der letzte Sold reicht nicht mal für einen Kühlschrank auf Kredit, und Kredit kriegen Veteranen ebenso wenig wie Mitgefühl.
 
Santiagos konstanter Gedankenfluss kommentiert und bewertet ein für ihn moralisch erschreckendes modernes Leben. Aber Santiago kann nicht aussprechen, was er mitteilen will. So scheitert die eigene Ehe, in der Wohnung der Eltern verstärkt die Enge die Gewalt gegen alle Frauen. Die militärische Analyse einer Bar gelingt, etwas Spaß mit jungen Mädels auch noch, aber die Frustration wächst und mit ihr eine verzerrte Sicht der Realität.
 
Gegen den Einstieg ins Drogengeschäft kann er sich wehren - im Gegensatz zu seinen Kriegs-Kameraden, doch der sich nur mühsam zurückhaltende Choleriker schlägt seine Frau, dann will er die Freundin seines Bruders retten, schließlich kommt es eher aus Versehen zu einer Geiselnahme. Der Schrecken steigert sich bis zur atemberaubend stillen und spannenden letzten Einstellung, die alles offen lässt.
 
Spätestens als Santiago mit einem geerbten Auto auf Taxifahrer macht, ist der Bezug zu Scorseses und DeNiros "Taxi-Driver" überdeutlich. Er steckt in der vergleichbaren Situation eines Kriegsveteranen, der mit seinen seelischen Verkrüppelungen von einer kalten Gesellschaft nicht aufgefangen wird. Doch "Dias" bleiben eigenständig, zeigen auch genau und nachfühlbar speziellen Bedingungen in Lima und Peru. Die engen Familienstrukturen, die Gewalt gegen die Frauen, das Klima der Gewalt überhaupt.
 
Dabei ist die Perspektive Santiagos sehr geschickt aufgebaut - und von Pietro Sibille eindringlich gespielt: Anfangs kann man die Einschätzungen des Protagonisten durchaus noch nachvollziehen, erst allmählich keimt die gefährliche Tendenz auf, die Sache und die Pistole selbst in die Hand nehmen zu müssen und den "Schweinestall" aufzuräumen.
 
Dabei gewinnt die an sich einfache Inszenierung, die oft mit Handkamera der menschlichen Zeitbombe Santiago folgt, zeitweise die Kraft von Filmen wie "Amores Perros". Intensives Spiel, genaue Zeichnung der Figuren sowie des sozialen Umfeldes machen "Dias de Santiago" zu einem packenden und informativen Erlebnis.

"Ultranova" siegt in Gijon


Gijon. Nach dem Cannes-Sieg von "L'enfant" kann die Wallonie in diesem Jahr einen weiteren internationalen Festivalpreis verbuchen. Der Film "Ultranova", gedreht in der Umgebung der belgischen Provinzhauptstadt Lüttich, erhielt in Gijón die Hauptpreise der beiden großen Juries. Das "Festival Internacional de Cine" gehört zu den wichtigsten Filmevents Spaniens.
 
Mit einem Knall wendet sich der Film "Ultranova" um den stillen Angestellten einer Immobilienfirma und mit einem Knall endete auch das 43. Filmfestival von Gijon (28.11. - 2.12.2005): "Ultranova" erhielt sowohl den Hauptpreis der Internationalen Jury als auch den Preis der FIPRESCI, des internationalen Kritikerverbandes. Eine klare Entscheidung, die allerdings nicht überall auf Zustimmung stieß.
 
Wie auch bei den Brüdern Dardenne aus Lüttich, die schon zweimal die Goldene Palme gewannen ("Rosetta" und "L'enfant"), spielt in "Ultranova" von Bouli Lanners die Tristesse der Wallonie und ihrer Menschen eine Hauptrolle. Doch Tristesse ist eigentlich ein zu schönes Wort für die Trostlosigkeit zwischen Halden, Maaskanälen und öden Brachen. Es wäre gemein zu sagen, die Menschen haben sich ihrer Umgebung angepasst, deshalb leihen wir uns die Worte des Regisseurs Bouli Lanners: Er sieht seine Figuren wie ferne Himmelskörper, die einsam ihrer Bahnen ziehen. Deshalb auch die Titelkreation "Ultranova" in Anlehnung an den Sternentod mit einem Knall. Es kann immer mal passieren, dass der Druck von eingeschlossenem Schmerz und Hoffnungslosigkeit zu hoch wird. Dann explodiert etwa ein griesgrämiger und besonders aggressiver Kollege. Und irgendwann explodiert ohne Grund der Airbag im Auto. Ein Zeichen! Dafür, dass man auf einem falschen Weg war, meint eine Nebenfigur dazu.
 
Der Regisseur Bouli Lanners wurde am 20. Mai 1965 in Moresnet-Chapelle geboren und lebt in Lüttich. Bislang trat er vor allem als Schauspieler in vielen wallonischen Filmen auf (u.a. "Les convoyeurs attendent"). Zurzeit hat der enorm talentierte Lanners einen Film in Postproduktion und einen weiteren in Vorbereitung. "Ultranova" wird in Deutschland von Peripher vertrieben, einem kleinen Verleih, der nur schwer die Mittel hat, die Qualitäten dieses Films ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Vielleicht gelingt es mit Hilfe der Preise von Gijón.


Herzliche Grüße,
Günter H. Jekubzik * ghj@arena.de
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30.11.05

What The Bleep Do We Know?

WHAT THE #$*! DO WE (K)NOW?!
 
USA 2004
 
Regie: Mark Vicente, Betsy Chasse, William Arntz, Buch: Betsy Chasse, William Arntz, Matthew Hoffman, Darsteller: Marlee Matlin als Amanda, Robert Bailey jr. als Reggie, John Ross Bowie als Elliot, Barry Newman als Frank, Elaine Hendrix als Jennifer, Kamera: David Bridges, Mark Vicente, Musik: Christopher Franke, Michael Whalen, Schnitt: Jonathan P. Shaw, Produzent: Betsy Chasse, William Arntz, Produktionsfirma: Lord of the Wind, Länge: 113 Minuten, Verleih: Horizon Filmverleih/24 Bilder, Kinostart: 24.11.2005
 
Wer bin ich? Weshalb sind wir hier? Warum sollte ich diesen Film sehen? Das sind - mehr oder weniger - essentielle Fragen der Menschheit. Dieser populärwissenschaftliche Spiel-, Trick- und Doku-Film macht sich auf, Quanten-Physik zu erklären und gibt sich am Ende damit zufrieden, uns einfach zu glücklichen Menschen zu machen. Eine ungewöhnliche Achterbahnfahrt durch Wissenschaft, Esoterik und Lebenshilfe.
 
Der unausgesprochene Titel lautet "What the fuck do we know?" - Was zum Teufel wissen wir eigentlich? (Der prüde Ami ersetzt das F-Wort mit dem Zensurpiepen aus Radio und TV: Bleep.) Um eine Enttäuschung vorwegzunehmen: Wir wissen nach fast zwei Stunden nicht viel mehr über Quanten-Physik. Doch mit etwas Glück glauben wir, dass auch die noch nicht verstandene Theoretische Physik Mut machen kann, unser Lebensglück selbst in die Hand zu nehmen.
 
"What The #$*! Do We Know?" - oder kurz gesagt "#$*!" - beginnt als seltene Erscheinung von Populärwissenschaft im Kino: Wilde Computer-Animationen im Stile von ZDF-Wissenschaft-Dokumentationen. Viele, viele kluge "Talking Heads", die lächelnd keine Antwort haben. Und eine fiktive Geschichte um die scheue, schwerhörige Fotografin Amanda (Marlee Matlin aus "Gottes vergessene Kinder").
 
Was ist Realität? Wie sehen wir? Mit unseren Augen? Oder mit dem Gehirn? Wir können einfach nicht sagen, ob es eine Welt um uns gibt oder ob sich unser Gehirn das alles nur ausdenkt. Leben wir also auf einem riesigen Holodeck? Sind wir in der Matrix? Das ist Konstruktivismus in physikalische Theorien gegossen und sehr aufwändig inszeniert - von drei Regisseuren auf ebenso vielen Ebenen. Also ein Film, in den man vielleicht keinen Kritiker mit humanistischer Bildung sondern einen Quereinsteiger von den Naturwissenschaften schicken sollte? Doch die Physiker beschweren sich "web-weit" nur über falsch dargestellte Fach(idioten)details. Und darum geht es im Film bald auch nicht mehr. Eine der "tollen" Antworten all dieser verschmitzt lächelnden Denker lautet nämlich: Nicht im Wissen liegt das Leben, sondern im Rätseln.
 
Also wissen wir nicht, wir vermuten nur, dass in der Quanten-Physik (eine Theorie, nicht mehr) dauernd Partikel verschwinden. Tauchen sie vielleicht in einer anderen Welt auf? Das führt über "Schrödingers Katze" (die hier weder erwähnt noch tiergequält wird) zu der Idee vieler paralleler Welten. Und für die verbitterte Amanda nach einer polnischen Hochzeit mit folgendem Besäufnis zur Erkenntnis, dass positives Denken die Welt und vor allem ihr eigenes Leben verändern kann. So landet die Fortsetzung der Relativitätstheorie beim Einfach-Einstein: Alles ist relativ. Oder wie es jeder Disney-Film sagt: Du kannst es schaffen - was auch immer "es" sein sollte! Positiv denken oder Der Triumph des Willens - aber das war wieder ein anderer Film.
 
Nun ist "#$*!" nicht "Sophies Welt" für Physiker. Man kann danach auch nicht besser erklären, was Quanten-Physik ist, erhielt aber eine Menge Denkanstösse für viele Lebenssituationen. Da geben die Denker dann plötzlich Lebenshilfe wie in Petra oder Frigitte, da wendet sich Amandas Drama aus Selbstzweifeln und freudlosem Leben zum Besseren, da wird im Vorbeigehen noch etwas gesunder Atheismus gepredigt.
 
Welche persönliche Erkenntnis man auch immer aus diesem Film-Mix ziehen mag, die sorgfältige Machart ist ebenso bemerkenswert wie die Wirkung bei einen ungewöhnlich breiten Kinoeinsatz in den USA. Viele Szenen sind auf dem Niveau aktueller Film(trick)technik, einige Beispiele wurden witzig, einige überzogen bebildert. Das sieht dann zeitweise so atemberaubend choreographiert aus wie bei einem Dennis Potter-Musical, doch "The Singing Physiker" war eigentlich nicht angesagt. Aber vielleicht können demnächst ganz viele Naturwissenschaftler endlich mal mit ihren esoterischen Freundinnen zusammen Kino erleben.

29.11.05

Preview: Ich und Du und alle, die wir kennen

Me And You And Everyone We Know
 
USA 2005 Regie: Miranda July Buch: Miranda July Darsteller: John Hawkes (Richard Swersey), Miranda July (Christine Jesperson), Brad William Henke (Andrew), Ellen Geer (Ellen), Jordan Potter (Shamus), Brandon Ratcliff (Robby), Miles Thompson (Peter),  Jason R. Rice (Chad), Carlie Westermann (Sylvie), Natasha Slayton (Heather), Najarra Townsend (Rebecca) Kamera: Chuy Chavez Schnitt: Andrew Dickler / Charles Ireland Produzent: Gina Kwon Ausführende Produzenten: Jonathan Sehring / Caroline Kaplan, Holly Becker, Illiana Ninkolic Länge: 91 Min. Verleih: Alamode Kinostart: 23.2.

Website: www.meandyoumovie.com
 
"Obschönitäten (sic!) und Wunder" hätte dieses kleine Meisterwerk auch heißen können. Oder einfach: "Unglaublich!" Der erstaunlich vielseitigen, 1974 geborenen amerikanischen Künstlerin Miranda July gelang mit ihrem ersten Spielfilm "Me And You ..." ein vielseitig schillerndes Gebilde kreativer Ideen und anrührender Momente.
 
Wann hat man im Kino schon mal um das Leben eines Goldfischs gebangt? (Ok - Pixars "Findet Nemo" zählt jetzt nicht.) Christine fährt gerade wieder mit ihrem Senioren-Taxi durch die Stadt und beobachtet, wie ein nachlässiger Vater das Tierchen im Plastikbeutel auf dem Dach seines Wagens vergisst. Mitten im fließenden Verkehr versucht Christine nun, durch gleichmäßige Geschwindigkeit den Fisch zu retten. Nicht ohne ihm vorher in einem Gebet versichert zu haben, dass er in seinen letzten Minuten geliebt wurde.
 
Dies lächerlich kleine, wunderbare Drama ist nur einer der zahlreichen ganz eigenen, ganz besonderen Momente, dieses gleichzeitig verträumten und doch kristall-klaren Films. Protagonistin ist die Regisseurin selbst in der Rolle Christines, einer Künstlerin, die Urlaubsfotos mit unterschiedlichen Rollen und dem Rauschen des Fernsehers vertont. Diese Videokunst der unscheinbaren, stillen, in rosa Tönen gestreiften Frau kommt bei zynischen, in schwarz gewandten Galeristinnen selbstverständlich nicht an. Ihre Begegnung mit dem philosophischen Schuhverkäufer Richard (John Hawkes) inspiriert Christine zu einer wunderschön kreativen und verspielten Romantik.
 
Neben dieser Begegnung fesseln noch vier andere, ebenso ungewöhnliche Beziehungen, die auch - sicherlich in den USA - provokanten Aspekte des Sexuellen enthalten. "3D and Touch in the Digital" (3D und Berührung im Digitalen Zeitalter) lautet der Titel einer Ausstellung im Film und könnte auch helfen, dem unerhört freudigen und herzerwärmenden Geschehen einen abstrakteren Sinn abzugewinnen. Besonders eindrücklich der Internet-Chat der beiden Söhne von Richard: Peter, klärt den kleinen Robby auf, dass die Frage nach den Brüsten herausbringt, ob ein Mann oder eine Frau an der anderen Seite in die Tasten hackt. Dann kommt der circa 7-Jährige mit einem analen Vorschlag, der selbst jemanden überrascht, der Prüderie nur als Variante beim Rollenspiel kennt. (Hier besteht eine entfernte Verwandtschaft zum Multi-Schauspieler-Kunststück "Palindrome" von Todd Solondz.)
 
Dass dies völlig selbstverständlich und natürlich wirkt, dass sich aus diesem scheinbaren Gag ein Chat-Kontakt fortentwickelt und es sogar zu einer atemberaubend unmöglichen Begegnung kommt, kann "Me And You ..." erneut auf der Seite seiner Wunder verbuchen. Dabei ist all dies den Ideen und dem Inszenierungstalent von Miranda July zuschreiben. "Me And You ..." wurde mit angenehm geringem Budget einfach inszeniert. Wohltuend auch die weitgehende Abwesenheit von Zynismus in den Figuren und überbetonter Angst in der Dramatik. Die weitgehend unbekannten Darsteller dürfen dadurch ihr Können voll ausspielen, vor allem John Hawkes als allein erziehender Romantiker Richard beeindruckt nachhaltig. Die einzigen speziellen Effekte sind die täuschenden Illusionen von Realitätsbildern, der Kunst von Christine verwandt.
 
Neben faszinierend schrägen Erwachsenen- und Kinder-Figuren erlaubt sich Miranda July auch treffende Seitenhiebe auf den Kunstbetrieb. Sie macht klar, wo naturalistische Bilder von Vögel hingehören: In Bäume! Kommunikation wäre ein durchgehendes Thema, wenn man so ein leichtes Kunstwerk mit etwas garstigem, gewöhnlichen wie Themen belasten will. Man chatet, verständigt sich über Videos, fabriziert die uralte Kunstform der ASCII-Code-Bildchen und ein Bilderrahmen übernimmt den Job, "Ich liebe dich" zu sagen.
 
Miranda July zeigt sich bei den mittlerweile zahlreichen Auftritten und Preisverleihungen (Goldene Kamera in Cannes 2005, Jury-Preis in Sundance 2005, Publikumspreis in Newport 2005) als eine - ganz wie im Film - schüchtern wirkende Frau, die ganz selbstverständlich in der Literatur, mit Performances und Romanen jongliert, die Kraft der Kreativität spielerisch vorführt. Dabei besticht vor allem ihr Einfühlvermögen in Menschen, Tiere und sogar Ruinen.
 
Und "Me And You ..." erspart uns die selbstverständlich gewordenen Dramaturgien, die irgendeine Maschine in Hollywood "vorschreibt". Gerade erfuhren wir in einem magischen Highlight, wie und weshalb die Sonne jeden morgen aufgeht, dann ist der Film zu Ende, man wundert sich und es ist unendlich schade. Denn davon könnte man viel mehr gebrauchen. Frischer Wind für das Programmkino halt.

28.11.05

The Devil's Rejects -


USA 2005 (The Devil's Rejects) Regie: Rob Zombie mit Sid Haig, Bill Moseley, Sheri Moon Zombie, William Forsysthe 106 Min. FSK ab 18
 
Ein "Haus der 1000 Leichen" war anscheinend noch nicht genug, um den Blutdurst des Publikums zu stillen. Der Heavy-Metal-Rocker und Heavy-Brutal-Filmer Rob Zombie zieht seine Blutspur weiter durch das ganz normale Kino.
 
Nach einer hirnrissigen Schießerei und nachdem fast alle Verdächtigen fliehen konnten, entdeckt die Polizei eine Folter-Farm. Mal nicht von der CIA oder der USA-Army, diesmal von einer ganz normalen amerikanischen Landei-Familie. Zig Morde gehen auf ihr Konto und der Film lässt die Zottels auf der Flucht fröhlich weiter quälen, foltern, vergewaltigen. Ein Polizist (William Forsysthe) jagt mit seiner persönlichen Rache hinter ihnen her, moralisch nicht viel besser als die Verbrecher. Seine Helfer, kriminelle Rocker, sind ebensolch ein Abschaum.
 
Fast wird die pervertierte (Killer-) Familie am Ende ganz wie üblich gerettet. Die Musik ("Free as a bird"), die langen Haaren geben ihnen den Gestus von Rebellen. Bei Rob Zombie sind sadistische Massenmörder die Helden, ähnlich hirnlose und gottesfürchtige Polizisten die rachsüchtigen Sadisten.
 
Zahllose, detailliert vorgeführte Leichen, extremer Sadismus, Verrohung und Gewaltorgien gehörten mal zum Nischenkino für Menschen mit ganz besonderen Vorlieben. Wirklich erschreckend ist, dass so etwas heute im Mainstream-Kino angenommen wird. Dabei wird die ganze Rohheit mit ähnlich magerem Talent gespielt wie Vorabendserien, die Dialoge der Mörder drehen sich nur um das Wort "Fuck", Nacktheit und Sex zeigt sich verklemmt "provokant" wie in billigen Pornoheftchen.

Banderas dreht in seiner Heimat

Banderas dreht in seiner Heimat
 
Von Günter H. Jekubzik
 
Madrid. Zuhause in Spanien ist er ein anderer Superstar: Antonio Banderas stellte in Madrid seinen zweiten Film unter eigener Regie vor. Der spanische Film "El camino de los Ingleses" (Der Weg der Engländer) wird für der Hollywood-Schauspieler eine Heimkehr nach Malaga, der Stadt seiner Jugend und einer intensiven Zeit.
Die Dreharbeiten beginnen in diesen Tagen und sollen vor Ostern abgeschlossen sein.

Bei der Vorstellung seines neuen Filmprojekts in Madrids ehemaliger königlicher Teppichfabrik übernahm Banderas in schicker Lederjacke selbst die Rolle des Moderators. Er hätte immer ein Schuldgefühl empfunden, keine spanischen Filme mehr gedreht zu haben, erzählte er. Und auf die Schwierigkeiten seines nicht besonders erfolgreichen Regiedebüts "Verrückt in Alabama" (mit seiner Frau Melanie Griffith in der Hauptrolle) angesprochen, begrüßte er die Dreharbeiten in der eigenen Sprache, das Englische sei doch hinderlich gewesen, seine kreativen Ideen umzusetzen.
 
Banderas wurde in Spanien mit den Filmen von Pedro Almodovar ("Atame. Fessle mich") bekannt und hatte seinen Hollywood-Durchbruch mit "Mambo Kings". Er war kürzlich noch auf Promotions-Tour für "Die Maske des Zorro" und wurde im August 45 Jahre alt. "El camino de los Ingleses" ist ein betont lokales Projekt, bei dem vor allem in Malaga junge Talente für die vielen Personen der Geschichte gesucht wurden. Von dort stammt auch die Schauspielerin Viktoria Abril, mit der Banderas nach vier gemeinsamen Filmen - u.a. Almodovars "Atame. Fessle mich" - nun wieder zusammen arbeiten will. Die Verehrung für Antonio durch sein Team nimmt vielfältige Formen an: Er ist mal Kumpel, mal Vater, sogar als Sonne, aber vor allem auch als Mensch geschätzt und wird noch richtig rot bei diesen Lobeshymnen.
 
Mit dem gleichnamigen Roman gewann der Buch- und Film-Autor Antonio Soler  den hochrangigen spanischen Literaturpreis Premio Nadal 2004. "El camino de los Ingleses" lässt in seiner Adoleszenz-Geschichte die Stimmung am Ende der Siebziger Jahre aufleben, lässt "den Schwindel sehen und fühlen beim Schritt von der Jugend zum Erwachsenenleben", wie Banderas es ausdrückt. Für diesen Film hat der spanische Superstar einige Hollywood-Angebote sausen lassen. Dass es reizvolle Andalusien-Bilder geben wird, garantiert wohl schon die Sponsorentätigkeit des dortigen Tourismusverbandes.

Solange du da bist ***


USA 2005 (Just Like Heaven) Regie: Mark S. Waters mit Reese Witherspoon, Mark Ruffalo, Donal Logue 95 Min. FSK o.A.
 
Zusammenleben gestaltet sich oft schwierig - erst recht, wenn die Mitbewohnerin ein Geist ist! Reese Witherspoon, die sich vor allem aufs Genre "Blond" konzentrierte, überrascht erneut mit Schauspieltalent in dieser nicht ganz himmlischen romantischen Geister-Komödie.
 
Noch dem schweren Verkehrsunfall der völlig überarbeiteten Notärztin Elisabeth Masterson (Reese Witherspoon) erleben wir erst einmal, wie Witwer Danny (Mark Ruffalo) verzweifelt eine Wohnung mit einer guten Couch sucht. Er will mit Hilfe von viel Bier vor allem vergessen. Dass ihm ausgerechnet eine freie Traumwohnung mit Dachgarten zugeflogen kommt, ist ein erstes Wunder. Mit kleinem Haken - denn irgendwann schnautzt ihn eine blonde Frau in seiner frisch gemieteten Wohnung an, er solle gefälligst Untersetzer benutzen, mal Staubsaugen usw. ... Erst vermuten beide einen Mietbetrug, dann, nach ein paar mehr Streits greift sie zum Telefon, um die Polizei zu holen und greift - durch den Hörer. Doch es dauert, bis Elisabeth begreift, dass sie ein Geist ist, der mitten IM Tisch steht. Danny hat derweil Schwierigkeiten, weil nur er sein "Übermieterin" sehen kann.
 
Nach "Ghost - Nachricht von Sam", nach "The Others" und vielen anderen ist diese Filmidee nicht gerade originell, doch sie wird von Ruffalo ("30 über Nacht") und Witherspoon ("Sweet Home Alabama") frisch präsentiert. Im Gegensatz zu "Ghost" bleibt (fast) alles komisch und romantisch. (Der etwas hinterhältige Beitrag zur Diskussion um künstliche Verlängerung des Lebens, fällt hier unter den Tisch.) Es ist wirklich witzig, wie sich die beiden ihn "ihrer" Wohnung begegnen, wie sie ihn mit Gesinge nervt, wie er schamhaft mit Unterhose duscht und die lüsterne Nachbarin mit Selbstgesprächen verwirrt.
 
Doch irgendwann raufen sich die Mitbewohner aus verschiedenen Daseins-Etagen zusammen. Denn Elisabeth liegt tatsächlich im Koma, wie eine gemeinsame - und wieder recht humorvolle - Suche herausbringt.
 
Reese Witherspoon, die in der Johnny Cash-Biographie "Walk the Line", dessen Frau June Carter spielt und begeisternd singt, kann auch hier dem Komödienpart durchaus gute ernste Momente abgewinnen. Eine Überraschung nach zwei Folgen des Dummchen-Films "Natürlich Blond". Mark Ruffalo macht charmant mit, eine schwach kopierte Steve Martin-Routine, zeigt wohl die Grenzen seines Alleinunterhalter-Talents. Doch immer wieder hilft ein flüssiges Drehbuch aus, mal werden bei der Hexen-Jagd Exorzisten, mal Ghostbuster auf den Arm genommen. Eine Notoperation mit Souffleuse, die ein erst panischer, dann betrunkener Danny vor Publikum durchführt, gehört zu den Höhepunkten einer akzeptablen Kino-Unterhaltung von Regisseur Mark Waters ("Freaky Friday").

22.11.05

Serenity - Flucht in neue Welten ***


USA 2005 (Serenity) Regie: Joss Whedon mit Nathan Fillion, Gina Torres, Alan Tudyk 119 Min.
 
Auch Nicht-Erfolg im Fernsehen kann durchaus eine Qualifikation für die Kinoverfilmung bedeuten: Die Serie "Firefly" wurde nach 11 von 14 produzierten Episoden abgesetzt. Eine DVD und Fan-Proteste ermöglichten es Autor und Regisseur Joss Whedon ("Buffy", "Angel"), diesen Film als Weiterführung des Science Fictions zwischen Action und Komik zu realisieren. Mit sichtbar weniger Budget allerdings.
 
Im Jahr 2507 kämpft die Crew des Raumschiffs "Serenity" gegen die dominante Allianz. Mit dabei ist die Telepathin River (Summer Glau), in deren Gedächtnis mächtige Geheimnisse versteckt sind. Während Captain Reynolds (Nathan Fillion) als Held mit lockerer Moral den Kurs vorgibt, ist ihnen ein mysteriöser, asiatisch sadistischer Killer (Chiwetel Ejiofor) auf den Weltraum-Fersen. Flotte Sci-Fi-Unterhaltung mit einigen Schauwerten und modern wenig moralischen Werten.

Merry Christmas ***


Frankreich, BRD, Großbritannien 2005 (Joyeux Noël) Regie: Christian Carion mit Diane Krüger, Benno Fürmann, Guillaume Canet, Daniel Brühl, Gary Lewis 110 Min.
 
Ein unglaublicher Kriegs-Kitsch: Zu schöne Bilder, eine (teilweise) unmögliche Besetzung und doch im Kern ein tief ergreifendes Ereignis: Die gegnerischen Soldaten ignorieren an der Front die Befehle von oben, kommen aus ihren Gräben, gehen auf den "Feind" zu und feiern mit ihm ein stilles Friedensfest.
 
Der festgefahrene Grabenkrieg in Flandern, wo die Industrien ihre Waffen mit ungeahnten Vernichtungskräften und besonders perfiden Techniken "an den Mann brachten". In Verdun, den Ardennen, an der Marne waren im Ersten Weltkrieg die Soldaten noch tausendfach weniger wert waren als ihre heutigen "Kameraden" am Hindukusch. Auch der deutsche Tenor Nikolaus (Benno Fürmann) wurde von der Bühne weg eingezogen, will keine Sonderbehandlung und wird einfacher Soldat. Im Dreck, im Ungeziefer und im menschlichen Verfall der Schützen- und Laufgräben bildet er eine moralische Instanz. (Als düsterer Gegenspieler zu schwer beladen: "Offizier" Daniel Brühl.)
 
Mit einer wunderbaren Stimme und geschickt eingesetzten Beziehungen arrangiert derweil seine Frau, die Starsopranistin Anna (Diana Krüger), einen Konzertabend in der Nähe der Front. Nikolaus legt mit seiner Partnerin vor dem debil kriegslüsternen Kronprinzen ein eher peinliches Duett hin. Wie hieß es noch: Nach Verdun kann man keine Lieder mehr singen ... Dann schleichen sie sich zu den Kameraden an die Front, um auch dort ein Ständchen zu bringen. Und bei "Stille Nacht" geschieht das Unfassbare: Nikolaus steigt singend aus dem Graben und in der Trümmerlandschaft zwischen den Fronten weiter zu schmettern. Aus den feindlichen Linien donnert nach einem Moment des Atemanhaltens Applaus, dann fallen zuerst die schottischen Dudelsackspieler ein, die französischen Champagnerflaschen gesellen sich bald auch zur Verbrüderung. Offiziere stoßen an, gemeine Soldaten versuchen sich in Verständigung und Handel in seltenen und ungerecht auf die Gegner verteilten Lebensmitteln. Weihnachtsbäume werden aufgestellt, ein Fußballspiel macht aus dem Schlacht- ein Spielfeld.
 
Ein unglaublicher Moment, der in den nächsten Tagen zur Dauereinrichtung wird. Selbst als die rückwärtige Artillerie der einen Seite schweren Beschuss ankündigt, werden die anvisierten Kameraden einfach in die eigenen Schützengräben eingeladen und bald darauf umgekehrt. Dass diese tatsächlich ereignete Utopie nicht andauern konnte, zeigt die Zahl der aktuellen Kriege. Die Feldpost verrät den unverschämten, anarchischen und zersetzenden Friedenszustand, die Verantwortlichen werden abtransportiert, beziehungsweise mit dem besonderen Segen der Kirche bei Himmelfahrtskommandos ganz sicher "verheizt". So einfacher und vernünftiger Frieden wäre wohl nur zu haben, wenn die Entscheidungsträger in den Parlamenten oder sonstwo selber mit an die Front müssten.
 
Der internationale produzierte und besetzte Film hieß seit der Premiere in Cannes "Joyeux Noel", in England "Merry Christmas" und auf gut deutsch "Merry Christmas". Er wirkt anfangs peinlich dekorativ, zu schön für solch ein grausames Thema. Auch Fürmann als Tenor knödelt das Playbackbild zur Stimme eines anderen ziemlich unglaubwürdig heraus. Doch dann das so nahe liegende und doch unfassbare, was 1914 an der Westfront tatsächlich geschah: Die Soldaten, die sowieso meist nicht wissen, wofür sie eigentlich morden, hören auf zu schießen und lernen den Menschen im schon seit der Kindheit verteufelten Gegner kennen. Genau! Was sonst? Gerade in der schlichten Klarheit rührt und schmerzt die Abwesenheit dieser besten Möglichkeit im allgemeinen Kriegswesen sehr tief.

Der Exorzismus von Emily Rose **


USA 2005 (The Exorcism of Emily Rose) Regie: Scott Derrickson mit Laura Linney, Jennifer Carpenter, Tom Wilkinson, Campbell Scott 120 Min.
 
Verteufelt raffiniert, wie diese Mischung aus Gerichts- und Exorzismusfilm uns glauben machen will, es sei schon ok, wenn bei der Teufelsaustreibung der eine oder andere Teenager drauf geht. Altbekannte Schocker im Stile von "Der Exorzist" oder "Das Omen" vermischt mit schockierend zähen Gerichtssequenzen. So will man zwei überkommen geglaubte Riten widerbeleben (sic!): Ex(orzismus)-und-Weg-Filme und Teufelsaustreibungen.
 
Priester Moore (Tom Wilkinson) wird verhaftet, als er irgendwo in amerikanisch ländlicher Einöde eines seiner Schäfchen besuchen will. Das Mädchen Emily Rose (eindrucksvolle Verrenkungen: Jennifer Carpenter) ist nämlich schon tot und sieht sehr übel aus - klar, wenn an der einen Seite irgendwelche Teufel und an der anderen Gotteskrieger an einem rumzerren, geht es blutig und eklig zu.
 
Im Auftrag der Erzdiözese soll die aufstrebende Rechtsanwältin und Agnostikerin Erin Bruner (Laura Linney), den Exorzisten Moore verteidigen und vor allem dafür sorgen, dass dieser vor Gericht den Mund hält. Doch ernst und gefasst lehnt der Kathole alle Angebote ab, er will die Wahrheit ans Licht zerren: Emily Rose war vom Teufel besessen! Und das Mädel gab trotz gemeinster Fürchte-Dich- und Horror-Szenarien keinen Zentimeter heiligen Boden preis, lehnte schon ziemlich zermartert sogar einen Freifahrschein direkt in den Himmel ab, den Maria höchstpersönlich anbot. Nein, Emily wollte den Geistern zeigen, das ein Gottes-Kind bis zum letzten Blutstropfen kämpft. Ein Opfer-Lamm mit Christen-Verdienstkreuz Klasse 1.
 
Jetzt wird die ganze Geschichte vor Gericht breitgetreten, Rückblenden sorgen ziemlich heftig und schrecklich dafür, dass niemand wegdämmert kann. Und dieser geschickt gesetzte Rahmen bildet den Clou des erzkonservativen Films: Die Nicht-Existenz des Bösen könne ja nicht bewiesen werden, heißt es in der Verteidigungsrede. Aber es kann auch nicht bewiesen werden, dass die katholische Kirche kein teuflischer Verein zur Verführung und Geißelung harmloser Menschen ist. Das sind logische Tricks und keine ernsthaften Argumente. Das Böse in Form von Waffenhändlern, Kriegstreibern oder Vergewaltigern ließe sich allerdings beispielsweise ganz gut feststellen und bekämpfen, wenn man nicht gerade mit Exorzismus, Glaubenskriegen oder dem Jenseits beschäftigt ist!
 
Allerdings muss man sagen: Gut gebrüllt Mittelalter. Das Ganze führt recht geschickt auf den Leim der Kirchenbank. Wie Erin Bruner von der schwarz gekleideten, ungläubigen und zynisch kalten Karriere-Frau durch ein paar nächtliche und pünktliche Besuche vom Belzebub zur Kirchensteuerzahlerin wird, ist gut gemacht. Jennifer Carpenter zeigt ein tolles Gesicht und eindruckvolle Fratzen, die Zeug zum Kino-Ikon haben. Exorzist Tom Wilkinson könnte wie sein Vorgänger in eine Spielfilmserie einsteigen, bei der reihenweise junge Leute tot-gerettet werden.
 
So will die durchaus effektive Horror-Inszenierung mehr sein als harmloser Kino-Schrecken. Sie basiert - und das ist wirklich schauerlich - auf der wahren Geschichte einer deutschen Studentin, die 1976 von bayrischen Pfarrern umgebracht wurde. Ein Film, der dies rechtfertigt, schreit danach, von einer aufgeklärten Kritik mit Feuer und Flamme ausgetrieben zu werden.

Ein ungezähmtes Leben ***


USA 2005 (An unfinished life) Regie: Lasse Hallström mit Jennifer Lopez, Robert Redford, Morgan Freeman 107 Min.
 
Lasse Hallström ließe sich auf gut deutsch mit "Schwall-schön" übersetzen. Nach der Leidensleier "Gilbert Grape", dem intensiv ruhigen "Schiffsmeldungen", dem Märchen-Kitsch "Chocolat" und dem nicht ideal besetzten "Gottes Werk und Teufels Beitrag" verwandelt der Regisseur diesmal einen dichten und menschlich interessanten Stoff um Trauer und Abschied in ein nettes Kinogeschichtchen, bei dem alles stimmt, aber nichts wirklich vom Hocker reißt.
 
Nachdem sie ihr Mann wieder zusammen geschlagen hat, haut Jean (JLo wieder als misshandelte Frau) mit ihrer Tochter Griff ab, zur zweit schlechtesten Option, zur Ranch des Schwiegervaters Einar (Robert Redford) in Wyoming. Der zeigt sich als altes Raubein im Cowboy-Land, als Bärenflüsterer und verstockt Trauernder. Denn ein Unfall mit Jean am Steuer raubte ihm den Sohn. Jetzt lässt ihn der Anblick der Enkelin langsam auftauen. Doch erst ist Konfrontation angesagt zwischen der stolzen Schwiegertochter und dem verletzten alten Mann. Als weise Instanz lebt und leidet Mitch (Morgan Freeman) in seiner Hütte nebenan. Sein Körper schmerzt unter riesigen Narben seit er vom Bären zerrissen wurde. Einar war dabei, aber zu betrunken, um zu helfen.
 
Eine Handvoll eigenwilliger Typen (den gefangenen Bären zählen wir der Einfachheit halber mit), fest verschlossen in ihnen Schmerz und Verlust. Das gibt genug Stoff für Drama auf kleiner Flamme einer gemächlichen Entwicklung. Mit Robert Redford und Morgan Freeman braucht man sich bei solch einer Geschichte keine Gedanken zu machen. Wenn Jennifer Lopez dabei ist, schon. Doch die Rolle der geschlagenen Frau, die als Kämpferin für ihre Tochter wieder zu eigenem Selbstbewusstsein findet, steht ihr. Sie kann neben den reifen Leinwand-Giganten bestehen. Die vor Lebensweisheit satten Sätze stehen wie die mächtigen Bäume der umgebenden Natur, die auch eine exzellente Nebenrolle spielt.
 
Selbstverständlich ist Drama und Humor immer gut ausgewogen. Wenn der eigenwillige Einar auf dem Fahrrad mit Wimpel ins Dorf fahren muss, kann man von ihm keine ernsthafte Bedrohung mehr befürchten. Allein das Dauergedudel der Tonspur stört den von Lasse Hallström weich gespülten Wohlfühlfilm.

15.11.05

Flotte Filmtage in Hückelhoven

Zum 34. Mal zeigen die Belgisch-Niederländisch-Deutschen Filmtage (18.-20.11.2005), das älteste und zur Zeit einzige Filmfestival im deutschen Teil der Euregio Rhein-Maas, gute und wichtige Werke, die "Auskunft über den politischen, sozialen und besonders den kulturellen Stand des jeweiligen Herkunftslandes" geben, wie Mitorganisatorin Gisela Münzenberg-Wiers betont.

Die renommierte Veranstaltung beginnt Freitag mit dem Kinderfilm "Lauras Stern" (15 Uhr), bevor Jugendliche aus den drei Ländern die Aula in Hückelhoven übernehmen. Das Programm für viele Entdeckungen und Diskussionen reicht vom Politthriller ("De Dominee, NL 2004, Sa. 14 Uhr) über schräge Trecker- und Rollstuhl-Satiren ("Aaltra", B 2004, Sa. 16.30 Uhr) bis zur Selbstverulkung von Hochzeits-Heulsuse Linda de Mol als Barbie als "Ellis in Glamourland" (NL 2004, Sa. 22.15 Uhr). Höhepunkte werden die sensationelle Tanzdokumentation "Rhythm is it" über Jugendliche, die Stravinsky tanzen (Sa. 20.30 Uhr) und der Murnau-Stummfilm "Der brennende Acker" mit Live-Musik sein (Fr. 20 Uhr nach der Eröffnung). Das komplette Programm steht im Internet: www.filmtage-hueckelhoven.de <http://www.filmtage-hueckelhoven.de/>
 

Keine Liederüber Liebe ***

Keine Lieder über Liebe

BRD 2005 (Keine Lieder über Liebe) Regie: Lars Kraume mit Florian Lukas, Jürgen Vogel, Heike Makatsch 101 Min. FSK ab 6

Ein ungewöhnliches Experiment mit prominenter Besatzung: Jürgen Vogel und Heike Makatsch improvisierten in einer "Dreiecks-Geschichte on the Road" Gefühlsausbrüche sowie das Philosophieren über Liebe und das Leben.

Filmstudent Tobias Hansen (Florian Lukas, der falsche Nachrichtensprecher aus "Goodbye, Lenin") will einen Film über seinen Bruder Markus (Jürgen Vogel) und dessen Band drehen. Was ein rockiges Roadmovie werden könnte, entwickelt sich jedoch zu einer typischen Nabelschau im Dienste der Eifersucht. Denn Tobias verdächtigt seine Freundin Ellen (Heike Makatsch) des Seitensprungs ausgerechnet mit dem Bruder. Der Dreh zu Dritt mit der Band als ungefragte Staffage soll "Bruder-Liebe" an den Tag bringen. Und der Film im Film sieht auch erst einmal so aus: Krampfiges Psycho-Drama, miese Stimmung, Launen und diffuse Vorwürfe. Dazwischen Monologe in die digitale (Hand-) Kamera, über Eifersucht, Misstrauen, die realistische Dauer einer Beziehung. Also: Meist keine Lieder über Liebe, nur Gelaber.

Der Vogel singt, die Makatsch mal nicht
Anfangs geht die extreme Selbstentblößung (oder: -blödung) des hochneurotischen Tobias auch dem Publikum mächtig auf die Nerven: Der Typ macht kaputt, was auch immer war. Nach einer langen Stunde ist der Seitensprung dann ausgesprochen und die Figuren können Leidenstiefe entwickeln. Dabei ist die Makatsch typisch: Man nimmt ihr die gespielten Gefühle ab, die improvisierten Sätze nicht. Jürgen Vogel allerdings wirkt bodenständig und echt wie selten. Die auch thematisch manchmal passenden Lieder bringt der Sing-Vogel mit der eigens für diesen Film (und den Soundtrack) konzipierten Band Grand Hotel van Cleef richtig gut. So fühlt man sich am Ende der anstrengenden Tour durch Rockschuppen der Nordlichter - von Hannover, über Wilhelmshaven, Lingen, Bremen, bis zum Amadeus in Oldenburg - doch für die holperigen Film- und Liebesversuche des Anfangs entschädigt.

14.11.05

Hustle & Flow **

Hustle & Flow

USA 2004 (Hustle & Flow) Regie: Craig Brewer mit Terrence Dashon Howard, Anthony Anderson, Taryn Manning 116 Min. FSK ab 12

"It's hard out there for a pimp" - So ein Zuhälter hat es schon schwer! Dies ist der Titelsong und auch irgendwie die Moral einer seltsam angesiedelten Erfolgsgeschichte: Aus dem altmodischen "Vom Tellerwäscher zum Millionär" wurde im MTV-Stil "Vom Zuhälter zum Rap-Star"! Es erforderte schon eine Menge Talent, um diese verquere Geschichte ans Klingen zu bringen.

Was unterscheidet den Menschen vom Hund? Mit dieser hoch philosophischen Betrachtung in einem coolen Dialog wird uns DJay (Terrence Dashon Howard) vorgestellt. Leider wird er unterbrochen, denn ein Kunde fährt auf. Das beste Pferd Nola (Taryn Manning) im (arg kleinen) Stall des Zuhälters DJay muss ran und so lernen wir seine andere Seite kennen. Doch nicht zu genau, denn der vom Musiksender MTV produzierte Film hat sich früh entschieden, dass DJays lyrisches Talent wichtiger als sozialrealistischer oder gar feministischer Kokolores ist. So beschränkt sich die Frustration des Naivchens Nora angesicht ihrer Tätigkeiten auf gerade mal einen Dialog. Ansonsten bleibt es in den Songtexten "cool", Zuhälter zu sein.

Und da jeder Zuhälter "mit einem Traum" seinen Weg machen sollte, findet DJay zuerst einen alten Schulfreund (Anthony Anderson) mit Aufnahmegeräten und dann noch einen weißen Kirchenmusiker Shelby (DJ Qualls). Zusammen basteln sie sich ein Studio, schmeißen zuerst die Frauen raus, um später zu merken, dass es ohne sie - im Chor! - nicht geht.

"Hustle & Flow" - auf schlecht deutsch vielleicht durch "Lude mit Lied" zu übersetzen - erzählt eine musikalische Erfolgsstory mit anrührend einfachen Leutchen. Das reichte für den Publikumspreis beim Sundance-Festival 2005. Für ein anständiges Maß an Authentizität steht Produzent John Singleton, der selbst als Regisseur gerade "Vier Brüder" in den deutschen Kinos hat. Dass dann in den letzten zehn Minuten aus dem Nichts kräftig die Gewalt ausbricht, irritiert. Scheinbar gilt in der Szene: Nur ein toter Rapper ist ein guter Rapper.

L'enfant ****

Belgien, Frankreich 2005 (L'Enfant) Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne mit Jérémie Regnier, Déborah François 95 Min.

Im Mai erhielten die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Lüttich für ihr in der Maas-Stadt angesiedeltes Sozialdrama "L'Enfant" (Das Kind) ihre zweite Goldene Palme. Obwohl sie über die Jahre hauptsächlich in Festivalkreisen Beachtung fanden, blieben sie ihrem sozialen Engagement und ihrem kargen Stil treu. Doch die Belgier sind mit ihrem neuen, stilistisch reduzierten Film "L'Enfant" so spannend wie noch nie. Es gibt in den deprimierend herunter gekommenen Vororten richtige Verfolgungsjagden um den kleinen Gauner Bruno (Jérémie Regnier). Der tollt noch wie ein Kind mit seiner Freundin herum, die gerade ein Baby gebar. Als Bruno wieder einmal kein Geld hat, verkauft er bedenkenlos das Kleinkind für einige Tausend Euro. Erst der Zusammenbruch der Freundin bewegt ihn zur Umkehr, er kann den Deal rückgängig machen, hat jetzt aber die brutalen Kinderhändler am Hals ...

"Menschen, die man nicht mehr sieht, in den Mittelpunkt zu stellen, das interessiert uns", sagte Luc Dardenne in einem Interview mit der taz. "Das ist eine Art Vergeltung für die Stimmung, die heute vorherrscht." So wurde schon die junge Arbeitslose "Rosetta" (1996, Goldene Palme von Cannes) zum verzweifelten Wesen, gehetzt zwischen Jobsuche und der alkoholkranken Mutter auf einem durchnässten Camping-Platz am Rande eines Lütticher Vororts. Das bedeutet Rand der Gesellschaft hoch drei, doch das Besondere an den Filmen der Dardennes, die mit dem Illegalen-Drama "La Promesse" ("Das Versprechen", 1996) erstmals international bekannt wurden, ist die enorme emotionale Wirkung trotz karger Mittel.

Die Sozial-Filmer Dardenne sind immer nahe am Milieu und an ihren Figuren - dank Handkamera. Manchmal unerträglich nah, emotional und auch ganz praktisch, wenn bei "Le Fils" (Der Sohn) die Kritik spottete, dass man ja nur den Rücken des Vaters sähe. (Dessen Darsteller, Olivier Gourmet, tauchte bislang übrigens in jedem Dardenne-Film auf und wird darüber hinaus im frankophonen Kino zum Star.) Doch meist wird man durch diesen Stil tatsächlich "mitgerissen" in die Welt der elenden Helden.

So auch beim Sujet des dummen Jungen, der immer tiefer in die Kriminalität abrutscht. Allerdings ist diesmal das Thema nicht so einzigartig wie bei den Vorgängern. Es wurde so schon recht oft gezeigt - zuletzt in Ken Loachs "Sweet Sixteen". Nur die Nähe zu ihren Menschen, das macht den Dardennes keiner nach.

10.11.05

The Descent - Abgrund des Grauens ****

Großbritannien 2005 (The Descent) Regie: Neil Marshall mit MyAnna Buring, Natalie Jackson Mendoza, Molly Kayll 100 Min.

Mal ein anderer Frauenfilm: Nach einem traumatischen Ereignis - ein drastisch und brutal inszenierter Unfall - bricht Sarah mit fünf Freundinnen zu einen Höhlenkletter-Tour auf. Es soll eine Extrem-Therapie sein, um Sarahs Dämonen los zu werden, doch in den Höhlen entdecken sie andere, menschenfressende.

Übermütig geht es noch in die Tiefe, eine beeindruckende Höhle lockt sie weiter hinein. Dann stürzt hinter ihnen der Kriechgang ein, sie sind gefangen und müssen sich durch unbekanntes Labyrinth weiter kämpfen. Als Höhlentrip ist "The Descent" schon sehr spannend, da hätten gar nicht nach 50 Minuten die menschenfressenden Monster aus ihren Löchern kriechen müssen. Aber dann geht es doch richtig ans Eingemachte, Lampen und einige Lebenslichter gehen aus, im Dunkeln gibt es nur noch das Blutrot und das Grün der Infrarot-Kamera. Eine richtige Killerin wächst aus der Gruppe hervor, eine neue Heldin wird geboren, dekorativ mit Blut beschmiert. Nun ist "Descent" allein ein Film für die hartgesottenen Blut- und Splatter-Fans, die sich gleich in Blutseen suhlen können. Aber spannend bleibt er trotzdem!

Es gibt wieder die bedrohliche Vogelperspektiven aus "Shining" und anfangs nette Schreckmomente. Als es dann abwärts geht, startet Regisseur Neil Marshall ein raffiniertes Spiel mit der Dunkelheit voller unheimlicher Geräusche a la Blair Witch. Es gibt Abstürze, üble Knochenbrüche, beklemmende Situationen - nix für Klaustrophobiker. Doch die Tiefenaction ohne weitere Tiefe wurde für dieses Genre sorgfältig inszeniert, gut gespielt und fesselt mit eindrucksvolle Aufnahmen - meist in blutrot.

7.11.05

In den Schuhen meiner Schwester ****


USA 2005 (In Her Shoes) Regie: Curtis Hanson mit Cameron Diaz, Toni Collette, Shirley MacLaine 130 Min. FSK o.A.
 
Sie könnten verschiedener nicht sein: Die ordentliche, leicht unsichere Anwältin Rose mit der dicken Brille und dem streng zurückgebundenem Haar. Dann das nervige, laute Lebegirl Maggie. Aber sie sind Schwestern! Die blonde, flott aufgemachte Maggie (Cameron Diaz) wickelt jeden Mann um den Finger, schlägt aber nie mehr als viele Drinks und versoffenen Sex heraus. So fliegt sie dank garstiger Stiefmutter zuhause raus und landet bei Rose. Doch das personifizierte Chaos schafft es in Rekord-Geschwindigkeit, nicht nur die Wohnung von Rose (Toni Collette), sondern auch deren frische Beziehung zu ihrem Chef zu zerstören. Damit verdient sich Maggie den nächsten Rauswurf - meint man auch im Publikum ganz überzeugt. Doch gibt es da nicht Mitleid mit diesem verlorenen Häufchen Elend?
 
Schon bald zeigt sich das Gute in Maggie bei einem sehr rührenden Moment: Sie entdeckt, dass da eine Oma ist, von der sie nichts wusste, die ihr zu jedem Geburtstag eine Karte geschickt hat, und alle liegen sie ungeöffnet in der Schublade des Vaters. Das Mädel packt den Müllsack ihrer Sachen und fährt zur Seniorenresidenz von Oma Ella (Shirley MacLaine) in den sonnigen Süden. Hier wird die junge gedankenlose Frau, die alles, was sie jemals erreichte nur aufgrund ihres Aussehens bekam, heftig mit der Vergänglichkeit von Schönheit, Jugend und Gesundheit konfrontiert. Maggie kommt nicht nur zur Ruhe, sondern findet unter den witzigen alten Leutchen auch Hilfe, beispielsweise für ihre Leseschwäche. An der verregneten Ostküste macht derweil Schwester Rose einen heftigen Wandel durch, gibt die Karriere erfolgreiche Anwältin auf und wird Hundsitter.
 
Den "Schuh" seh ich mir nicht an, mögen jetzt viele (Männer) denken. Zugegeben, es hört sich wie einige andere rührselige "Frauenfilme" an. Doch diese "Schuhe" passen besser: Nicht nur sind da drei großartige Schauspielerinnen, die man nicht zusammen erwartetet. Das Zusammenspiel von Cameron Diaz und MacLaine (und das Buch) tun beiden gut. Die MacLaine ist nicht so schrill aufgedreht wie in ihren letzten Rollen. Die Diaz bekommt Gelegenheit, ungewohnte Tiefen darzustellen.
 
"In den Schuhen meiner Schwester" ist vor allem ein Film von Curtis Hanson. Wieder exzellent gefilmt und inszeniert. Typisch Curtis Hanson könnte man sagen, aber außer, dass er immer gute Filme macht, ist bei ihm nichts typisch. Die Reihe mit dem harten Cop-Thriller "L.A. Confidential", der bekifften Anarchie von "Wonder Boys", den Rap-Battles von Eminem in "8 Mile" wird jetzt ergänzt mit diesem guten Frauenfilm. Für den Roman "Zwei Schwestern und ein Hochzeitskleid" von Jennifer Weiner findet der Regisseur richtig gute Bilder und immer genau den richtigen Ton zwischen Sentiment, Humor und Lebensweisheit.
 
So haben die beiden gegeneinander geschnittenen Leben, die gleichen Wurzeln in der Vergangenheit. Rose und Maggie verbindet mehr als die Leidenschaft für schicke Schuhe. Die Frauen sind immer noch die kleinen Schwestern ohne Mutter, die zusammenhalten müssen. Egal was kommt, der Supermann oder das Schwein, die Schwester ist die wichtigste Person im Leben und immer droht die Wahrheit über den Tod der Mutter ...
 

Vier Brüder ***


 
USA 2005 (Four Brothers) Regie: John Singleton mit Mark Wahlberg, Tyrese Gibson, André Benjamin 108 Min. FSK ab 16
 
Was passiert, wenn man einen John Wayne-Western in das verschneite Detroit von heute verpflanzt? Es wird direkt losgeballert! Ansonsten hat diese "Rache für Mutti" von John Singleton ("Boys in the Hood", "Shaft") viele reizvolle Momente serviert auf einem coolen Motown-Soundtrack.
 
Das darf nicht ungesühnt bleiben: Zwei maskierte Gangster knallen Evelyn Mercer (Fionnula Flanagan), den Engel der heruntergekommenen Gegend, brutal im Supermarkt nieder. Und Evelyn war gerade dabei, einen Truthahn für das heiligste der heiligen Familienfeste, für Thanksgiving, zu kaufen! Beim Begräbnis freut sich die Polizei, denn die berüchtigten vier "Söhne" der Evelyn Mercer kommen wieder zusammen. Unter den hunderten Kindern, die sie aus dem Waisenheim an Adoptivfamilien vermittelte, waren diese vier die hoffnungslosen, die unvermittelbaren Fälle. Evelyn kümmerte sich mit großem Herzen und pädagogischem Talent deshalb selbst um sie. Und jetzt wollen die Jungs die Mörder ihrer Mutter nicht nur finden ....
 
Wie beim Western "Die vier Söhne der Katie Elder" aus dem Jahre 1965. John Wayne gab den Ältesten. Der wird jetzt mit dicken Muskeln vom markigen Mark Wahlberg gespielt. Bobby fackelt nie lange und immer was ab. Er denkt nicht gerne, nutzt den Kopf lieber, damit durch die Wand zu rennen. In Wild West-Manier wird direkt geballert - erst schießen, dann fragen! Rüde Methoden und Sprüche bestimmen diesen Familienfilm der anderen Art. Da passt es auch, dass die Volvo-Familienkutsche mal als Waffe benutzt wird.
 
Doch die "Vier Brüder" können mehr als alles niederknallen, was zu den Auftragskillern führt, die ihre Mutti auf dem Gewissen haben. Die harten Kerle heulen alle im Haus der Mutter, sprechen sich zwischen Kloschüssel und Dusche aus. Und sorgen für Spaß, schon wenn die Kombination aus zwei Weißen und zwei Schwarzen als schlagkräftige und eingeschworene Brudertruppe auftritt. Ansonsten satte, gut dosierte Action: Heftige Schießereien, eine brutale Verfolgungsjagd auf Glatteis und ein weißes Western-Finale auf gefrorenem See.
 
Regisseur John Singleton ("2 Fast 2 Furious", "Shaft") machte einst mit "Boyz in the Hood" auf sich aufmerksam und blieb immer dran am Thema "Ghetto". Nun machen die Brüder einen verfallenen Randbezirk von Detroit (un-) sicher, doch das Milieu funktioniert auch hier. Singleton zeichnet knapp und prägnant die Brüder und die richtig Bösen. (Frauen müssen als reine Klischees am Rande bleiben.) Und obwohl im Quartett gleich zwei Pop-Stars dabei sind - Ex-Marky Mark Wahlberg und Andre Benjamin, die eine Hälfte von Outkast - ist nicht nur die Action gut gespielt.

Manderlay *****

Manderlay
 
Dänemark, Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, BRD, USA 2005 (Manderlay) Regie: Lars von Trier mit Bryce Dallas Howard, Isaach de Bankolé, Danny Glover, Willem Dafoe, Lauren Bacall 139 Min.
 
Erst war Dogma mit seinen strengen Regeln und dann kam die große Leere: Im zweiten Teil seiner bejubelten und angefeindeten Amerika-Trilogie setzte der Däne und Palmen-Sieger Lars von Trier ("Breaking the Waves") mit Manderlay" seine Filmkritik der USA fort - ohne Nicole Kidman.
 
Wie in "Dogville" reduzierte von Trier Set und Kulissen auf einen nur als Grundriss existenten Spielort mit minimalen Requisiten. Die Hauptdarstellerin heißt jetzt Bryce Dallas Howard. Ihr wird auch nicht so übel mitgespielt wie zuletzt Kidman und Björk in "Dancer in the Dark". Denn die Provokation liegt diesmal in der Fabel: Grace, knapp der perversen Gerechtigkeit von Dogville entronnen, will nun die Gangstermacht ihres Vaters (Willem Dafoe) nutzen, um die Sklaven einer Baumwollfarm des Südstaates Alabama in die Freiheit zu führen. Es ist das Jahr 1933 und obwohl die Sklaven rechtlich seit 70 Jahren frei sind, hält die Farmbesitzerin Mam (Lauren Bacall) ein strenges Regiment aufrecht. Mit Hilfe ihrer Männer und deren Maschinengewehre macht Grace Weiße und Schwarze gleichberechtigt zu Anteilseignern der Farm Manderlay. Doch nachdem sie alle mit Waffengewalt vom Besseren der Demokratie überzeugt hat, die Ernte nach vielen Gegenschlägen verkauft ist, stellt sich heraus, dass die Schwarzen ihren Status selbst gewählt haben und ihn auch jetzt noch nicht aufgeben wollen. Eine bittere Erkenntnis für die naive Idealistin Grace und eine provokative These, die dem Film vor allem von us-amerikanischer Seite böse Kritik einbrachte.
 
Der "selbst ernannte Lehrer" von Trier ist allerdings nicht so einfach zu packen und schafft es wieder mal, heftige Diskussionen zu entfachen. Zwar ist der Ü-Effekt von "Dogville" vorbei, man weiß, dass es kaum Kulissen geben wird, dass die Farm in weiten Zügen nur mit Kreide auf den Boden gezeichnet ist. Doch erstaunlich ist es wieder, wie stark beim V-Effekt, dieser Reduktion einiger Mittel die anderen doch noch wirken können. Man vergisst tatsächlich, dass die Illusion sehr spärlich auffiel, man ist mit dabei auf dieser Farm, bangt und wundert sich.
 
Bei dieser radikalen Landreform müssen die ehemaligen und unbelehrbaren Sklaventreiber schwarz angemalt das Essen auftragen und dienen. Doch alles so dämlich gut Gemeinte geht furchtbar schief. Wieder - wie in "Dogville" - gibt es diese "demokratischen" Versammlungen mit grausamen Entscheidungen. Und irgendwann muss Grace einsehen, dass sie einfach nur Lust auf diesen herrischen, gut gebauten schwarzen Mansi hat. Es ist ein Schwieriges mit der Moral.
 
Die Revolution gegen den Willen aller in "Manderlay" ist zynische Parabel, an der vielleicht auch Brecht seine Freude gehabt hätte. Was macht man mit dem komischen Vogel, der seinen Käfig nicht verlassen will. Oder hat er recht damit, dass er draußen gar nicht überleben könnte? Es ist nicht ganz einfach, gut und gerecht zu sein. Das muss Grace schmerzlich erfahren. Und das darf das Publikum nachher leidenschaftlich diskutieren. Wenn es denn den Film gesehen hat.

Edelweißpiraten ***


BRD 2002 (Edelweißpiraten) Regie: Niko von Glasow mit Anna Thalbach, Iwan Stebunov, Bela B. Felsenheimer 97 Min.
 
Sie hießen nicht Stauffenberg oder Scholl, doch das kann nicht der Grund sein, weshalb der Widerstand der Edelweißpiraten immer verdrängt wurde. Wenn jetzt ein intensiver, raffiniert inszenierter Film über die Jungendgang aus Köln auch Probleme hat, ins Kino zu kommen, könnte man sich glatt Verschwörungstheorien ausdenken ...
 
Sie sind Jungs und Mädels aus Köln-Ehrenfeld, die das schon mächtig zerbombte Viertel wie ihre Westentasche kennen. Ein Vorteil, wenn man sich mal wieder mit den HJ-Banden prügelt. Die Kluft zwischen Nazi-Anhängern und den ungehorsamen Edelweißpiraten geht gar durch Familien. Hans hört im Radio die verbotene Swing-Musik, während sein jüngerer Bruder Peter den Staatsfunk einstellt und als HJ-ler gedankenlos den Nazis hinterher läuft.
 
Nach einem weiteren Luftangriff findet Karl den verletzten KZ-Häftling Hans, der zum Bomben-Entschärfen draußen war und fliehen konnte. Man versteckt ihn bei der Witwe Cilly (Anna Thalbach), die zuerst ihre Pflege und dann noch mehr gibt. Zum Leidwesen Karls, der Cilly liebt, aber als "zu jung" abgewiesen wird. Es entwickelt sich ein gespanntes Dreiecksverhältnis in lebensgefährlichen Zeiten, denn die Gestapo sucht die Edelweißpiraten und unter dem neuen Anführer Hans radikalisiert sich die Widerstands-Gruppe. Die Situation eskaliert, immer mehr Waffen tauchen auf und schließlich fällt die Gestapo in die Wohnung Cillys ein, die als Unterschlupf und Waffenlager diente.
 
Dies ist nicht der ideologie-schwülstige Widerstand der Geschwister Scholl (-Filme), hier versuchen richtige Menschen im Bombenkrieg zu überleben. Die verrücktesten von ihnen gingen nachts mit der Pistole "Nazis jagen". Das hätten vielleicht mehr Leute machen sollen - aber dann hätte es im Nazi-Deutschland eventuell so ausgesehen wie jetzt im Irak ...
 
Anders als bei den üblichen Ideologie-Heroen mit besten Haltungsnoten zeigen die "Edelweißpiraten" Menschen mit Schwächen. Verrat, Abhängigkeiten, falsche Entscheidungen führen dazu, dass die "Terrorbande" von Köln-Ehrenfeld komplett verhaftet wird und nach brutaler Folter (fast) alle am Galgen hängen.
 
Zentral steht die tragische Figur des Karl, dem nicht nur die Liebe sondern auch der kleine Bruder genommen wird. Karl, das ist der letzte Edelweiß-Überlebende Jean Jülich, nach dessen Erinnerungen der Film gedreht wurde und der selbst im einfachen und ehrlichen Kölner Dialekt den Kommentar spricht.
 
Es gibt "Kölsch" zu hören, dazu flotte Django Reinhardt-Gitarrenläufe in dramatischen Verfolgungen. Die engagierte Produktion zu einem der deutschen Nichtthemen bemüht schräge Kamera, Schwenks aus der Hand, rasche Zooms, hat wirklich glaubwürdige Trümmer-Settings (aus Russland), ist hochspannend, wenn ein kleiner Junge unter einer riesigen Fliegerbombe eingeklemmt ist. Auch bei den Haupt-Darstellern wirkt "Edelweißpiraten" ansehnlich, mit Anna Thalbach als resolute Mutter Cilly und dem belgische Oscar-Macher Jan Decleir als Gestapo-Chef.
 
Doch die knappen Mittel fallen an einigen Stellen auf, etwa bei der hallenden Synchrostimmen. Ansonsten passt die Machart gut zu einem einfachen Milieu ohne aufwändiges Produktionsgeprotze, mit denen andere Nazifilme untergehen.

1.11.05

Tim Burton's Corpse Bride *****


USA 2005 (The Corpse Bride) Regie: Mike Johnson, Tim Burton 77 Min. FSK ab 6

Unsterblich schön - wie Tim Burton es wieder schafft, aus toter Materie die menschlichsten Rührungen hervorzuzaubern. Im Stile seines Kultfilms "The Nightmare Before Christmas" erleben seine wunderbaren Animationsfiguren eine schaurig-schöne Liebe im Untergrund.

Knochengerippen ein Herz zugestehen, ihnen den Atem der Liebe einzuhauchen, dass ist ein besonderes Kunststück. Es beginnt komisch, mit skurril verzerrten Figuren, dem Schwiegervater als plumper Kugel, einem Bischoff, dem das Kinn geradezu furchterweckend flieht. Die ganze Gesellschaft der arrangierten Heirat treten als Monster auf, von Habgier verzerrt. Nur die beiden jungen Opfer Victor und Victoria rühren als purer Ausdruck von Empfindsamkeit in dem Sturm absurder Fratzen: Große, ängstliche Augen, eine Mimik, die Herzen erweicht. Sie ergeben sich dem Zwang, finden aber auch in einem ruhigen Moment Sympathien füreinander. Nur die richtigen Worte bei der chaotischen Hochzeitsprobe kann sich Victor nicht merken. Der zerstreute Poet verdreht alles und zieht sich zum Üben in den schauerlichen Wald zurück. Verspielt steckt er einem vertrockneten Ast den Hochzeitsring an und spricht endlich die richtigen Worte. Nur es war kein Ast sondern der Finger einer unlängst Verstorbenen. Die Braut Emily entsteigt der Erde und nimmt seinen Eheschwur an und schwupps findet sich Victor bei einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft im Totenreich wieder.

Nun dreht das fantastische Kunstwerk richtig auf: Da wird Marimba auf Totenköpfen gespielt - ein Klassiker des alten, noch anarchischen Trickfilms. Ein Auge der Braut fliegt öfters raus und dahinter sieht eine Made umso schärfer. Als Hochzeits-Geschenk erhält Victor einen Schoßhund, als Gerippe-Puzzle, das wie sich von Geisterhand zusammensetzt. Nach dem ersten Schrecken flieht der unfreiwillige Bräutigam - bis er in einem "Dead End" landet, so morbid heißt Sackgasse auf Englisch. Die Verfolgung wäre auch für Emily atemberaubend - wenn sie noch einen Atem hätte. Dabei sehen wir eine Traumwelt wie bei "Caligari" und lachen beim klapperigsten "Vom Winde verweht"-Zitat aller Ewigkeiten.

Tim Burton tauchte seine neue Traumwelt komplett in blasse Farben, alles erscheint wunderbar düster und schwarz, so dass sich die Grufties begeistern werden - aber nicht nur sie. Die enorm aufwändige Machart setzt mit Stop-Motion-Technik, also Bild für Bild, eine morbid-poetische Fantasie um. Ähnlich wie "Wallace und Gromit" nur halt ohne Knete. Das letzte düstere Meisterwerk dieser Art, "Nightmare before Christmas" erobert gerade in Form von Modeaccessoires die Städte. "James und der Riesenpfirsich" - nach Roald Dahl - war eine eher rosige Kinderfilm-Produktion von Burton. "Corpse Bride" begibt sich wie "Edward mit den Scherenhänden" oder "Sleepy Hollow" wieder auf die dunkle Seite des Glücks. Und auch in Victor ist die Verwandtschaft zu "Edward" unverkennbar. Klar Johnny Depp war Vorbild und spricht im Original wie viele andere Prominente (Helena Bonham Carter, Emily Watson, Christopher Lee und Albert Finney). Danny Elfman sorgte wieder für Gänsehaut-Musik und ist als Bonejangles in einer der "Grusical-Einlagen" zu hören.

So lernt man die Toten lieben, schwärmt für das ganz besondere Dunkle Burtons, melancholisch und doch poetisch leicht wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels.

Es ist ein Elch entsprungen **

Es ist ein Elch entsprungen

BRD 2005 (Es ist ein Elch entsprungen) Regie: Ben Verbong mit Mario Adorf, Anja Kling, Raban Bieling 90 Min.
FSK o.A.

Ein Verkehrshinweis: Durch einen Schlittenunfall ist bei Irland ein Feldweg gesperrt und im Voralpenland fallen Elche vom Himmel! So was passiert, wenn der Weihnachtsmann sich zu schnell in die Kurve legt. Vom Himmel hoch schneit es den höflich sprechenden Elch Mister Moose direkt ins Wohnzimmer, Sören ist platt (der Tisch von Ikea) und Billy musste auch dran glauben. Aber der gehänselte und getriezte Bertl findet in dem Riesentier einen Freund. Doch draußen lauert Vermieter Paneke (Jürgen Tarrach), ein passionierter Jäger. Und auch der Weihnachtsmann kommt seinem Zugtier langsam auf die Spur, aber besäuft sich vorher noch mal herrlich. (Adorf sehr originelle, besoffen gröhlene und gar nicht rührselig.) Wenn Mister Moose allerdings nicht wieder los fliegt, gibt es kein Weihnachten ...

Der erste Weihnachtsfilms des Jahres erlebte bei 25 Grad seine Previews. Doch das wird diese Familienunterhaltung im harmlosesten Sinne nicht zum Schwitzen bringen: Ganz im Stile des Sams-Films (so ähnlich heißt auch die Produktionsfirma) gibt es leicht einzuordnende Figuren und eine übersichtliche Geschichte in der gleichen heilen deutsche Kleinstadt-Welt. Dazu all die lieben Gesichter, die uns vom Fernseher schon so vertraut wie die eigene Familie sind: Anja Kling, Mario Adorf, Christine Neubauer. Da pusten Modernismen will "Elch-krass" den Staub nicht weg. Hier wurde wieder einmal "kindgerecht" als "harmlos" missverstanden.